Atrium | Die Aufbahrung der Flavia Vera

  • Am Abend des Tages, an welchem Vera starb, war auch schon die Einbalsamierung abgeschlossen, der Libitinarius, den Piso aus der Subura aufgetrieben hatte, zog seiner Wege und kassierte für seine Dienste, die im Wesentlichen darin bestanden hatten, die Leiche einzubalsamieren und im Atrium hinzustellen, sorgfältig drapiert, die Füße zur Türe hin ausgerichtet. Vera sah wunderschön aus, dachte sich Piso, als er den einbalsamierten Leichnam mit wässrigen Augen betrachtete. Nigrina hatte ihr schönstes Gewand für sie herausgesucht, und der Libitinarius war freilich kein unfähiges Würstchen gewesen – vielmehr hatte er hart gearbeitet. Vera sah ein wenig aus, als hätte sie sich in eine Statue verwandelt unter den fähigen Händen des Handwerkers. Dessen Dienste waren nun nicht mehr erforderlich, Piso selbst hatte ihm garantiert, er selber würde dazu schauen, dass Vera fachgemäß bestattet werden würde, hatte der Mann ihm doch noch profitgierig angeboten, dass er seine Träger benutzen konnte, gegen Bezahlung, natürlich.
    Nun waren alle weg, es verblieben nur noch Piso und Vera im Atrium. Lange, lange blickte er ihr auf die Augenlider in Ermangelung von Augen. Er musste daran denken, wie er früher am Tage Acanthus den Auftrag gegeben hatte, einen Zypressenzweig an der Türe aufzuhängen, zum Ausdruck dessen, dass ein Familienmitglied verstorben war. Es war nun endgültig und der Welt sichtbar, dass sie tot war. Eine heiße, salzige Träne glit von seinen Augenwinkeln und flog hinab, Veras linkes Ohr knapp verfehlend. Piso fuhr zurück und schlug hastig das Tuch über ihr Gesicht. Er musste schlafen, er musste sich etwas ins Bett legen, er würde noch irre werden. Piso zog einen Obulus aus seiner Tasche und legte sie Vera in den Mund; dann schloss er ihn. Eilends verließ er anschließend das Atrium.


    Es war am nächsten Morgen, dass das ganze Theater richtig anfing. Piso hatte eine unruhige Nacht verbracht, und es war kein Wunder, dass er der erste der Gens war, welcher sich am Morgen wieder einfand vorm Sarg, in welchem Vera aufgebahrt lag. Zuvor hatte er sich gewaschen, rituell natürlich, wie man es machen musste, wenn man mit den Tod in Berührung kam, apathisch und teilnahmslos hatte er die Reinigungsformel gesprochen. Der Tod war unrein, niemand sollte sich damit beschmutzen, auch wenn sich Piso fragte, was genau an seiner Vera je unrein werden würde. Dennoch machte er es. Er trug eine dunkle Toga, die den Trauernden vorbehalten war. Man sah, dass er sich nicht rasiert hatte – seine Trauer konnte man kaum stärker als durch Bartstoppeln ausdrücken, das war jedem Römer klar.
    Kurz nachdem er sich dort eingefunden hatte, kamen die bestellten Klageweiber. Es war nicht die Art des Römers, seiner Trauer lautstark Ausdruck zu geben (sogar Piso war relativ ruhig gewesen nach dem ersten Schock), doch die Trauerweiber scherten sich kaum darum – sie verdienten Geld dabei, den Lärm zu erzeugen, den die engsten Familienangehörigen nicht machen durften. Je lauter, desto mehr Trinkgeld bekamen sie normalerweise.
    Es muffelte nach Weihrauch, Sklaven hatten es entzündet, denn es konnte nicht schaden.
    Das misstönende (für Piso gar nicht einmal unangenehme, doch er hatte nun anderes im Kopf als Ästhetik) Heulen der Frauen musste jeden in der Villa aufwecken, und klar machen, dass die Aufbahrung begonnen hatte. Er fragte sich, wer alles kommen würde, um Vera ihren letzten Gruß zu erweisen.


    Sim-Off:

    Trauergäste können einfach hineinkommen ohne Umweg über die Porta!

  • Nigrina war froh gewesen, als sie endlich hatte gehen können. Der Einbalsamierung musste sie nun wirklich nicht zusehen, und so hatte sie sich zurückgezogen, als der Libitinarius gekommen war und seine Arbeit aufgenommen hatte. Sie hatte sich zurückgezogen, in ihr Zimmer, obwohl ihr der Sinn mehr danach stand, in die Stadt zu gehen und sich auszutoben. Ihr Leben zu feiern. Aber sie unterdrückte diesen Impuls, weil sie wusste, dass es sich nicht schickte. Sie hatte nicht generell ein Problem damit, Konventionen und Traditionen zu brechen, aber es gab gewisse Grenzen. Die Gefahr durfte nicht zu groß sein, dass es aufflog. Und es durfte nichts sein, was zu empörend war, wenn es herauskam. Und wenn sie an diesem Abend nicht zuhause war, würde es auffallen, so einfach war das.


    Am nächsten Morgen war sie früh auf den Beinen, wie es sich gehörte für die Schwester einer Toten. Wusch sich, wie es sich gehörte, wenn der Tod im Haus war. Kleidete sich, wie es sich gehörte, wenn man trauerte. Sie stellte fest, dass sie ein neues Trauerkleid brauchen würde, und eine entsprechende Bemerkung warf sie den Sklavinnen zu. Dann verließ sie ihre Räume und machte sich auf den Weg ins Atrium, wo Piso schon anwesend war. Schon lange vorher hatte sie das Jaulen der Klageweiber gehört, die auch schon gekommen war, aber sie ignorierte das, so gut es ging. Stattdessen gesellte sie sich schweigend zu ihrem Bruder und stellte sich neben ihn, mit versteinerter Miene, die nichts preisgab von dem, was sie empfand. Mehr weil es sich gehörte denn aus dem wahren Wunsch zu trösten heraus berührte sie sacht seinen Arm. „Wie geht es dir?“ Was für eine Frage. Wie es ihm ging, konnte man ihm deutlich ansehen. Aber ihr fehlten schlicht die passenden Worte.

