Geheimer Tempel des Pluto

  • Eine okkulte Melodie zog Stella weit ab ihres Stammhauses in ihren Bann. Sie war an diesen Ort gekommen, um der Vergangenheit zu gedenken. Der Kampf schien verloren und gleich fatal war ihre Lage, dass selbst der Kaiser ein Dämon in Menschengestalt war. Stella hatte gehofft, sich von ihrer Agonie zu verabschieden und diese Einsamkeit endlich zu verlassen. Die Passanten waren vorbei gezogen, die Menschen gefangen in ihren Kreisen, so dass Stella fast unbemerkt in die Nebenstraße der Villa Tiberia gelangte. Was sie einmal geglaubt hatte, hatte keine Bedeutung mehr. Unschuldig und doch die Schuld der Familie tragend, kämpfte sie sich durch die Nacht. Die schwachen Lichter der Straße verdeckten nur mühsam die hereinbrechende Nacht. Die meisten Menschen gingen nach Hause und Stella tat dies ebenso. Nur war ihr Zuhause längst ein verlassenes Geisterhaus. Geheime Zeichen, die nur Einwegeihte deuten konnten, führten sie an der Außenwand entlang. Ihr Vater hatte von diesem Ort berichtet und ebenso gewarnt. Es war ein Ort unterhalb der Villa Tiberia, der seit Anbeginn der ersten Zeit existierte und von vielen Tiberii vergessen worden war. Ein Ort, den erst ihr Vater wieder entdeckt hatte. Es war ein Ort, der nicht nur Versteck war, sondern auch Schutz bot. Stella fand jenen losen Stein, den sie tief in die Wand drückte, um einen Mechanismus zu starten. Die Bodenplatte vor ihr sprang ein wenig hervor und ließ sich mit ein wenig Kraftaufwand schieben. Eine Treppe zeigte sich, die tief unter die Villa führte. Mit einem Schulterblicke blickte die Tiberia hinter sich. Ängstlich stieg sie die Treppe hinab und fand sich vor einer Eisentür wieder, die fest verschlossen war. Hektisch suchte Stella einen Schlüssel aus dem großen Lederbeutel hervor, den sie bei sich trug. Der Schlüssel passte in das übergroße Schloss und Stella konnte die Eisentür öffnen. Der Korridor hinter der Tür lag im Dunkeln, so dass Stella einige kleine Öllämpchen entzünden musste, die an der Wand des Korridors angebracht waren. Der Gang führte noch ein paar Schritte hinab und in einen großen Saal. Eine verwitterte Holztür gab den letzten Blick frei. Stella entzündete einige Fackeln, die an den tragenden Säulen hingen und urplötzlich erstrahlte der Raum in einem diesigen Licht. Im Zentrum lag ein großes Becken, welches mit schwarzen Fliesen verkleidet war und in diesem Becken befand sich Wasser, welches durch die schwarzen Fliesen eine merkwürdige Färbung fand. Am Ende der Halle stand eine große Statue des Pluto und ein Altar lag unmittelbar davor. An der Decke standen kryptische Worte in verschiedenen Sprachen, die kaum im Licht zu entziffern waren. Auf dem Altar stand in großen römischen Lettern: memento mori. Auf dem Alter lagen mehrere Dolche, welche das Siegel Prätorianer trugen, aber auch Dolche ohne Wappenprägung. Im Zwielicht am anderen Ende der Halle standen zwei Statuen des Thanatos, in seiner typischen Gestalt mit Kapuze und Mantel. Der Boden des Raumes war mit schwarzem Marmor belegt, der jedoch an einigen Stellen bereits gebrochen war und es schien eine rote Flüssigkeit unter dem Marmor zu fließen, der durch die Risse hervortrat und an der Oberfläche erstarrte. Stella wankte ehrfürchtig und gleichzeitig ängstlich durch die Halle. "Das ist es also," murmelte sie. "Das ist der Ort." Stella näherte sich dem Alter, wobei sie dem großen Wasserbecken ausweichen musste. Sie ließ den Lederbeutel fallen, um frei von jedem Gewicht zu sein. Stella strich mit ihren beiden Handflächen über den schwarzen Marmor des Alters, der sich seltsam kalt anfühlte. Dabei berührte sie einen der Dolche, der sich etwas bewegte. Im Zentrum aufgereihten Dolche lag eine Klinge aus einem schwarzen Metall, welche kryptische Zeichen trug. Die Klinge zog Stella magisch an, so das die Tiberia die Klinge am Handgriff packte und im Licht der Feuer anhob. Sie funkelte nicht. Der Dolch war leicht, sehr leicht sogar und lag sehr gut in der Hand. Er schien fast für sie gemacht zu sein, da sie ohne jede Mühe die antrainierten Bewegungen erinnerte. Ihr Vater hatte ihr Kunst des Dolchkampfes beigebracht. Doch Stella legte den Dolch zurück. Stella sank vor dem Altar zusammen, lehnte sich mit dem Rücken an den Stein und blickte in das scheinbar endlose Becken mit dem dunklen Wasser. Es gab keinen Grund weiter zu suchen. Dieser Ort war der letzte Ort, den ihr Vater für sie bereit hielt. Es war eine Gruft der Träume und Hoffnungen. An diesem Ort hatte ihr Vater versucht, seine Seele von Pluto zurück zu fordern. An diesem Ort waren die speculatores in geheimer Bruderschaft zusammengekommen, um nicht nur dem Kaiser zu dienen. Ihr Vater hatte seinen Eid nie verraten aber sicherlich den falschen Personen gedient. Dieser elende Kaiser hatte sich offenbart und es kümmerte ihn keinen Deut, was wirklich in menschlichen Herzen vor sich ging. Er interessierte sich nur für seine Macht. Und Macht war bekanntermaßen nur ein Atemzug. Das wusste Stella ganz sicher, denn die Meuchelinstrumente in unmittelbarer Nähe legten Zeugnis von vielen vergangenen Leben ab. Nun war ihr wirklich klar, was er ihr Vater war. Er hatte für diesen Kaiser heimtückisch gemordet, nur damit dieser seine Macht behielt. Kurz kam in Stella ein rachsüchtiger Gedanke auf, dass sie vielleicht den Kaiser heimsuchen sollte und ihm das gleiche Schicksal zuteil werden lassen sollte, was er anderen angedacht hatte. Doch schnell verwarf sie diesen Gedanken. Sicherlich würde sie ihn töten können aber dabei auch ihr eigenes Leben verwirken, für sie das so hart gekämpft hatte. Noch dazu würde es dem Namen der Familie schaden. Sollte das die letzte Erinnerung an die Tiberii sein? Nein, das wollte Stella nicht. Doch der Hass auf diesen Kaiser war so groß, dass er einerseits ihren Vater verdammt hatte und andererseits so ein furchtbarer Mensch war, ohne jegliches Mitgefühl und eher getarnter Wolf, denn als Mensch. Sie wollte ihn verfluchen, so abgrundtief verfluchen, dass ihm kein Glück mehr widerfuhr - und doch tat es Stella noch nicht. Hier an diesem Ort, der sicherlich viele dienstbare Geister des Pluto gesehen hatte, wäre ein Fluch sicherlich wirkungsvoller als an einem Marktstand. Interessant war, dass genau diese Grotte ihr Ruhe brauchte. Genau hier, an dem Ort der Flüche und Todes, der geheimen Versammlungen und Rituale zur Huldigung des Todes und vielleicht auch das Lebens bis zu seinem Ende, fand Stella eine okkulte Ruhe, da dieser Ort losgelöst von Rom schien. Das leichte Rauschen des Wasserbeckens, welches durch den Wind, welcher die Treppe hinab kam, in Bewegung gesetzt wurde und das Knistern der Fackeln, beruhigten Stella, die so voller Schmerz war, dass nicht einmal der Tod Vergebung erwarten konnte. Die Tiberia war nicht stark genug,ihre Trauer zu überwinden. Sie wollte nur nach Hause. "Pluto!" Ein lauter Ruf durchfuhr diesen Tempel. "Du bist bei meinem Vater. Du gabst ihm die Macht und die Tatkraft für sein Handwerk," rief sie. "Gib' nun auch mir jene Macht und Tatkraft." Stella stand auf, griff zum schwarzen Dolch, den sie empor streckte und dabei laut rief: "Ich widme dir mein Leben, du sollst es haben, damit ich meine Familie rächen kann." Stella wollte kein Besitztümer, keine politische Macht, sondern allein die Gewissheit, dass ihre Familie nicht umsonst vergangen war. "Ich verfluche den Imperator Caesar Augustus, der für alles verantwortlich ist! Er soll lange leben. Jeden Angehörigen überleben, bis er am Ende allein ist, vollkommen allein und einsam stirbt. Er soll allein sein, genauso allein, wie ich es bin." Stella hielt sich die Klinge an die Kehle, bereit ihren Eid gegenüber Pluto zu erfüllen. Ein Leben für ein Leben. "Nimm' mein Leben als Opfer. Pluto, nimm' mein Leben."


