In den Auenwäldern des Rhenus - Arwids Lager

  • Südlich von Mogontiacum mäanderte der Rhenus durch sumpfige und dichte, urwaldähnliche Auenwälder. Der Fluss verlief in vielen Windungen und wechselte dabei häufig sein Bett. Dadurch entstanden Inselchen und Altwasser. Nur Schiffe und Boote mit geringem Tiefgang waren geeignet, um den Hauptkanal zu befahren. In die unwegsamen sumpfigen Flussauen trauten sich nicht sehr viele Menschen hinein, was nicht alleine nur an den kleinen blutgierigen Plagegeistern, den Stechmücken lag, die schlüpften, sobald es wärmer wurde. Nein, dieser Wald schien verwunschen zu sein.


    Der von Ochsen gezogene Wagen war ein ganzes Stück auf der Straße gen Süden gefahren. Aber irgendwann hatte er die Straße verlassen und steuerte direkt auf die Auenwälder des Rhenus zu. Der Weg wurde immer unwegsamer, bis schließlich der Wagen in dem sumpfigen Boden stecken blieb. Von dort aus mussten Arwid und seine Begleiter zu Fuß weiter. Sie hatten die Ochsen abgespannt und trieben sie vor sich her. Von der Ladung nahmen sie so viel mit, wie sie tragen konnten. Die Frau, die sie in Mogontiacum entführt hatten, befreiten sie aus dem Sack, in dem sie bis dahin gesteckt hatte. Auch sie sollte einen Teil der Ladung tragen.
    Einer von Arwids Männern hatte bereits den ganzen Nachmittag am rechten Ufer des Rhenus ausgeharrt, und auf den Anführer gewartet. Ein Kahn stand bereit, der die Ladung und Arwids Begleiter zum anderen Ufer bringen sollte, dort wo bereits die anderen angekommen waren. Bei ihrem Eintreffen am frühen Abend, wurden Ygrid und Arwid freudig begrüßt, Othmar, aber besonders die Frau in der römischen Kleidung, wurden zunächst misstrauisch beäugt.
    Die Männer hatten über Tage damit begonnen, mit Zweigen, Ästen Rinde und was ihnen sonst noch zur Verfügung stand, einfache Hütten zu bauen, die sie hauptsächlich vor der Witterung schützen sollten. Zwei seiner Männer hatten bereits die Umgebung ausgespäht und dabei einiges entdeckt. Es gab sehr viel zu erzählen. Doch zunächst bezogen die Neuankömmlinge ihre Quartiere. Thula brachte man auf Arwids Geheiß in seine Hütte.
    Als sie eintrat, bat er sie, sich zu setzen. Arwid versuchte freundlich zu sein, obwohl sein 'Gast' wahrscheinlich alles andere als froh war, hier zu sein."Möchtest du mir deinen Namen verraten?"

  • Ich hatte Todesängste ausgestanden. Wenn ich etwas mehr Mut gehabt hätte, dann hätte ich lauthals um Hilfe geschrien. Aber dann wäre ich sicher schon längst tot gewesen. Innerhalb von wenigen Stunden hatte sich alles geändert. Diese Mistkerle hatten mich entführt. Sie hatte mich einfach aus meinem Leben herausgerissen und je länger ich darüber nachdachte, wurde mir immer klarer, dass man in Mogontiacum glauben musste, dass ich abgehauen war. Na klar, ich hatte Amir zurückgeschickt und wenn es dumm lief, hatte auch niemand beobachtet, wie sie mir diesen Sack über den Kopf gezogen hatten. War nur die Frage, wie schnell sie mein Verschwinden bemerkten!


    Als sie mich endlich nach einer gefühlten Ewigkeit aus dem Sack herausließen, taten mir alle Knochen weh. Mein Kopf fühlte sich an, als ob er gleich platzen müsste. Ich blinzelte. Meine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an die Helligkeit wieder gewöhnt hatten. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Hier gab es nur Wildnis und es roch modrig. Sofort begann ich lautstark zu protestieren, was mir allerdings nicht viel nützte. Drei gegen eine, ich hatte keine Chance gegen die. Außerdem hatten die Drei Messer. Sie trieben mich zum Wasser und dabei musste ich auch noch einen von ihren Säcken schleppen. Mit einem Kahn überquerten wir den Fluss. Auf der anderen Flussseite waren noch mehr von der Sorte, wie die, die mich entführt hatten. Einer von ihnen, ein Hüne mit blonden zottligen Haaren packte mich und brachte mich zu dem Kerl, der mich in Mogontiacum entführt hatte und der anscheinend auch so eine Art Anführer war. Alle nannten ihn Arwid, das musste sein Name sein. „Hey, was soll das? Was wollt ihr von mir? Lasst mich sofort wieder frei!“, schrie ich wieder und schnaubte vor Wut. Ich musste auf dem schnellsten Weg wieder zurück! Arwid beeindruckte das aber recht wenig. Stattdessen meinte er, ich sollte mich setzten. Aber wohin? Auf den Boden etwa? Ich zog mein Mantel aus und breitete ihn vor mir aus, damit ich mich setzen konnte. Dann strich ich über meine Tunika und über den Armreif, den mir Massa am Abend zuvor geschenkt hatte. Verdammter Mist, dachte ich verzweifelt. Was wird er nur von mir denken? Ich hätte heulen können, aber ich tat es nicht. Verbittert presste ich meine Lippen aufeinander. „Thula ist mein Name. Und möchtest du mir jetzt verraten, warum ihr mich entführt habt?“ Ich war weitaus weniger gelassen, als mein Gegenüber.

