[Circus Maximus] Verhandlungen am Rande der Rennbahn

  • Es war ein angenehm warmer, frühlingshafter, wenngleich auch recht windiger Nachmittag im Maius. Die Ränge des gewaltigen Circus Maximus, die Hundertausende fassen konnten, lagen leer und verlassen da. Heute, ein Tag vor dem ersten Tag des Totenfestes Lemuria, waren keine Rennen angesetzt. Nur ein paar vereinzelte Gestalten standen ganz unten, nah der Rennbahn und beobachteten zwei Gespanne, die ein paar Übungsrunden drehten. Es waren bestenfalls zwei Duzend; Schaulustige, Rennsportenthusiasten, notorische Wetter und Leute, die irgendwie sonst mit dem Rennsport zu tun hatten, und deshalb nicht nur zu den Rennen hierher kamen.
    Mit erkennbar nur mäßigem Einsatz wendeten die Gespanne nacheinander an der nordwestlichen meta, wobei sie Staub aufwirbelten, der von einer Bö in Richtung des Palatins fort getragen wurde.




    Galeo Samius Musa beobachtete die Szene genau. Auf seinem vollen, stets gerötetem Gesicht zeigte sich Missfallen.
    “Hast du gesehen? Das waren mindestens zwei gradi! Zwei, mindestens!“, sagte er zu seinem Begleiter, der ihn um Haupteslänge überragte und der neben dem dicklichen Samius Musa wie ein schlankes und gefährliches Raubtier wirkte. Sein Gesicht war ausnehmend hässlich und von einer tiefen Narbe gezeichnet, die von der linken Braue über die Wange bis zum Ohrläppchen reichte.
    Was Musa gemeint hatte, dass war der Abstand des kurveninneren Wagenrades eines der beiden Gespanne zur Wendemarke.


    “Zwei gradi, und dabei soll es nur ein palmus sein! Wer das Training zu leicht nimmt, der versagt im Rennen. Der Bursche taugt nichts, ich verschwende hier nur meine Zeit.“


    Sein hässlicher Begleiter brummte zustimmend.

  • Doch ganz umsonst war Musa heute nicht hierher gekommen.
    Als die Gespanne nämlich die zweite meta umrundeten und dann langsam in Richtung des riesigen Starthauses am Kopfende des Circus austrudelten, näherte sich ihm ein Mann in der Toga eines Senators. Eine Hand voll Männer begleiteten ihn.
    Es war Lucius Aelius Quarto, der dreimal das Konsulat inne gehabt hatte, den Kaiser seinen Bruder nannte und außerdem – und deshalb war er hier – der Factio Veneta vor stand.


    Die Männer kannten sich.


    “Salve Galeo Samius Musa! Ein schöner Tag, um den Wagen bei ihren Runden zuzusehen.“, begrüßte er den Mann, dessen öffentliches Ansehen doch so viel geringer war als das seine, ausnehmend freundlich, denn er wollte etwas von ihm.


  • “Consular Aelius Quarto, welche Ehre!
    Ja, ein schöner Tag. Aber ich verschwende ihn hier. Den da hinten, den wollte ich mir mal ansehen. Der Junge kommt aus Beneventum und Manculus hier, der hat mir gesagt, er kann was.“


    Samius Musa wies auf seinen Begleiter, den hässlichen Hünen. Der brummte nur.


    “Aber er kann nichts! Diese Samniten, als Gladiatoren vielleicht ganz brauchbar, aber auf dem Wagen eine Katastrophe! Der schafft es nie. Wenn du einen neuen Auriga suchst, dann nimm den nicht. Er sieht ganz hübsch aus, wenn er sich da vor dem Start in Pose wirft. Aber er hat kein Gefühl für die Pferde und er hat Angst vor der Wende. Will sich nicht die Knochen brechen, dass Bürschlein!
    Da war Manculus hier ganz anders. Der hat sich nie raus gehalten. Kannst du dich an ihn erinnern, an Manculus? War auf dem besten Weg ein ganz Großer zu werden, bis diese dumme Sache passiert ist.“


    Manculus, der also ein ehemaliger Wagenlenker war, verzog das Gesicht und hob die rechte Hand. Das heißt, dort, wo seine Hand hätte sein sollen, war nur ein narbiger und schrundiger Stumpf, dass Ergebnis einer wohl lange zurück liegenden Amputation.

