Am Saum des Meeres. Lycidas. Aristoxenus.

  • Meerwärts verlangt es mich, ja zum Meere,
    Das fern dort ruhsam rollet in Hoheit.
    Nebelgebirge, lastende, tragend,
    Wandert es ewig sich selbst entgegen.
    ...
    Zum Meere verlangt mich, ja zum Meere,
    Das fern dort erhebet die kalte Stirne.
    Siehe, die Welt wirft darauf ihren Schatten
    Und spiegelt flüsternd hinab ihren Jammer.
    - B. Björnson



    Kieselsteine, glänzend von Feuchtigkeit. Weicher Sand. Bläulich blass das Morgenlicht. Mit blossen Füssen watet Lycidas durch das Wasser. Bis zum Knöchel reicht es ihm. Kühl. Er beugt sich hinab, hebt eine Muschel auf. Seine Fingerkuppen streichen über die makellose Glätte der Innenseite. Folgen den feinen Rillen auf der Wölbung des Gehäuses. Gischt netzt seine Waden. Endlos rollen die Wellen an das Ufer. Kraftvoller als an den Gestaden des Lacus Mareotis. Lycidas richtet sich auf. Der Wind fährt im ins Haar. Lässt es flattern. Die Muschel entgleitet seinen Händen. Er sieht auf das Meer. Wolken verschleiern den Horizont. Ein opalener Glanz im Osten zeigt die aufgehende Sonne an. Fischerbote. Möwen. Irgendwo jenseits des Meeres liegt Lydien.


    Es ist nur ein schmaler Streifen Strand. Bedrängt auf einer Seite vom Hafen. Auf der anderen von Häusern. Ein leckes Fischerboot liegt kieloben auf dem Sand. Ein Steifen verworrenen Seetanges säumt das Ufer. Langsam geht der Jüngling am Rande des Wassers entlang. Sein Herz ist schwer. Er weiß nicht weiter. Ungerührt fluten die Wellen an den Strand. Treiben die Wolken über den Himmel. Kreischen die Möwen, und balgen sich um einen toten Fisch. Die Sonne steigt höher. Die Welt nimmt keine Notiz von Lycidas Verhängnis. Es überwältigt ihn. Eiskalt die Furcht um sein Leben. Brennend der Hass auf alle, die ihm Böses getan haben! Vor allen anderen: der Claudier! Doch auch die Sprechenden. Die ihre Worte geistlos verschwenden. Nicht achtend der Kostbarkeit, die ihnen gegeben ist.
    Lycidas schluchzt auf. Häßliche, rohe Laute dringen aus seiner Kehle. Er sinkt auf den Sand, neben seinen Lyrakasten, und schlägt die Hände vors Gesicht. Weint bitterlich. Sein Jammer ist unendlich.

  • Ort der Handlung: Ein Strandabschnitt im Nordosten der Stadt.Westlich davon Kap Lochias und die Basileia. Angrenzend an das Stadtviertel Delta im Süden. Ettliche Strandhäuser und Villen der gehobenen Klasse.



    Aristoxenus Leandros, Sohn eines schwerreichen Reeders aus Piräus und seit relativ kurzer Zeit Besitzer einer luxuriösen kleinen Villa in unmittelbarer Nähe des Hafens begab sich wie jeden Morgen hinab zum Strand, um ein erfrischendes Bad in seinem ach so innig geliebten Meere zu nehmen. Es gab nur sehr wenige Dinge die dem achzehnjährigen mehr Freude bereiteten als das regelmäßige Schwimmen im salzigen Nass. Wenn es die Götter anders gewollt hätten, so wäre er wohl als Delphin und nicht als Mensch geboren worden. Begleitet wurde er dabei stets von seinem schweigsamen Leibwächter Achillas aber dieses mal auch von Leontichos, einem Agenten seines Vaters, welcher schon Monate vorher nach Alexandria gereist und dort diese Villa in dessen Auftrag als Domizil für seinen verwöhnten Sohn erworben hatte.



    Aristoxenus: "Also wie wir das gestern schon besprochen haben, du wirst übermorgen nach Piräus segeln und meinen Herrn Vater über meine Pläne bezüglich der Werft unterrichten!"


    Leontichos: "Ihr seit ein unbelehrbarer Dickschädel Aristoxenus, aber ich respektiere Eure Entscheidung und werde versuchen Sie Eurem Herrn Vater so schonend wie möglich beizubringen!"



