Area | Per aspera ad astra

  • Manius Minor hatte beschieden, ein Militärtribunat anzustreben, um jener seinem Dafürhalten nobelsten Pflicht eines jungen Quiriten nachzukommen und zugleich den Makel, welchen die militärische Abstinenz Manius Maiors während des Bürgerkrieges in seinen Augen repräsentierte, nicht zu ererben. Die Kontakte der Familia Flavia Romae in soldatische Kreise waren ein wenig oxidiert erschienen, so war ein alter Klient des Flavius Aristides, welcher noch seinen Dienst in der ehemaligen Einheit des Veteranen verrichtete, doch zu aktivieren gewesen, dem verwöhnten Jüngling kriegerische Mores nahezulegen.


    Am bestimmten Termine hatte darum Sciurus Sorge getragen, dass einer der zahllosen Wirtschaftshöfe der Villa Flavia Felix war präpariert worden, um dem jungen Flavius als Übungsareal zu dienen: gelagerte Amphoren und anderes Material waren beiseite geschafft, jener Pfahl, an welchem bisweilen unartige Sklaven für Leibesstrafen wurden fixiert, der Ketten entledigt worden, womit er, von einigen dunklen Verfärbungen getrockneten Blutes abgesehen, denen, welche auf Exerzierplätzen der Castella zur Ausbildung von Tirones Verwendung fanden, similär erschien. Insgesamt erweckte der kleine Hof somit den Eindruck der Miniatur eines Kasernenhofes, in welchem der junge Herr fern der Blicke vorwitziger Diener und ruhebedürftiger Herrschaft seine Initiation in den Fechtkampf würde gewinnen können.

  • Dankbar hatte Maro das Angebot des zweiten Sklaven an der Tür abgelehnt, der angeboten das Tragen der Übungsmaterialien zu übernehmen. Er war der vielleicht altmodischen Auffassung, dass römische Waffen, und seien es nur verpackte Übungswaffen, nicht in die Hände von Sklaven gehörten. Dies war ein Privileg, das ausschließlich römischen Bürgern zukommen sollte, fand Maro. Deshalb hatte er Hilfstruppen in Germanien auch immer misstrauisch beäugt. Wenn man einem kolossalen Barbaren römischen Stahl in die Hände gab, endete dies oft genug katastrophal.


    Die Villa Flavia Felix nun war zweifellos das grandioseste Haus, das Maro je betreten hatte. Geschichte waberte durch die geschäftigen, doch gleichzeitig ruhigen Gänge, die ein herrschaftsgewohntes Selbstbewusstsein verströmten, das geeignet war, jedem Besucher eine gehörige Portion Ehrfurcht einzuflößen.


    Vorbei an exquisitem Inventar, belebt wie unbelebt, an unzähligen Kunstwerken vorbei wurde Maro geleitet, der nicht umhin kam, sich mit beruflichem Interesse zu fragen, welche Sicherungen gegen Raub und Diebstahl die Flavier wohl im Ernstfall in Stellung bringen könnten. Wenn an dem mürrischen Ianitor nicht mehr dran war, als Maro auf den ersten Blick ausmachen konnte, hätte eine zu allem entschlossene suburanissche Bande wohl nicht allzu viel Arbeit.
    Und der Inhalt dieser Villa war dergestalt, wie das stehlende Gewerbe Roms sich die elysischen Felder vorstellte.


    Maro nahm sich vor diesen Umstand bei Minor gelegentlich anzusprechen.


    Der Sklave führte Maro schließlich zu einem weit weniger grandiosen Hof, in dessen Mitte ein blanker Pfahl errichtet war und bei dem ein fülliger, junger Mann in besseren Kleidern wartete. Zweifellos sein neuer Rekrut.
    Nein, korrigierte Maro sich und nahm sich innerlich etwas zurück. Rekrut war hier das falsche Wort. Das hier war nicht der Exerzierplatz der Castra und der Dominus vor ihm keiner der üblichen mehr oder weniger verzweifelten Idioten von der Straße, die Maro in der Castra auszubilden hatte. Wenn das hier was werden sollte, musste er die Sache hier grundlegend anders angehen. Das ganze schöne Repertoire des Optios würde nicht besonders gut funktionieren. Der Patrizier würde verstockt reagieren und nichts lernen und wenn Maro sich Gracchus Minor so betrachtete, hatte er hier viel Arbeit vor sich.


    Deshalb stimmte Maro ein anderes Lied an. Er konnte den Ton ja immer noch wechseln, sollte das nötig werden.


    "Habe ich die Ehre mit Manius Flavius Gracchus Minor zu sprechen?"

  • Als man dem jungen Flavius das Eintreffen des Optio meldete, exaltierte diese Information selbigen umgehend in höchstem Maße. Schon als unmündiger Knabe hatte er mit Freuden in ein miniaturiertes Feldherrenkleid sich zu werfen geliebt, hatte Soldaten-Figürlein über imaginierte Schlachtfelder gelenkt und endlich mit reifendem Intellekt auch literarische Produkte hinsichtlich des Soldatentums wie des Kriegswesens studiert. Doch heute würde er jenen Weg antreten, der einst ihn womöglich ihn realiter zum Schlachtenlenker und Kommandanten würde machen, um gleich Onkel Felix, Onkel Aristides, wie sämtliche Divi Flavii den Ruhm des Roms wie des eigenen Geschlechtes nicht lediglich durch wohlfeile Reden, sondern ebenso durch den Einsatz der eigenen Physis, ja des Lebens zu mehren, was selbstredend, obschon er vor wenigen Tagen noch ein feuriges Plädoyer zur Defension der militärischen Komponenten des Cursus Honorum hatte gehalten, auch mit einiger Furcht war befangen: Seine athletische Expertise war deplorabel, wie der Gymnasion-Besuch mit den Myrmidonen ebenso klärlich hatte demonstriert wie sein exhaustierlicher Auftritt bei den Salii Palatini und selbst wenn sein purgierendes Krankenbett ihn nicht lediglich von jenen fatalen, epikureischen Flausen, sondern ebenso einigen Pfunden seiner lukullischen Leibesfülle hatte liberiert, so restierte noch immer ein massiger, defizienter Leib, dessen Muskulatur unter einer Schicht behäbigen Specks verborgen war, dem es an sportlicher Übung in ebensolchem Maße fehlte wie an jedweder anderen Koordination, zumal seine visuelle Inkapazität ihn daran gewöhnt hatte, sich in jedweder widrigen Situation der stützenden Hand seines getreuen Patrokolos zu bedienen.


