Plutarchs Reisen | Ein Leuchten am Horzont...

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    "Da liegt eine Insel im wogenstürmendem Meere
    Vor des Aigyptos Strome, die Menschen nennen sie Pharos..."


    Nicht unwillkürlich fielen mir diese Worte ein, die der Legende nach einst der blinde Dichter Homer Alexander dem Großen im Traume einflüsterte, als am Horizont des dunklen nächtlichen Meeres ein neues, hell loderndes Gestirn erstrahlte.


    Kein Zweifel! Wohl niemanden auf dieser Welt gab es, dem die Bedeutung dieses Sternes nicht bekannt sein könnte: Das Schiff, welches seit Tagen und Wochen meine einzige Heimstatt im wogenden Wasser war, erreichte die Küste des Landes Ägypten.
    Pharos! Das größte Leuchtfeuer der Welt, eine der größten Wundertaten des Menschengeschlechtes und würdiges Denkmal jener Stadt, in deren Hafen er dem wohl gesonnenen Reisenden freundlich den Weg leuchtete.


    Sehnsuchtsvoll beugte ich mich über die Reling und atmete den salzigen Duft der kühlen Meeresluft an jenem Sommerabend. Und in die, in der Ferne leise rauschenden, Wogen blickend ließ ich meine Gedanken treiben, zurück zu Homers Weissagung und der Geschichte, die sie erzählte: Die Geschichte der Stadt Alexandria, die durch die Prophezeiung ihren Anfang nahm...

  • Es begab sich nämlich wohl in einer kühlen Sommernacht wie dieser, dass Alexander der Große, König der Makedonen, wohl kurz bevor die Priester von Siwa in ihm den Gott Zeus erkannten, den die Ägypter Amun nennen, in seinem Bette eine wunderbare Vision empfing: Vor ihm trat ein alter Mann, greise und blind, aber voller Anmut und Würde, die ihn von den gewöhnlichen Sterblichen abgrenzte.


    Alexander erkannte wohl den Dichterfürsten nicht sofort, doch fasste er aufgrund seiner Erhabenheit sofort Vertrauen zu ihm.
    (Böse Zungen behaupten, dass Alexander ihm auch vertraute, da er sich vorgenommen hatte, niemals wieder jemandem zu unterschätzen, der arm, alt oder sonst wie unwürdig aussah, nachdem ihm Diogenes mit knappen Worten die Grenzen seiner Macht bewusst gemacht hatte.


    "Alter Mann, schon seit längerem habe ich die Idee, eine Stadt zu errichten, der keine andere Stadt auf der Welt gleichkommen mag, nicht Athen, nicht Memphis und nicht einmal Persepolis. Ein Wunder soll sie sein, makellos und rein, wie nur die Götter sie zu schaffen verstehen. Denn ich bin ein Gott und ich brauche eine Stadt, die meiner würdig ist."


    Da sprach der Dichter seinen Spruch und Alexander erkannte, dass es Homer war, der zu ihm sprach. Nachdem er aufgewacht war, zögerte er nicht lange und befahl sogleich seinen Waffengefährten und Getreuen, aufzubrechen und dem Strom Nil abwärts zu jener Insel zu fahren.


    Und als er sie erreichte, sah er, dass er sich nicht in seinem Plan geirrt hatte, den Worten des Dichters zu folgen: Schön und prächtig glitzerte das Land im Sonnenlicht. Eine Landbrücke, ein Isthmus, malerisch zwischen dem Meer, dem Nil und dem wunderschönen, reich mit Flamingos bevölkerten See, Mareotis, liegend.


    Alexander selbst machte sich sogleich an die Arbeit: Anhand der Weisungen Homers, der ihm nicht nur als König der Dichter sondern auch als höchster Architekt erschien, und im Vertrauen auf sein Geschick, zog er selbst mit Kornsamen einen Kreisbogen über die schwarze Erde, dessen innere Fläche er mit geraden Linien durchzog. Dann befahl er: Der Kreis soll die Mauer meiner Stadt sein und die Linien die Hauptstraßen und Quartiere. Und Alexander freute sich über seinen Plan.


    Da stoben auf einmal die Flamingos vom See in die Höhe und die Möwen auf dem Meer taten ihnen gleich. Und ebenso alle anderen Vögel des Landes, Wolken von Vögeln verdeckten den Himmel und stürzten sich auf das Werk. Kein Korn blieb von dem Entwurf übrig.


    Alexander war äußerst bestürzt darüber und wollte die Stadt schon aufgeben, da meldete ihm seine Seher, die Griechen, Perser, Ägypter und alle anderen, dass dies ein gutes Zeichen gewesen sei. An dieser Stelle würde seine Stadt eine der reichsten und größten Städte der Welt werden und alle anderen in ihren Schatten stellen. Diese Prophezeiungen von so vielen Weisen und so vielen Göttern ließen ihn wieder neuen Mut fassen und er trug seinen Aufsehern auf, hier zu bleiben und die Stadt zu bauen.
    Er selbst zog weiter Nil abwärts zum Orakel des Amun und kehrte nie wieder zurück. Die Stadt aber wurde erbaut.


    Soviel zur Legende. Ich beobachtete zwei Möwen, die über das Schiff flogen. Morgen würde ich mich selbst von den wirklichen Wundern dieser Stadt überzeugen können...

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