  • Arwid konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als man Thula keifend und zeternd zu ihm brachte. Eine ganze Weile ruhte sein Blick auf ihr, ehe er etwas entgegnete. Dabei musterte er sie von Kopf bis Fuß. Das rotbraune hochgesteckte Haar, die römische Tunika, die ihren schlanken Körper bedeckte, der Mantel, auf dem sie saß und ja, da war noch dieser goldene Armreif, den sie trug. Ihre Kleidung wirkte zwar einfach, jedoch war sie aus hochwertigen Stoffen hergestellt. Arwid fragte sich, wer Thula eigentlich war. Nun es gab nicht viele Möglichkeiten, wenn sie tatsächlich aus der Castra herausspaziert war, so wie es Othmar berichtet hatte. Doch je länger er sie sich anschaute, kam er zur Überzeugung, dass sie wohl doch eher eine Sklavin war. Nachdem sie ihm ihren Namen verriet, war er sich ziemlich sicher. Thula! Ein ungewöhnlicher Name. Lass mich raten, du bist eine Sklavin? Weiterhin ruhten Arwids Blicke auf Thula, um jede ihrer Regungen einzufangen. Vollkommen unerwartet ergriff er dann ihren Arm und streifte ihr den goldenen Armreif ab. Er wog ihn eine Weile in seinen Händen und stellte fest, dass er schwer war. Dann betrachtete er ihn genauer. Er sah noch ziemlich neu aus. Er konnte keinerlei Gebrauchsspuren daran entdecken. Dann fiel ihm die Gravur auf der Innenseite auf. "DOMINUS SUAE ANCILLAE", las er laut vor. Jedoch kam er nicht umhin, sich vorzustellen, wofür sie diesen Armreif erhalten hatte.
    Kurze Zeit später wandte er sich ihr wieder zu. "Ich kann dir versichern, wir wollen dir nichts Böses. Ganz im Gegenteil! Du bist jetzt keine Sklavin mehr! Von heute an bist du frei!" Er strahlte sie an. Diese Ansage musste doch etwas bei ihr bewirken. Vielleicht schloss sie sich ihnen ja auch an. "Du musst uns nur einen Gefallen tun. Glaube mir, es ist nichts Schlimmes!", beschwichtigte er Thula. "Du musst mir nur ein paar Fragen beantworten, mehr nicht! Zum Beispiel, wer ist der Dominus, der dir den Armreif gegeben hat?" Dabei hielt er ihr wieder den Armreif entgegen, damit sie ihn sich wieder nehmen konnte. Er war aus Gold und die einzige Sache von Wert, die sie bei sich trug. Thula konnte ihn verkaufen. Sie sollte nicht denken, dass man sie hier bestahl oder ihr sonst etwas antun wollte.

  • Ich wusste echt nicht, was es da zu grinsen gab! Dieser verdammte Dreckskerl, jetzt starrte er mich auch noch an. „Hey, was glotzt du so? Noch nie ne Frau gesehen, oder was!“ Aus meiner Verzweiflung war richtige Wut geworden. Erst recht, als er weiterhin schwieg und dabei nicht seine verdammten Augen von mir lassen konnte. „Na, was ist jetzt, hä!“, grummelte ich weiter.


    Endlich kamen dann doch ein paar Worte. Allerdings nicht unbedingt das, was ich hören wollte. Naja, auf jeden Fall stand fest, dass er eins und eins zusammenzählen konnte, als er schlussfolgerte, ich müsse eine Sklavin sein. „Schlaues Bürschchen! Na und? Hast du ‘n Problem damit?“ Kaum hatte ich das gesagt, machte er sich an meinem Armreif zu schaffen und nahm ihn sich einfach. Das ging so schnell, so dass ich kaum angemessen darauf reagieren konnte. „Hey, gib mir den sofort wieder! Hörst du! Der gehört mir!“ Aber darauf konnte ich lange warten. Er beachtete gar nicht meinen Protest, sondern schaute sich den Schmuck in aller Ruhe an. Ich war dann doch sehr überrascht, als er die Gravur vorlas. Dass der Kerl lesen konnte, hätte ich ihm nicht zugetraut!


    Aber das Beste kam dann noch! Allen Ernstes wollte er mir weis machen, er und seine Kumpane wollten mir nicht Böses und ich sei ja jetzt sowieso frei. In welcher Welt lebte der eigentlich? „Na prima! Dann kann ich ja jetzt auch wieder gehen!“, rief ich. Ich wollte schon aufstehen, als dann der Haken kam. Ein Gefallen? Aushorchen wollte mich! Wozu sollte das denn gut sein? Sah ich etwa aus, als ob ich was Besonderes wäre und total viel wüsste? Und wenn ja, worüber? Wie man einen Haushalt führte oder die Bude auf Vordermann brachte? Aber dann begriff ich, wohin der Hase lief! „Mein Dominus? Das geht dich überhaupt nichts an!“ Wenigstens gab er mir meinen Armreif wieder zurück, den ich dann auch gleich wieder an meinen Arm zog. „Was macht ihr hier überhaupt? Ihr seid doch nicht von hier, oder?“ , wollte ich dann mal zur Abwechslung wissen. Wobei sich Arwid schon ein wenig von den anderen Männern da draußen unterschied. Zwar trug er auch eine ähnliche Kleidung, aber er machte einen wesentlich gepflegteren Eindruck.

  • Arwid ließ sich von seinem aufgebrachten Gast nicht reizen. Er konnte sogar ihre Empörung nachvollziehen. Die Umstände ihrer Entführung mussten für sie alles andere als angenehm gewesen sein, dessen war er sich bewusst. Doch sie waren notwendig gewesen. Er musste versuchen, sie von seiner Sache zu überzeugen. Da sich seine Vermutungen bestätigten, wähnte er schon recht bald am Ziel zu sein. Dafür war er sogar bereit, etwas über sich preiszugeben. "Nein, ganz sicher nicht. Ich weiß, was es heißt, Sklave zu sein." Mitfühlend lächelte er ihr zu. Dies gehörte alles zu seiner Strategie. Was ihn allerdings irritierte, war ihr Verhalten, als er ihren Armreif genommen hatte. Dieser Schmuck, denn ganz offensichtlich war er das für sie, hatte eine Bedeutung für sie. Auch ihre Reaktion als er ihr sagte, sie sei jetzt frei, ließ sie vollkommen kalt.
    "Tut mir leid, aber wir können dich nicht gehen lassen! Noch nicht. Wo wolltest du denn auch hingehen? Etwa zurück?" Er hatte ihr die Möglichkeit offeriert, ein neues Leben in Freiheit zu führen und sie lehnte es einfach ab? Ebenso zeigte sie kein Interesse, mit ihm und seinen Leuten zu kooperieren. Keine Frage, hier musste mehr im Spiel sein!
    "Othmar und Neidhart, die beiden Männer, die dich in Mogontiacum angesprochen haben, berichteten mir, du seist aus der Castra herausgekommen. Stimmt das? Dein Dominus ist einer der höheren Offiziere, nicht wahr?" Angesichts der hochwertigen Kleidung die sie trug und dem goldenen Armreif konnte es eigentlich nur so sein. Wieder betrachtete er sie eine Weile schweigend. "Du empfindest etwas für deinen Dominus, stimmts? Obwohl er dich zu seiner Hure gemacht hat? Nein, du versprichst dir etwas davon! So ist es doch, nicht wahr?" Die Stimme des Germanen wirkte weiterhin ruhig, als wäre dies eine ganz normale Unterhaltung. Im Prinzip sollte es auch so sein. Arwid hätte auch andere Mittel anwenden können, wenn dies ein Verhör gewesen wäre.
    "Was wir hier machen? Wir wollen den Besatzern zu verstehen geben, dass sie hier nichts zu suchen haben." Seine persönlichen Gründe ließ er zunächst einmal außen vor.