    Sim-Off:

    RetterInnen sind gerne eingeladen! :D

  • Es begab sich, dass Ravillas Füße ihn im Dunkel der unbeleuchteten Stadt in fremde Straßen geführt hatten. Angstvoll ob der vollständigen Finsternis henkelte er sich in den Arm von Anaxis ein, damit er nicht stürzte, falls er fehltrat. Einzig die rumpelnden Wagen, die seit Sonnenuntergang durch Rom fuhren, spendeten Licht, da die Fahrer in der Regel Laternen bei sich trugen. Sie hatten sich hoffnungslos verirrt und kein Gezeter verhalf dazu, dass Anaxis herausfand, wo sie sich befanden und wie sie zurück zur Taverna Apicia gelangen konnten. Ravilla, müde und gestresst, zog das Amulett mit dem edlen Antlitz seiner Schwester unter der Toga hervor und klappte es auf.


    "Fusciana, meine Teure!" Seine Lippen liebkosten das Abbild. "Dein Ravilla ist allein in der Fremde, verirrt und ohne Trost. Ich bitte dich, entsende mir deinen gottgleichen Segen und führe mich sicher heim!"


    Ein plötzlicher Lichtschein ließ das Silber aufblitzen, das Fusciana umfasste, und ihr Gesicht lächelte ihm in plötzlicher Helligkeit zu. Verblüfft suchte Ravilla nach dem Quell, der Fusciana zum Lächeln gebracht hatte und entdeckte den Lichtschein, der aus einem Treppenschacht erstrahlte. Ein totes Herrenhaus ragte über ihm auf. Doch im Keller schien Leben zu herrschen ...


    "Anaxis, du wartest hier und gibst darauf Acht, dass niemand mich einzusperren vermag. Ich werde fragen, wo wir uns hier befinden und wie wir den Weg zurück zur Taverna Apicia finden."


    Und so raffte Ravilla seine Toga über den Knien und stieg erhaben wie ein vom Himmel herabsteigender Gott hinab in das Gewölbe. Lampenschein, Finsternis ... was mochte das für ein Ort sein? Er verhielt sich still, für den Fall, dass er versehentlich in eine Orgie stolpern würde, um sich dezent wieder zurückziehen zu können. Doch herrschten hier nur Finsternis und Einsamkeit. Ein leises Plätschern drang an sein Ohr. Ein Wasserbecken, schwarz in der Dunkelheit, bot zusammen mit den drei Statuen am anderen Ende einen ehrwürdigen Anblick. Vor dem Altar erblickte er eine einsame schmale Gestalt, die nun die Stimme erhob. Doch sie erhob auch eine Klinge. War das nicht das Mädchen vom Stadttor und aus dem Schuhgeschäft, war das nicht die Zwiebelprinzessin?


    Der Abstand schmolz, als Ravilla mit wehender Toga zu ihrer Rettung eilte. Seine Hand umschloss ihr Handgelenk. Fest genug um zu verhindern, dass sie sich oder ihm ein Leid antun könnte, doch nicht schmerzhaft fest.


