Inspectio des Tresvir Capitalis Flavius Piso

  • Der Weg zu den Kerkern war nicht weit. Centurio Seleucus kam gefolgt von Piso an und entsperrte die Zugangstür zum Mittelgang. Jedes zweite bis dritte Verließ war aktuell gefüllt, was in diesem Zusammenhang natürlich positiv war. "Hier wären wir, Tresvir."

  • Hui, das ging ja schnell. Piso war dem Centurio, der keinen großen tanz gemacht hatte, sondern sofort bereit war, ihn zu den Zellen zu begleiten, sofort gefolgt. Irgendwie war er jetzt schon imponiert. Einmal ein Militär, der etwas ordentlich hinbekam und nicht nur hirnlos auf irgendwelche Order von oben wartete! Das war doch etwas wert.
    So stieg Piso mit einem durchaus gesteigertem Respekt vor Seleucus hinunter in die Kerker.
    Es stank. Das war das erste, was er feststellte – er roch nach Pisse. Nach getrockneten Exkrementen, nach vergammeltem Heu. Zumindest kam es dem verwöhnten Piso so vor, er würde schon noch feststellen, dass diese Zellen luxuriös waren im Vergleich zu denen bei den Prätorianern. Keine sehr netten Räumlichkeiten waren es auf jeden Fall. "Danke", antwortete er mechanisch.
    Piso blickte dann und wann auf ein paar Insassen, die apathisch in ihren Zelle vor sich hin sabberten. „Wie lange werden diese Leute durchschnittlich festgehalten, bis es zum Prozess kommt?“, interessierte sich Piso. Denn schließlich war ja die Gefangenschaft selber keine Strafe, spätestens nach Durus‘ Reformen mehr, sondern diente nur noch der U-Haft.
    Piso war jetzt nicht so sehr daran interessiert, unter welchen Konditionen diese Leute hier hausten, aber es war seine Pflicht, sich dafür zu interessieren, denn er musste ja die Tätigkeiten hier kontrollieren. „Die Gefangenen werden auch adäquat versorgt?“ Sicher würde der Centurio nicht nein sagen, also nahm sich Piso vor, ein paar Stichproben zu machen.

  • Obgleich Lucius dem Tresvir traute, hielt er ihn bei der Besichtigung stets im Auge. Natürlich nur eine Sicherheitsmaßnahme, die von Seleucus' eigenem Kontrollwillen unterstützt wurde. "Das hängt von zweierlei Faktoren ab. Je nachdem wie lange die Ermittlungen der zuständigen Behörden - also in diesem Fall den Vigiles - dauern und wie hoch das Strafmaß ist. Im Schnitt sind die Gefangenen hier aber höchstens drei Monate inhaftiert, um konkrete Zahlen zu nennen." Man versuchte aber natürlich die Haftzeit bis zum Prozess möglichst kurz zu halten. Das einzige, was lange 'U-Haften' mit sich brachten waren hohe Unterhaltungskosten und volle Gefängnisse. "Die Gefangenen werden mit allem versorgt, was nötig ist. Wir legen einen hohen Wert darauf, den Tagesablauf der Inhaftierten geordnet und strukturiert zu gestalten, um eine möglichst hohe Disziplin zu gewährleisten."

  • Hmm, war da jemand paranoid? Oder machte seine ohne Zweifel perfekte Physis einen so enormen Eindruck auf den Centurio, dass er ihn immer nur anstarrte? Vielleicht war Piso ja nur empfindlich. Trotzdem starrte er demonstrativ dem Centurio in die Augen, als er zuhörte. „Aha.. oho... soso...“, murmelte er dann und wann. Er wünschte sich, er hätte eine Wachstafel dabei, um Notizen zu machen. Na ja, er würde es sich sicher merken, wenn er etwas sähe, das nicht koscher war. „3 Monate klingt ganz vernünftig!“, gab er sich zufrieden und nickte. Mehr als 3 Monate würde bedeuten, dass unschuldige Menschen bis zu ihrem Freispruch unverhältnismäßig lange einsitzen würden, und weniger, dass die Ermittlungen unzulänglich sein könnten.
    „Und einen strukturierten Tagesablauf gibt es auch. Aha.“ Piso legte den Daumen an sein Kinn und kratzte jenes sich geschwind mit dem Zeigefinger. „Wie sieht er denn aus?“, fragte er neugierig.
    „Und, darf ich mir einmal so eine Zelle ansehen? Eine leere, natürlich?“, wollte er noch wissen. Man musste sich immer schlau machen, er wollte nicht, dass er auch nur ein Gefängnis nicht ordentlich besichtigt hätte.