  • „Ach echt?“ Na das war ja jetzt mal eine Neuigkeit! Daher vielleicht auch das gepflegte Aussehen. Das war mein erster Gedanke. „Und hat man dich freigelassen?“ Allerdings vermutete ich eher das Gegenteil! Na toll! Und ich mittendrin! Tja, und das mit der Freiheit war auch nur so im übertragenen Sinne dahergeredet. Denn wenn ich wirklich frei gewesen wäre, hätte er mich ja auch gehen lassen können. Und wo wäre ich dann hingegangen? „Na klar, wohin denn sonst! Hör mal, ich weiß ja nicht ob du´s schon wusstest, aber die stellen schlimme Dinge an, mit Sklaven die einfach abhauen! Und ehrlich gesagt, hatte ich nicht vor, am nächsten Kreuz zu enden oder mit der Brandmarkung „fugitiva“ durch die Gegend zu laufen. Also gehe ich logischerweise wieder zurück und hoffe, dass er nicht ganz so arg sauer auf mich sein wird!“ Der Kerl konnte mir ja viel erzählen! Blöd war ich ja nun auch nicht.
    Natürlich war es mir so klar, dass er weiter bohren würde, um herauszubekommen, wer mein Dominus war. Ein einfaches ‚geht dich nichts an‘ reichte ja nicht! „Ja, kann schon sein,“ meinte ich gelangweilt. Echt, wieso wollte er das den wissen? Hing davon der Erfolg seiner irrwitzigen Mission ab, oder was? Aber was dann kam schlug dem Fass den Boden aus! „Was? NEIN! Ich bin nicht seine Hure, du unverschämter Kerl! Das mit Massa und mir ist was völlig anderes! Und überhaupt, das geht dich einen feuchten Kehricht an!“ Aber was wusste der schon davon! Ehrlich, ich war mit meinem Leben zufrieden, so wie es gerade lief. Und ich hatte keine Lust, von irgend so einem dahergelaufenen Pseudo-Erlöser befreit zu werden.
    „Mannomann, Respekt! Mit ner Handvoll Leuten gegen ein ganzes Imperium! Dazu gehört schon Mut! Ihr seid sicher alle lebensmüde.“ Jetzt begriff ich, dass ich so richtig in der Scheiße gelandet war. Fanatiker waren ja die Schlimmsten! Ich musste hier weg! Irgendwie. So schnell, wie möglich...

  • Thulas Frage ließ er unbeantwortet. Bei Zeiten, wenn zwischen ihnen das Vertrauen gewachsen war und er sichergehen konnte, wo genau sie stand, wollte er ihr mehr über sich erzählen. Sollte sie sich nur ihre Gedanken machen, wenn sie wollte. Denn dass tat sie ganz bestimmt. Arwid musste einsehen, dass es ihn noch etwas mehr Überzeugungsarbeit kostete, bis er sie auf seiner Seite hatte.
    "Ich zweifle nicht an, dass du Recht hast, aber bedenke, du könntest ein freies Leben jenseits des Limes führen." Zum Beispiel mit ihm. Denn was war das Grundbedürfnis eines Mannes? Wonach sehnte sich Arwid am meisten? Nach einem Zuhause, wo er leben und eine Familie gründen konnte. Inwieweit Thula dafür die Richtige war, konnte er im Augenblick gar nicht beantworten. Dafür kannte er sie zu wenig. Temperamentvoll war sie. Das gefiel ihm. Aber ansonsten?
    Er hatte offenbar mit seiner Fragerei einen wunden Punkt getroffen. Besser er beließ es dabei. Zu einem späteren Zeitpunkt konnte er noch weiter fragen. Außerdem hatte sie ihm durch ihr Schweigen doch schon einiges unabsichtlich preisgegeben.


    "Man kann einen Riesen auch dann in die Knie zwingen, wenn man ihm lange genug kleine Wunden zugefügt hat.", erklärte er und beließ es aber auch damit. Fürs Erste war das alles, was alles, was er mit seinem Gast besprechen wollte. "Ich denke, das genügt erst einmal. Du kannst nun gehen. Natürlich darfst du dich im Lager frei bewegen. Aber hüte dich davor, fliehen zu wollen. Meine Männer werden Mittel und Wege finden, das zu verhindern." Damit entließ er Thula. Sein Interesse galt nun mehr den beiden Spähern, die die Umgebung bereits erkundet hatten.

  • Äh ja, ich war jetzt nicht wirklich schlauer geworden. Er hatte einfach meine Frage ignoriert. Obwohl mich das jetzt brennend interessiert hätte. Stattdessen erzählte er mir irgendwas von einem freien Leben hinter dem Limes. Also mitten in der Wildnis! Nein danke! Davon träumte ich nicht mal in meinen schlimmsten Alpträumen! Ich empfand das hier in diesem Wald schon als Zumutung! Da blieb ich doch lieber Sklavin und genoss die Annehmlichkeiten meines bisherigen Lebens. Denn mal ganz ehrlich, es ging mir doch gut! Und seitdem ich bei Massa war, ging es mir sogar richtig gut! Naja, einen Kommentar verkniff ich mir dann. Schließlich wollte ich ihm nicht die Illusion nehmen. Ich merkte sowieso, dass er mich los werden wollte. Das konnte mir nur recht sein! Allerdings fragte ich mich, von welchen kleinen Wunden er sprach? Besser ich fand es schnell selbst heraus und ersuchte dann von hier fortzukommen!
    „Ja klar, ich werde nicht abhauen. Ehrlich nicht! Ich habe ja keinen blassen Schimmer, wo ich überhaupt bin.“ Solange war ich ja nun noch nicht hier und von den örtlichen Verhältnissen hatte ich keine Ahnung. Ich erhob mich, zog meine Paenula wieder über und verließ die Hütte.


