Schreibstube des Valens

  • Brief aus Hispania


    Die Wette


    Verehrte Leser und Leserinnen,
    erlaubt, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Quintus Matinius Valens. Kürzlich bin ich zum Magister Scriniorum der Regio Hispania Tarraconensis ernannt worden. Eigentlich hört sich das nach einer äußerst uninspirierenden Arbeit an. Der umständliche Titel meines Berufes verheißt Bürostress, staubige Hinterzimmer und immer wieder die selben Leute.
    Dies stimmt jedoch nicht für die Arbeit eines Magister Scriniorum in Hispania. Ein Land voller Schönheit, selbst an Ecken und Enden, wo man sie niemals je zu finden glaubt. Voller Romantik und Poesie. Raue Klippen und weite Felder prägen die Landschaft, und jedem Besucher und Bewohner bieten sich tagtäglich Anblicke und Erlebnisse, die man nur schwer vergessen kann. Die Inspiration, die von jenem Land ausgeht, ist so stark und überwältigend, dass sogar die ödesten Menschen davon von Zeit zu Zeit berührt werden. Ein Sprichwort sagt, dass man nach Italien gehen soll, um ein mächtiger Politiker zu werden, nach Germanien, um ein berühmter Krieger zu werden, doch nach Spanien soll man gehen, wenn man glücklich werden will.
    Doch leider gibt es nur allzu oft Menschen, denen das nicht bewusst ist, und die nie das Gute sehen. Dies gilt für jedes Land, und auch für Hispania.
    Letztens wurde mir das wieder vor Augen geführt, als der Scriba Vulso mit dem üblichen Getöse in mein Officium hineinkrachte und über die Schlechtheit der Welt lamentierte.
    „Stell dir vor, Magister.“, meinte er zu mir, sich in eine Rage voller Unmut hineinredend, „Sie haben ihn!“
    „Wer hat wen?“, fragte ich.
    „Die Vigiles! Sie haben den Duumvir von Barcino dabei ertappt, als er sich Steuergelder selbst in die Börse gesteckt hatte! Ich glaube es nicht!“
    „Ich weiß eigentlich darüber schon Besch...“
    Er ließ mich nicht ausreden. „So blöd! Wie kann einer so dumm sein! Wenn ich das täte, würde ich wenigstens aufpassen.“ Er schüttelte den Kopf. „Das Hirn jenes Mannes ist wie die Kultur hier in Hispania. Es existiert einfach nicht!“
    „Wie? Meinst du das jetzt ernst oder...?“, fragte ich verdattert nach.
    „Was? Haltest du den Duumvir von Barcino etwa für schlau?“
    „Nein, das meine ich nicht! Ich weiß sehr gut, wie es um die intellektuelle Kapazität jenes Mannes bestellt ist. Wie kann man bloß die hispanische Kultur mit dem vergleichen?“
    „Ganz einfach!“, meinte Vulso und schwang theatralisch seine Arme in der Luft umher, wobei er mir fast mein Tintenfass vom Tisch gewischt hätte, was ich nur durch einen hastigen Griff nach dem Fass verhindern konnte. „Es gibt hier nichts!“
    „Doch!“, erwiderte ich. „Sicher! Hast du denn noch nichts vom Dichtwettbewerb gehört?“
    Vulso blickte verduzt. „Ja, aber ich habe nicht gedacht, dass es so etwas wirklich gibt...“
    „Natürlich“, meinte ich. „Wir werden demnächst hier in unserem Tarraco einen großen Dichtwettbewerb abhalten.“
    „Wirklich? Wer kommt denn?“
    „Hmmm...“, meinte ich. „Es steht ja noch nichts fest... außer die Summe, die der Sieger bekommt. 3000 Sesterzen.“
    Vulsos Augen wurden für einen Moment glasig. Dann machte er eine unwirsche Bewegung mit den Händen und schüttelte energisch den Kopf. „Und selbst wenn. Es werden sicher keine Dichter aus Hispania auftauchen. Denn so etwas gibt es nicht.“
    „Natürlich gibt es das!“, meinte ich, vielleicht eine Spur zu selbstbewusst. „Jeder Einwohner unseres Hispanias, egal welcher Schicht, hat die Seele und das Blut eines Dichters! Ich wette, dass ich dir in Tarraco soviel Kunst und Poesie zeigen kann, dass du den Mund nicht mehr zukriegst!“
    „Na das will ich einmal sehen!“, grinste Vulso, und ich bereute schon meine Worte. Doch, halt! Wieso denn nicht? Damit könnte ich einem Zweifler an der Kultur Hispanias ein für alle Male seinem Unglauben ein Ende setzen. Also richtete ich mich auf.
    „Ja, das mache ich.“, meinte ich. „Wir beide haben in einer Stunde Feierabend. Dann führe ich dich durch die Straßen Tarracos und zeige dir, wieviel Kreativität und Dichtkunst es in unserer Stadt gibt.“
    Und tatsächlich nickte Vulso. „Es würde mich freuen.“, meinte er.
    Sein Händedruck fühlte sich schweißig an.
    Nach einer Stunde trafen wir uns am Ausgang.


    Was der ungläubige Vulso in den Straßen von Tarraco erlebte, erfahren sie, meiner geehrten Leser und Leserinnen, in der nächsten Ausgabe.


    Mit freundlichen Grüssen aus Hispania
    Qunitus Matinius Valens

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