Initiation eines neuen Gladiators

  • Sie hatten wieder die alte Maga vom Tiberufer gerufen. Sie war alt und gebeugt, bewegte sich nur langsam, ihr Rücken war gekrümmt. Aber noch immer waren ihre altersfleckigen Hände ruhig, als sie nach und nach die Utensilien auf dem bereitgestellten Tisch ausbreitete. Eine Holzschale, schon schwarz von der Tinte, die so oft hier hereingegeben wurde, einige Nadeln aus Bein, spitz und ebenfalls so schwarz wie die Finger der alten Frau. Kein Wasser der Welt würde diese Tinte ihr jemals wieder von den Fingern waschen, ebensowenig wie die Zeichen, die sie mit den Nadeln und einem winzigen Hammer in das Fleisch ihrer Kunden malte.
    Die Sonne war nur noch wenige Handbreit über dem Horizont, bis die Arbeit der Frau beendet wäre, wäre es tiefe Nacht. Aber das machte nichts. Nachdem Kieran seinen ersten Kampf erfolgreich bestritten hatte und seine Wunden von den beiden Ärzten des Ludus gesäubert, genäht und verbunden worden waren, hatte der Director beschlossen, ihn als Gladiator zu kennzeichnen. Und so standen und saßen die Gladiatoren und die Doctores in der Nähe, genossen den freien Abend und warteten darauf, einen neuen Bruder in ihren Reihen bald begrüßen zu dürfen.


    Das alte Weib bedeutete Kieran, sich auf eine Holzbank zu setzen, während sie sich auf dem Schemel davor mit müden, alten Knochen niederließ. Ihre Haut war runzlig, ihr Gesicht dadurch irgendwie nicht mehr alt, sondern zeitlos geworden. Ihr weißes Haar hing in wilden Strähnen herab, durch das man die Kopfhaut sehen konnte. Überall hatte sie kleine Knöchelchen oder Federn von Vögeln eingeflochten. Kein Wunder, dass man von ihr sagte, sie könne zaubern.
    Mit einer warmen Hand fuhr sie über Kierans Unterarm, wo das Zeichen hinkommen sollte. Sie griff nach einer langen, spitzen Knochennadel und tippte sie in die schwarze Tinte. “Nicht wegziehen“ krächzte sie fast wie ein Rabe, ehe sie sich an ihr Werk machte, Stich für Stich.

  • Tief atmete der Kelte durch. Nun war es soweit. Er würde den letzten Schritt zum Gladiator machen...Und damit seine Gefangenschaft endgültig besiegeln. Denn als Gladiator war er gezeichnet und würde immer als einer erkannt werden, solange er nicht frei gelassen werden würde. Doch er hatte sich inzwischen an das Leben als Sklave und vor allem als Gladiator gewöhnt und sein Verlangen zu fliehen war auch nicht mehr so groß wie vor kurzer Zeit noch.


    Die Wunden des letzten Kampfes schmerzten ihn zwar nicht mehr, jedoch juckten sie noch, was ihm jedoch wenig ausmachte. Er trug sie mit Stolz und wie eine Auszeichnung und nicht als Symbol der Schande. Und so saß er nun da, mit vor Stolz geschwellter Brust, seinen Unterarm vor dieser alten Frau abgelegt und darauf wartend, dass diese das Zeichen des Ludi in seine Haut gehämmert hat, bei jedem Stich nur ganz leicht zuckend.

  • Es dauerte, bis die ersten Sterne zu sehen waren. Und diese im Dunst über Rom zu sehen war erst dann möglich, wenn die meisten Menschen schon lange in ihren Betten waren und schliefen, sofern der Lärm der Fuhrwerke Schlaf zuließ. Auch hier im Ludus hörte man das beständige Poltern der Wagenräder, die tagsüber von den Straßen verbannt waren.


    Dennoch blieb der gesamte Ludus wach, alle Gladiatoren, alle Doctores, selbst die Medici und der Director, der sich das alles von seiner Tribüne in sicherer Entfernung anschaute.
    Stück um Stück wuchs das schwarze Gebilde an den Unterarmen des Gladiators, das ihn für immer als solchen kennzeichnen würde.
    Die alte Frau ließ sich Zeit, wob mit feinem Singsang ihren Zauber in die Zeichen, ließ sie wachsen wie Flammen, die über die Haut des Hiberniers tanzten. Als sie schließlich fertig war, war ein feiner, roter Film von Blut auf den Boden getropft, wo ihre Nadeln die Haut des Mannes durchstoßen hatten und das Blut langsam und stetig zu Boden getropft war.


    Nach dem letzten Stich atmete sie einmal tief durch und erhob sich schweigend. Keine Anweisungen, keine weiteren Worte, gar nichts. Sie packte einfach ihre Kämme und Nadeln, die Tinkturen und ihre Zauber wieder ein und schlurfte davon, als wäre nichts weiter gewesen. Am Durchgang nach draußen hielt sie an und streckte der dort stehenden Wache die Hand entgegen, die der Frau stumm einen kleinen Beutel überreichte, der leise klimperte. Angst, überfallen zu werden, schien die Maga nicht zu haben, als sie in den dunklen Durchgang huschte, hinaus ins Schwarz der Straßen Roms.
    Die Gladiatoren kamen auf Kieran zu, zuerst der Primus Palus, und klopften ihm auf die Schultern – den Unterarm zu ergreifen wäre wohl sehr schmerzvoll geworden. “Bruder“, begrüßte ihn jeder einzelne von ihnen in einer Prozession, würdig und leise. Jetzt war Kieran einer der ihren, ein Bruder. Zuvor war er ein nichts gewesen, das man nicht weiter beachtete, aber jetzt gehörte er zum Ludus Dacicus dazu, war einer ihrer Brüder, würde mit ihnen sprechen können, vielleicht beim ein oder anderen Fest mit ihnen kämpfen, mit ihnen bluten, vielleicht auch mit ihnen sterben. Sie würden für sein Begräbnis sorgen, wie auch von ihm erwartet wurde, dass er für das ihre sorgen würde, sollte einer von ihnen fallen.
    Denn jetzt war er ein richtiger Gladiator.

  • Geduldig wartete Kieran, Stich für Stich ertrug er die Nadeln und ließ kaum mehr als ein kurzes Zucken in seinem Gesicht erkennen. Mit jeder weiteren in seine Haut gestochene Linie wuchs sein Stolz auf sich und seine Leistungen weiter an. Sein Kampf war noch nicht perfekt und auch an seinem Auftitt musste er noch üben, doch dies würde er nun können.
    Seine Hoffnungen richteten sich inzwischen darauf, sich, seinen dominus und auch die anderen Gladiatoren mit noch mehr Stolz zu erfüllen. Der Wunsch zu fliehen war kaum noch vorhanden, auch wenn das Sehnen nach Freiheit unvermindert groß war. Diese würde er sich nun jedoch erarbeiten und nicht durch eine feige Flucht erlangen.


    Schließlich war es soweit und der letzte Stich wurde getan. Der Hibernier merkte dies kaum, erst als die Alte aufstand wurde es ihm bewusst. Nun war es endgültig, er war ein Gladiator und mit einem Nicken und einem leisen "Bruder" erwiderte er die Begrüßungen der anderen Gladiatoren. Erst als auch der letzte an ihm vorbei gegangen war und ihn begrüßt hatte erhob er sich. Nun war er auf einer Augenhöhe mit den anderen, war einer der ihren und würde es im Innersten immer bleiben, selbst wenn er den Ludus längst verlassen hätte.
    Nun war er ein Gladiator.

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