    Auch heute eskortierte ihn sein Diener in den noch leeren Hof, wo der Jüngling noch keinen Instrukteur vorfand und deshalb ein wenig nervös sich neben dem Pfahle positionierte.
    "Hätte ich den ledernen Panzer nicht doch sogleich anlegen sollen?"
    , fragte er ein wenig timid den tröstend ihm zur Seite stehenden Patrokolos.
    "Ich denke nicht, dass das nötig ist, Domine. Es wurde doch gesagt, dass der Miles sämtliche Ausrüstung mitgebracht hat."
    Manius Minor blickte hinab zu seinem Bauch, der sich unter seiner linnernen Tunica wölbte und in welcher es ihn angesichts der kühlen Temperaturen des Morgens ein wenig fröstelte. Erst vor wenigen Tagen hatte er sich einen Lederharnisch auf diesen für militärische Zwecke wenig geeigneten Leib schneidern lassen, nachdem die im Hause der Flavii tradierten Rüstungen seiner Ahnen jener umfangreichen Ventralpartie nicht den erforderlichen Raum geboten hatten. Kaum vermochte er zu imaginieren, dass die Cohortes Urbanae, denen Onkel Aristides' Klient angehörte, für derartig adipöse Tirones adäquates Material besaßen.


    Doch würde dieses sich in Kürze aufklären, denn schon trat ein Fremder in den Hof, dessen Cingulum Militare ihn als Soldaten, dessen Gepäck ihn hingegen konkreter als jenen versprochenen Instrukteur auswies, welchen er erwartete. Der junge Flavius runzelte ein wenig irritiert die Stirn, als er, obschon die Züge des Mannes im raschen Nähertreten verschwammen, klärlich erkannte, dass es sich mitnichten um einen vielschrötigen Alten handelte, als welcher ihm Lucilius war angekündigt worden, sondern um einen Mann mittleren Alters.
    "In der Tat. Du musst Lucilius sein!"
    , erwiderte er dennoch artig und präsentierte ein genantes Lächeln, da er doch, nachdem er Onkel Aristides' Klienten bisherig niemals ansichtig war geworden, sodass womöglich ein Irrtum hinsichtlich seiner Deskription vorlag.

  • Wunderbar. Immerhin hatte er tatsächlich den richtigen Mann vor sich, welcher sich jedoch nicht über Maros Person im Klaren zu sein schien. Anscheinend hatte Lucilius es versäumt eine Nachricht vorauszuschicken. Oder hatte noch keine Gelegenheit dazu gehabt. Oder der ein nachlässger Bote hatte die Nachricht verbummelt. Der Optio würde dem nachgehen, wenn er wieder in der Castra war.


    Maro stellte den Packen mit den Übungswaffen sanft auf den Boden und antwortete dann dem Minor:
    " Nun, ich fürchte, dass ich nicht Lucilius bin. Mein Name ist Marcus Octavius Maro, Optio bei den Cohortes Urbanae. Lucilius ist leider kürzlich in Ausübung seiner Pflicht von einem Dach gestürzt, hat sich dadurch einen sauberen Bruch im rechten Bein zugezogen und wird deshalb deine Ausbildung nicht durchführen können. Daher hat er mich beauftragt an seiner statt dir den Umgang mit dem Handwerkszeug des Soldaten näher zu bringen, so wie es auch bei den Cohortes meine Aufgabe ist."


    Während Maro sprach taxierte er sich den Flavier etwas näher. Einige Jahre jünger als Maro, ein gutes Stück kleiner und die fülligste Person, die Maro in den letzten Wochen untergekommen war. Der Schwertgurt würde an Minor nicht scheitern. Der Harnisch, den er mitgebracht hatte jedoch in jedem Fall.
    Wenn der Flavier tatsächlich in des Imperators Legionen Dienst leisten wollte- und sei es nur der Stabsdienst für Herrensöhnchen - musste er drastisch an Gewicht verlieren.


    Bei den Urbanern hatten sie ihre eigene Strategie Rekruten von ähnlicher Gestalt in Form zu bringen. In den seltenen Fällen jedenfalls , in denen Rekruten solchen Ausmaßes überhaupt auftraten. Die meisten, die für diese Spezialbehandlung in Betracht kamen, wurden überwiegend schon an der Porta abgeschreckt oder scheiterten spätestens bei der ärztlichen Begutachtung.


    Schon den Flavier gebührend in Form zu bringen, würde eine Herausforderung darstellen.


    Immer vorausgesetzt, Minor würde Maro tatsächlich als Lehrer akzeptieren und nicht auf einer Ausbildung durch einen ergebenen Klienten der Familie bestehen.

  • Die Replik des Optios disturbierte den jungen Flavius, welcher mit derartigen Possibilitäten mitnichten gerechnet hatte, ein wenig, obschon selbstredend dies die Diskrepanz zwischen dem Proponierten und dem Erhaltenen explizierte. Sein fragender Blick wich endlich einem mitleidigen angesichts des Laborierens eines Klienten seines Onkels und damit extendierten Gliedes der Familia Flavia Romae, doch final kehrte ein artiges Lächeln auf seine Lippen zurück, als nun jener Octavius seine Dienste offerierte.