  • Piso starrte noch immer einsam, hilflos, verloren auf die Leiche seiner Schwester, als er plötzlich eine Hand auf seinem Arm verspürte. Krampfhaft wandte er seinen Kopf zu der Richtung hin, wo er die dazugehörige Person erkennen konnte. Sie fragte ihn, wie es gehe. Nigrina hatte eine alte Trauerrobe angezogen; etwas zu tragen, was nicht der elegantesten Mode entsprach, sah ihr eigentlich gar nicht ähnlich. Jedoch war es angemessen, so etwas zu tragen in diesen traurigen Tagen. Und seine Schwester wusste, was sich schickte, kein Zweifel hatte Piso daran.
    Er blickte sie nun also nur traurig an. “Scheiße“, antwortete er ihr ganz ehrlich. “Richtig scheiße. Aber danke der Nachfrage.“ Er senkte seinen Blick zu Boden und umfasste ihre rechte Hand mit seiner linken. Gut möglich, dass sie das nicht mochte, aber Piso mochte es, und er war der ältere Bruder, also basta. Händchen halten, wie süß.
    Er schwieg eine kurze Zeit. Dann blickte er wieder Nigrina an, nachdem er seinen Blick vorher wieder weggedreht hatte, um auf Veras totes Antlitz zu starren. “Sie hätte nie nach Rom kommen dürfen. Die schmutzige Luft hier... der Lärm in der Nacht... die Stadt an sich... es hat sie umgebracht. Das alles miteinander.“ Nass wurden seine Augenwinkeln wieder.

  • Meine heutige Stimmung hatte auf exzellente Weise zum Anlass meines Besuches gepasst. Einer Toten die letzte Ehre zu erweisen, gehörte nicht zu meinen favorisierten Lieblingsbeschäftigungen und durchaus wäre mir ein anderer Anlaß wohl lieber gewesen, meinem alten Heim und dessen Bewohnen einen Besuch abzustatten.
    Soweit ich mich erinnern konnte, war ich der verstorbenen nur wenige Male begegnet. Wir hatten wohl kaum drei Sätze miteinander ausgetauscht, aber dennoch, konnte ich mich dessen heute nicht entziehen.
    Die sonst so farbenfrohen Gewänder hatte ich gegen eine unscheinbare dunkle Tunika getauscht, die dem Anlass angemessen erschienen war.
    Bereits als ich den Eingang durchschritten und mich den rituellen Reinigungen unterzogen hatte, hörte ich schon das lautstarke Geheule der Klageweiber, Weihrauch lag in der Luft und all der Glanz dieser Villa, der dem Besucher sonst bei seiner Ankunft ins Auge sprang, erschien nun fahl und leblos. All die großartigen Ahnen, deren Büsten im Atrium ihren Platz hatten, schienen lediglich eine Aneinanderreihung des vergänglichen zu sein. Bestenfalls war dies alles, was von uns übrig blieb, wenn wir gegangen waren. Eine Büste aus Stein mit dem entsprechenden Namen darunter.
    Vor mir inmitten des atriums war der bleiche Leichnam Veras aufgebahrt. Sofort erblickte ich die Geschwister der Toten und ging auf sie zu.
    "Salvete Aulus, Nigrina! Mein aufrichtiges Beileid!" Den beiden Geschwistern sah man den Schmerz an, den sie zu ertragen hatten.

  • Piso war ehrlich. So ehrlich, dass Nigrina am liebsten das Gesicht verzogen hätte, weil sie das dann doch nicht hätte hören wollen. Aber nun gut, sie hatte gefragt, und das hier war wohl eine Situation, in der sie es tolerieren musste – und zwar ohne das Gesicht zu verziehen, wie sie es sonst getan hätte bei ihrem Bruder. Ebenso reglos akzeptierte sie, dass er ihre Hand nahm, und sie erwiderte den leichten Druck sogar. Sie wusste gar nicht so genau, warum sie das tat. Ein Teil von ihr wollte schlicht einen Streit, einen Eklat jedweder Form vermeiden in dieser Situation. Sie kam mit der Trauer nicht klar, mit der Atmosphäre, die der Tod mit sich brachte, aber sie wusste, dass sie das nicht zeigen durfte. Genauso wenig wie sie zeigen konnte, dass sie Veras Tod nicht allzu sehr berührte. Oder besser: dass sie erleichtert war, weniger um Veras als um ihrer selbst willen. Irgendwo in ihr mochte jedoch auch ein Teil sein, dem die Berührung... gut tat. Auch wenn Nigrina das niemals zugegeben hätte, nicht einmal vor sich selbst. Aber ob dies nun so war oder nicht: sie wusste, so oder so, dass sie Piso in dieser Situation nicht alleine lassen konnte. Es gehörte sich für sie als seine Schwester, da zu sein für ihn. Weil sie Veras Tod anders und weit weniger berührte, und weil sie überzeugt war, die Stärkere von ihnen beiden zu sein. „Nein. Hätte sie wohl nicht“, stimmte sie ihm leise zu. Rom hatte durchaus das an sich, was er gerade beschrieben hatte, und für jemanden wie Vera, mit ihrer ohnehin schwächlichen Konstitution, mochte das letztlich den Ausschlag gegeben haben. Andererseits: wenn die Länge des Lebensfadens vorbestimmt war, wäre Vera gestorben. Egal wo sie war. Aber vielleicht hätte sie die letzten Wochen, Monate ihres Lebens nicht derart vergeudet vor sich hin vegetiert.