    Draußen wurde ich erst mal von allen ziemlich skeptisch beäugt. Die meisten von denen verstanden mich nicht und ich verstand nicht, was sie sagten. Also nicht die besten Voraussetzungen für eine gelungene Kommunikation.
    Sobald ich an den Rand des Lagers kam, trat mir einer von Arwids Männern entgegen und ließen mich mit eindeutigen Gesten wissen, dass ich keinen Schritt weiter tun sollte. Also entschied ich mich, einigen Frauen beim Bau einer Hütte zu helfen. Schließlich wollte ich in der kommenden Nacht nicht unter freiem Himmel kampieren.

  • Kurz nachdem Thula die Hütte verlassen hatte, traten Einar und Marwig ein. Die beiden hatten kurz nach ihrer Ankunft in den Auenwäldern die Umgebung zu Pferd erkundet. Die beiden hatten einiges zu berichten, was ihren Anführer mit Sicherheit sehr interessierte.
    Arwid hatte sich etwas vom selbstgebrauten Bier bringen lassen, das er nun seinen beiden Männern anbieten konnte. Gemeinsam saßen sie da und tranken erst einmal. Er war schon ganz gespannt darauf, zu erfahren, was die beiden gesehen hatten. "Auf unserem Erkundungsritt haben wir ein Dorf in südwestlicher Richtung entdeckt, dann kamen wir noch an dem Hof eines Schweinebauers vorbei, der nur wenige Leuga in westlicher Richtung liegt. Noch etwas weiter im Hinterland haben wir einen römischen Gutshof, der auf eine Anhöhe gelegen ist, gesehen. Etwa drei oder vier Leuga nördlich von uns gibt es ein römisches Militärlager. Die Leute die wir trafen, nannten es Buconica." Marwig wandte sich an Einar, der bisher geschwiegen hatte. Vielleicht konnte er noch einige Anmerkungen anfügen.
    "Aufgrund dieses Militärlagers in unmittelbarer Nähe, sollten wir uns sehr vorsichtig und vor allen Dingen besonnen verhalten. Und was den Schweinebauer angeht, sollten wir ihm einen Besuch abstatten. Man hat uns gesagt, der Mann sei Germane. Vielleicht kann er uns ja unterstützen. Um ehrlich zu sein, ein Schweinsbraten wäre eine willkommene Abwechslung gegenüber dem mageren und zähen Zeug, was wir in letzter Zeit gejagt haben." Arwid nickte bedächtig. "Da stimme ich dir zu Einar! Ich finde, das sollten wir heute Abend in gemeinsamer Runde besprechen!" Arwid nahm noch einen großen Schluck, bevor er den beiden berichtete, was er und Ygrid alles erlebt hatten."Auf dem Weg nach Mogontiacum haben wir Othmar aufgegabelt. Eigentlich war noch ein anderer Mann mit ihm unterwegs. Ein junger Hitzkopf namens Neidhart. Allerdings hat er uns in kurz vor der Abreise aus der Stadt wieder verlassen." Arwid verstand immer noch nicht, weshalb er nicht mit ihnen gekommen war.
    "Und was ist mit diesem Weibstück, das ihr mitgebracht habt?" Einar war sie sofort aufgefallen, da sie ganz und gar nicht zu ihnen passte. "Du meinst Thula? Sie ist eine Sklavin, die wir in Mogontiacum entführt haben. Othmar hatte beobachtet, wie sie aus der Castra kam. Wahrscheinlich war sie die Sklavin eines der höhocht nicht sehr kooperativeren Offiziere. Wir dachten, vielleicht könnten wir durch sie an einige Informationen kommen. Allerdings ist sie im Augenblick nicht sehr kooperativ. Aber das kann sich noch ändern. Ich werde sie im Auge behalten und sie bei nächster Gelegenheit noch weiter befragen." Arwid war in dieser Hinsicht sehr optimistisch. Wenn die Sklavin erst einmal den Geschmack von Freiheit genossen hatte, würde alles ein Kinderspiel sein. "Ach Einar, könntest du Ygrid bitten, sich um unseren Gast zu kümmern? Sie soll sie möglichst nicht aus den Augen lassen!" Thula hatte zwar versrochen, nicht fliehen zu wollen, jedoch tat er sich schwer, ihr zu vertrauen. Das lag nicht zwangsläufig an ihr, sondern an der Tatsache, dass er glaubte, nur sich selbst wirklich vertrauen zu können. Einar nickte. Er würde gleich seiner Schwester Bescheid sagen.

  • Diese Fremde war ihr von Anfang an suspekt gewesen. Das lag nicht nur daran, dass sie nicht verstand, was sie sagte. Auch sonst empfand sie diese Frau als hochnäsig und eingebildet. Sie glaubte, sie sei was Besseres. Dabei war sie nur eine Sklavin! Umso mehr fiel Ygrid aus allen Wolken, als ihr Bruder ihr Arwids Wunsch vortrug, diese Frau nicht aus den Augen zu lassen. Warum ausgerechnet sie? Aber sie fügte sich, ohne Einar eine Szene zu machen. Sie tat es, weil Arwid es so wollte. Seitdem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wollte sie ihm gefallen, damit er sie wahrnahm, als das, was sie war. Nicht als Einars kleine Schwester, nein als eine junge Frau, die dazu bereit war, ihm ihr Herz zu schenken. Vielleicht war das ihre Chance.


    Ygrid trat aus ihrer provisorischen Unterkunft heraus und sah sich nach der Fremden um. Sie hatte sich zu einigen Frauen gesellt, die noch dabei waren, die letzten Unterkünfte zu bauen. Missmutig machte sie sich auf den Weg dorthin. Sie hatte nicht ihr Zuhause verlassen, um hier nun mit den Frauen zu arbeiten. Aber sie hatte keine Wahl. Denn wenn sie da sein wollte, wo Arwid war, musste sie sich erst beweisen. Dann war es kein Traum mehr, sie würde an seiner Seite in den Kampf ziehen. Zuerst aber musste sie zum Schatten der Fremden werden. Ganz sicher würde sie ihr Bestes geben, wenn nur Arwid sie endlich bemerkte.