    Selbstredend mühte der Jüngling sich gar nicht, familiäre Relationen des Soldaten zu erkunden, welchen er als einen Spross der Plebs wähnte anstatt als einen Anverwandten des wohlbekannten Octavius Victor. Dennoch erachtete es freilich die Etikette, auch jenem womöglich ein wenig simpleren Individuum Respekt entgegenzubringen, zumal selbiges fortan als eine Art Lehrmeister ihm würde dienen.
    "Nun, dann möchte ich dir meinen verbindlichsten Dank ausdrücken, dass du so bereitwillig an die Stelle unseres Lucilius getreten bist, welchem du selbstredend unsere besten Genesungswünsche entbieten darfst. Sofern es sein Wunsch ist, werden wir gern unseren Medicus Capsa in die Castra Praetoria entsenden, um seine Verletzung zu inspizieren."
    Obschon Manius Minor dem Medicus Personalis der Familia Flavia Romae zutiefst verbunden war, da selbiger ihn aus dem grässlichen Griff des Opiums hatte befreit, so vermochte er noch immer keine wahrliche Zuneigung zu dem schroffen Alten empfinden, welcher mit größter Unbarmherzigkeit ihn durch die Grauen des Entzuges hatte getrieben. Ihm als Zeichen der flavischen Gunst zu einer Exkursion in militärische Gefilde zu entsenden, wo seine Expertise von den erfahrenen Militärärzten würde kontestiert werden, erschien ihm somit als bescheidene, doch erträgliche Rache.
    Bei jenem Gedanken kräuselten sich Manius Minors Lippen zu einem Lächeln, ehe diesem ein vorwitziger Blick wich:
    "Wollen wir beginnen?"

  • Ach ja, Maro hatte ganz vergessen, dass bis zum Verlust jeder Praxistauglichkeit gedrechselte Sprache in der Oberschicht oft die Norm war. Das kam wohl vom vielen Griechisch Lesen. Wenn Maro zu dem Patrizier durchdringen wollte musste er den Exerzierplatzton vorerst abstellen und so erinnerte er sich zurück an die gute Kinderstube, die er einst genossen hatte:


    "Ich danke dir für deine Freundlichkeit, aber Lucilius wird die kostbare Zeit des wiewohl zweifellos vortrefflichen Medicus Capsa nicht in Anspruch nehmen müssen, da im Lazarett bereits alles Nötige zu seiner bestmöglichen Versorgung veranlasst wurde. Als ich zu Lucilius kam, hatten sie den Bruch geschient und gerichtet. Aber ich bin sicher Lucilius wird deine Besorgnis sehr zu schätzen wissen."


    Der Medicus der Cohortes, Veteran vieler Schachtfelder im Lazarett würde ihm gehörig was husten, wenn Maro noch einen Zivilisten anschleppte, der ihm ins Handwerk pfuschte. Die Ärzte waren da sehr eitel.


    Auf dem Weg zur Villa Flavia hatte sich Maro einen Plan zurecht gelegt, nach dem er den jungen Zivilisten mit den wichtigsten Waffen so vertraut als möglich machen wollte. Aufgrund der körperlichen Gegebenheiten des Minors würde er zwar einiges anders gewichten müssen, aber Maro insgesamt zuversichtlich.


    Er nickte dem Minor zustimmend, und wie Maro hoffte, aufmunternd zu.


    "Beginnen wir also. Mir wurde von Lucilius berichtet, du wolltest dich als Vorbereitung auf deinen tribunizischen Dienst mit den römischen Waffen vertraut machen.Das mag sich eigentlich nach einem recht simplen Vorhaben anhören. Man bearbeite einen Feind so lang mit einer Klinge bis er einem tot zu Füßen liegt.


    Jedoch wirst du, wie jeder andere auch, der sich ernsthaft mit dieserlei Materie beschäftigt, schnell bemerken, dass zur Handhabung jeglicher Waffen unendlich viel mehr Wissen und Können von Nöten ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag und es Jahre ständiger, ausdauernder Übung bedarf, um zur Meisterschaft einer Waffe zu gelangen. In diesem Sinne haben wir eigentlich keine Zeit zu verschwenden, wenn du eine annehmbare Figur während deines Dienstes machen willst.


    Es sind jedoch einige theoretische Vorüberlegungen notwendig, bevor wir mit dem praktischen Teil beginnen.
    Ich werde dir jetzt eine Frage stellen, die dir vielleicht in geradezu grotesker Weise banal erscheinen mag. Allerdings besteht diese Banalität nur oberflächlich und ich möchte, dass du sie auf allen dir vorstellbaren Ebenen bedenkst, denn die Antworten bilden einen wichtigen Teil des Fundamentes, auf dem die Kunst des Umgangs mit Waffen ruht."


    Maro machte den Beutel auf und holte seinen eigenen Gladius heraus und reichte ihn dem Flavier.


    "Was ist das?"

  • Der junge Flavius reagierte auf die abweisenden Worte Maros hinsichtlich seiner Offerte mit einem mentalen Heben der Schultern, da es ihm doch keineswegs ein explizites Anliegen war dem Klienten die flavische Hilfe angedeihen zu lassen, respektive Capsa mit jenem Auftrag zu inkommodieren.


    Stattdessen wandte er umgehend sich der wohlklingenden Indroduktion des Optios zu, dessen gewählte Ausdrucksweise offenbarte, dass Manius Minor seine despektierliche Hypothese hinsichtlich der niederen Provenienz seines Lehrmeisters zu überdenken genötigt war. Selbst jene erste Frage wirkte geradehin ridikulös, doch in Anbetracht der vorhergehenden Explikationen gewissermaßen philosophisch.
    "Es handelt sich, wie mir scheint, um einen Gladius, die Waffe des gemeinen Infanteristen."
    Der Jüngling legte die Stirn in Falten, da jene schnöde Replik ihm doch ein wenig insuffizient erschien.
    "Sie gilt als pointiert römische Schwertform, obschon sie in ihren Ursprüngen aus Hispania stammt und erst infolge der Okkupation durch unsere Väter in unserem Heerwesen Eingang fand."
    Jener minimale historische Exkurs endlich blieb die vorerstige Position des jungen Flavius, dem schlagartig ins Bewusstsein geriet, dass er selbst eine similäre Waffe sein Eigen nannte, welche sein Vater ihm einst zu seinem 16. Geburtstag hatte doniert, die er in der Hast des heutigen Besuches indessen vergessen hatte.