    Als noch jemand das Atrium betrat, blickte Nigrina – der man keinen Schmerz ansehen konnte, da ihr Gesicht nach wie vor regungslos war, eben um zu verbergen, dass sie einen solchen nicht wirklich empfand – auf. „Celerina“, grüßte sie ihre Verwandte in einem angemessen zurückhaltenden Tonfall. „Ich danke dir für deine Anteilnahme.“

  • Ehrlichkeit war nicht sehr opportun für einen Politiker, einen Quaestor, und wohl auch nicht für einen Collegiumspriester. Aber in diesen Funktionen stand Piso nicht hier. Er war hier als trauernder Bruder, und wem konnte er ehrlich sein, wenn nicht seiner Schwester gegenüber? Eine Antwort a la „gut, geht schon“ hätte seinem Aussehen Lügen gestraft. Wenn Augen die Spiegel der Seele waren, dann war Pisos Seele zur Zeit gerötet, entzunden und aufgeschwollen. Nigrina selber sah tadellos aus, wie immer. Von ihnen beiden war, unbeachtet aller Klischees, die man über Geschlechter haben konnte, Piso schon immer der emotionalere und wohl auch zimperlichere gewesen. Zwischen Piso und Vera war halt altersmäßig nur ein geringer Unterschied bestanden, wobei Nigrina um Einiges jünger war, schließlich entstammte sie auch aus dem Schoße einer anderen Frau als Pisos und Veras Mutter.
    Mutter. Sein Blick lastete auf der wunderschön hergerichteten Leiche. Nun würden Vera und ihre Mutter sich wieder im Elysium sehen. So war es von den Parzen vorgesehen, so musste es sein. Und trotzdem machte sich Piso Vorwürfe, die von der Bestätigung seiner Schwester, was seine Worte anging, nicht unbedingt gedämpft wurden. Immerhin spürte er, wie seine Schwester auch seine Hand umschloss. Der Flavier blickte zu Nigrina hin und versuchte sich an einem Lächeln, doch nicht mehr entstand als eine etwas erbärmliche Grimasse, die auch sofort wieder verschwand. “Vielleicht hätte es etwas gebracht, wenn ich sie zu Marcus Aristides geschickt hätte. Nach Baiae.“ Doch tief in seinem Inneren wusste er, es wäre unabwendbar gewesen, und das Problem hätte er nur Marcus zugeschoben, statt es sich selber zu überlassen.
    Und so stand er nur einmal da, und er konnte sich nicht verwehren, dass er das Gefühl, das Nigrinas Handdruck in ihm auslöste, genoss. So unterschiedlich die beiden Geschwister manchmal sein mochten, Blut war dicker als Wasser. Und er war Nigrina dankbar, dass sie ihm beistand.
    In diesem Gedankengang aufgeschreckt von Celerinas Präsenz, sah er auf. Wie seine Schwester sah auch Celerina trotz ihrer schlichten Kleidung wundervoll aus. Welch Kontrast zu einem verheulten Piso. Er atmete tief ein, bevor er sie begrüßte. “Salve, Celerina. Danke, dass du gekommen bist.“ Er machte eine kurze Pause. “Und danke, dass du mit uns trauerst.“

