Plutarchs Reisen | Lochias

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    Während ich die letzten Tage und Wochen damit verbrachte, die endlosen Straßen der Stadt entlang zu schlendern, mich mit Einwohnern und Touristen zu unterhalten und die Stadt kennenzulernen, kam ich irgendwann zu einer hohen Mauer, die einen Teil des Brucheionviertels vom Rest abtrennte. Wieder einmal offenbarte mir die Stadt ihre bizarre Ordnung, in der die Unterschiede zwischen den Ständen und Völkern so krass hervortraten: Nicht jedem war es gestattet, alle Teile der Stadt zu betreten und vor dem Tor kontrollierten und durchsuchten bullige römische Torwachen jeden, der keine Genehmigung hatte, dieses Viertel zu betreten. Hier ging es zur Halbinsel Lochias, der inoffiziellen Akropolis der Stadt, wo die reichsten und wichtigsten Menschen dieser Provinz wohnten.


    Ich musste aber nichts befürchten, denn ich hatte eine Einladung des römischen Präfekten bei mir. Ich zeigte den Wisch und die Wachen winkten mich einfach neben der langen Reihe der Anstehenden, die das Viertel betreten wollten, durch. Ja, der Soldat war sogar sehr freundlich, beschrieb mir genau, wie ich zu gehen hatte und bot mir eine Eskorte an, die ich aber ablehnte, denn ich wollte mich lieber frei bewegen und mich noch ein wenig umsehen.


    So spazierte ich dann die ruhigen, schön angelegten, von gepflegten Bäumen, hübschen Statuen und Springbrunnen gezierten Wege entlang und betrachtete die hier stehenden Paläste. Jeder einzelne war ein wahres Monstrum, an Größe und Ausstattung dem Palast des Kaisers in Rom gleich. Und nichts war mehr zu spüren von der Unordnung und dem Chaos der Stadt. Vögel zwitscherten und in Seidenbrokate gekleidete Männer und Frauen flanierten durch die Parkanlagen, nur ab und an hetzten Dienstboten an mir vorbei. Alles strahlte eine frühlingshafte, bukolische Ruhe und Gemütlichkeit aus, ganz, als wäre man in eines der kitschigen Gemälde pergamesischer Künstler geraten. Mir schauderte ein wenig aufgrund dieser offensichtlichen Ignoranz und Volksferne. Welcher geistig gesunde Mensch war in der Lage, eine solche Stadt zu entwerfen? Eigentlich musste man sich vor Alexandria gruseln. Wenn sie nur nicht so schön wäre...

  • Ich war gar nicht weit in das Viertel eingedrungen, als ich schon vor einer Pforte stand, die in einen mit Zypressen bewachsenen Park hinein führte. Natürlich zögerte ich keine Minute, den Park zu betreten. Jedermann auf dieser Welt wusste, welches Grabmahl im Zentrum dieses Friedhofs stand.


    Und selbst derjenige, der es nicht wusste, konnte immerhin ahnen, dass es nicht normal war, auf einen Friedhof innerhalb einer Stadt zu treffen. Gewöhnlich pflegen griechische Friedhöfe, auf den Feldern außerhalb der Stadt zu liegen. Auch Alexandria macht da keine Ausnahme. Die Stadt ist von einem regelrechten Netzwerk von Nekropolen umgeben, deren Gruften sich bis tief unter die Erde erstrecken und deren Gänge den Untergrund der Stadt durchziehen. Immerhin ist Alexandria auch eine große Stadt, wo viele Leute sterben und mit der Zeit übertrifft die Einwohnerzahl der Toten die der Lebenden bei weitem. Und zumindest im Tode sind hier Griechen, Juden und Ägypter friedlich miteinander vereint.


    Hier aber war ein ganz besonderer Friedhof. Ich ging über die Wege und bestaunte die schmuckvollen Gräber, die mit Statuen und Reliefs der allerfeinsten Art verziert waren und von Reichtum und Ansehen des Begrabenen zeugten. Die meisten Gräber gebührten Angehörigen des alten Königshauses sowie wichtigen ägyptischen Generälen, Bibliothekaren und sonstigen, die die Ehre, hier zu ruhen, verdienten.