    Aristoxenus: "Die Idee mit dem Philosophiestudium ist dem Haupte meiner Mutter entsprungen." "Vater kennt mich besser als jeder andere Mensch und weiß das ich mir nichts daraus mache." "Ich denke das er meine Entscheidung versteht." "Schließlich ist er ja auch Geschäftsmann und kein zweiter Sokrates, auch wenn er dessen Andenken in hohen Ehren hält."



    Leontichos wollte grade etwas erwiedern, als er ein merkwürdiges Geräusch zu vernehmen glaubte welches sich wie Weinen und Schluchzen anhörte. Der dickliche Mann mit der Halbglatze hielt inne und wandte seinen Blick reflexartig in Richtung der alten, am Strand aufgelegten Fischerboote und erblickte sogleich den zusammengekauerten blonden Jüngling welcher einsam und verlassen am Strand vor sich hinweinte.



    Leontichos: "Seht doch Herr...was tut denn dieser Bursche da?"



    Aristoxenus: "Hmmm?" "Welcher Bursche?"



    Leontichos: "Na der dort bei den Booten!"



    Aristoxenus wandte sich erstaunt um und erblickte nun ebenfalls den traurigen Jungen. Er hielt kurz inne. Überlegte. (Wer ist das? Was macht der hier so ganz allein zu so früher Stunde? Vielleicht jemand der
    überfallen und ausgeraubt wurde!) Sofort erteilte er eine knappe Anweisung an Leontichos und Achillas an der Stelle wo sie jetzt waren zu verbleiben und begab sich darauf allein in Richtung des zusammengekauerten, vor sich hinwimmernden Jünglings neugierig den Grund zu erfahren wieso er an diesem so herrlichen Morgen das Reich des Poseidon mit Tränen des Leides und der Verzweiflung trübte.


    Lycidas bemerkte die drei Männer hinter seinem Rücken zunächst nicht, denn zusehr hatte ihm Kummer und Schmerz die Sinne getrübt.

    "Poseidon... Gott der Meere und Schutzherr meiner Familie...deinem Ruhme widme ich mein Leben!"

    4 Mal editiert, zuletzt von Aristoxenus Leandros ()

  • Es rauscht die Brandung. Lycidas wird vom Schluchzen geschüttelt. Seine Schultern zucken. Er presst die Hände aufs Gesicht. Tränen quellen seitlich hervor. Von Haus aus ist es ihm verboten zu weinen. Sein Herr liebt nicht die entstellten Gesichter. Die verquollenen Masken, die die Trauer hervorbringt. Heitere Gleichmut, anmutige Gelassenheit, das ist es was Lycidas zur Schau zu stellen hat. Stumm lächelnd. Stets schön. Eine Labsal. Inkarnation apollinischen Wirkens. Lichtblick in einer schmutzigen Welt. Das ist seine Bestimmung.


    Wie ein Krampf krümmt die Verzweiflung den Jüngling zusammen. Keine Spur von Harmonie. Kathartisch der Schmerz, der ihn übermannt hat. Roh und abgehackt quellen die Laute aus seiner verstümmelten Kehle. Der Wind von der See trägt sie mit sich fort. Desgleichen das Knirschen der Schritte, die sich nähern. Erst als der Reederssohn den Verzweifelten beinahe erreicht hat, schreckt Lycidas auf. Er wähnte sich alleine, nun starrt er wie ertappt, aus seiner kauernden Position, auf zu dem Fremden. Zielstrebig ist dessen Schritt.
    Vielleicht ist es sein Strand, und er will Lycidas vertreiben. Oder es ist ein Krimineller. Von denen es unzählige geben soll, in dieser Stadt. Einer, der ihn ausrauben will. Ihn dann an einen fetten Sklavenhändler verkaufen wird. Noch viel schlimmer: es könnte auch ein Handlanger des Herrn sein. Ein Sklavenjäger, der ihn auf die Insel zurückbringen soll.