    "Grämst du dich?", fragte er mit sanfter Stimme, um die Schärfe aus dieser tragischen Situation zu nehmen, denn er ahnte, was sie vorgehabt hatte. Die Worte waren eindeutig gewesen. "Sorge dich nicht ob der Zukunft, denn ich glaube, Pluto wünscht dein Blut heute nicht."


    Er blickte die Statue hinauf, Pluto, der finster auf sie beide hinabblickte. Pluto war es also gewesen, der Fusciana diesmal zur Mittlerin auserkoren hatte. Fusciana, die Stimme der Götter. Und sie hatte ihn hierher geführt.

  • Die Villa Aurelia suchte die Zwergin eigentlich nur noch auf, wenn sie müde war und ihr schon beinahe die Augen zufielen. Ansonsten hielt sich die Dunkelhaarige die meiste Zeit auf den Straßen der Urbs Aeterna auf. Dort hielt man sie mittlerweile für eine Bettlerin . Eine Bezeichnung über die Cressida lediglich nur Lächeln konnte. Bettlerin war immerhin besser als Sklavin eines Geächteten. Während sie bei dem Gedanken an ihren vertriebenen Dominus hart schluckte und ihre Lippen fest aufeinander drängte. Das Rätsel um die Ächtung des Aureliers und dessen Vertreibung, besser gesagt spurlosem verschwinden, würde wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Und normalerweise war es an Cressida solche Geheimnisse für ihre domini zu entschlüsseln. Doch in diesem speziellen Fall blieb ihr die Lösung des Rätsels verwehrt. So schlich die Zwergin mit schlurfenden Schritten durch die Straßen und Gässchen. Bis sie aus dem Augenwinkel ein flackerndes Licht entdeckte, das aus einem Kellerschacht empor drang und die Kleinwüchsige zu locken schien.


    “Oh süßes Licht. Verführe mich nicht.“


    Schmunzelte die Sklavin dem flackernden Lichtschein entgegen und warf im nächsten Augenblick sämtliche Bedenken über Bord. Zwar pochte ihr Herz vor innerer Aufregung rascher in ihrer Brust. Jedoch näherte sie sich dem Treppenschacht und stieg schließlich furchtlos in die Tiefe. Immer tiefer ging es, sodass die Zwergin den Eindruck gewann tatsächlich in den Tartaros hinab zu steigen. Und hatte sich da nicht eine feine Gänsehaut auf ihren Armen gebildet? Sämtliche Furcht schüttelte die Zwergin sofort von sich und stand endlich am Fuß der Treppe. Jetzt nur noch dem flackernden Schein folgen. Gesagt. Getan. Was die Zwergin dann jedoch beobachten konnte, ließ sämtliches Blut in ihren Adern gefrieren. Die Tiberia und diese blitzende Klinge in ihren Händen. Wer war der fremde Herr an Stellas Seite?


    Lautlos näherte sich die Zwergin dieser grotesken Szenerie und schmiegte sich gegen die Tiberia. Wie ein Hündchen, bettete die Zwergin ihren Kopf in Tiberia Stellas Schoß.


    “Dieser Herr und dein Gott haben Recht. Dein Lebenslicht wird heute noch nicht ausgepustet.“

  • Hatte ihr Vater ähnlich gefühlt? Hatte ihr Vater ähnlich vor Pluto gestanden? Stella spürte die kalte Klinge an ihrem Hals, wie sie unmittelbar vor dem tödlichen Schnitt lag. Die Haut wurde sanft eingedrückt aber noch nicht zerschnitten. Wie es war wohl ein Leben zu nehmen? Ihr Vater hatte viele Leben beendet und das nicht einmal im Zorn oder Hass, sondern in kalter Traurigkeit. Noch einmal sollte ihre Hand ihr Gehorsamkeit zeigen und dann würde ihr Leben so enden, wie die Leben, die ihr Vater genommen hatte. Sie würde ausbluten und noch einmal röcheln, bevor der Lebensfunke versank und für immer schwieg. Schweigen- immer wieder nur Schweigen. Die Römer schwiegen über die Verbrechen ihres Kaisers, die Römer schwiegen über das Leid in ihren Straßen und die Römer schwiegen über ihre eigenen Schicksale. Diese ohrenbetäubende Stille hatte Stella zutiefst verletzt. Insbesondere der Kaiser hatte sein Übriges dazu getan, dass die Tiberia nicht mehr leben wollte. Dieses Leben konnte nur noch Leid bereithalten, wenn man allein war. Die Klinge bewegte sich nicht. Eine Person näherte sich aus dem Dunkeln und hielt ihre Hand auf. Regungslos verharrte Stella, die nicht damit gerechnet hatte, dass sie jemand aufhalten würde. Pluto war grausam und wollte ihr Opfer nicht. Sie war verdammt. Verdammt zu einem Leben. Stella erkannte die Stimme, eine bekannte Stimme, die sie an diesem Ort nicht erwartet hatte. Wie konnte er an diesen Ort finden? Pluto. Warum wollte Pluto ihr Opfer nicht? Unsicherheit wuchs, während die Tränen über ihren Schmerz krochen. Es lag eine böse Ironie in dieser Situation, dass genau jener eitle Mann ihr Leben retten würde, der so sehr im Leben stand und jede Fassade erbaute, die er nur erbauen konnte. "Tod dem Lebendigen, denn die Flamme hat kein lebendes Herz," zitierte sie ein Gedicht, welches Pluto geweiht war. "Still aber schreiend," fügte sie an. Stella wollte ihm antworten aber konnte es nicht, da sie einfach vergehen wollte. Es war nicht fair, dass sie allein war. Es war nicht fair, dass das gesamte Schicksal der Tiberii auf sie fiel. Alle waren verloren, warum nicht auch sie? Es sollte einfach enden und der Name verwehen. Nicht einmal ihr Bruder war hier, ebenso verloren, verschwendet und mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso tot, wie alles an diesem verdammten Ort. Und doch kam das Leben mit aller Macht zurück, denn Ravilla stoppte sie. Und wenig später tauchte auch noch die Sklavin Cressida auf. Zwei Menschen rissen sie von der Schwelle zurück und beendeten damit den Fluch mit seinem Opfer. "Pluto will, dass ich lebe," hauchte Stella fast kraftlos, da sie inwischen den Widerstand in ihrer Hand aufgab. Die Klinge fiel aus der Hand und mit einem dumpfen Ton auf den Boden, wo sie leblos lag. Sie hätte sich wehren können, mit etwas Glück Seius Ravilla überwinden können, um ihr Schicksal zu besiegeln aber alle Anzeichen standen dagegen. Pluto wollte ihren Tod nicht, da er zwei Menschen geschickt hatte, die hier alles taten, damit Stella heute nicht starb. Es konnte kein Zufall sein, dass beide genau in diesem Augenblick hier an diesem Ort waren. "Ich will nicht mehr," gab sie zu. Es war nicht der Hass, der sie zum Fluch verleitet hatte, sondern ihre Trauer. Es war nicht den Kaiser, den sie verdammen wollte, sondern sich selbst. Und genau jenes unehrliche Opfer konnte Pluto nicht annehmen. Stella blickte etwas verloren zwischen Cressida sowie Seius Ravilla hin und her. Noch immer erinnerte sie die Namen, Gesichter und Orte ihrer Jugend, die sie, wie ständige Geister, heimsuchten. Es war eine verschwendete Verwirrung, die einem Albtraum ähnlich, sich ständig wiederholte. Noch eine Seele folgte dem Ruf eines Abgrunds, der durch Zeit gespalten war. "Danke," sagte die Tiberia. Sie atmete schwer und konnte nicht fassen, welche dunkle Magie an diesem Ort wirkte, die doch Licht erschuf. Pluto war wohl doch ein Teil jener Kraft, die man Leben nannte. Es war noch nicht ihre Zeit. "Ravilla," sprach sie seinen Namen mit einem mystischen Zauber aus und sprach danach den Namen der Sklavin ähnlich sternengleich aus. "Cressida." Sie waren hier. Jetzt wurde ihr er erst wirklich bewusst, wer hier war. Stellas Gesicht fand die Farbe wieder, auch wenn sie ihre gewohnte Blässe behielt. "Pluto...", wandte sie an die Statue, die auf sie alle herabblickte. Stella lächelte müde, fast schon bitter überzeugt. Ein Nebel schien sich über den Boden zu bewegen. Im Nebel spiegelte sich das Licht der Fackeln und gab dem Wasserbecken einen eigenen Charme.