  • Das Jammern der angemieteten Klageweiber tönte bereits in Gracchus' Ohren als er noch auf dem Weg von seinem Cubiculum durch den Gang zum Atrium hin war, ähnelte zu sehr dem Heulen der Strigae, und manch eine dieser Frauen würde wohl auch in ihrem Anblicke einer solchen gleichen, wehklagend unter ihrem schwarzfarbenen Kopftuch, mit schiefen Zähnen, krummer Nase, stechendem Blicke und den Fingern so dürr, dass es Klauen mochten sein. Als er den freiflächigen, luftigen Raum erreichte stockte Gracchus kurz, nocheinmal tief durchzuatmen. Er hatte hier nichts zu sagen, nichts zu trauern - kaum nur hatte er Vera gekannt, in der Kindheit nur flüchtig, als junge Frau nicht viel mehr -, wiewohl der Gedanke an die rastlose Gaia in diesem Hause das Herz ihm zusammen zog. 'Taugenichts', flüsterte hinter ihm eine Stimme und ruckartig drehte Gracchus sich um zu einem hageren Sklaven, welcher neben dem Durchgang an einer Säule harrte, stets bereit auch den marginalster Wunsch der flavischen Familienmitglieder zu erfüllen.
    "Was sagst du?"
    herrschte Gracchus den Namenlosen leise an, der verwundert und ein wenig erschrocken für einen Herzschlag lang Sciurus' und dann Gracchus' Blick suchte, wie um sich zu vergewissern, dass dieser tatsächlich mit ihm sprach. "Ich habe nichts gesagt, Herr", gab er sodann unsicher von sich und wagte erst weiter zu atmen, als Gracchus mit zusammen gezogenen Augenbrauen und einem unwirschen Brummen sich abwandte. 'Pflichtvergessener Narr', flüsterte erneut es hinter ihm, worauf Gracchus jählings sich zurück drehte, noch in der Bewegung seine Linke hob und mit dem Handrücken dem Sklaven einen Schlag verpasste, dass dieser die Augen aufriss und für einige Augenblicke das Gleichgewicht verlor.
    "Aus meinen Augen, ehedem ich mich ver..gesse!"
    knurrte Gracchus den Sklaven an, der sich duckend und und ohne zu wissen, wie er den Zorn seines Herrn auf sich hatte gezogen, mit einem hastigen Nicken aus dem Atrium schlich, gefolgt von Sciurus, welcher dies ebenso wenig wusste und ein wenig besorgt bei sich grübelte, welch respektlose Handlung des Sklaven ihm mochte entgangen sein. Gracchus indes kümmerte sich nicht weiter um beide, war dies doch die Bestattung seiner Base, wiewohl sein Vilicus für eine angemessene Bestrafung für solcherlei Invektive würde Sorge tragen. 'Pflichtvergessener Träumer', flüsterte es leise, gefolgt von höhnischem Lachen, doch als Gracchus sich umdrehte, gewillt diesmalig den frechen Sklaven zur Löwung freizugeben, stand niemand mehr in seinem Rücken. Derangiert huschten seine Augen über die Bemalung der Wand, den dekorativen Kerzenhalter, die farnige Topfpflanze und die hüfthohe Bodenvase, doch war kein Ursprung der Stimme auszumachen. Wütend über sich selbst, von seiner eigenen Furcht sich zum Narren halten zu lassen, presste Gracchus seine Kiefer aufeinander, schloss für einige Herzschläge die Augen und atmet tief durch die Nase, ehedem er der Aufbahrung sich wieder zuwandte, das Atrium endlich durchquerte und vor Veras Leichnam innehielt. Die schwarzfarbene Toga auf seinen Schultern schien ungleich schwerer als jedes similär geartete Kleidungsstück und doch war sie nicht dick genug, ihn vor der Aura des Todes zu schützen. Leise murmelte er einige Worte der Respektbezeugung, deren Laut er bereits wieder hatte vergessen, als ihr Schall in der Luft erstarb, wandte sich sodann erst den anwesenden Trauernden zu, welche noch nur aus Mitgliedern der Familie bestanden.
    "Ihr Tod ist ein wahrli'h tragischer Verlust für diese Familie."
    Die Worte klangen leer in seinen Ohren, falsch zudem, denn obwohl sie keiner Lüge entsprachen, so waren sie doch ohne Inhalt für ihn selbst, dass er gleich darauf zu Piso und Nigrina gewandt fortfuhr.
    "Wird euer Vater zur Bestattung nach Rom anreisen?"
    Die Frage brannte regelrecht unter seinen Fingernägeln - welche an diesem Morgen des Trauerzustandes wegen nach der Säuberung nicht gefeilt worden waren, wie auch die feinen Bartstoppeln auf seinen Wangen nicht waren rasiert worden-, obgleich ihm kein plausibler Grund wollte einfallen, weshalb er im entsprechenden Falle Rom für eine Tage würde verlassen können, der Konfrontation mit Aetius zu entgehen.

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  • Nigrina blieb an Pisos Seite, hielt weiter seine Hand. Sie hatte das Gefühl, er brauchte das. Sie nickte Celerina noch einmal zu, schweigsam, mit einem Gesicht, das ruhig war, keine Regung verriet. Sie hätte lieber geschrien. Geschrien, gebrüllt, einfach nur um zu zeigen, zu spüren, dass sie noch am Leben war. Sie war unruhig, innerlich, und sie bemerkte auch, wie Veras Anblick zunehmend schwerer zu ertragen war für sie, ebenso wie das laute jammerige Klagen und diese ganze bedrückte Atmosphäre.


    Sie wandte leicht den Kopf, als erneut jemand das Atrium betrat, diesmal jedoch nicht von der Porta kommend, sondern vom Inneren der Villa. „Gracchus.“ Diesmal blitzten ihre Augen leicht auf. Gracchus. Nigrina wusste wohl, wie ihr Vater zu diesem Mann stand. Sie wusste auch warum, denn zumindest ihr gegenüber hatte Aetius keinen Hehl daraus gemacht – aber Aetius machte selten aus irgendetwas einen Hehl. Nigrina in jedem Fall war eindeutig ein Papakind. Sie, nun ja – vergötterte ihren Vater regelrecht. Was sie vom Leben wusste, was sie von Menschen hielt, ihre Einstellung, all das hatte sie letztlich von ihm gelernt. Wenn ihr Vater nicht viel von diesem Mann hielt, tat sie es auch nicht. Andererseits hatte sie auch gelernt, sich in den richtigen Momenten gekonnt in Szene zu setzen, zu spielen, zu tun als sei sie anders – zu verbergen, was sie dachte. Und bei Gracchus war sie sich nicht so ganz sicher, ob es nicht klüger war, nicht allzu offensichtlich zu zeigen, was sie wusste und dachte. Nein, eigentlich war sie sich sicher, auch wenn es ihr ein wenig gegen den Strich ging, aber Gracchus hatte nicht unbeträchtlichen Einfluss, und sie lebte nun mal hier in Rom, in seiner Villa. Und so war sie ihm mehr oder weniger aus dem Weg gegangen, so ihr das möglich war.