    Lycidas bleibt das Schluchzen im Halse stecken. Furcht und Tränen verschleiern des Lyders dämmerblauen Blick. Er erwägt es, aufzuspringen und davonzulaufen – doch der Lyrakasten würde ihn verlangsamen. Und beim genaueren Hinsehen macht der Fremde auch nicht den Eindruck eines Räubers. Im Gegenteil, er scheint zu vornehmen Gesellschaft zu gehören. Viel älter als Lycidas scheint er auch nicht zu sein. Seine gepflegte Erscheinung macht Lycidas bewusst, dass er selbst nun schon seit zwei Tagen den selben Chiton trägt. Der silberbestickte Stoff des Festgewandes ist mittlerweile ganz zerknittert. Überhaupt, wie entsetzlich muß Lycidas in jenem Moment aussehen! Beschämt schlägt der Sklave die Augen nieder. Hofft, dass der Fremde beschließt ihn zu ignorieren. Mit einem leisen Schniefen greift Lycidas nach seinem Beutel. Nestelt daran. Kramt fahrig nach einem Taschentuch.

  • Nein, wie ein Räuber oder ein Sklavenhändler sah Aristoxenus nun wirklich nicht aus. Die Worte "Reich" und "Schön" würden seine Person besser beschreiben. Wohl mancher Bildhauer zwischen Alexandria und Rom würde sich hoch geehrt fühlen, wenn der ausgesprochen gutaussehende und sportliche Jüngling sich ihnen als lebendes Modell für eine Apollon- oder Heroenstatue zur Verfügung stellen würde.


    Als sich Aristoxenus dem verängstigt und schüchtern wirkenden Lycidas nun bis auf 2 oder 3 Meter Abstand genährt hatte, kniete er nieder und musterte ihn noch einmal kurz aus nächster Nähe. Der Bursche (Aristoxenus schätzte Ihn auf 14 - 16) hatte die Augen- und die Haarfarbe eines Barbaren aus dem germanischen Norden. Seine aus edlen Materialien hergestellte Gewandung und die Sandalen verrieten das er ganz offensichtlich aus einem begüterten Hause kommen musste. Also wohl doch das betuchte Opfer eines nächtlichen Raubüberfalls, der Jüngling konnte wohl von Glück sagen das die Halunken nur sein Geld und nicht auch noch sein Leben geraubt hatten. Zumindes waren das die ersten oberflächliche Gedanken welche dem Leandros beim Anblick des lädierten und verrotzten Knaben durch den Kopf schossen.


    Der Sohn des Demetrios beobachtete das Gesicht des Teenagers nun etwas genauer. Es war schlank und sehr scharf geschnitten. Perfekt proportioniert und wunderschön anzuschauen (trotz der momentanen Rötungen und der Tränen.) Man könnte meinen dieses Antlitz wäre dem schöpferischen Genius eines Bildhauers entsprungen und nicht einer unvorhersehbaren Laune der Natur. Aber Aristoxenus, welcher ein überaus religiöser und abergläubischer Mensch war sah hinter allem und jedem die unsichtbaren aber allmächtigen Götter am Werke und hier in diesem besonderen Fall mussten wohl ohne Zweifel Apollon und sein Schutzgott Poseidon ihre Hände im Spiel haben.


    Nachdem er den vollkommen eingeschüchtert wirkenden Lycidas für ein paar Sekunden lang mit seinen freundlichen braunen Augen gemustert hatte, wagte er es zaghaft ihn anzusprechen.


    Aristoxenus: "Wer bist du?" "Was machst du hier so ganz allein zu so früher Stunde?" "Bist du eventuell überfallen worden?"


    Die Stimme des Griechen war sehr warm und angenehm im Tonfall und verriet sofort Güte und Hilfsbereitschaft.


    Aristoxenus: "Bist du In Not?" "Kann ich dir irgendwie helfen?"

  • Blütenweiß ist das Tüchlein, mit dem Lycidas sich die Tränen fort - nicht etwa wischt, nein: - tupft. Verlegen wendet er das Gesicht ab und putzt sich die Nase. Doch der Fremde geht nicht weiter. Kniet sich sogar in den Sand. Spricht Lycidas an.
    Eine schöne Stimme. Warm. Wohlklingend. Melodisch. Eine Stimme, die man um sich haben, in die man sich einhüllen möchte. Friedsam dringt sie an Lycidas Ohren. Zuerst nur der Klang. Dann der Inhalt der Worte. Er wagt es – blickt wieder auf und sieht dem anderen ins Gesicht. Der Fremde ist schön. Edel das Antlitz. Ideal die Glieder. Gewiss ist er viel im Gymnasion. Durchdrungen von Leben. So wirkt er auf den jungen Lyder. Nun weiß Lycidas, dass Schönheit nicht immer Lauterkeit in sich birgt. Die schönste Frau, die er je gesehen hat, ist zugleich auch die grausamste. Die Schwester des Herrn. Blutgierig und geschmeidig. Wie ein Panther.