  • "Die Zeit, da Pluto nach uns ruft, kommt von allein früh genug."


    Nein, er wünschte nicht, dass der Zwiebelprinzessin ein Leid geschah. Er wünschte, dass sie lebte. Und als sie das Gedicht zitierte, da hob er den Finger und deklamierte:


    "Leben heißt leiden, oh wandle mein Sein,
    Herr Pluto, zu Höherem, nimm meine Pein,
    doch lass mich noch wandeln die bleibende Zeit,
    bis einst kommt der Tag, an dem ich bin bereit."


    Das hatte er soeben gedichtet, entsprechend roh klang es, doch er hoffte, bei der scheinbar zur Poesie neigenden jungen Frau an etwas zur rühren, wo er sie erreichen konnte. Die kleinwüchsige Frau, die plötzlich hinzugekommen war, hielt er für eine Sklavin der vom Leben Müden, so dass er sie in Ruhe ließ. Er selbst schätzte es auch nicht, wenn jemand in seinem Beisein mit Anaxis sprach, ohne ihn zuvor um Erlaubnis zu bitten. Ein Leibsklave war etwas sehr Persönliches.

  • Ihr Name klang wie ein Hauch über Stellas Lippen. Wie der Hauch einer Sterbenden, geisterte es durch die Gedanken der Zwergin. Während sie vollkommen regungslos verharrte und ihren Kopf noch immer in Stellas Schoß gebettet ließ. Unwillkürlich ließ sie ihren Atem langsamer über ihre Lippen fließen, in der stillen Hoffnung die junge Tiberia aus ihrem tranceähnlichen Zustand zu reißen.


    Als dann der junge Mann seine Stimme erklingen ließ, spitzte die Kleinwüchsige unwillkürlich ihre Ohren. Vielleicht würde seine Stimme zu der Tiberia durchdringen und sie somit aus Plutos Armen reißen. Denn das Pluto bereits seine Arme nach der jungen Römerin ausgestreckt hatte, stand kristallklar vor ihrer aller Augen. Dann jedoch fiel die Waffe aus ihren Fingern und das Geräusch der zu Boden stürzenden Klinge brach sich tausendfach in dieser Höhle. Sodass Cressida am liebsten ihre Ohren bedeckt hätte. Denn ihre Ohren waren besonders empfindlich. Und dennoch hielt sie tapfer stand, auch wenn sie bereits den dumpfen Schmerz in ihren Ohren heranbranden spürte.


    “Pluto will das du lebst. Es ist zu früh. Noch ist es zu früh.“


    Bei diesen Worten hatte die Zwergin ihren Kopf angehoben und streckte ihre Finger aus, um Stella behutsam über die Wange zu streicheln. Sofern es die Tiberia zulassen würde.