  • Diese Untersuchungen hatten auch eine nervige Seite. Die vielen Fragen, die von Beamten gestellt wurden, waren für einen schlichten Soldaten teilweise wirklich zu viel. Doch diesmal blieb Seleucus wohl nichts anderes übrig, als sich dem Beamtenapparat Roms zu untergeben. "Die Gefangenen erhalten natürlich jederzeit ausreichend Speis und Trank. Ihr Tag beginnt mit leichten Arbeitsaufgaben, die sich im Laufe des Tages steigern. Natürlich differenzieren wir zwischen arbeitsfähigen und weniger arbeitsfähigen Gefangenen, was noch einmal zur Selektion beiträgt. Einen großen Teil verbringen die Gefangenen während ihrer Untersuchungshaft allerdings in den Zellen."[i] "Wo diese Verbrecher auch hingehören", hätte Seleucus beinahe gesagt. [i]"Natürlich, jederzeit. Bittesehr." Der Eprius entsperrte eine der leeren Zellen und beobachtete Piso dann von außen.

  • Jede Untersuchung mit einem Magistraten hatte normalerweise eine nervige Seite. Untersuchungen mit Piso hatten normalerweise viele nervige Seiten. “Aha. Aha. Aha“, bestätigte er, dass er zuhörte, und nickte dazu mit dem Kopf, der lustig hin- und herwippte. Speis und Trank, Arbeit, Zellen, klang nach einem Standardprogramm für jeden Knast. Piso würde sich noch eine Zelle anschauen, und hoffen, dass es damit dann zu Ende war, denn bisher hatte er nichts gefunden, was zu tadeln wäre.
    Er wartete also brav ab, bis der Eprier eine Zelle geöffnet hatte, und stieg dann hinein, wo er sich erst einmal ein wenig fasziniert umschaute. In der innigen Hoffnung, dass Seleucus nich die Türe zusperren würde, drehte er sich einmal um die Achse. Ästhetisch war der Anblick der Zelle nicht gerade. Aber sie war sauber, und was mehr sollte man verlangen? Entzug von Ästhetik war eine der wichtigsten Komponenten, die eine Haftstrafe ausmachten, glaubte Piso zu wissen.
    Nachdem er eine Minute villeicht die Zelle begutachtet hatte, trat er wieder hinaus. “Unglaublich, Centurio, was die Insassen hier an die Wände schmieren. Wer ist denn der große böse Umbrenus, der alle befreien wird?“ Von einem solchigen hatte er nämlich wahrhaft seltsame Geschichten in der Zelle gelesen. Wohl auch nur das Hirngespinst eines Knackis.

  • "Gute Frage. Allerdings muss ich zugeben, dass ich über die Hirngespinste der Gefangenen nur bedingt bescheid weiß. Zum einen geben sie nicht viel Preis, wenn man sie frägt, zum anderen tangiert das einen Soldaten wie mich nicht sonderlich, zumal ich selbst ja erst seit kurzen bei den Vigiles stationiert bin." Und was er hier erlebt hatte, war wirklich desaströs. Ohne Zweifel, die Struktur, die Organisation und die Ausrüstung der Vigiles war tadellos, allerdings fehlte es vorne und hinten an Personal. Die Glanzzeit dieser Einheit lag wohl schon einige Jahre zurück und der Rekrutendurchschnitt lag weit unter dem der Cohortes Urbanae oder gar einer Legion. "Gibt es sonst noch etwas, das ich für dich tun kann, Tresvir?" Seleucus klang bei seinen Worten keineswegs genervt, immerhin wusste er als stattlicher Grieche was sich gehörte, obgleich er sich lange im barbarischen Germanien umhergetrieben hatte - zu lange wahrscheinlich.

  • “Nun, sicherlich, da gebe ich dir recht. Eine psychisch-medizinische Studie ins Hirn von Inkarzerierten wäre durchaus einmal interessant, doch hier muss ich doch leider den Experten das Feld überlassen.
    Piso war so ziemlich alles (vom Juristen überm Musikspezialisten und Militärtheoretiker hin zum Architekten), nur kein Mediziner. Er selber war kein großer Fan der Handlungen, mittels der man in die Inästhetik, die die Innereien des menschlichen Körpers darstellten, eindrang. Opferexaminationen waren ja schon schwierig genug zu bewältigen, aber damit konnte er sich gerade noch abfinden.
    Eine Frage stellte ihm der Eprier noch, und Piso überlegte kurz. “Ja, eine Frage habe ich noch. Sie hat nicht direkt mit den Kerkern zu tun, aber trotzdem. Ich muss zugeben, ich war etwas erstaunt, dass mir als Stellvertreter des Praefectus ein Centurio, und zwar du, vorgestellt wurde. Nicht, dass ich an deiner Kompetenz zweifle!“, säuselte er beschwichtigend. “Aber! Gibt es keinen Subpraefectus? Gibt es keine Tribune? Und insgesamt erscheint mir das Lager ziemlich ruhig. Meine Frage ist, was hat es damit auf sich?“ Er war ja schon gespannt.

  • Auch der Centurio konnte keine befriedigende Antwort abliefern, also blieb Piso nichts anderes übrig, als seine Schultern zu zucken deswegen. Es war jetzt sowieso die Führung zu Ende, und kurz darauf erreichten der Vigintivir und der Centurio das Haupttor. Piso bedankte sich noch einmal recht herzlich, verabschiedete sich und ging ab.



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