    Jetzt allerdings war das nicht mehr möglich, und so nickte sie auch ihm zu, angemessen, wie sie hoffte, ohne ein Lächeln, aber zugelächelt hatte sie heute noch niemandem, das wäre wohl unpassend gewesen. Nur auf Pisos Grimasse vorhin hatte sie auch ganz kurz ihre Mundwinkel verzogen, was allerdings ebenso wenig wie seine Miene wirklich als Lächeln hätte zählen können. „Das ist es. Ich danke dir für dein Kommen.“ Sie musterte ihn, während sie nickte. So klar ihr war, was ihr Vater von Gracchus hielt, so wenig wusste sie zu sagen, was dieser umgekehrt von Aetius dachte. Und sie war tatsächlich gespannt, inwiefern Gracchus reagieren würde auf ihre folgenden Worte – so seine Reaktion denn sichtbar war, aber falls, dann wollte sie sich davon nichts entgehen lassen. „Ich habe gestern früh gleich einen Boten losgeschickt, um ihn in Kenntnis zu setzen von Veras Dahinscheiden und ihn zu bitten, nach Rom zu kommen. Ich glaube nicht, dass er mir meinen Wunsch abschlagen wird.“

  • Celerina reagierte nicht auf Pisos und Nigrinas Worte des Dankes, sondern legte eine Schweigeminute ob Veras Andenken ein. Piso schluckte und blinzelte, um die Tränenschlieren von seinen Augen zu vertreiben. Die Hand seiner Schwester fühlte sich gut an, vertraut. Piso dachte daran zurück, was er ihr bei dieser verhängnisvollen Nacht im Theater zugeworfen hatte. Er hatte ein enorm schlechtes Gewissen. Sicherlich, sie hatte ihn provoziert, sie hatte ihm selber Sachen an den Kopf geworfen. Sie selber mochte sich nicht einmal schlecht fühlen darüber. Aber Piso tat es. Er spürte, wie seine Schwester jetzt für ihn da war, wo er es dringend brauchte, wie sie ihm Wärme und Nähe spendete, wo er es benötigte, und seine übertriebenen Trauergesten, Umarmungen und sonstigen Berührungen wegsteckte. Ihm sogar zulächelte, wenngleich das Lächeln wenig überzeugend wirkte. Er war ihr dankbar dafür, und nahm sich vor, sich zu entschuldigen. Ein Entschuldigungsgeschenk wäre wohl auch angemessen... vielleicht eines, das das Nützliche mit dem Erfreulichen verband. Eine Idee kam dem Flavier...
    ...doch er konnte sie nicht fertig formulieren, denn Gracchus betrat das Atrium. Piso drehte sich um, und konnte sie schon fast bildlich vor sich sehen, die monumentalen Gedanken, die sich in Gracchus‘ Kopf wälzten wie Räder in einem Bergwerk. Der Flavier sponn sich seine Gedanken, warum Gracchus so selten Einblick gab in seine Gedanken... wohl, weil andere von der Komplexität und Abstraktion seines konstanten Bewusstseinsstroms psychisch erschlagen werden würden.
    “Salve, Gracchus“, brachte er hervor. “Und vielen Dank.“ Nigrina erzählte Gracchus, dass sie ihrem Vater geschrieben hatte. Hatte sie das Piso erzählt? Er konnte sich nicht erinnern. Seine Magenwände zogen sich zusammen beim Gedanken daran, was er zu seinem Vater sagen sollte, wenn er nach Rom kam. Es würde unangenehm werden, aber unausweichlich. Aetius würde nach Rom kommen, und Piso konnte nichts tun, außer, damit zu leben. Und ihm gegenüberzutreten, ein Gedanke, der ihm schwer aufs Gemüt schlug. Er presste seine Lippen zusammen und suchte die aufkommende Panik in seinen Augen zu verschleiern, indem er heftig blinzelte.

  • Veras Schwester Nigrina kannte Gracchus in etwa genauso weit wie er Vera selbst hatte gekannt - im Grunde also gar nicht. Während seiner Besuche in Ravenna war sie ein Kind gewesen, daher völlig uninteressant für ihn, der er nur Sinne für Leontia hatte gehabt, und seitdem sie in Rom war, hatten sie sich kaum nur gesehen, er nicht viel mehr als die üblichen, stets höflichen Begrüßungs- und Befindlichkeitsfloskeln mit ihr gewechselt, hatte auch in dieser Hinsicht seine familiäre Pflicht mehr als nur vernachlässigt, sich diesbezüglich in die Ausrede geflüchtet, dass als ihr Bruder Piso weit mehr für Nigrina hatte Sorge zu tragen, wiewohl jener sich zweifelsohne an ihn würde wenden, so es etwas gab, dessen er nicht Herr wurde. Ihre Begrüßung war reserviert, jedoch war dies an einem Tage wie diesem nicht sonderlich auffällig, darüberhinaus wusste Gracchus nicht, wie Nigrina zu ihrem Vater stand, wiewohl er nicht wusste, ob ihre Dankesworte nur ebenso der Höflichkeit waren geschuldet wie die seinen, quittierte sie darob nur mit einem unscheinbaren Nicken, welches gleichsam auch Pisos Dank galt, welcher ein wenig mehr mitgenommen wirkte als seine Schwester. Nigrinas weitere Worte indes hallten wie ein Echo durch das Gefühlsgebirge seiner selbst, lösten eine rechte Lawine an Emotion in ihm aus, die still und unbesehen von außen auf ihn herniederfuhr, ihn begrub unter der schweren Last seelischer Gesteinsbrocken, die sich jahrelang auf den fernen Gipfeln seiner Vergangenheit hatten aufgetürmt. Zu lange jedoch hatte er die regungslose Fassade um sich herum, die Ausdruckslosigkeit seiner Mimik perfektioniert, als dass nun - ohnehin bereits durch die Bestattung in Gefühlslosigkeit verfallen -, sich mehr als ein leichtes Zucken seiner Wangen auf seinem Antlitz abzeichnete, als er die Kiefer aufeinanderpresste, das erdrückende Geröll kraft seines Willens zu ignorieren suchte. Nur sein Zögern war allfällig ein wenig zu lange, als dass er die Nachricht über die wahrscheinliche Ankunft seines Onkels hätte erfreut aufgenommen - doch mochten die besonderen Umstände der angemessenen Trauer dies ebenfalls rechtfertigen. Etwa zwei Tage würde Ateius von Ravenna aus unterwegs sein, am nächsten Tag also möglicherweise bereits in Rom angelangen.
    "Gut. Obglei'h es eine schwere Bürde ist, so sollte ein Vater bei der Bestattung seiner Tochter anwesend sein."
    Er war nicht zu Leontias Bestattung erschienen. Allfällig hoffte er noch immer - wie Gracchus in seinem tiefsten Inneren auch -, dass sie eines Tages vor seiner Türe würde stehen, einen plausiblen Grund ihrer langen Absenz auf den Lippen - oder auch nicht, denn was bedurfte es schon eines Grundes, wenn sie nur wieder lebendig würde sein. Oder aber er hatte es nicht für notwendig befunden nach Rom zu reisen, war doch die Bestattung nur ein Konstrukt gewesen, eine Farce für jene, die ohne ein Zeichen zurückgeblieben waren, ein verzweifelter Versuch einer rastlosen Gaia Ruhe zu verschaffen, allfällig auch nur eine Notwendigkeit für Gracchus selbst, zermürbt von Bangen und Hoffen, eine Bestrebung aus seinem Defätismus heraus, sich selbst Frieden zu verschaffen. Gracchus' Blick glitt für einen Herzschlag über Nigrinas Antlitz hinweg, fand nicht mehr als die blauen Augen, welche sie mit ihrer älteren Schwester hatte gemein, suchte schlussendlich auf Veras ausdruckslosem Gesicht ein Zeichen von Leontia, wusste doch gleichsam, dass er sie niemals mehr würde finden. Manches mal hatte er geglaubt, das Schimmern ihres Esprits in anderen Frauen zu entdecken, doch noch ehedem er seine Suche hatte vertiefen können, waren auch diese stets ihm entglitten - allfällig zu seinem eigenen Vorteil, war er doch sicher, diesbezüglich nur Enttäuschung finden zu können, würde doch keine Frau je wieder sein wie seine geliebte Base. Beschwert mit solcherlei Gedanken und der untrüglichen Erkenntnis, dass er sie noch immer vermisste wie am dem Tage da sie ihm verloren ward, verfiel Gracchus letztlich nun doch in trübselige Trauer, wenn auch nicht über den eigentlichen Anlass seiner Anwesenheit, ob dessen eine ein wenig schwermütige Couleur über seine Stimme sich legte.
    "Falls ich euch bei irgendetwas behilflich sein kann, so zögert nicht, es aus..zusprechen."
    Selbstredend gab es einige Obliegenheiten im Zuge einer Bestattung, vor welchen Gracchus es graute, und doch würde letztlich beinahe allem er nachkommen, gefangen im Netz seines selbst gestrickten Pflichtgefühls.