    Doch war nun nicht der Raum, jenes Versäumnis zu sanieren, da er doch vorwitzig der folgenden Fragen harrte in der Hoffnung, die erste adäquat beantwortet zu haben.

  • Maro nickte auf die Antwort zustimmend. Den meisten, die nicht täglich so ein Ding in Hand hielten, blieb die Symbolik die von dieser Art ausging Waffe verborgen.
    Selbst für viele Soldaten war das Schwert einfach ein nützliches, scharfes Werkzeug, mit dem man sich besonders gut feindliches Gesocks vom Leib halten konnte.


    Deshalb war Maro auch keineswegs enttäuscht, dass Minor nicht sofort ein tiefere Analyse des Gegenstandes vorbringen konnte.


    "Du hast natürlich völlig recht, technisch und historisch gesehen. Ein gewöhnlicher Gladius. Stahl. Zweischneidig. Einhändig. Die Standartwaffe des Legionärs. Von hispanischen Barbaren übernommen. Das ist richtig. Allerdings eröffnen sich dem wissenden Auge noch einige, nicht unbedingt rein technische Eigenschaften, die dem Gladius anhaften.Ich will dir sagen was ich meine:


    Du hast bereits gesagt, der Gladius gelte als die pointierte römische Schwertform.
    Das ist vollkommen korrekt. Oder anders ausgedrückt: Rom wäre ohne die vollendete Brillanz dieser Waffe nicht einmal im Entferntesten in der Nähe der Größe und des Glanzes, die es heute inne hat. Rom hat die Nutzungsweise des Gladius seit seiner Übernahme vervollkommnet. Ausrüstung und Ausbildung der Soldaten sind perfekt auf die Nutzung des Kurzschwertes abgestimmt. Zweitens war bisher kein Gemeinwesen und kein Volksstamm der bekannten Welt in der Lage über die Jahre eine so hohe Anzahl von Soldaten mit Waffen von so einheitlich hoher Qualität und Güte auszurüsten und auszubilden.


    Besonders ein Anführer muss sich also bewusst sein, dass er nicht bloß mit einem zu groß geratenen Messer durch die Gegend fuchtelt, sondern mit einem Juwel römischer Schmiedekunst und Technik. Ein solcher Gegenstand muss von jedem, der es benutzt also mit gebührendem Respekt behandelt werden. Wenn du also deinen Gladius überreicht bekommst, musst du ihn so behandeln, wie es einer Waffe dieses Ranges zukommt."


    Dieser Aspekt war für den gemeinen Soldaten sehr nachrangig, sodass er bei der Ausbildung meistens nur ausführlicher zur Sprache kam, wenn der Ausbilder in geschwätziger Laune war.


    Für einen patrizischen Anwärter auf das Tribunat und auf folgende Magistratsämter war es jedoch vorteilhaft, wenn er sich der tieferen Bedeutung der Waffen vor Augen führte.


    "Wie du bereits bemerkt hast und was an sich eigentlich zu banal ist um es zu erwähnen, ist der Umstand, dass der Gladius eine Waffe ist. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich allerdings für den Anwender folgende Konsequenz: Die Waffe ist der Gegenstand durch den der Soldat auf dem Schlachtfeld seine Wirkung entfaltet und von dem buchstäblich sein Leben abhängt.


    Ein Soldat, dessen Waffe durch mindere Qualität oder schlechte Behandlung nicht in bestem Zustand ist, ist auf dem Schachtfeld nicht nur nutzlos, sondern auch so gut wie wehrlos. Deine erste und letzte Sorge jeden Tag sollte also dem Zustand deiner Waffe gelten.
    Ein Soldat mit einer Waffe in inadäquatem Zustand ist kein richtiger Soldat und für seine Kameraden, seine Einheit, seinen Feldherrn und seinen Kaiser in der Schlacht wertlos und eine Belastung. Das musst du dir stets vor Augen führen."


    Dieser Aspekt nun wurde den Rekruten von jedem Ausbilder ständig und jeden Tag in den Schädel gehämmert. Die Logik dahinter ergab sich von selbst.


    "Ein weiterer Punkt könnte mit der etwas abgedroschenen, aber trotzdem wahren Erkenntnis zusammengefasst werden, dass es sich bei der Waffe um kein Spielzeug handelt.


    Der Gladius ist ein Werkzeug des Kriegs und des Todes, entworfen und hergestellt um die Seelen der Feinde Roms in die Unterwelt zu schicken. Er ist scharf und gefährlich und kann sich bei unsachgemäßer Handhabung jeden Moment gegen seinen Anwender wenden.
    Er ist das Besteck Plutos. Gleichsam ein Kultgegenstand des Todes selbst und sollte entsprechend behandelt werden.


    Deswegen werden wir auch bei unseren Übungen hier äußerste Vorsicht walten lassen. Nicht dass Mors aus Versehen noch einen Finger eine Hand oder eine Seele in diesem Haus für sich einfordern kann."


    Das war eindrücklich, befand Maro.


    "Hast du bis hier hin Fragen oder Anmerkungen?"


    Es war viel auf einmal, das Maro gerade vorgetragen hatte, aber doch alles essentiell.