    Der Sklave zögert. Scheu. Verwundert über diese Fragen, über das – scheinbar – aufrichtige Interesse an seinem Wohl, das da hindurchscheint. Er blickt dem Fremden in die Augen. Wie die Stimme: warm. Kein Arg liegt darin. Vielleicht hat ein Gott ihn gesandt...? Eine leise Hoffnung keimt bei diesem Gedanken in Lycidas auf. Hermes – zum Dank für die Lobpreisung im Odeion! Oder Apollon – er wird es nicht zulassen, dass mit Lycidas auch all die Werke, die jener noch nicht geschaffen hat, dahinschwinden!
    Der Fremde fragt, ob er in Not sei. Ganz zaghaft senkt sich da Lycidas Kinn. Er deutet ein Nicken an. Not ist kein Ausdruck. Und als ihm gar Hilfe angeboten wird, werden seine Augen sofort wieder feucht. Dieses Mitgefühl lässt den Damm sofort wieder brechen. Erneut kullern dicke Tränen über die alabasternen Wangen des Flüchtigen.


    Neben den beiden Jünglingen, halbvergraben im Sand, liegt ein Stock. Treibholz, ausgebleicht, weiß wie Knochen. Still weinend nimmt Lycidas diesen Stock und beginnt, Buchstaben in den Sand zu ritzen. Am Rande des Ufersaumes, dort wo eine hohe Welle ihn benetzt hat, die kleineren jedoch nicht hinreichen. Ob der Erschütterung ist Lycidas' Handschrift heute bei weitem nicht so makellos wie sonst. Schnell schreibt er, mit großen Buchstaben, wie ein Schrei, auch neigen sich die Linien stark nach vorne, als wären auch sie Fliehende.


    Ich bin ein Sklave
    schreibt Lycidas in den Sand
    und mein Herr ist nicht gut zu mir.

  • Aristoxenus durchfuhr ein innerer Schreck! Das es sich bei dem nobel gekleideten Jüngling um einen entflohenen Sklaven handeln könnte, daran hatte er dummerweise nun überhaupt nicht gedacht!!!
    Er wurde nachdenklicher...betrachtete Lycidas welcher gegen seine Tränen ankämpfte und ihn verzweifelt ansah. Seine gutmütigen Augen signalisierten ein deutliches Flehen um Mitleid und Erbarmen, fast so als wollten sie die Rolle der für immer zum Schweigen gebrachten Stimmbänder übernehmen. Der Junge war ganz ohne Zweifel stumm, ob das nun schon von Geburt an so war oder er das Fehlen seiner Stimme dem Eingriff eines sadisitschen Herren zu verdanken hatte, diese Frage konnte sich Aristoxenus zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten.


    Der edelmütige Grieche erhob sich und reichte dem noch immer zusammengekauert hockenden Knaben seine Hand. Dabei lächelte er freundlich und sagte mit sanfter, beruhigender Stimme:


    Aristoxenus: "Nun, wenn dein Herr nicht gut zu dir ist, dann müssen wir dir eben einen besseren suchen!" "Komm steh auf, du wirst hungrig und durstig sein."


    Plötzlich bemerkte er den Lyrakasten im Sand.


    Aristoxenus: "Ahhh...und das dort ist also deine Stimme?!" "Bei den Göttern!" "Apollon hat mir wohl seinen Sohn geschickt!" "Wenn du dich ausgeruht hast und wieder bei Kräften bist wäre ich dir dankbar wenn du mir eine Kostprobe auf deiner Lyra zu Gehör bringen könntest."

    "Poseidon... Gott der Meere und Schutzherr meiner Familie...deinem Ruhme widme ich mein Leben!"

    5 Mal editiert, zuletzt von Aristoxenus Leandros ()

  • Die Worte sind niedergeschrieben. Sichtbar, lesbar, offen unter dem freien Himmel. Ungehörig erscheint es Lycidas, sich derart zu offenbaren. Einem Fremden sein Leid anzuvertrauen. Gefährlich zudem. Bang beobachtet er jede Regung des anderen. Ist gefasst darauf, die Sympathie augenblicklich schwinden zu sehen. Vielleicht wird der andere nun die Stadtwache rufen.
    Nichts dergleichen geschieht. Eine Hand streckt sich Lycidas entgegen. Der Jüngling glaubt zu träumen. Unversehens muss er eine Grenze überschritten haben... Lycidas wähnt sich in einem Märchen. In dem den Unschuldigen Hilfe zuteil wird. Edle Retter zur rechten Zeit kommen. Die Tyrannen an ihrer eigenen Grausamkeit verenden. Und alles am Ende gut ausgeht! Lycidas streckt eine schlanke Hand aus. Legt sie in die kraftvolle des Fremden. In einer fließenden Bewegung erhebt er sich.