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  • An diesem Morgen hatten die Ammen, die den jungen Flavius jeden Morgen einzukleiden pflegten, überraschend eine für den Knaben gänzliche Novität präsentiert, indem sie eine dunkelgraue, mit schwarz schimmerndem Samt bestickte Tunica präsentiert hatten. Doch nicht nur dies, auch im Folgenden offerierte der Tag Unkonventionelles: Entgegen der üblichen Gepflogenheiten hatte Artaxias eine Repetition in das Curriculum eingefügt und erneut die Bestattung des Patrokolos behandelt, verbunden weniger mit grammatikalischen Analysen denn nahezu philosophisch anwandelnden Erörterungen den Tod im Allgemeinen und die Trauer im Besonderen thematisierend. Der Anlass all dieses befremdlichen Treibens wurde Manius Minor gleichwohl erst im Anschluss an diese ausführlichste Präparation offenbart: Das Dahinscheiden der Tante zweiten Grades Flavia Vera, die der Knabe der Einfachheit halber similär zu sämtlichen weiblichen, adulten Flaviae aus seiner Stirps mit 'Tante' titulierte. Ungeachtet all jener behutsamen Schilderungen und Beschwichtigungen hatte er diesen Casus indessen mit infantiler Indifferenz aufgenommen.


    Erst nun, da das Wehklagen der Klageweiber durch die Villa erscholl, Artaxias die übrigen Passagen des dreiundzwanzigsten Buches abgeschlossen hatte und man sich zum Totenbett der jungen Dame aufmachte, ergriff den jungen Flavius eine Beklemmung, deren Intensität ihn geradezu kleinmütig werden ließ. Langsam, stets die Hand seines Paedagogus haltend, näherte er sich auf Zehenspitzen der prächtig geschmückten Kline. Vorsichtig, als könne zu jedem Zeitpunkt der Leib der Verblichenen erneut von Leben erfasst werden und sich aufraffen, oder gar ihre Manen die Umstehenden attackieren, reckte der Knabe den Hals und blickte in das blasse, leblose Gesicht seiner Tante. Selten hatte er sich getroffen oder gar gesprochen, doch erschrak ihre offenbare Fremdartigkeit, evoziert durch die mit dem Ableben eintretende vollkommene Muskelrelaxation, ihn beträchtlich und, ergriffen von der allseits auftretenden Xenophobie, selbst dem Tod gegenüber, trat er vom Totenbett zurück und suchte die Nähe seines in seinen Augen omnipotenten, gar dem Tode überlegenen Vaters.