  • Als Vertreter seines Schwagers ließ es sich Sedulus natürlich nicht nehmen auch bei den Verhandlungen dabei zu sein. Schließlich konnte man nur davon lernen und vielleicht konnte er es in seinem späteren Leben ja sogar irgendwann einmal einsetzen oder sogar schon viel früher.


    Sedulus stand hinter Quarto und sah den Gespannen bei ihren Runden zu. Es war schon interessant so ein Training einmal so hautnah mitzuerleben. Aber dies war hier und jetzt eigentlich nur Nebensache. Um die Verhandlungen ging es hier.

  • “Manculus. Ja, natürlich!“, log Aelius Quarto lächelnd, denn in Wahrheit konnte er sich dieses Mannes nicht entsinnen. Aber es gab auch so viele hoffnungsvolle Aurigae, die ihre Karriere aufgrund von Verletzungen oder wegen anderen Gründen vorzeitig beenden und ihre Hoffnung auf Ruhm und Wohlstand beerdigen mussten.


    “Den Samniten da“, er wies auf den Mann, der inzwischen vor dem Starthaus angekommen und von seinem Wagen gesprungen war, während ein Stallknecht die Pferde beruhigte und ein anderer damit begann, dass erste aus dem Geschirr zu nehmen: “den Samniten kannst du mir nicht empfehlen? Nein, dann will ich ihn für die Veneta auch nicht. Dein Rat ist Gold wert, mein Bester. Das weiß jeder und auch ich weiß ihn wohl zu schätzen.“


    Er machte eine Pause, in der er versonnen über die Rennbahn blickte. Nun galt es, dass Gespräch auf das von ihm angestrebte Thema zu lenken.
    Als ob es ihm eben erst einfallen würde, sagte er:
    “Hast du nicht auch gute Beziehungen nach Griechenland? Du bist doch ein Kenner der dortigen Szene, nicht wahr?“


  • “Ich halte meine Ohren auf und ich habe Verbindungen, auch nach Griechenland, ja. Das gehört zum Geschäft.“


    Galeo Samius Musa besaß eigentlich ein Geschäft für Pferdegeschirr. Sein Laden befand sich nur einen Steinwurf vom Circus Maximus entfernt am Fuße des Aventin und seine Kundschaft kam praktisch ausschließlich aus dem Wagenrennsport. Doch war dies nur ein Nebenverdienst für ihn und das hatte er auch nicht gemeint.
    Vor allem war er nämlich als Vermittler für Wagenlenker tätig und weil er über viele gute Kontakte verfügte, und praktisch jeden im Rennsport kannte, hatte er als solcher viel zu tun und konnte oft recht satte Provisionen kassieren. Und genau diese lukrative Tätigkeit meinte er, als er von 'Geschäft' sprach. Denn er musste nicht besonders hellsichtig sein um zu erkennen, dass der Senator ihn heute genau deshalb aufgesucht hatte.

  • Da schaltete sich nun Sedulus ein als wie Griechenland sein Stichwort gewesen sei.


    In Griechenland sind ja eher Ringer und Leichtathleten beheimatet, von daher wird sich wohl schnell herumsprechen wenn es dort wirkliche Talente unter den Wagenlenkern gibt.


    Stellte Sedulus fest.


    Verzeih, ich vergaß mich vorzustellen. Quintus Germanicus Sedulus mein Name.


    Das er verwandtschaftliche Beziehungen zu Quarto hatte, ließ Sedulus hier beiseite. Wenn Quarto wollte konnte er dies ja erwähnen...


  • “Es freut mich dich kennen zu lernen und ich habe schon von dir gehört, Senator Germanicus. Du bist doch der neue Vicarius Principis der Blauen. Herzlichen Glückwunsch!“


    Der Mann war wirklich auf dem Laufenden.


    “Vom Ringen und Laufen verstehe ich nichts. Aber ich war im vergangenen Jahr bei den Spielen in Olympia und habe mir das Wagenrennen angesehen. Nicht das es so gut besetzt war wie ein durchschnittliches Rennen hier in Rom, aber das olympische Wagenrennen ist dort sehr populär. Die Griechen lieben Wagenrennen fast so sehr wie wir Römer. Vielleicht lieben sie das Ringen und den Pankration noch mehr, aber immerhin. Es gibt dort drüben viele Jünglinge, die sich auf dem Wagen versuchen und manchmal ist einer dabei, der auch für den Circus gut genug wäre.“


    Er machte eine Geste in Richtung der nun verlassenen Rennbahn.


