Ablenkung gefällig? - Venusia und Valentina

  • Dagny eilte über die Balustrade zum Wohnbereich von Dagmar und ihrer Familie. Sie wollte das Versprechen einlösen, das sie ihrer Freundin Nela im Sommer gegeben hatte. Bisher war sie aufgrund des Trubels rund um Runas Hochzeit nicht dazu gekommen, aber jetzt waren die Feierlichkeiten vorüber und Dagny war nicht länger in die zahlreichen Vorbereitungen involviert, die stellenweise doch tagesfüllend gewesen waren. Sie wusste nicht, ob Dagmar überhaupt da war oder Lust hatte, mit ihr spazieren zu gehen, aber versprochen war versprochen. Sie klopfte an die Tür und wartete bis sie zum Reinkommen aufgefordert wurde. Anwesend war Dagmar also schon mal. „Grüß dich, Dagmar. Ich hoffe, ich störe dich nicht bei irgendetwas? Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht ein wenig mit mir in den Gärten spazieren gehen möchtest, immerhin ist es heute so schön draußen.“ Das war es tatsächlich. Es herrschte bestes Herbstwetter und die Gärten der Villa Duccia waren weitläufig genug, um dort einen ausgedehnten Spaziergang machen zu können. Aber nun ja … das allein hätte sie kaum hierher gebracht – und das konnte sich Dagmar sicherlich denken. Dennoch wollte Dagny ihr auch nicht auf die Nase binden, dass ihre Tochter sich Sorgen um sie machte, weil sie sich immer mehr zurückzog. Das wäre nicht der beste Beginn eines Gesprächs.

  • Für diesen Tag hatte sich Dagmar nicht wirklich viel vorgenommen. Das Fenster ihres Zimmers hatte sie geöffnet und dann einen Sessel daneben gestellt. Sie wollte einige Borten weben und hatte sich verschiedenfarbige Wolle bringen lassen und ebenso ein kleines Gestell. Gerade hatte sie die Fäden aufgespannt als es an der Tür klopfte. Sie bat den Besucher herein, denn nur diese klopften an. Ihre Tochter würde einfach hereinkommen. Ein wenig erstaunt war sie als sie Dagny in der Tür sah.
    “Nein, du störst mich nicht. Ich wollte nur ein wenig weben und das kann warten, das eilt nicht.“
    Auf die Frage nach dem Spaziergang wollte sie nicht gleich antworten. Dagmar wusste nicht ob sie reden wollte. Das jedoch würde sich nicht umgehen lassen wenn sie Dagny in den Garten folgte. Auf der anderen Seite würde sie ihrer Tochter sicher einen Gefallen tun wenn sie etwas hinausging. Denn dass Nela ihre Finger im Spiel hatte, das ahnte sie irgendwie. Diese versuchte sie ja ständig vor die Tür zu kriegen. Das Wetter war wirklich gut und im Grunde sprach auch nichts dagegen ein wenig hinaus zu gehen. Also stand sie auf und schob den Rahmen ein wenig zur Seite.
    “Dann begleite ich dich mal in den Garten,“ beantwortete sie dann die Einladung. “Wohin genau möchtest du denn dort mit mir gehen oder einfach nur etwas schlendern?“ Vielleicht konnte sie ja so schon etwas von den Absichten in Erfahrung bringen, die Dagny hegte. Die Antwort war aber unerheblich für die Durchführung des Vorhabens und sie würde der jungen Frau vorerst einfach folgen.

  • Dagmar saß vor einem Webrahmen als Dagny hereinkam, schien aber nichts dagegen zu haben, ihre Arbeit zu unterbrechen. Die Antwort, ob sie sie zu einem Spaziergang begleiten wollte, fiel hingegen etwas zögerlicher aus, wovon Dagny nicht wirklich überrascht war. Es gab schließlich einen Grund, warum sie Nela zugesagt hatte, etwas mit ihrer Mutter zu unternehmen. Würde sie sich von selbst öfters unter Menschen begeben, wäre dies ja nicht nötig. „Ich hatte kein bestimmtes Ziel, schlendern trifft es also ganz gut“, beantwortete sie zunächst mit einem leichten Lächeln die Frage Dagmars, während sie gemeinsam das Zimmer und kurze Zeit später das Haus verließen. „Ich dachte vielleicht erstmal in Richtung Hain. Aber wenn es einen bestimmten Ort gibt, an den du gerne gehen möchtest – oder eben auch nicht – dann sag es ruhig. Ich bin für alles offen.“ Es ging schließlich darum, dass Dagmar sich wohlfühlte und das wäre mit Sicherheit nicht der Fall, wenn Dagny sie zu einem Ort schleifen würde, der unangenehme Erinnerungen weckte.