    Einen neuen Herrn suchen? Dieser Gedanke ist Lycidas niemals in den Sinn gekommen. Er ist perplex. Seine Brauen wölben sich, in seinen Zügen steht die Konfusion. Die Herrschaft des Claudiers über seinen Besitz, und damit auch über Lycidas, schien dem Sklaven stets wie ein Naturgesetz. Wer sich dem entzieht, kann natürlicherweise nicht bestehen. Wie Sabef.
    Aber ist so etwas möglich...? Es ist ein brandneuer Gedanke. Blasphemisch. Aufregend. Und so leichthin ausgesprochen. Bewundernd blickt Lycidas dem Fremden ins Gesicht. Nun auf Augenhöhe. Dass er es wagt, solche Dinge zu äußern! Laut und freimütig. Ohne Zaudern und Zagen. Lycidas ist ein nachgiebiges Naturell. Der Fremde beeindruckt ihn ungemein. Nichts liegt näher, als sich seiner Führung zu überlassen. Lycidas nickt eifrig. Gerne will er etwas für ihn spielen.
    Lycidas bindet seine Sandalen. Nimmt den Lyrakasten auf. Mit einem Zipfel seines Chitons streicht er sachte den Sand ab, der noch daran haftet. Legt sich den Riemen über die Schulter. Sodann löscht er mit der Fußspitze die Worte aus, die er in den Sand geschrieben hat. Verwischt die Spur. Und folgt hoffnungsvoll dem Fremden.

  • Nachdem Aristoxenus dem unbekannten stummen Sklavenjungen Mut zugesprochen und ihm wieder auf die Beine geholfen hatte, begab er sich gradewegs zurück zu seinen wartenden Getreuen. Aus dem morgentlichen Bad im kühlem Meer wurde heute ausnahmsweise mal nichts, dafür würde es aber heute Abend musikalische Begleitung zum Abendessen geben. So glich sich halt alles wieder aus. Aber zunächst musste der Jüngling wieder in eine menschenwürdige Verfassung gebracht werden, denn so konnte man Ihn unmöglich zu Tisch bitten.


    Leontichos, der korpulente Geschäftsmann und Klient von Aristoxenus Vater hatte alles ganz genau aus der Ferne mitverfolgt. Dem aufmerksamen Herren mit der Halbglatze war auch nicht entgangen, das der blonde Jüngling die Fragen des jungen Herren nicht direkt mündlich beantwortet, sondern geschwiegen und stattdessen irgend etwas in den Sand gekritzelt hatte. Das ganze erschien doch recht merkwürdig. Als Aristoxenus und Lycidas sich Ihm auf wenige Meter genähert hatte begann er misstrauisch Fragen zu stellen.



    Leontichos: (Dem das überdurchschnittlich gute Aussehen des Lycidas sofort ins Auge fiel.) "Nun junger Herr, wer ist dieser schöne Knabe und was hat ein solch ansehnliches Geschöpf zu so früher Stunde einsam und allein am Strand zu suchen?"



    Aristoxenus: "Dieser Junge hier ist ein stummer Sklave welcher aus irgendeinem Grund seinen Herren davongelaufen ist und sich zufällig hierher verirrt hat."



    Leontichos: (Welcher ein eitler Mensch und insgeheim neidisch auf gutaussehende Männer und Frauen war.)
    "Ach so?" (abfällig mustert er Lycidas) "Diesen Grund kann ich dir mit ziemlicher Sicherheit nennen!" "Schau dir dieses zarte Bürschchen doch mal an...wahrscheinlich sollte er seinem Herren im Bett zu Willen sein und ist deshalb entflohen." "Na habe ich recht Servus?!" "Hmmm....?"



    Aristoxenus: (leicht ungehalten) "Wahrscheinlich Irgend soetwas in der Art!" "Übrigens Leontichos, man merkt dir seltsamerweise immer noch an das du früher mal als Sklavenhändler und Zuhälter gearbeitet hast!"