  • Jene Details, mit welchen der Optio nunmehrig aufwartete, beeindruckten den jungen Flavius in höchstem Maße, zumal er bei den Instruktionen durch einen gemeinen Optio dergestalt theoretische Reflexionen mitnichten erwartet hatte. Selbstredend war ihm bekannt gewesen, dass der Gladius im gesamten Exercitus Romanus in nahezu uniformer Machart Verwendung fand, dass er nicht gleich jenem Hiebschwert, welches er für die salischen Kulthandlungen zu tragen pflegte, aus Kupfer, sondern von ehernem Material geschmiedet wurde und in seiner Verwendung gewisser Umsicht bedurfte. Indessen führten die Explikationen des Octavius die historische Bedeutsamkeit, ja geradehin Sakralität jener Waffe trefflich vor Augen, sodass der Jüngling nach jenem knappen Vortrag den Gladius in seiner Hand ehrfürchtig betrachtete.


    Konträr zu Leibesübungen war die Aufnahme umfangreicher verbaler Beiträge dem jungen Flavius dessenungeachtet ob seiner philosophisch-philologischen Edukation wohlvertraut, weshalb er weder der Fragen, noch näherer Erläuterungen bedurfte und somit erwiderte:
    "Bisherig nicht."
    Sofern seine Ausbildung derart theoretisch fortging, würde sie sich womöglich doch als erquicklicher erweisen als er geargwöhnt hatte!

  • Bisherig nicht. Nun gut. Die Rekruten nickten auch immer eifrig, wenn man ihnen nahegelegt hatte das Schwert im Feld frei von Rost zu halten. Trotzdem zeigten so oft Waffen und Ausrüstung der Milites Spuren von Nachlässigkeit.
    Achtsamkeit mit dem Material würde auch einen wichtigen Bestandteil der minorischen Ausbildung ausmachen.
    Zufrieden sah Maro auch das Erstaunen ob der neuen Erkenntnisse in Minors Gesicht, genauso wie beabsichtigt.


    "Das sind keine arkanen Geheimnisse, die ich dir gerade verraten habe. Eigentlich kann da jeder auf diese Gedanken kommen, der sich mit der Materie befasst, damit umgeht und dabei nachdenkt. Aber du solltest dir dringend einprägen. Sie sind wichtig und könnten dein Leben retten."


    Neue Soldaten lernten vor allem den Umstand, dass eine Waffe sehr gefährlich war, schnell und eindrücklich. Entweder weil sie selbst oder Kameraden sich mit den Schwertern aus Dummheit oder Nachlässigkeit selbst Wunden zufügten, oder weil sie auf einer heißen Patrouille mitbekamen, wie ein Gauner versuchte, die Innereien wieder in sich hinein zu stopfen oder von einem gut gesetzten Stich ausblutete. Der Anblick verlustig gegangener Körperglieder hatte meistens denselben Effekt. Doch mit solchen Horrorgeschichten würde Maro Minor nicht gleich von Anfang an belasten. Er wollte nicht, dass der Flavier sich von der Waffe fürchtete. Das wäre sehr kontraproduktiv für den Fortgang der Ausbildung.


    "Wir können die Theorie jedoch noch nicht ganz verlassen, sondern werden zunächst in die taktischen Vor- und Nachteile der Nutzung des Gladius einsteigen und uns dann darüber Gedanken machen, wie die Nutzung des Gladius im Gesamtzusammenhang der Ausrüstung des Soldaten gestaltet ist."


    Maro holte dazu den Helm heraus und platzierte ihn auf dem Pfahl und lehnte das mitgebrachte Scutum an denselben, wandte sich jedoch dann wieder Minor und dem Schwert zu.


    "Bleiben wir zuerst noch beim Gladius selbst. Eine einfache Frage: Welche Möglichkeiten hast du, um auf einen Gegner damit einzuwirken?"

  • Jenen Aspekt hinsichtlich des einwandfreien Zustandes der Waffe hatte der Jüngling beflissentlich überhört, da es schlicht seiner Gewohnheit entsprach, stets mit Objekten in einwandfreiem Zustand umgeben zu sein, wofür er selbst niemals aktiv Sorge zu tragen gehabt hatte, da selbiges dem Heer an Sklaven in der Villa Flavia Felix oblag. Niemals hatte er eines seiner Spielfigürlein gereinigt, zu schweigen von alltäglichen Gebrauchsgegenständen, sodass es ihm ebensowenig in den Sinn kam, seinen Gladius in persona von Schmutz befreien zu müssen.


    Nun holte der Instrukteur weitere Waffen hervor, welche dem jungen Flavius weniger vertraut waren als der Gladius, von dem er selbst ein Exemplar sein Eigen nannte und das doch auch in zivilen Kontexten häufiger sich zeigte als die mächtigen Schilde der Legionen oder die glänzenden Helme der Linientruppen.
    Ehe sie zu deren Gebrauch sich wandten, waren jedoch neuerliche Fragen zu beantworten, wofür der Jüngling intuitiv seine Waffe erhob und sorgsam in der Hand drehte, da bereits sein Anblick selbst dem Fehlsichtigen offenbarte, wie es einzusetzen geeignet war.
    "Ich vermag damit Hiebe auszuteilen,"
    , begann er und ließ nachdenklich die aufgerichtete Schneide durch die Neigung seines Handgelenkes um einen spitzen Winkel hinabgleiten.
    "zu stoßen, was meines Wissens die primäre Funktion eines Kurzschwertes darstellt-"
    Auch jene Bewegung vollführte er ein wenig insekur, ehe er inne hielt, da das Gewicht der Waffe ihm eine weitere Variante nahelegte:
    "-sowie mit dem Knauf Stöße auszuteilen."
    Das sphärische Ende des Griffes verfügte in der Tat über einiges Gewicht, welches gar das der bedeutend längeren Klinge auszutarieren vermochte. Als Manius Minor jenem Zug nachgab, vermochte er entfernt zu imaginieren, welche Wirkung auch jene Attacke zu entfalten vermochte.