    Sie griff nach einigen Weideruten und flocht diese in die Streben. Bald entstand so eine weitere Wand für die Hütte. Immer wieder schielte sie zu der Fremden hinüber, die ihr Arbeitstempo gefunden hatte und voll bei der Sache war. Die Aufgabe, die ihr auferlegt worden war, widerstrebte ihr bereits jetzt schon. Dieses Weib hatte etwas, was sie nicht in Worte fassen vermochte. Etwas, dass auch Arwid nicht verborgen geblieben war. Wie er sie angesehen hatte, als sie sie entführt hatten. Dabei sah sie nicht mal besonders hübsch aus.

  • Was ich als notgedrungenen Zeitvertreib angefangen hatte, machte mir mit der Zeit doch auch Spaß. Ich konnte dabei für eine Weile vergessen, dass man mich entführt hatte, dass ich nun irgendwo im nirgendwo festsaß und sogar meine Angst, dass mein Dominus glaubte, ich sei abgehauen, war für kurze Zeit ausgeblendet. Auch wenn ich die Frauen um mich herum nicht verstand, fühlte ich mich bald wie ein Teil von ihnen.


    Irgendwann stieß dann auch die junge Frau (oder sollte ich besser Mädchen sagen?) zu uns, die bei meiner Entführung dabei gewesen war. Sie warf mir einen düsteren Blick zu, warum auch immer. Auch sie begann nun mitzuhelfen. Jedoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie mich beobachtete. Naja, vielleicht bildete ich mir das alles auch nur ein. Daher konzentrierte ich mich auf meine Arbeit.
    Nach einer Weile war die Behausung, wenn man sie denn als solches bezeichnen konnte, fertig. Eine der Frauen kam mit einem tönernen Gefäß, gefüllt mit frischem Wasser an dem wir uns alle laben konnten. Dabei fiel mir wieder der Blick dieses Mädchens auf. Ich entschied mich, den ersten Schritt zu machen, ging auf sie zu und sprach sie an. Ich wusste ja schon, dass sie meine Sprache nicht konnte. Drum deutete ich auf mich und sagte „Thula!“ Gleich darauf deutete ich mit einer fragenden Geste auf sie.

  • Immer wenn sie zu ihr herübersah, versuchte Ygrid ihrem Blick auszuweichen. Als sie aber plötzlich vor ihr stand, war es zu spät, um ihr aus dem Weg zu gehen. Ygrid verstand, was sie ihr mitteilen wollte, schließlich kannte sie ja bereits ihren Namen. Aber aus ihre Gestik schloss sie, dass sie nun auch ihren Namen wissen wollte. Sie überlegte kurz, ob sie sich mit 'einer wie der da' abgeben sollte. Doch dann antwortete sie. "Ygrid." Yigrids Ausdruck hatte sie weder zu einem freundlichen Lächeln entwickelt, noch hatte es den Anschein, als lege sie großen Wert darauf, sich weiter mit Thula abgeben zu wollen. Bestimmt hätte sie einiges von ihr wissen wollen, zum Beispiel wie das Leben unter den Römern denn so war. Einige wenige Eindrücke hatte sie während ihres Aufenthaltes in der Römerstadt sammeln können. Aber das war nur ein kleines Steinchen in einem großen Mosaik. Als sie Thula zum ersten Mal gesehen hatte, waren ihre Haare ordentlich hochgesteckt gewesen. In ihren Kleidern hatte so typisch römisch ausgesehen, genauso wie sie sich immer die Römerinnen vorgestellt hatte. Nicht, dass ihr das gefallen hätte! Ygrid war froh, wieder ihre Hosen tragen zu können. Das unterschied sie von den anderen Frauen, die sich ihnen angeschlossen hatten. Was sie aber letztlich zurückhielt, sich mit Thula zu unterhalten, war die Sprachbarriere.
    Ygrid trank nun auch etwas Wasser. Sie reichte den Becher weiter an Thula. Kurzzeitig verzog sich ihr Gesicht zu einem flüchtigen Lächeln.

  • Nach dem Gespräch mit Einar und Marwig trat Arwid hinaus. Zufrieden konnte er feststellen, dass ihre provisorischen Behausungen fast alle fertig waren. Ebenso erfreute es ihn, dass es Einar gelungen war, seine Schwester dazu zu bringen, sich der römischen Sklavin anzunehmen, die sie mitgebracht hatten. Ygrid und Thula hatten sich augenscheinlich beim Bau einer der Hütten beteiligt. Wie es aussah, beschnupperten sie sich gerade. Gemächlichen Schrittes ging er zu den beiden Frauen. "Wie ich sehe, habt ihr beiden euch bereits bekanntgemacht. Ygrid wird dir von nun an zur Seite stehen. Wenn du etwas benötigst, wende dich an sie." Ihm war zwar bekannt, dass Einars Schwester kein Latein sprach. Aber die beiden würden es schon schaffen, miteinanderauszukommen.


    "Ich würde mich übrigens freuen, wenn du heute Abend mein Gast wärst. Wie ich gerade hörte, ist es meinen Männern gelungen, zwei Wildschweine zu töten." Eine willkommene Abwechslung zu dem üblichen Kleinvieh, welches in letzter Zeit auf ihren Grillspießen gelandet war. Vor allem aber eine weitere Gelegenheit, Thula nochmals zu befragen. Met und Bier würden vielleicht ihr Übriges tun, um ihre Zunge zu lockern.

  • Oha, wenn Blicke töten könnten, dachte ich mir, als sie mich ansah. Zumindest verstand sie, was ich von ihr wollte. Ygrid hieß sie also. Seltsamer Name, aber gut. Sie konnte ja nichts dafür. Mir schien, als läge ihr etwas auf der Zunge, dies jedoch auszusprechen, traute sie sich aber nicht. Wahrscheinlich wäre das sowieso verlorene Liebesmüh gewesen, da ich sie eh nicht verstanden hätte. Ygrids Kleidung wahr sehr ungewöhnlich. Inzwischen hatte ich ja schon mehr Germanen gesehen, als mir lieb sein konnte, aber eine Frau, die Hosen trug, war doch nicht so alltäglich. Als sie mir dann den Becher mit Wasser reichte, war ich dann doch sehr erstaunt. „Danke sehr!“ sagte ich und lächelte ihr zu. Ein Schluck Wasser war jetzt wirklich gut! Auch sie lächelte, wenn man das denn als solches so nennen konnte. Wahrscheinlich verhielt sie sich so, weil sie einfach nur unsicher war.