  • "Blut vergossen, wurde ein Fluss, ein Fluss wurde ein Meer, und das Meer wurde die Welt," sagte Stella. "Genug mit dem Licht! Genug mit dem Licht! Tod der Flamme, denn sie hat kein Herz," sprach die Tiberia fast in wahnhafter Überzeugung und doch klar bei Verstand, denn ihre Lippen bewegten sich nicht zuckend und ihre Augen waren ohne Irrungen. Das Gedicht von Seius nahm sie auf und ergänzte es mit fast sanfter Stimme:"Bereit im Leben und bereit im Tode, der Weg ist eine Linie, kalt umschlungen von Millionen Stimmen, die ihre Welten büßen müssen. Kein Erklimmen, kein Erbarmen, auch nicht in der Zeit, denn der Ruf ist Konzeption von Anfang und Ende." Stella lächelte, dass der einstige Schnösel tatsächlich versuchte zu dichten. Und dazu noch mit ihr zusammen dichtete. Etwas, wirklich etwas, was sie sehr wertschätzte. Stella legte die Hand, die noch eben den Dolch geführt hatte, auf den Kopf von Cressida, um auch ihre Sorgen zu dämpfen. Eine mitfühlende Geste. Ihre eigenen Sorgen schienen, wie gebrochen und verloren, denn an diesem Ort war es schlicht egal. Vieles war egal. Ob es Pluto war, ihre eigene Sehnsucht nach einem Leben oder auch Ravilla und Cressida, doch etwas hielt sie zurück und vergab ihr. Etwas vergab ihr und so konnte Stella ihre Sorgen ertragen, denn sie hatten in diesem Augenblick ihre Macht verloren und waren nicht mehr als Bleigewicht an ihre Seele gekettet. "Pluto hat uns ein deutliches Zeichen gesandt," meinte die Tiberia überzeugt. Sie sollte leben. Und genau das wollte sie jetzt tun, auch für ihren Vater, ihre Mutter und ihren Bruder. "Ich denke, dass es an der Zeit ist, aufzustehen," sagte Stella betont vorsichtig, um Ravilla und Cressida nicht zu verschrecken. Der Boden wurde inzwischen recht unbequem und kalt. Stella wollte sich etwas bewegen.

  • Ein wenig nervös fühlte Ravilla sich, als er hier so nahe mit zwei Frauen stand, die eine mit der Hand berührte und die Kleinere die Größere der Länge nach umarmte und streichelte. Nun, er war jung, seine Gedanken nicht immer keusch. Die Not war, so schien´s, vorüber, so ließ er denn die Hand der Zwiebelprinzessin sanft los, ein entwaffnendes Lächeln präsentierend, welches hoffentlich dazu geeignet war, seine vorübergehende Verunsicherung zu überspielen.


    "O Stella, wir sollten uns dereinst zusammenfinden während der Neumondnacht, wenn Finsternis ihren Höhepunkt erreicht, dort mögen unsere Werke die ihnen gebührende Wirkung entfalten wie der Nachtfalter seine Schwingen! Das Dunkel kann heilend und wohltuend sein. Nicht jeder ist dafür gemacht, unter der Sonne zu wandeln. Das Leben ist so trivial, das man sich abwenden muss, wenn schamlos die Sonne all die unfeinen Details beleuchtet. Wie viel feiner nuanciert ist das Leben bei Dunkelheit! Die Nacht verbirgt mehr, als sie zeigt und nur dem aufmerksamen Auge offenbart sie ihre geheimnisvolle Pracht."


    Seine Hand tastete nach seiner Brust, wo unter der Toga und der Tunika gut verborgen das Amulett auf der blanken Haut ruhte, gerade über dem Herzen.


    "Aufzustehen ist ein vortrefflicher Ansatz", bestätigte er Stellas Gedanken. "Der Beginn eines nächtlichen Spaziergangs vielleicht? Doch ach, die Nächte Romas sind laut und voll des Drecks, wenn man in die falsche Gasse tritt! Meine Orientierung in der Urbs Aeterna ist noch nicht optimal. Was ist hingegen mit dem adretten Spukgemäuer über diesen Hallen? Wollen wir uns nicht dort ein wenig die Füße vertreten, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu gelangen?"


    Der nichtswürdigen Tatsachen, die einen Ravilla und vermutlich auch eine Stella überhaupt nicht verdienten. Doch allein lassen konnte er die Zwiebelprinzessin mitnichten, so lange er nicht sicher war, dass es ihr wieder besser ging. So hielt er den Spaziergang für eine gute Idee.

  • Wie ein treues Schoßtier kauerte die Zwergin weiterhin zu Füßen der Tiberia. Schmiegte sich gar gegen die junge Frau und linste doch aus dem Augenwinkel gen der blitzenden Klinge, die nicht unweit der jungen Römerin auf dem Boden lag. Eine rasche Drehung ihrer Hand und die Tiberia könnte ihrem Leben doch noch ein Ende setzen. Dies aber würde der stattliche Römer, der zu ihrer offensichtlichen Rettung geeilt war, nicht zulassen. Dies erhoffte sich zumindest die Zwergin.


    Zwar war die Tiberia nicht ihre Herrin. Mitnichten war sie dies und würde es wohl niemals sein. Und dennoch fühlte sie sich ihr verbunden. Auch wenn Cressida diese Gedanken für sich behielt und stattdessen langsam ihren Kopf anhob, um mit dem Blick der Tiberia zu kollidieren.


    Ihre Worte und die des römischen Herrn fühlten sich gar magisch an und hallten von den Wänden dieses unterirdischen Tempels wider. Denn was sollte diese Örtlichkeit sonst sein als ein Tempel? Zumindest wenn man die aurelische Sklavin befragen würde.


    Würde sich die Tiberia nun erheben wollen, würde die Zwetgin zurück weichen, um ihr das aufstehen zu ermöglichen. Und dennoch wie ein lautloser Schatten an ihrer Seite verweilen.

  • Stella erhob sich wortlos, denn es gab in diesem Moment nicht mehr viel zu sagen. Ihr war nicht mehr danach, diesen Ort zu weihen und segnen. Ihr war nicht mehr danach, an jemandem Rache zu üben. Ihr war nicht einmal mehr danach, etwas Kluges oder Bedeutsames zu sagen - oder Seius zu antworten. Sie spürte diese Möglichkeit eines Lebens. Eines Leben außerhalb ihres Namens und voller Möglichkeiten, wenn sie die Erinnerung nicht mehr als Last empfand, sondern als Wegweiser. Stella lächele erleichtert, während ihre Augen durch das besondere Licht dieses Ortes einen besonderen Glanz fanden. Auch ihre Haare lagen in einem ansehnlich-morbiden Zwielicht dieser Gruft des Pluto. "Du meinst das domus über uns? Ein Spaziergang durch mein altes domus? Ich bin hier aufgewachsen...," sagte sie schließlich und blickte zum Ausgang. "Ja, das ist eine gute Idee." Stella war bereit dazu, sich diesem Haus zu stellen. Vor Tagen hatte sie sich noch versteckt und doch jetzt war sie wirklich bereit, sich dieser Trauer zu stellen. Sie wollte nicht außerhalb eines Lebens stehen, sondern sich diesem annehmen. Und Seius und Cressida sollten sie ruhig begleiten. "Nehmt meine Hände. Es ist dunkel." Stella reichte jeweils Cressida und dann Seius eine ihrer Hände, um sie durch das Zwielicht dieses Tempels zu führen. "Ich kenne mich hier aus," meinte sie und würde dann aufbrechen, sobald sich die beiden eingefunden hatten, diese Grotte des Grauens zu verlassen. Dunkle Gedichte brauchte sie vorerst nicht mehr. "Ich zeige euch mein verlorenes Zuhause," erklärte sie und holte dann tief Luft.