  • Minute um Minute verging, da ich in Schweigen verharrte. Zu sehr hatte mich dieses tragische Ereignis mitgerissen. Ein so junges hoffnungsvolles Leben war einfach erloschen, wie eine Kerze, deren Flamme, die eben noch so vielversprechend gezüngelt hatte und doch erbarmungslos einem Lufthauch erlegen war. So haftete mein Blick für eine Weile an der armen Toten, auf das ich nichts wahrnehmen konnte. Selbst nicht Nigrinas und Aulus dankende Worte. Erst als ich in meinem Augenwinkel Manius Gracchus wahrnahm, konnte ich mich von ihr lösen, nickte noch nachträglich den beiden Geschwistern zu und wandte mich dann dem Onkel zu.
    "Salve Gracchus! Es freut mich, dich zu sehen… an diesem tragischen Tag," begrüßte ich ihn, jedoch konnte mein Gesicht nicht meine Freude reflektieren, die ich empfand. Wie tragisch ein solcher Tag war, wusste ich aus eigener Erfahrung. Damals, als nach langer Krankheit mein Bruder verstorben war, fühlte ich ähnlich. Vielleicht noch intensiver, da es ja mein Bruder war, der bestattet worden war. Der Tod, erst recht wenn er in der eigenen Familie zuschlag, war immer grausam und ungerecht. Er ließ immer eine Leere zurück, die niemals ausgefüllt werden konnte. Ich bewunderte die Geschwister dafür, wie gefaßt sie waren, auch wenn Aulus sich immer wieder Selbstvorwürfe machte, was wohl seine Art war, mit der Trauer umzugehen. Nigrina indes wirkte still und in sich gekehrt. Sie trauerte im Stillen, was eine ungeheurere Stärke bedeutete, wie ich fand.
    Schließlich erschien noch der junge Manius Minor, den sie liebevoll Minimus nannten. Sehr tapfer, wie er da am Totenbett stand. Er war ordentlich gewachsen, seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.

  • Wie sein Sohn reduzierte Gracchus die bisweilen recht weitverzweigten, komplexen Verwandtschaftsverhältnisse seiner Familie zumeist auf Relationen ersten Grades, dass er Celerina in Gedanken stets als seine Nichte betrachtete - wiewohl konträr dazu als Tante seines Sohnes. Auf ihre Worte hin schenkte er ihr ein zaghaftes Lächeln.
    "Salve, Celerina. Es freut mich, dass du gekommen bist. Ich hoffe, du befindest dich wohl?"
    Wenige Tage zuvor noch hatte er mit Piso bei ihrem ungezwungenen Abend, dessen ursprüngliches Ansinnen von schauriger Musik zu schaurigen Liebesgeschichten sich hatte gewandelt, darüber gesprochen, Celerina und ihren Gemahl bald in die Villa zu laden. Er wollte eben auch nach dessen Befinden sich erkundigen, als Minor den Raum betrat, und als würde sein Sohn beständig einen für alle Welt unhörbaren, nur für seine Eltern laut schallenden Ton von sich geben, wandte Gracchus' Aufmerksamkeit augenblicklich zu diesem sich hin, und für einen marginalen Moment schlich die winzige Spur eines stolzen Lächelns sich auf seine Lippen wie stets wenn er seines Sohnes angesichtig wurde. Artig nahm der Junge Anteil an der Bahre, ehedem er sich schutzsuchend zu seinem Vater gesellte, welcher in einer ihm gänzlich unbewussten, beruhigenden Geste seine Hand auf die Schulter seines Sohnes legte, sich sodann ein wenig zu ihm hinab beugte und leise Worte an ihn wandte.
    "So bedrückend dies für uns auch sein mag, die Anwesenheit des Todes entbindet uns nicht von unserer Pflicht zur Höfli'hkeit, Minimus. Du solltest deinem Onkel Piso und deiner Tante Nigrina dein Beileid aussprechen zum Verlust ihrer Schwester, wiewohl deine Tante Celerina begrüßen."
    Es lag kein Tadel in seinen Worten, nur ein sanfter Wink, erinnerte er doch zu gut sich noch an die Beklemmung, welche er selbst als Junge bei den traditionellen Aufbahrungen hatte verspürt, war sie doch auch dieser Tage noch stets in ihm präsent, wenn er auch längst hatte gelernt, sie tief in sich hinab zu verdrängen.

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  • Überaus erbaulich wirkte die schützende Hand des Vaters auf der Schulter des Knaben, als produziere lediglich die korporale Verbindung eine schützenden Schirm, der jedwedem Larven oder gar Lemuren undurchdringlich sein würde und somit größte Sekurität evozierte.


    Die Mahnung des Manius Maior hingegen ob der Pflicht zur Höflichkeit beschämte Manius Minor ein wenig, dennoch beeilte er sich unverzüglich diesem implizierten Befehl Folge zu leisten. Doch wusste er dennoch nicht, welche Worte einem derartigen Anlass angemessen sein mochten, sodass die Insekurität förmlich aus der Beileidsbekundung herauszuhören war, als er äußerte:
    "Salvete, Onkel Piso und Tante Nigrina. Mein...ähm...Beileid."
    Kaum hatte er jene Worte formuliert und über seine Lippen gezwungen, suchte er den Augenkontakt mit der letzten noch zu begrüßenden Hürde, bevor er ihm wieder gestattet war, sich in sein wohliges Schweigen zu hüllen. Dass auch hier eine Beileidsbekundung angebracht war, hatte die Mahnung des Vaters nicht expressis verbis impliziert, sodass dem jungen Flavius dies auch nicht in den Sinn kam.
    "Salve, Tante Celerina."