    Leontichos: "Zugegeben, meine Vergangenheit ist nicht so ehrenvoll wie die deiner Familie, aber dieser Schönling da würde als Lustsklave einen sehr guten Preis erzielen, mindestens 6000 bis 10.000 Sesterzen, eventuell sogar noch mehr!" "Schade nur das er schon jemanden gehört!"



    Aristoxenus: (Zornig) "ES REICHT!!!" "BEHALTE DEINE SCHMUTZIGEN GEDANKEN FÜR DICH!" "DU SPRICHST HIER MIT DEM SOHN DEINES HERREN, ABER DAS SCHEINST DU WOHL ZU VERGESSEN!!!" "ICH RATE DIR MÄßIGE DEINE UNGESCHLACHTE ZUNGE !!!



    Leontichos: (eingeschüchtert) "Bitte verzeiht junger Dominus, ich wollte nicht anmaßend erscheinen, aber dieser Junge dort ist ein entflohener Sklave und nach dem Gesetz seit Ihr dazu verpflichtet ihm seinen Besitzer zurückzubringen, andernfalls macht ihr euch strafbar."



    Aristoxenus: (verärgert) "Danke für den überflüssigen Hinweis!" "Was mit diesem Jungen hier geschieht, diese Entscheidung überlässt du mir klar?!" "Übrigens du erzählst nirgendwo herum das er hier ist, andernfalls lasse ich dir deine vorlaute Zunge herausschneiden!" "Das gleiche gilt übrigens auch für dich Achillas!"



    Leontichos: (noch mehr eingeschüchtert) "Ich bin euer gehorsamer Diener und werde schweigen wie ein Grab!" (verneigt sich etwas)



    Aristoxenus: "Gut, Achillas du bringst den Jungen in die Villa und gibst Anweisung das man das Bad anheizen und ein Zimmer im Herrentrakt für unseren flüchtigen Gast herrichten lassen soll."



    Achillas: "Sehr wohl Dominus!" "Komm mit mir Junge."



    Aristoxenus: (Zu Lycidas) "Geh nur mit ihm und sei ohne Furcht niemand hier will dir etwas Böses!" "Ich sehe dich beim Mittagsmahl."



    Während sich Achillas und der schüchternde Lycidas in Richtung Villa begaben, verblieb Aristoxenus mit Leontichos an Ort und Stelle um noch ein paar andere Dinge zu klären.

    "Poseidon... Gott der Meere und Schutzherr meiner Familie...deinem Ruhme widme ich mein Leben!"

    Einmal editiert, zuletzt von Aristoxenus Leandros ()

  • Eines ist es, sein Vertrauen dem freundlichen Fremden zu schenken. Etwas ganz anderes, mit dessen Begleitern zusammenzutreffen. Lycidas zuckt zusammen, als das harte Wort fällt: davongelaufen.
    Seinem Herr davongelaufen.
    Er errötet bis unter die Haarwurzeln. Schämt sich. Nur die dummen, die undankbaren, die schlechten Sklaven laufen ihren Herren davon. Lycidas will sich nicht zu diesem Pack zählen. Möchte es lieber so sehen, dass er... etwas länger ausbleibt. Sich noch immer bloß... verspätet hat. Auch wenn diese feinen Nuancen niemanden sonst interessieren werden.


    Äußerst unangenehm ist Lycidas der beleibte Mann. Mit dem spärlichen Haar. Leontichos. Zu forsch für einen Sklaven. Doch unterwürfig dem jungen Herrn gegenüber. Er mutmasst über Lycidas' Beweggründe. Hier bleibt der Sklave unbeteiligt. Reagiert nicht, als der schmierige Kerl ihn anspricht. Er blickt an ihm vorüber. Die Strandpromenade entlang. Als wäre er nicht nur stumm, sondern auch taub. Es ist zwar nicht schön für einen Lustsklaven gehalten zu werden. Aber auch nicht besonders ehrenrührig. Es ist ja keine Schande, den Herrschaften zu Willen zu sein.