    “Wenn ihr Ausschau nach einem neuen Auriga haltet, dann merkt euch den Namen Hakor. Der hat das Rennen in Olympia gewonnen. Kein schlechter Mann.“

  • “Nein, hier ist er auch noch nicht an den Start gegangen. Aber in Alexandria und da hat er sich ganz überzeugend geschlagen. Sechster war er immerhin.“


    Aelius Quarto tat noch einen Schritt auf Samius Musa zu und sprach in gedämpftem Tonfall weiter, so, als würde er jetzt über ein Geheimnis reden.


    “Aber sag mal, hast du schon von dem Griechen Tolimedes gehört? Ist der bei dem Olympischen Wagenrennen des vergangenen Jahres nicht auch angetreten?“


  • “Tolimedes.“


    Musa betonte jede einzelne Silbe des Namens.


    “Ja. Doch, an den erinnere ich mich. Ist noch ein ganz junger Bursche, ein Milchbart. Hat sich die ersten Runden ganz gut gemacht, wurde dann aber abgedrängt und ging zum Ende hin irgendwo im Mittelfeld unter. Hat Talent, ist geschickt, versteht etwas von Pferden, und ehrgeizig ist er wohl auch. Aus dem könnte mal ein Großer werden... oder auch gar nichts. Bei dem ist es noch viel zu früh, um zu sagen, wohin seine Reise geht. Sehr jung ist er, man müsste ihm viel Zeit geben und Geduld mit ihm haben. Dann... ja... vielleicht... wer weiß...“

  • “Die Zeit soll er bekommen. Wir wollen sie ihm geben. Wir möchten, dass er zu uns kommt und du sollst das für uns bewerkstelligen. Wir würden uns großzügig zeigen, wenn du ihn an uns vermitteln kannst.“

  • Das weckte wiederum Quartos Misstrauen.


    “Du führst wegen ihm doch nicht etwa schon Verhandlungen, am Ende vielleicht sogar im Auftrag der Praesina?“


    Das hätte Samius Musa in dieser Angelegenheit natürlich diskreditiert und außerdem bedeutet, dass diese Verpflichtung sehr teuer werden konnte, oder gar zu scheitern drohte. Ob aber Musa überhaupt zugeben würde, wenn er bereits für die Grünen an Tolimedes dran war, oder für eine der anderen Factiones?


  • “Nein, bisher noch nicht.“, versicherte Musa lächelnd. Das wirkte offen und ehrlich, aber bei einem Mann, der seinen Lebensunterhalt vor allem mit seinem Verhandlungsgeschick verdiente, konnte man sich natürlich niemals ganz sicher sein.


    “Aber vielleicht sind schon andere an ihm dran. Ich werde ihm vielleicht Zusagen machen müssen und ich werde Auslagen haben.“

  • Sedulus bedankte sich für die Glückwünsche und überließ dann das Feld wieder seinem Schwager.
    Er hielt sich desweiteren mit auf dem Rücken verschränkten Armen im Hintergerund und dachte sich seinen Teil als Musa von dem Griechen sprach. Er schien nicht wirklich von diesem Tolimedes überzeugt zu sein, oder er tat zumindest so...

  • “Du weißt doch, dass die Veneta keine verarmte Factio ist und ebenso, dass wir noch nie kleinlich waren. Wenn du uns behilflich bist, dann wirst du es nicht bereuen.
    Das gilt auch für den Jungen. Er hätte ganz ausgezeichnete Bedingungen bei uns: die besten Pferde, dass beste Material und die besten Trainer, mit Dareios an der Spitze. Er könnte es nicht besser treffen.“


  • “Natürlich, nicht besser.“, antwortete Musa, wobei ihm allerdings ein süffisantes Lächeln über die Lippen huschte.


    “Ich werde sehen was ich tun kann. Ihr werdet auf jeden Fall wieder von mir hören. Gebt mir nur etwas Zeit. Solche Verhandlungen erfordern manchmal etwas Geduld, aber immer verlangen sie nach Verschwiegenheit.“

  • “Gut, dann sind wir uns einig. Mögen die Götter dir gewogen sein!“, brachte Aelius Quarto die Verhandlungen zum Ende.


    Er plauderte noch kurz mit Germanicus Sedulus und Samius Musa, bevor er es an der Zeit sah, sich zu verabschieden.

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