  • Maro war überaus zufrieden mit der Antwort, die Minor ihm gegeben hatte.
    "Völlig richtig. Hieb, Stich und Knauf. Viele vergessen den Knauf. Jedoch ist der Gladius eine Waffe und jeder Teil dieser Waffe kann zur Bekämpfung des Feindes benutzt werden. Im Zweifel wird natürlich die Klinge klarere Ergebnisse erzielen, aber in vielen Situationen ist der stumpfe Schlag mit dem Knauf die einzige Alternative. Sehr gut. Es gibt nur eines, wie ein Soldat sein Schwert niemals einsetzen sollte: Als Wurfgeschoss. In der Ausbildung gibt es immer ein paar vorwitzige, die meinen, es sei besonders episch, einen Feind mit einem gezielten Schwertwurf zu bekämpfen. Wird ein solcher Schwertwurf dann während des Drills erprobt, wird der Ausbilder sofort die Festigkeit seines Stockes an demjenigen eingehend erproben, der das Schwert geworfen hat. Ein Soldat, der seine Waffe fort wirft und sei es zur Feindbekämpfung, macht sich nicht nur lächerlich, sondern auch nutzlos. Daher werden wir solche Späßchen hier auch nicht versuchen."


    Maro überging die schwächlichen Bewegungen seines Schülers, die Hieb und Stich andeuten sollten. Minor würde im Praxisteil noch schnell und häufig kritisiert werden.
    Jetzt ging es erst einmal noch um die Theorie, die Minor erfreulich schnell aufzufassen schien. Ein Idiot war er offenbar nicht. Hätte Minor sich als völlig verblödet herausgestellt, wäre Maro direkt ohne viel Aufhebens zum praktischen Teil übergangen und hätte Minors zukünftigem Vorgesetzten schon einmal im Voraus ein paar starke Nerven gewünscht. Mangelnde Intelligenz würde sich bei einem Stabsoffizier besonders schlimm auswirken. Ein solcher wäre für die Armee praktisch nutzlos und für die von ihm gelegentlich geführten Soldaten gefährlich. Wenn ein einfacher Miles nicht die hellste Fackel an der Mauer war, war das egal, wenn er gehorchen und kämpfen konnte. Bei Offizieren oder gar Feldherren war es nicht egal.
    Minor schien jedoch nicht verblödet zu sein und so setzte Maro den theoretischen Teil fort.


    "Wie du schon richtig erkannt hast, ist der Stich die Hauptanwendungsweise des Gladius. Du wirst nie eine Einheit Legionäre wie wild mit dem Schwert fuchteld durch die Botanik rennen sehen. Vielmehr wirst du, schnelle, energische, koordiniert nach vorn gerichtete Stöße beobachten können. Dem ungebildeten Auge mag es vielleicht vorkommen, als sei das römische Kurzschwert daher eine banale, unelegante Waffe. Ausgeklügelte Schlagfolgen und ästhetisch ansprechende Duellmuster mag es für das Kurzschwert zwar geben, aber der Alltag des römischen Soldaten wird sich hauptsächlich nicht in diesem Bereich abspielen. Tatsächlich wäre es albern mit einem so kurzen Schwert zu versuchen ausladende Hiebe auszuteilen. Es ist schlicht zu kurz. Viel zu wenig Reichweite. Andere Gemeinwesen mögen längere Schwerter nutzen, sogar solche, die mit zwei Händen geführt werden müssen, aber das ist nicht der römische Weg. Behalte dabei jedoch das im Kopf, was wir vorhin festgestellt haben. Im Kampf können die wildesten Situationen entstehen und in einer solchen mag es auch vorkommen, dass man mächtig Hiebe austeilen muss. Der ganze Gladius ist die Waffe, nicht nur die Spitze. Nichtsdestoweniger ist die Hauptfunktion des Gladius der Stoß. Wie perfekt jedoch sich das Kurzschwert in die ganze Ausrüstung und Kampftechnik des römischen Soldaten einpasst, wirst du gleich feststellen. Vorher jedoch:"
    Maro holte einen weiteren Gegenstand aus seinem Beutel.


    "Dies ist das andere Schwertmodell, mit dem die Truppen Roms ausgerüstet werden: Das Spatha. Es ist länger und in der Klinge etwas anders geformt, als der Gladius. Gleichfalls eine barbarische Erfindung wird es im Exercitus wegen seiner erhöhten Reichweite vor allem von Reitern eingesetzt. Da sich Soldaten im tribunizischen Dienst auch zu Pferd bewegen, mag es durchaus sein, dass du den Feinden des Kaisers mit diesem Modell zu Leibe rücken musst. Daher werden wir bei deiner Ausbildung neben dem Gladius auch auf das Spatha einigen Wert legen. Daneben nutzen Römer im Kampf auch noch Speer und Dolch. Jedoch werden wir uns zuerst die Schwerter näher betrachten."


    Maro reichte Minor das Übungs-Spatha, zum einen, damit der Flavier die beiden Modelle vergleichen konnte, zum anderen um zu sehen, ob noch etwaige Ermahnungen im Hinblick auf den sicheren Umgang mit Waffen nötig sein sollten. Es sollte möglichst wenig Leichtfertigkeit bei Minor vorhanden sein, wenn sie zum Praxisteil übergingen.
    "Fallen dir zu diesem Teil Fragen oder ähnliches ein?"

  • Das Lob des Instrukteurs schmeichelte dem jungen Flavius, was ihm ein superbes Lächeln entlockte, ehe sein Blick angesichts der obskuren Warnung, sich der Waffe nicht gleich einem Ball zu bedienen, irritiert gefror, da es dem Jüngling, welcher selbst das Ballspielen detestierte, niemals in den Sinn wäre gekommen, ein dergestalt unförmiges Objekt wie ein Gladius gen Gegner zu schleudern.