    Dagny wurde mit jedem Schritt bewusster, dass sie langsam einen Grund nennen musste, warum sie Dagmar von ihrer Arbeit abhielt. Vorab überlegt hatte sie sich natürlich keinen, immerhin folgte die junge Duccia gerne einmal einer spontanen Laune oder Eingebung – so auch in diesem Fall geschehen. Dagmar würde es ihr jedenfalls nicht abkaufen, wenn sie behauptete, nur wegen des Spaziergangs vorbeigekommen zu sein. Obwohl die beiden Frauen sich gut genug kannten – immerhin lebten sie schon seit ein paar Jahren unter einem Dach – konnte Dagny die Gelegenheiten, in denen sie allein geredet hatten, an einer Hand abzählen. Dagmar zählte also nicht zu den Personen, zu denen sie gehen würde, wenn sie sich langweilte oder einfach nur plaudern wollte. Und das wusste diese ganz genau. Also begann Dagny das Gespräch zunächst einmal mit naheliegenden Themen, von denen sie wusste, das Dagmar sie zumindest mitbekommen hatte: Runas Hochzeit und die Rückkehr von Vala. „Warst du eigentlich auf Runas Hochzeit? Ich habe dich gar nicht unter den Gästen gesehen.“ Nela hatte gemutmaßt, dass ihre Mutter nicht dorthin gehen würde, wegen der vielen Leute, aber sie hatte ihre Freundin dann doch nicht mehr gefragt, ob sie wirklich nicht dort gewesen war. „Und was sagst du zu der überraschenden Rückkehr von Alrik? Wusstest du davon?“ So gut wie alle Hochzeitsgäste sowie das Brautpaar selbst waren von dem unerwarteten Besuch überrascht worden, deshalb nahm Dagny nicht an, dass Dagmar da eine Ausnahme bildete. Aber sicher war sie sich nicht, immerhin kannten die beiden sich recht gut, zumindest soweit sie mitbekommen hatte.

  • Dagmar hatte nichts dagegen ein wenig nach draußen zu gehen und da sie von ihrer Tochter wusste, dass Dagny zu den engen Freunden ihrer Tochter gehörte, war es sicher keine schlechte Idee sich mit der jungen Frau zu unterhalten. Mehr und mehr hatte sich ein Gedanke in Dagmars Kopf festgesetzt und sie kaum noch in Ruhe gelassen. Doch ehe sie diesen in die Tat umsetzen konnte, musste sie noch Einiges erledigen. Auf dieser Aufgabenliste stand auch das Wohl ihrer Tochter, das sie gesichert wissen wollte und wenn sie ihr Vorhaben wirklich bald in die Tat umsetzen wollte, dann musste sie sich bald darum kümmern. Dann würde sie noch ihren Sohn aufsuchen und diesen zuerst von ihrem Wunsch unterrichten. Danach folgte dann ihre Tochter und schließlich die restliche Familie. Doch bis dahin würde noch einige Zeit vergehen. Eine Sache hatte Dagmar in all der Zeit gelernt, man sollte sich zeitnah um die wichtigsten Dinge kümmern und alles regeln. Das stand nun an. “Gut, dann gehen wir etwas schlendern.“
    Nachdem sie das Haus verlassen hatten, gingen sie in die Richtung, die Dagny vorgeschlagen hatte. “Einen bestimmten Ort habe ich hier nicht. In Richtung Hain passt mir gut. Früher, als sie noch in der Stadt direkt lebten, hatte sie einige Orte gehabt, die sie gern aufgesucht hatte. Doch jetzt mochte sie jede Stelle gleich. Wichtig war ihr lediglich, dass sie allein sein konnte. Bei diesem Spaziergang ging es nun aber nicht darum allein zu sein und so war es ziemlich egal wohin sie gehen würden. „Ich habe die Hochzeit einige Zeit beobachtet. Es waren so viele Leute da und die Stimmung dann später ziemlich ausgelassen. Ich wollte da nicht stören. Ich habe aber viel Gutes darüber gehört als die Störung dann überwunden war.“ Nur weil sie nicht direkt dabei gewesen war, hieß es ja nicht, dass sie nichts mitbekommen hatte. Ihr war durchaus zu Ohren gekommen, dass der LAPP einen Aufschub erwirkt hatte und wie überrascht alle gewesen waren, dass es dann Alrik gewesen war, der recht aufsehenerregend seine Familie aufgesucht hatte. “Nein, ich wusste nichts davon. Für mich war es genauso überraschend wie für alle anderen auch. Ich freue mich sehr, dass er zurückgekehrt ist.“ Für die Provinz wie auch für die Familie war es gut, dass jemand das Sagen hatte, der die Bevölkerung und auch das Gebiet rechts und links des Limes kannte. “Wie hat dir denn diese Hochzeit gefallen? Hattest du denn viel Spaß gehabt?“ Mit Dagny hatte sie seit der Hochzeit nicht wirklich viel sprechen können. Jedenfalls nicht darüber.

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