  • Ravilla zögerte, die Hand zu greifen und zog die seine weg. Das lag an der Sklavin am anderen Ende der Stella, da sich dies doch etwas unterhalb dessen befand, was Ravilla als im Rahmen seiner Würde betrachten mochte.


    "Stella, ich würde gern allein mit dir gehen", bat er. "Könnte deine Sklavin hier auf dich warten?"

  • Und als die Wolken sich draußen vor das Antlitz des Mondes schoben, ward es auch im Innern des Tempels finster wie in einem Grab. Woher diese Schwärze, woher so viel Nacht? Das Licht der Fackeln wurde gar verschluckt, als würden sie hier unten ersticken. Eng wurde es um Ravillas Hals wie eine Würgeschlinge. Er spürte Plutos eisigen Hauch durch die Hallen fahren. Sein Blick suchte den der Zwiebelprinzessin. Er sah ihre Augen im Dunkeln blitzen, doch er fand Stella nicht. Diese Augen waren tot, wenngleich das Herz in der Brust noch schlug und der Atem warm aus ihrer feinen Nase strömte. Bei allen Göttern ... böse Mächte hatten ihre Finger hier am Werk, zu finster, als das ein Ravilla sich dagegen stellen konnte. Ein Fluch, da war er sicher. Wenn hier jemand helfen konnte, dann ein Priester! Er musste fort, um seiner eigenen Sicherheit willen.


    Und doch wollte Ravilla nicht gehen, ohne Stella vor sich selbst zu schützen, so weit dies in seiner bescheidenen Macht stand. So griff er nach dem Ritualdolch, um diesen zu entwenden. Wollte die unter dem Fluch stehende junge Frau das Kleinod wiederhaben, so musste sie mit Ravilla Kontakt aufnehmen. Dann würde der Dolch erneut in ihre Hand übergehen. Bis dahin aber würde er die Waffe sicher und in Ehren verwahren, welche die Zwiebelprinzessin fast das Leben gekostet hatte, um zu verhindern, dass dieses Werk am Ende doch noch Wirklichkeit wurde.


    Es war vielleicht die selbstloseste Tat, die Ravilla bisher in seinem Leben vollbracht hatte - ein womöglich ebenfalls verfluchtes Objekt mit bloßer Hand an sich zu nehmen, um jemanden zu schützen.


    Mit wehender Toga stolperte Ravilla die Treppe hinauf, griff nach dem Arm des Anaxis, schrie seinen Sklaven an, er solle ihn sofort nach Hause bringen - was unsinnig war, denn ihr zu Hause lag tausend Meilen weit weg im Land des Feuers und des Windes - und ließ sich von dem Perser in die Nacht hinaus führen, auf der verzweifelten Suche nach dem Weg zurück zur Taverna Apicia.


    RE: ~ Porta ~ | Casa Leonis -->


    Sim-Off:

    Aufgrund des unerwarteten Exils meiner Mitspielerin habe ich diesen Thread leider beenden müssen.

  • Bereits mit geschlossenen Augen spürte Stella, dass sie allein war. Ihr traumloser Schlaf war voller Schuld. Kein Gott, außer Pluto, schien über sie zu wachen. Seine Dunkelheit lag in ihren Augen und versperrte noch jede Sicht auf die Welt; eine okkulte Gnade, die er Stella schenkte, damit sie noch nicht sah, was geschehen war. Doch der dunkle Schatten zog sich zurück und die junge Tiberia öffnete ihre Augen mit einem langsamen Lidschlag. Es dauerte einen Moment, bis sie sich an das diesige Zwielicht des geheimen Tempels gewöhnt hatte. Sie war wirklich allein. Ihre Freundin, die kleine Sklavin, war verschwunden, und auch dieser Seius Ravilla war entschwunden; im Nichts des Unwissens. Es fühlte sich nach Verrat an, doch dabei war sie es, die ihr Leben verraten wollte. Mit den Händen suchte sie nach dem Ritualdolch, der ihr so gut in ihren Händen gefallen hatte. Er war nicht mehr dort. Auch dieser war ihr entrissen worden. Es war ein Dolch ihres Vaters oder einer seiner Diener, die sich Pluto gewidmet hatten. Stella brauchte diesen Dolch, da er ihr Schutz oder die Möglichkeit der Flucht aus diesem albtraumhaften Leben bot. Sie wusste genau, wie ein solcher Dolch zu nutzen war. Etwas für das sie ihrem Vater Dank schuldete aber ihm stets verwährte, weil die Kunst einen tödlichen Stoß und Schnitt zu setzen, nichts war, worauf sie stolz sein wollte. Dennoch war der Dolch bisher alles an Wert, was sie besaß. Diese Waffe war alles, was ihr geblieben war und somit kroch Stella auf allen vieren durch das Halbdunkel, auf der Suche nach der Waffe. Nein, sie war wirklich fort. Alles war ihr wieder entrissen worden. Dieser Verrat wog schwer und so erhob sich der unruhige Engel des Pluto aus dieser Gruft, trat die Stufen hinauf, mit einem finsteren Blick, voller Eifersucht auf das Leben und voller Missgunst für jene Verräter, die sie in dieser Gruft allein zurückgelassen hatten. "Pluto, ich diene dir," sagte sie leise, fast tonlos in den staubigen Wind, der durch die Straßen von Rom wehte. Die Sterne führten Stella abseits, fern von hier, als sie die dunklen Straßen durchstreifte. Vielleicht auch nur auf der Suche nach sich selbst. Doch sie würde diesen Dieb finden, der sich ihres Besitzes und ihres Fluches bemächtigt hatte. Der Fluch des Todes gehörte ihr allein.