    Kurze Zeit später trat Arwid zu uns heran. Kaum hatte er den Mund aufgemacht, wurde mir einiges klar! Aha, daher wehte also der Wind! Deswegen hatte die kleine rothaarige Göre anfangs so ein Gesicht gezogen. „Ach das ist sehr freundlich von dir. Wir haben uns gerade bekannt gemacht… so gut es geht,“ entgegnete ich ihm und machte gute Miene zum bösen Spiel. Er hatte also Ygrid zu meiner Aufpasserin bestimmt. Na schön! Das machte die Sache um einiges schwieriger, hier fortzukommen. Seine Einladung hatte er natürlich auch nicht aus reiner Freundlichkeit ausgesprochen. Garantiert bezweckte er etwas damit. Sollte er doch, von mir würde er nichts erfahren! „Ja danke! Gerne! Wildschwein habe ich noch nie gegessen!“ Das erinnerte mich ganz spontan an die Cena, die Massa für die Tribunen gegeben hatte. Da hatte Nelia auch Wildschwein aufgetischt. Das war unser letzter Abend, unsere letzte Nacht gewesen. Verdammt, ich hätte heulen können, weil ich jetzt hier festsaß! Aber nur nichts anmerken lassen, sagte ich mir.

  • Wohlwollend warf er einen Blick zu Ygrid, die seinen Wünschen entsprochen hatte. Sie war wohl doch nicht die die kleine Wildkatze, für die ihr Bruder sie hielt. Anschließend lenkte er erfreut seinen Blick auf Thula, die seine Einladung angenommen hatte. "Dann bis heute Abend!" Daraufhin wandte er sich um und ließ die beiden Frauen alleine.


    ~~~ Am Abend ~~~


    Einige der Frauen hatten über den Tag Reisig und Holz gesammelt. Noch bevor es zu dämmern begann, hatte man eine Feuerstelle gebaut und ein Feuer entzündet. Die Frauen hatten eine Art Grütze gekocht, die dem römischen Puls recht nahekam. Die beiden Wildschweine waren gehäutet und ausgenommen worden und brutzelten nun schon eine ganze Weile über dem Feuer. Ein verführerischer Duft legte sich über das Lager. Nach und nach kamen alle zusammen und nahmen rund um das Feuer Platz. Direkt neben Arwid war ein Platz freigelassen worden. Hier konnte sich Thula niederlassen, sobald sie kam. Arwid hatte Wichtiges zu bereden mit seinen Männern. Nachdem was ihm Einar und Marwig berichtet hatten, musste jetzt ihr weiteres Vorgehen besprochen werden. Der Germane hatte im Grunde schon genaue Vorstellungen, in wie weit sich dies mit denen seiner Männer deckten, sollte sich noch zeigen.
    Während des Essens berichteten Einar und Marwig den Männern was sie alles erkundet hatten. Eine Diskussion, wie sie vorgehen sollten, blieb nicht lange aus. Teils wurde recht laut und derb gestritten.
    Sollten zuerst die römischen Gutshöfe in der Nähe überfallen werden? Die, die unter ihnen in erster Linie auf Profit aus waren, pochten darauf. Einigen anderen war es wichtig, zuerst unter den Einheimischen Verbündete zu suchen, um somit noch mehr Männer zu finden, die an ihrer Seite kämpften. Dieser Schweinebauer, von denen die Späher gesprochen hatten, konnte ein guter Anfang sein. Denn er konnte sie mit frischem Fleisch versorgen.
    Arwid verfolgte lange schweigend die Diskussion. Letztendlich ergriff er das Wort. „Ihr habt recht! Wir brauchen noch mehr Männer! Thorbrand, nimm dir morgen zwei Männer und reite mit ihnen in dieses Dorf. Wir anderen werden Morgen den Schweinebauer aufsuchen. Dann werden wir weitersehen.“ Schon seit sie Mogontiacum verlassen hatten, ließ ihm ein Gedanke keine Ruhe. Wo war das römische Militär? Außer den verschärften Kontrollen am Stadttor, war nichts davon zu spüren, dass sie hier waren. Sie hatten so gut wie unbehelligt den Rhenus überqueren können. Ob dies an den Gerüchten lag, die er in Mogontiacum aufgeschnappt hatte? Vielleicht konnte ihm Thula eine Antwort darauf geben.
    Er wandte sich an seinen Gast und bot ihr an, doch etwas mehr vom Met zu kosten. "Und, hat dir das Wildschwein gemundet?" Dann reichte er ihr einen vollen Becher mit dem Honiggebräu.

  • Ich war natürlich der Einladung gefolgt, denn ich hatte einen Bärenhunger! Und die beiden Wildschweine, die über dem Feuer so dahinbrieten, ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Direkt neben Arwid nahm ich Platz. Wo Ygrid nur abgeblieben war? Seit dem Nachmittag war sie mir auch Tritt und Schritt gefolgt. Aber ehrlich gesagt, vermisste ich sie nicht wirklich.


    Glücklicherweise musste ich mich nicht so lange gedulden, bis man mir eine Portion Puls mit einem Stück Wildschweinbraten reichte. Das war auch gut so, nicht nur weil ich kurz vorm Verhungern stand, auch weil ich keine Ahnung hatte, wovon die Leute um mich herum sprachen. Teilweise wurden einige von ihnen richtig laut, so dass ich manchmal glaubte, ich müsse mir Sorgen machen.
    Neben Wasser wurde auch Bier und Met gereicht. Bier kannte ich natürlich noch aus meiner Zeit in Massilia, doch dieses Met nur aus Erzählungen. Anfangs hielt ich mich nur ans Wasser, doch irgendwann reichte man mir einen Becher mit Bier. Ich probierte und stellte einen bitteren Geschmack in meinem Mund fest, der allerdings nicht unangenehm war. Dieses Bier konnte es gut und gerne mit dem Cervisa aus Massilia aufnehmen!