    Der Wortwechsel spitzt sich zu. Sklavenhändler? Zuhälter?! In welche Gesellschaft ist Lycidas da geraten?!! Zu Tode erschrocken weicht er zurück, vor den groben Worten des Leontichos. Dessen Mißgunst und Geldgier umgibt ihn wie eine übelriechende Wolke. Einen weiteren Schritt tut Lycidas, um Abstand von dem jungen Herrn zu gewinnen. Als dieser so zornig wird. Nicht, dass es aus Versehen noch ihn trifft. Das Gewitter.
    Es entlädt sich auf Leontichos. Der kuscht. Scheinbar. Lycidas traut dem nicht. Er wird sich sehr vor dem Mann in acht nehmen müssen. Am besten wäre es wohl, sich bei nächster Gelegenheit wieder aus dem Staub zu machen. Aber was dann? Ganz alleine. In dieser fremden Welt. Was dann?! Mit einer Hand hält Lycidas den Riemen seines Lyrakastens. Er hält ihn so fest, dass die Knöchel ganz weiß sind.


    Achillas. Er soll Lycidas zur Villa bringen. Nur ungern verlässt Lycidas die Umgebung des mutigen jungen Herrn. Er fürchtet, Leontichos könnte ihn doch noch von seinen niedrigen Erwägungen überzeugen... Lycidas hofft inständig, dass der Edelmut dieses Herrn stärker ist. Sein Sinn für große Gesten. Für das Epische. Und Schöne. Diesen Sinn gilt es anzusprechen.
    Ehrfurchtsvoll verneigt Lycidas sich zum Abschied. Scheu greift er nun seinerseits nach der Hand des Aristoxenus. Neigt das güldene Haupt noch tiefer, und drückt mit weichen Lippen einen Kuss auf dessen Finger. Dankbar. Ergeben. Federleicht streift sein Haar das Handgelenk des anderen.
    Sogleich lässt der Sklave die Hand wieder los. Ein Lächeln von herzzerreißender Traurigkeit und zugleich zaghafter Hoffnung huscht über seine Züge. Bevor er sich abwendet und sich an des Achillas Fersen heftet.

  • Aristoxenus ist sichtlich verblüfft über die Geste des unbekannten blonden Sklaven. Diese Mischung aus Dankbarkeit und Unterwürfigkeit.
    Noch nie hat ein untergebener Diener seine Hände oder Finger geküsst, diese Sitte mutet irgendwie orientalisch an, zumindest ist es in seiner Familie nicht Brauch...Sklaven und Bedienstete werden dort für gewöhnlich wie Familienmitglieder behandelt. Manche Sklaven erhalten sogar Lohn...sein Vater ist ein recht umgänglicher Herr...



    Der Knabe tut ihm leid...Lycidas erinnert ihn in diesem Moment an einen Hund welcher seinem Herrchen unterwürfig die Hände ableckt.
    Er wendet sich von Lycidas ab und dann nochmal hin zu Achillas um seine Anordnungen zu wiederholen.



    Aristoxenus: "Geh, nimm den Burschen mit dir und bestelle der Haushälterin einen Gruß von mir." "Sie soll Ihn ins Bad stecken und eine belebende Massage verpassen." Danach soll er sich ausruhen." "Ach ja, und eine schöne weiße Tunika aus feiner Wolle wäre auch nicht schlecht." "Sein Chiton kommt derweil in die Reinigung." "Zum Mittagessen wünsche ich ihn dann an meiner Tafel zu sehen." "Klar Soweit?"



    Achillas: "Ja Herr!" "Alles wird so geschehen wie du es wünschst!"
    "Komm mit mir Junge!"



    Während Achillas und der brave Lycidas sich in Richtung Villa begaben konnten beide hinter ihrem Rücken noch folgende Worte vernehmen:


    Aristoxenus: "Leontichos ich habe es mir anders überlegt, ich halte es für das Beste, wenn du noch heute Mittag das nächste Schiff nach Piräus besteigst." "Diese Angelegenheit ist von größter Wichtigkeit für mich, aber ich werde in dieser Sache keine eigenen Schritte unternehmen, ohne vorher Vaters Rat und Erlaubniss einzuholen...daher beeile dich!"


    Leontichos: "Herr ich muss protestieren!" "Ich hatte gedacht...."


    Mehr bekamen Achillas und Lycidas von diesem Gespräch nicht mit, denn der Klang der Wörter wurde schließlich mit zunehmender Entfernung vom Rauschen der Meeresbrandung "hinweggespült".

    "Poseidon... Gott der Meere und Schutzherr meiner Familie...deinem Ruhme widme ich mein Leben!"

    2 Mal editiert, zuletzt von Aristoxenus Leandros ()

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