  • Einige Zeit war vergangen, in der sie diesen Tempel nicht mehr aufgesucht hatte. Es war ihr einerseits nicht danach gewesen, sondern auch andererseits verband sie mit diesem Ort sehr negative Gefühle und unbequeme Wahrheiten. Inzwischen war sie in Rom angekommen, war die neue Ziehtochter des mächtigen Claudius Menecrates und lebte augenscheinlich ein gutes Leben. Doch Stella konnte niemals wirklich irgendwo ankommen. Wie auch? Sie war eine stetig Getriebene und Zerrissene. Dieser Ort übte auch jetzt noch eine dunkle und magische Anziehung auf sie aus. Jene Mächte, die hier beschworen werden konnten, versprachen neben Lügen auch eine Erlösung.


    Stella hatte die Ölschalen und Lampen entzündet, so dass das grottenartige Tempel erleuchtet war. Sie selbst hatte sich auf den Altar gesetzt und betrachtete die merkwürdig okkulten Statuen, wobei sie ihren Kopf leicht schief geneigt hatte. Mit ihren Händen hatte sie Dolche zur Seite geschoben, wobei jeweils seitig ein Dolch herabgefallen war. Es roch nach Asche und die Luft schmeckte nach Blut; der eisenartige Geschmack hatte sich auch auf ihre Zunge gelegt. Das dennoch schöne Licht umspielte sie und gab ihre Schatten frei, die zu wandern schienen. Stella war entspannt, ließ ihre Beine frei baumeln und summte ein Schlaflied. Sie dachte nach. Die junge Tiberia dachte über ihre Zukunft nach und dieser Ort der unguten Vergangenheit schien ihr wohl ein geeigneter Ort dafür. Hier würde sie niemand stören und hier konnte sie einfach nur Stella sein.

  • Dass jenes finstere Gewölbe erneut seinen Schlund aufgerissen hatte, überraschte Ravilla. Mit einer gewissen Verstörung gedachte er des verfluchten Dolches, welchen er heute bei sich trug, da er ihn loszuwerden beabsichtigte. Oft hatten seine Schritte ihn an der alten Villa vorbeigeführt, stets war die Katakombe verschlossen gewesen, doch kaum trug das unheilvolle Eisen er bei sich, lud die Tiefe ihn ein, hinabzusteigen. Fast schien es, als hätte Pluto seine Hand im Spiel, von dessen Altar die Waffe einst stammte. Anaxis hatte die Führung angegeben, trat als erster hinein, gefolgt vom Seius, der in Argwohn sich umsah. Friedlich und ruhig wie ein Mausoleum lag dieser eigenwillige Keller.


    Doch dort - Feuerschein? Gesang?


    Erstaunen zeigte sich nun in seinem Antlitz. Anaxis trat auf ein Zeichen seines Herrn beiseite, um ihm den Weg freizugeben, als er der Zwiebelprinzessin gewahr wurde. Und während der Sklave dezent im Hintergrund verharrte, trat Ravilla gemessenen Schrittes nach vorn, um in einer höflichen Entfernung stehenzubleiben.


    "Mir scheint, wir sind uns in der Vergangenheit bereits begegnet", erklang in ruhigem Ton sein Gruß. "Erinnerst du dich meiner? Traurig waren die Umstände zu jener Zeit, besser sind sie hoffentlich in diesen Tagen. Gestattest du mir, näherzutreten und mich ein wenig zu dir zu gesellen?"

  • Schritte. War es wieder Einbildung? Ein Traum oder Wahn? In den Schatten sah sie Wunder von fremden Welten und ließ ihre Gedanken Geheimnisse ergründen. Stella regte sich nicht, bewegte sich nicht von ihrem Platz und ließ weiter ihre Beine baumeln. Es war egal, vollkommen gleichgültig, was nun Wahn und Wirklichkeit war. Denn Träume boten manchmal mehr als jedwede Welt außerhalb. Wo Menschen sterblich waren, waren Träume unsterblich und diese Unsterblichkeit hatte die Tiberia entführt, während der diesige Nebel aus Asche und blutigen Schwaden seinen Weg bahnte und auch Anaxis und Seius erreichte. Stella wurde angesprochen. Es war dieser Ravilla. Dieser verdammte Ravilla, der als Scherz durch Schicksal an sie gebunden war oder war er nur Einbildung? War er immer nur Einbildung gewesen? Gedanken, wie diese, folterten Stella auf eine mysteriöse Weise. Natürlich erinnerte sich Stella an ihn. "Dieser Ort hat eine seltsame Zauberkraft...," sagte sie. "Ich erinnere mich an so vieles und mit Sicherheit auch an dich." Auch in der höflichen Entfernung konnte Ravilla erkennen, dass Stella nicht geschminkt war und eher einfach gekleidet war. Dieser Ort verlangte sogar eine gewisse Schlichtheit. Ob es nun Wahn oder Wirklichkeit war? Es war auch in dieser Sache egal. Gesellschaft mochte vielleicht helfen, auch wenn es nur Schatten waren. Seius Ravilla war noch einer der interessanten Schatten gewesen, die sie heimgesucht hatten. "Ja," antwortete sie knapp und deutete neben sich auf den Altar. Hier war noch ein Platz frei. Der unsichtbare Pluto huschte am Feuer umher, ließ es knistern und ein paar Funken flogen durch die Luft, als der Windzug Ravilla fast schubsen wollte. "Ich warne dich nur. Pluto ist kein gesprächiger Gastgeber," erklärte sie und lächelte nicht bekümmert aber auch nicht froh.