    Im Laufe des Abends mischte sich Arwid in den Disput ein. Einige erklärende Worte wären jetzt schon hilfreich gewesen, damit ich wenigstens nur kleinen Schimmer davon bekommen hätte, worum es eigentlich ging. Aber darauf konnte ich lange warten.
    Doch dann begann Arwid sich doch noch mit mir zu unterhalten. Er wollte unbedingt, dass ich von diesem Met probierte. Naja, das Bier war ja schon schmackhaft gewesen, dann war dieses andere Zeug vielleicht ja auch ganz genießbar. „Oh ja, das Wildschwein hat ganz vorzüglich geschmeckt!“ Arwid reichte mir den Becher, ich nahm ihn ganz automatisch und führte ihn direkt zum Mund, als ob ich bis jetzt nichts anderes getrunken hätte. „Oh, ist gar nicht so schlecht!“, meinte ich. Der Met schmeckte ganz ungewohnt, aber irgendwie auch gut! Auf jeden Fall schmeckte das Zeug nach mehr! „Sag mal, wovon habt er eben gesprochen? Ich hab überhaupt nix verstanden! Oh Mann, das Zeug ist richtig gut! Warum hab ich das nicht schon früher getrunken?“

  • Der Germane hatte besseres zu tu, als im Laufe des Abends darauf zu achten, wieviel Thula bereits getrunken hatte. Die wenigen Schlucke Met, die sie gekostet hatte, machten sich bei ihr aber schon bemerkbar, wenn er sich nicht irrte. Sie schien ihm plötzlich recht redselig zu sein. Nach ihrer Ankunft hatte er sie zynisch, ja sogar schimpfend erlebt, später hinaus sogar höflich. Nun aber wirkte sie aufgekratzt. Das war auch gut so, denn das hatte er beabsichtigt. Nun war die Zeit gekommen, um einen neuen Versuch zu starten, um ein paar Informationen von ihr zu erhalten. Er hielt ihre Unterhaltung am Laufen, indem er einige belanglose Informationen einstreute und mit ihr plauderte. Arwid konnte nicht sagen, worauf das hinausführen würde. Womöglich wusste Thula ja auch gar nichts, was für ihn von Wert sein konnte. Notfalls konnten sie sie ihrem Eigentümer - gegen ein Lösegeld versteht sich – wieder aushändigen. Doch diese Gedankenspiele fanden nur in Arwids Kopf statt.


    Zunächst beantwortete er ihre Frage, ohne ihr dabei natürlich die wahren Hintergründe mitzuteilen. "Ach weißt du, sie sind sich uneins, was wir morgen machen wollen. Die einen würden gerne zur Jagd gehen und wieder andere wollen nette Freunde in der Gegend besuchen." Er hatte sich noch etwas Fleisch bringen lassen und kaute nun genüsslich daran. Das war eben auch ein Vorteil wenn man frei war, dachte er sich. Man war nicht darauf angewiesen, was vom Tisch seines Herrn übrig blieb. Und Thula sah nun wirklich ziemlich mager aus, was sicher nicht daran lag, dass sie auf ihre Linie achtete. "Aber sag mal, gibt dir dein Dominus, wie heißt er noch gleich, nichts Gutes zu essen? Und unser Met schmeckt dir? Ja, das ist gut! Hier hast du noch mehr!" Er schenkte ihr noch mehr vom Honigwein ein. "Wie lebt es sich eigentlich unter so vielen Legionären? Hast du da keine Angst, hhm?" Der Germane lächelte ihr zu und ermutigte sie, noch etwas mehr zu trinken. Dabei beobachtete er sie genau. "Sag mal stimmt es, was ich in der Stadt hörte? Der Legat sei verunglückt? Das ist aber nicht dein Dominus?"Nun trank auch der Germane einen Schluck Met.

  • Upss, stieg mir Met bereits zu Kopf? Ach was solls, dachte ich mir und ließ mich einfach gehen. Ich war ja schließlich nicht die Einzige, die hier angeheitert war! Arwid wurde nun auch endlich etwas gesprächiger und ich verstand nun auch, worum sich die anderen so gestritten hatten. „Gute Freunde? Echt jetzt? Ihr habt hier wirklich gute Freunde wohnen?“, fragte ich kichernd und trank gleich noch etwas mehr. Arwid hatte sich einen Nachschlag bringen lassen. Sowas hätte ich jetzt glatt auch vertragen können. Obwohl ich ja nun schon reichlich gegessen hatte! „Massa heißt er. Vinicius Massa um genau zu sein, weil es gibt auch noch´n anderen Massa, der auch Tribun is. Abner meiner ist Tribunus Lati… äh Lati… ach egal! Un natürlich krieg ich genug zu essen, nur nicht so die feinen Sachen. Außer es bleibt mal was übrig. Und wir haben ´ne super Köchin! Aber weil ihr Deppen mich entführt habt, hab ich nix mehr vom Wildschwein abgekriegt, also das von der Cena gestern Abend, nicht eueres…“ Der Met war echt lecker, darum ließ ich mir auch gerne nachschenken. Denn heute Abend galt es einfach, sich mal richtig volllaufen zu lassen! So was hatte ich noch nie gemacht! Aber für alles gab es ein erstes Mal…
    „Ach nee, keine Angst, weis du, davon, krieg ich gar nich so viel mit. Wir wohn‘ ja innem extra Haus. Die guck’n manchma blöd, wenn ich zum Tor lauf un ruf’n mir dämliche Sachen hinnerher. Voll die Blödmänner, die!“ Langsam begann sich alles zu drehen. War das wirklich so oder fühlte sich das nur so an, weil der letzte Becher Met vielleicht doch einer zu viel gewesen war? „Wat für einer? Ach du meins der Legat, jepp is vom Gaul gefallen, jetzt hat er’ne Matschbirne, oder so. Keine Ahnung! Aber mein Massa führt jetz die Legio, hatter gesagt.“ Ja, ich konnte mich noch gut erinnern. Es muss sein erster Arbeitstag gewesen sein. Er kam abends zurück und fragte mich, was glaube, wer jetzt die Legio führen soll… Mist, auch wenn das erst vor einigen Wochen gewesen war, kam es mir nun wie eine Ewigkeit vor. Ich vermisste Massa so sehr! Hätten die mich nicht entführt, dann hätte ich nun bei ihm liegen können. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Diesmal hielt ich sie nicht zurück. Ich griff nach meinem Becher und trank den Rest Met auf einmal. Kurz darauf, seufzte ich. „Oh Mann, ich glaub, mir wird schlecht!“ Das waren so ziemlich meine letzten Worte… zumindest für diesen Abend. Denn dann haute es mich einfach um und ich begann sofort tief und fest zu schlafen.