    Dennoch nickte er knapp und konzentrierte sich sodann auf die nächsten Explikationen. Als dann ein weiteres Schwert aus dem Sack des Optios gezogen wurde, erschien selbiges mit Ausnahme der Länge der Klinge überaus similär, doch offenbarte das Ergreifen und bedächtige Schwingen der Waffe sodann recht klärlich, dass es die kleinere Variante nicht lediglich an Länge, sondern ebenso an Gewicht übertraf und ob der differenten Verhältnisse auch eine andere Balancierung aufwies, welche dem Kampf vom Rücken des Pferdes entgegenkommen mochte. Manius Minor indessen vermochte nicht zu imaginieren, wie er hoch zu Ross, wo bei hoher Velozität bereits das Wahren der Kontrolle über das Tier seiner höchsten Konzentration bedurfte, auch noch einem possiblen Gefecht seine Appetenz sollte erweisen.


    Da selbiges jedoch am Anfang einer Ausbildung zweifelsohne ein unkluges und zumal unnützes Geständnis darstellte, sah er von weiteren Fragen ab und schüttelte den Kopf.

  • "Nun gut." Maro würde das Verständnis seines Schülers nach der Theorie mit ein paar Fragen auf die Probe stellen.
    "Schauen wir uns also einen vorerst letzten theoretischen Aspekt an. Das Kurzschwert im Kontext der Kampfausrüstung des römischen Soldaten."


    Es war eine Sache wunderbar mit einer Klinge umgehen zu können, allerdings waren tiefere Kenntnisse der Ausrüstung elementar, wenn man sich tatsächlich in eine bewaffnete Streitmacht begeben wollte.
    Maro wandte sich ein letztes Mal dem Sack zu, holte als letzten Gegenstand ein römisches Kettenhemd heraus und hängte dies zu Helm und Schild auf den Pfahl.
    Da dies die ganze Zeit so gut funktioniert hatte, blieb Maro bei den offenen Fragen, die Minor die Gelegenheit geben sollten, die Gegenstände aus allen möglichen Blickwinkeln genau zu betrachten.
    "Beschreibe mir, was du siehst. Was auch immer dir auf- und einfällt" verlangte Maro und deutete auf Schild, Helm und Kettenhemd.

  • Noch immer begann nicht der fatiguierliche Teil der Ausbildung, denn neuerlich präsentierte der Octavius neue Ausrüstungsgegenstände, während der Jüngling noch zwei Schwerter in Händen hielt. Jenes Equippement gewahrte ihn sogleich seiner heimlichen Reise im Tross der Legio I Traiana, welche er als Knabe während des Bürgerkrieges hatte verlebt, wo ebenso wie heutig er juvenilen Eifer für das Vaterland, ja eine inextinguible Begierde nach Pflichterfüllung hatte verspürt, welcher deplorablerweise damalig keine Satisfaktion geschehen war. Jahre waren seither verflossen, doch drängte es ihn auch heutig, sein Vermächtnis zu erfüllen, weniger um die Unzulänglichkeiten seines Vaters zu cachieren, als vielmehr um sein eigenes Schicksal zu salvieren. Diesmalig indessen versprach seine Situation ihm größeren Erfolg, weshalb er konzentriert die Augen zusammenkniff, um ein schärferes Bild jenes Materials zu gewinnen, und endlich erwiderte:
    "Dies sind ist die defensive Ausrüstung eines Legionarius, die Lorica Hamata, eine Kettenrüstung der Legio, die Cassis, der Helm, sowie das Scutum, der große Schild.
    Erstere wird alternativ zur Lorica Segmentana getragen und schützt den Torso des Miles. Die Schulterstücke scheinen mir jene Partien zu verstärken, welche durch das Scutum nicht recht zu schützen sind. Selbiges übertrifft die Schilde der meisten Barbarenvölker an Größe, ermöglicht einer Formation jedoch die effektive Produktion einer Schutzmauer gegen feindliche Einwirkung, insonderheit in Form der Testudo, wo die Milites ebenso gegen Geschosse protektiert sind."

    Onkel Aristides hatte bisweilen von dem imposanten Drill der Legionäre berichtet, welche selbiger ebenso in zahllosen Schlachten hatte zur Anwendung gebracht, während der junge Flavius Dergestaltes niemalig mit eigenen Augen hatte erblickt.
    "Die Cassis schützt ebenso das Haupt des Miles und ist an der Stirne durch einen addierten Schild verstärkt, zweifelsohne um besseren Schutz gegen frontale Hiebe zu gewähren.
    Gemeinsam mit den übrigen Objekten erscheint mir alles überaus klug abgestimmt, um dem Kämpfer maximale Protektion zu bieten."

    Dass er jenes umfangreiche Rüstwerk auch für überaus schwerfällig erachtete, da selbst seine infantile, lederne Version, welche er als Knabe im Spiele hatte getragen, ihm lediglich für eine Weile Freude hatte bereitet, ehe er sich ob der Limitierung seiner Bewegungsfreiheit wie der Last ihres Gewichtes ihrer wieder ledig zu machen genötigt gewesen war. Dennoch blieb, so man den Schwertarm und die Füße des Legionäres exkludierte, kaum eine Körperpartie ungeschützt, was zweifelsohne im Gefecht einen indispensablen Vorteil darstellte, so man über hinreichende Kraft verfügte, sich in jener Menge an Stahl leichtfüßig zu bewegen.

  • Maro nickte immer wieder zustimmend, während Minor sprach. Offensichtlich war bei seinem Schüler ein gewisses Grundwissen über die Rüstung vorhanden, so wie es schon beim Gladius gewesen war. Sowohl visuell als auch vom Sinn und Zweck her hatte er die Ausrüstung richtig erfasst.


    "Wenn du dir nun diese Ausrüstung in ihrer Gesamtheit, das heißt auch mit Kurzschwert im Sinn, betrachtest: Wo siehst du die Stärken und die Schwächen, die diese Gerätechaften einzeln und im Zusammenspiel besitzen?"