  • Gracchus reagierte… gar nicht. Und Nigrina konnte ein enttäuschtes Zucken ihrer Mundwinkel nicht wirklich verbergen. Hätte er nicht irgendetwas zeigen können? Aber nein, hier stand die Gravitas in Person. Furchtbar. Einfach nur furchtbar. Und zugleich so furchtbar angemessen für den Anlass, dass Nigrina ihn fast schon wieder bewunderte und sich wünschte, sie könnte das auch. Denn dass Gracchus wirklich so sehr um Vera trauerte, glaubte sie nicht so ganz. Vera war nicht Leontia, und nach allem was sie wusste, hatte Gracchus zu Vera ein ähnliches Verhältnis – nämlich im Grunde gar keins – zu Vera gehabt wie zu ihr. Ganz im Gegensatz zu ihrer ältesten Schwester. Sie nickte ihm leicht zu und begegnete seinem Blick, als der seine über sie streifte, konnte aber immer noch nicht ausmachen, was er wohl denken mochte – und beschloss, es für den Moment aufzugeben. So sehr es sie wurmte, aber Gracchus war zu gut, und das hier war eindeutig der falsche Rahmen um zu versuchen, etwas herauszukitzeln. Was wohl auch besser so war, wie sie sich – äußerst unwillig und nur ganz insgeheim – selbst eingestand. Vermutlich würde sie sich bei dem Versuch nur blamieren, während sie kläglich scheiterte, und darauf war sie nicht sonderlich erpicht.


    Während Celerina sich nun zu ihnen gesellte und Gracchus und sie sich begrüßten, betrat noch jemand das Atrium – Gracchus Minor, der Sohn des Alten. Diesmal schaffte Nigrina es, ihre erste Reaktion, ein Naserümpfen, zu unterdrücken, und einen unbewegten Gesichtsausdruck zu wahren. Sie hielt nicht viel von Kindern. Und sie war selbst noch jung genug, um auf solche Rotzblagen entsprechend zu reagieren, vor allem wenn sie ihr dumm kamen. Mit dem Kleinen hatte sie bislang ebenso wenig etwas zu tun gehabt wie mit dem Großen, daher konnte sie auch nicht recht beurteilen, wie nervig er nun war. Immerhin jedoch konnte sie ihm zugute halten, dass ihr die Anwesenheit eines Blags bisher nicht wirklich negativ aufgefallen war. Dennoch folgten ihre Augen ihm ein wenig misstrauisch, als er zu seinem Vater trat, der immer noch bei Piso und ihr stand – und der dem Bengel offenbar erst mal etwas flüstern musste, bevor der grüßte. Trotz dieser Gedanken zauberte Nigrina ein schwaches Lächeln auf ihre Züge, das ihre Augen zwar erreichte, in diesen jedoch einen leicht anderen Ausdruck hatte als auf ihren Lippen – einen, der irgendwie in Widerspruch zu stehen schien zu dem, was ein Lächeln normalerweise ausdrückte. Sie mochte. einfach. keine. Kinder. „Salve, Minor. Auch dir danke dafür, dass du gekommen bist.“

  • Es war unausweichbar, dass Nigrina nicht einen Brief an ihren Vater geschickt hatte. Wieso denn nicht? Er war ihr Vater. Klar. Vera hatte etwas bessere Beziehungen zu ihrem Vater gehabt als er selber, wenn auch nicht allzu Gute. Ach, er wollte gar nicht über seinen unglückseligen Vater nachdenken. Es würde doch eh nur zu Frust und Wut führen. Und zu einer gewissen Portion an Angst, ihm gegenüber zu treten. Nein, Piso wollte das ganz und gar nicht. Gracchus‘ Worte waren natürlich wahr, und dennoch erscheinen sie ihm in seinem Innersten wie Hohn. Eine Schwester, für die er trauern würde, im Gegensatz zu ihrer Mutter, die er einfach erdrosseln und über die Klippen werfen hatte lassen. Ein Seitenblick wanderte zu Nigrina. Piso war sich ziemlich sicher, dass ihr Vater auch ihre Mutter, Genucia Triaria, umgebracht hatte. Oh, wie er Triaria gehasst hatte, diese Person, die sich anstelle seiner Mutter hingestellt hatte. Um sie zu ärgern (und um sich ästhetisch zu fühlen und seine „weibliche Ader“ ein wenig auszuleben), hatte er ihre Kleider angezogen und war damit durch den Schlamm gelaufen. Au weia, das hatte Zores gegeben.
    Ob Gracchus behilflich sein konnte? Piso blickte ihn an. “Danke. Aber ich glaube, das schaffen wir schon.“ Besser gesagt, das würde er schaffen, denn er konnte Gift drauf nehmen, dass das ganze Gescher an ihm hängen blieb.
    In diesem Moment Trappeln von kleinen Füßen am Boden. Piso blickte herab, um dort Klein-Manius zu sehen. Gracchus begrüßte Celerina, die kurz daraufhin wieder in meditatives Schweigen verfiel. Sein Blick schweifte zu Gracchus, als dieser seinen Sohn für sein Schweigen monierte, woraufhin dieser etwas von sich gab.
    “Salve, Minimus.“ Bei den seltenen Anlässen, wo er seinen Neffen sah, ohne dass seine Eltern ihn von der Welt fernhielten, wollte er sich die Diminuitivform nicht nehmen lassen. Auch nicht zu solch traurigen Anlässen, die jegliche ästhetische Gedanken der puren pisonischen Schule aus seinem Hirn schwinden ließen und wüsten Gedankenströmen Platz schufen, deren Unschönheit Piso später noch dazu veranlassen würden, zu erschaudern. “Danke.“
    Zu weiteren Worten war er nicht mehr bereit. Die Traurigkeit des Momentes überwallte ihn wieder, als er auf die wundervolle und tote Vera sah. Ihr Körper würde am Scheiterhaufen brennen, was auch gut war – so musste sich Piso nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass in einem Sarg, wie man sie im Osten benutzte, die Würmer seiner Schwester das Hirn ausfraßen.
    Schweigend verharrte er vor der Bahre. In einigen Tagen würde er sie zu Grabe tragen. Ein grauenhafter Gedanke... seine Schwester... seine Vera... brennend. Heute Abend würde sich Piso noch auf sein Bett werfen und schauerlich heulen.

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