  • Es war doch immer wieder faszinierend, was ein wenig Alkohol mit Leuten wie ihr anstellte. Amüsiert lauschte Arwid dessen, was alles aus Thulas Mund quoll. Ganz neben bei erfuhr er so einiges, was interessant sein konnte.
    Eindeutig mundete ihr der Met, denn sie ließ nicht davon ab, noch mehr zu trinken, weswegen ab einem bestimmten Zeitpunkt auch ihre Aussprache darunter litt. Trotz allem hielt er sie nicht davon ab. Auch das Gerücht vom verunfallten Legaten, welches er in Mogontiacum aufgeschnappt hatte, hatte sich bewahrheitet. Das bedeutete, das die zweite Legion im Augenblick sozusagen führungslos war. Lediglich angeführt vom Tribunus Laticlavus, ihrem Eigentümer. Das konnte ein Vorteil sein. Aber was war das? Weinte sie etwa? Um ihren Dominus? Für jemanden wie Arwid war es nicht nachvollziehbar, wie man solche Gefühle für den Menschen empfinden konnte, der einem die Freiheit vorenthielt und als sein Eigentum betrachtete. Er tat es als typische weibliche Gefühlsduselei ab.
    Kurze Zeit später hatte Thula ihr Limit erreicht. Wenn er es recht überlegte, wollte er sich nun auch zurückziehen. Er hob sie auf und trug sie auf seinen Armen in seine Hütte. Hier konnte sie ihren Rausch ausschlafen.

  • Wirres Zeug hatte ich geträumt. Ziemlich beängstigend, wenn ich so darüber nachdachte. Von Raben, die an Leichen herumpickten, einem Meer von Blut und von einem Reiter, der mich am Ende rettete. Na dann war ja alles gut! Das musste bestimmt am Met gelegen haben.


    Meine Augen öffneten sich einen Spalt breit. Als das gelle Tageslicht einfiel, war mir bewusst, dass dies ein großer Fehler gewesen war. Schreckliche Kopfschmerzen begannen mich zu quälen. Ich dachte, mein Schädel müsste jeden Moment platzen. Besser ich blieb noch eine Weile liegen, völlig regungslos. Ganz langsam begann es in meinem Kopf zu rattern, wo lag ich eigentlich und wie war ich da hingekommen? Ein beißender Geruch begann mir in die Nase zu steigen. Ich konnte nicht sagen, wovon. Meine Hände begannen etwas Weiches, flauschiges zu fühlen, was ich zunächst auch als angenehm empfand.


    Wieder machte ich einen Versuch, meine Augen zu öffnen, diesmal etwas weiter. Ich hatte einen üblen Geschmack im Mund und mein Magen schien sich noch zu entscheiden, ob es ihm gut oder schlecht gehen sollte. Endlich hatten sich meine Augen an das Licht gewöhnt. Langsam begriff ich, dass ich mich in einer von diesen Hütten befand, die ich gestern mit den Frauen gebaut hatte. Richtig! Ich war noch immer im Germanenlager und ich befand mich nicht in irgendeiner Hütte, sondern in der von diesem Arwid. Alles kam mir wieder vertraut vor, bis auf das Tierfell, von dem dieser widerliche Gestank ausging. Ich lag auf diesem Fell und mein Körper war mit einem solchen Fell zugedeckt. Ich stemmte mich mit meinen Oberarmen auf und sah mich misstrauisch um. Von Arwid war nichts zu sehen, was wahrscheinlich daran lag, dass es schon später Vormittag sein musste. Ganz nebenbei registrierte ich, dass ich nichts anhatte. Wer zum Henker hatte mir meine Klamotten ausgezogen? Hoffentlich ich selbst! Aber wenn ich so darüber nachdachte, glaubte ich nicht, dass ich dazu noch fähig gewesen war. Da lag es natürlich nahe, dass noch andere Dinge passiert sein konnten, an die ich lieber gar nicht erst denken wollte. Mein nächster Blick fiel auf meinen rechten Oberarm, um zu überprüfen, ob mein Armreif noch da war. Beruhigt stellte ich fest, er war noch da. Suchend sah ich mich nach meinen Kleidern um, allerding fand ich statt meiner Kleidung, die gestern noch getragen hatte, eine Tunika aus einem groben wollenen braun-grün karierten Stoff und einem ledernen Gürtel. Meine Geldbörse, die ich unter meiner Kleidung getragen hatte, lag oben auf. Scheinbar war noch alles da, was ich hatte. Mal abgesehen von meinen Kleidern. Argwöhnisch besah ich mir diese Tunika, bevor ich sie notgedrungen anzog. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich darin aussah! Wenigstens hatte man mir meine Sandalen gelassen, die ich auch noch anzog. Mein Haar war offen. So traute ich mich aus der Hütte heraus und sah mich verstohlen um. Eine Frau, die mich sah, nickte mir freundlich zu und sage etwas zu mir, was ich aber nicht verstand.
    Mir kam das Lager so leer vor. Ich sah fast nur Frauen und wenn es hochkam, höchsten zehn Männer, die man offensichtlich zum Schutz des Lagers zurückgelassen hatte. Dann erinnerte ich mich wieder daran, was Arwid am Abend gesagt hatte… jagen oder Freunde besuchen. Na klar! Wenn ich jetzt so darüber nachdachte, glaubte ich, dass beides gelogen war. Vielleicht war mein Traum ja so was wie eine Vorahnung gewesen! Dann sollte ich schleunigst das Weite suchen, sonst war ich es am Ende noch, der von Raben angepickt wurde.
    Es fiel mir zwar schwer, aber ich musste mein Hirn anstrengen! Wie kam ich hier am besten weg, ohne dass es jemand mitbekam! Vielleicht über den Fluss? Ich könnte mich an Treibgut klammern und mich bis Mogontiacum treiben lassen, falls der Fluss bis dahinfloss. Ich wusste ja nicht, wohin man mich gebracht hatte. Oder ich konnte mich durch diesen Urwald kämpfen, bis ich zu einer Straße kam. Garantiert gab es dort irgendwo auch Soldaten. Allerdings, wie würden die reagieren, wenn sie mich sahen, in meinem tollen Germanenaufzug? Eine wirklich schwierige Entscheidung war das!

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