  • Der Jüngling legte die jugendliche Stirn in Falten, als er den Octavius ein wenig unschlüssig fixierte. Augenscheinlich war seine Replik insuffizient ausgefallen, doch war ihm das Lehrziel jener sokratischen Methode unbewusst.
    "Nun, die Rüstungsteile ergänzen sich in komplementärer Weise, wie ich bereits sagte-"
    , rekapitulierte er daher etwas insekur und begann endlich ins Blaue hinein zu fabulieren:
    "Der Gladius erscheint womöglich als adäquate Waffe zu jener umfänglichen Panzerung, da die erwähnte Fechtmethode mit diesem keines großen Raumes bedarf, welchen das Scutum nicht gewährt. Unter Umständen offeriert jener Schild gar die Option, die Direktion des Stoßes zu verbergen, um das Überraschungsmoment zu erhöhen-"
    Er blickte zurück zu der Gesamtheit der Ausrüstung und wagte schließlich, auch seinen Bedenken Ausdruck zu verleihen:
    "Negativ an einem dergestalten Equippement erscheint mir das große Gesamtgewicht und die Einschränkung der Beweglichkeit durch das gesamte Rüstwerk. Zwar genießt man umfassenden Schutz, doch ist dieser Schutz durch großen Kraftaufwand erkauft."

  • Wiederum nickte Maro zustimmend.
    "Sie ergänzen sich in komplementärer Weise. Man könnte auch sagen, sie bilden eine harmonische Einheit. Aufeinander abgestimmte Komponenten, die sich zu einem funktionierende Ganzen zusammen fügen. Eine solche Durchdenkung der Zusammenstellung von Ausrüstung und Waffen sieht man in der bekannten Welt wohl nicht oft. Die meisten Völker scheinen eher zu dem zu greifen, was an Bewaffnung und Ausrüstung gerade herum liegt."


    Bei den negativen Seiten, die Flavius an der Rüstung festgestellt htte, konnte Maro nicht umhin, ein leichtes Lächeln von seinen Lippen zu verscheuchen.


    "Dieser umfassende Schutz von dem du sprichst: Sehen wir uns doch die schützenden Teile an und was sie schützen. Oder viel mehr nicht schützen. Wir haben Helm, Torsopanzerung und Schild. Was fehlt, ist eine Panzerung der Extremitäten. Zu Gusten von Mobilität wird auf eine weitere Panzerung verzichtet. Wenn du dir den Helm anschaust, so besitzt er keine Schutzvorrichtung, die das Zentrum des Gesichts oder die Augen schützen würde, damit die Orientierung auf dem Schlachtfeld nicht verloren geht. Es gibt noch einige Lücken in der Verteidigung des Soldaten und glaube mir wenn ich behaupte, dass einem Soldaten im Kampf der Schutz gar nicht umfassend genug sein kann.
    Wenn du keine Fragen oder Anmerkungen mehr hast, beantworte mir doch noch eine letzte Frage, bevor wir zum praktischen Teil übergehen: Nehmen wir an, du müsstest in einen Kampf und du hättest gerade genug Zeit außer deinem Schwert noch genau ein anderes Ausrüstungsteil zu greifen und anzulegen. Welches würde das sein?

  • Neuerlich ward dem jungen Flavius ein Exempel römischer Superiorität präsentiert, welches der Jüngling mit einem knappen Nicken akzeptierte, zumal es ihm an adäquater Kenntnis alternativer Kriegstrachten gebrach, um etwaig die parthischen Kataphrakte oder germanischen Berserker den Worten seines Instrukteurs entgegenzusetzen.


    Doch ohnehin kam Octavius rasch auf die Defensive zu sprechen und verwies auf die recht augenscheinlichen, doch wenig beachtlichen Mängel des Staffur, obschon der Jüngling zu konzedieren hatte, dass die Cassis des Legionärs dem geschlossenen Helm eines Murmillos schon ob der klimatischen Verhältnisse in seinem Inneren in der Tat vorzuziehen war.


    Die finale Frage, ehe es nun endlich an die Praxis gehen sollte, beantwortete Manius Minor schließlich ohne zu Zögern:
    "Das Scutum!"
    Geradehin leicht offensichtlich erschien dem Jüngling jene Replik, dennoch beschied er nach kurzem Zögern, eine Explikation nachzuliefern, um dem theoretischen Impetus des vorliegenden Ausbildungsabschnitt gerecht zu werden:
    "Es erlaubt durch seine Mobilität eine Defension sämtlicher Körperpartien, sodass es, konträr zu den übrigen Rüststücken nahezu jedes der übrigen ersetzen kann."
    Dass es die größte Belastung an Gewicht darstellte, erschien angesichts dieses Vorteiles geradehin marginal.

  • Die Schnelligkeit mit der Minor seine Frage beantwortet hatte verblüffte Maro. Und darin lag wahrscheinlich auch die Schwäche dieser Antwort begründet. Trotzdem war Maro zufrieden, dass der Flavius so praktisch dachte.


    "Das Scutum, jaja. Keine schlechte Idee. Deine Argumentation mag hier in diesem wunderbar friedlichen Innenhof sehr logisch und vernünftig klingen. Der Schild bietet dir viel Schutz am ganzen Körper. Bloß am wichtigsten Körperteil überhaupt ist der Schutz des Schildes mangelhaft. Am Kopf. Das gilt für das zugegeben etwas unhandliche Scutum im Besonderen. Man kann nicht kämpfen und es gleichzeitig ständig über den Kopf halten. Aber der Kopf ist gleichzeitig das schützestenswerte Körperteil überhaupt. Wenn der Kopf etwas abkriegt bist du meistens mehr oder weniger direkt hinüber. Ergo: Das elementarste Rüstungsteil, auf das ein Soldat, der überleben möchte nicht verzichten darf, ist der Helm.
    Widerspruch?"


    Während Maro darauf wartete, ob Minor noch etwas an seinen Ausführungen auszusetzen hatte, ging er schon mal den Ablauf den er für den ersten Teil des praktischen Teil geplant hatte im Kopf durch. Maro hatte den Verdacht, dass diese Praxis weit unangenehmer verlaufen würde als die Theorie. Für Minor jedenfalls.

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