  • Gemessenen Schrittes näherte Ravilla sich dem Altar. Etwas unwohl fühlte er sich dabei, sein Gesäß darauf zu platzieren. Den Herrn der Unterwelt zu erzürnen lag ihm fern. "Hab Dank, ich würde stehend mich zu dir gesellen, ich sitze tagsüber genug", gab freundlich er die Antwort, während stehend er sich neben Stella positionierte.


    Gemeinsam beobachteten für eine Weile sie das Spiel der Flammen, das Huschen und Flackern, hörte das Knistern, das gelegentliche Knallen und folgten mit ihren Augen dem Funkenregen. Ein merkwürdiges Band war es, das ihrer Schicksale miteinander verwob, kaum sichtbar, kaum spürbar, doch bei jeder Begegnung von großer Kraft.


    "Seltsam scheint die Zauberkraft weniger, wenn man berücksichtigt, dass dies der Altar eines Großen unter den Unsterblichen ist. Wir haben Ohren, um zu hören und Augen, um zu sehen, was uns vielleicht vom durchschnittlichen Römer dieser Tage unterscheidet. Die Götter pflegen sich in anderer Sprache als wir auszudrücken. Selten nur manifestieren sie sich in heutiger Zeit noch in körperlicher Gestalt, um mit menschlichen Lippen zu uns zu sprechen. So bedarf es aufmerksamer Zuhörer, um ihren verschlüsselten Willen zu ergründen, ihre Warnungen und ihren Segen zu begreifen.


    Oft vermögen das heute nur noch die Priester und Wunder sind rar geworden. Doch bin ich nicht darüber im Klaren, ob Pluto in Roma eine Priesterschaft oder einen Kult sein Eigen nennt. Aber vielleicht kannst du mir Antwort geben, denn sicher suchst du nicht ohne Grund diesen einsamen Ort auf, stets im Dunkeln und immer allein. Stella, der Stern. Es liegt eine Poesie in deinem Namen, die sich an der Metaphorik des Lichts nicht erschöpft, denn damit ein Stern sein Strahlen zeigen kann, muss Dunkelheit ihn umfangen."

  • Stella schmunzelte vollmundig und mit breiten Backen. Dieser Mensch war seltsam und bemerkenswert, denn er schaffte es, ihr ein Schmunzeln abzuringen; auch an diesem trostlosen Ort, der immer noch in diesigen und okkluten Schwaden lag. "So sei es," sagte sie und nickte ihm mit einem lieblichen Augenzwinkern zu, was sich jedoch schnell wandete. Ravilla sprach redegewandt und klug, versteckte seine Fragen und Intentionen jedoch nicht, so dass Stella gewillt war, vollumfänglich zu antworten. Inzwischen mochte sie diesen Kauz irgendwie. Sie hörte ihm aufmerksam zu, bevor sie antwortete.


    "Ich sehe diese Welt wirklich anders als andere," offenbarte sie sich. "Pluto folgt mir. Er ist mit mir verbunden, auf eine Weise, die ich nicht erklären kann. Ich sehe ihn, wenn der Tod kommt und ich sehe ihn, wenn das Schicksal sich zeigt. Er ist ein ständiger Schatten hinter mir. Seit diesem Tag damals, als mein Vater verschwand, folgt mir Pluto und spricht zu mir. Durch ihn sehe ich die Welt anders, sehe Farben und Töne, spüre Musik und höre diese Welt singen, wie auch jene Gedanken der Menschen als Form sehe, bevor sie sprechen. Meine Mutter hatte bereits diese Gabe oder diesen Fluch," erzählte sie und blickte dabei auf die düsteren Statuen in der Nähe. Sie hatte keine andere Erklärung bereit; auch war sie auch nicht auf diesen Moment vorbereitet. Vielleicht würde dieser Moment der Ehrlichkeit sie einiges kosten, doch wollte sie einmal mit einem Menschen ehrlich sein. Doch wollte sie Ravilla auch nicht zu viel verraten, denn jedes Detail konnte zu viel Einsicht in unangenehme Wahrheiten geben. Niemand dürfte mehr über ihre wahre Mutter erfahren. Dies war ein Gelübde und der Eid, der ihr Leben als Römerin bewahrte. "Es gibt verschlagene und geheime Kulte des Pluto. Dieser Tempel hier wird von einem nicht mehr so geheimen Kult betrieben, dem mein Vater einst vorstand. Die Priesterschaft des Pluto ist freier Natur aber es gibt eine Grotte außerhalb von Rom, wo reguläre Priester Opfer darbieten und sich einige Römer hinbegeben, um mit den Toten zu sprechen," erklärte Stella und nickte dann. Sie blickte auf.


    "Meine Mutter wählte den Namen und mein Vater stimmte zu. Für beide war ich ein Licht in der Nacht," meinte sie aber verschwieg, dass ihre Mutter in Rom Luna genannt wurde, und eine Sklavin war. Die Mondgöttin und ihre Kinder war eine bekannte Geschichte, so dass Stella dies verschweigen musste, um nicht auf ihre wahre Herkunft zu verweisen. "Ich suche nach Geborgenheit und in der Dunkelheit fühle ich mich wohl. Pluto ist hier bei mir. Er steht sogar gerade direkt neben dir," antwortete sie und schmunzelte bei den letzten Worten. Mit ihrem Zeigefinger deutete sie auf den merkwürdigen Schatten, der sich im diesigen Nebel gebildet hatte. Er sah in der Tat aus, wie eine Person, die einen Schleier oder eine Kapuze trug. "Im Licht ist mir so viel Grausamkeit angetan worden, Ravilla. Viele Menschen sind schlecht aber Pluto und die Nacht waren immer gut zu mir. Sie gaben mir Träume, verhüllten den Schmerz und beschützten mich. Sterne strahlen im Dunkeln und auch ich strahle stets in der Nacht. Unter den Augen der Menschen hier in Rom fürchte ich mich, ich fürchte mich vor ihnen allen, da sie heimtückisch sind und selbst im Lichte lügen und betrügen, doch Pluto lügt nicht und die Nacht nimmt dich einfach ein und verdeckt alle Taten der Menschen. Ich gehöre wohl nicht ganz in diese Welt und bin deshalb gerne allein."

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