    Auch die Könige selbst waren hier begraben. Wie riesige Stifte ragten deren Grabmähler empor, die aus zwei Marmorquadern bestanden, gekrönt von einer pyramidenartigen Spitze. Ich aber folgte einer Gruppe begüterter Touristen, die sich wohl das selbe Grab anschauen wollten, wegen welchem ich auch hier war.


    Und da war es: Ein riesiger künstlicher Grabhügel in der Art, wie die Makedonen seit jeher ihre Könige zu bestatten pflegten. Ein hohes Marmortor in der Form eines Tempelfrieses wies den Eingang, vor dem sich eine lange Schlange geblidet hatte. Die Alexandriner ließen sich nämlich keine Gelegenheit zum Geldverdienen entgehen und vor dem Tor stand ein Tisch, an dem ein Mann, eine Art voreiliger Charon, der munter Drachme um Drachme für den Eintritt kassierte.


    So zahlte auch ich eine nicht unbeträchtliche Summe Geld und betrat das Mausoleum Alexanders des Großen...

  • Und da stand ich nun in der hohen Halle vor dem gläsernen Sarkophag (den ursprünglichen Goldenen lies ein Ptolemäerkönig in Geldnöten einschmelzen) und erstarrte vor Ehrfurcht. Hier, direkt vor mir, sichtbar mit meinen eigenen Augen und kaum eine Handbreit fern von mir schienen sie durch, die sterblichen Überreste jenes Mannes, der die Welt veränderte wie kein Zweiter vor ihm: Alexander, Sohn des Phillipos: König der Makedonen, Beherrscher der Oikomene, Gott.


    Und dennoch: Was da vor mir lag, war ein einfacher, einbalsamierter toter Körper. Es überwältigte mich, fiel mir schwer, zu realisieren, welche Magie von diesem speziellen Toten noch so lange nach seinem Tod ausging. Der leibhaftige Bezwinger der Welt, der wohl berühmteste Sterbliche, ein Mann, der in den Geschichten der Menschen ewig weiter lebt. So viele haben versucht, ihm nachzueifern, Niemand hat es jemals auch nur ansatzweise geschafft. Ganze Dynastien lebten seinen Traum aber was sie in ihrer menschlichen Beschränktheit als Traum deuteten, war für ihn das Alltäglichste auf der Welt. Ptolemäer, Seleukiden, Antigoniden, die Arsakiden Parthiens, ja selbst die römischen Caesaren folgten ihm und stets konnten sie nichts erreichen als nur ein kleines Stück des Glanzes seiner Persönlichkeit. Immer stand er über ihnen wie die Sonne über den Myriaden von Wassertropfen des Ozeans und nie gelang es ihnen, auch nur einen Strahl von ihnen einzufangen.


    Hier, an dieser Stelle, wo ich stand, stand Iulius Caesar, stand Marcus Antonius, stand Augustus und alle blickten sie zu ihm herauf. Und Caesar beispielsweise soll Zeit seines Lebens immer wieder geklagt haben: In meinem Alter besaß Alexander schon die ganze Welt! Lustiger dagegen ist die Geschichte des Augustus vor dem Alexandergrab: Er ließ den Sarkophag öffnen, beugte sich über die Mumie und brach dem Weltenbezwinger aus Versehen die Nase ab.


    Dabei darf man nicht vergessen, dass die Tatsache des Aufenthaltes des Leichnams in Alexandria eng verbunden ist mit einem großen Verbrechen, das nebenbei zur endgültigen Trennung des Alexanderreiches führte: Ptolemaios, ein Freund und General des großen Makedonen, dazu Statthalter von Ägypten, ließ nämlich damals die Leiche rauben und hierher transportieren um seinen Anspruch auf den Alexanderthron zu untermauern. Natürlich ließen das die anderen Generäle nicht auf sich sitzen. Ein Krieg entflammte und das Reich zerbrach. Nicht nur Alexander liegt hier begraben, mit ihm ruht hier auch seine Idee.

  • Wie dem auch sei, das Reich Alexanders zerfiel, aber an seiner Stelle regierten von Alexander aus über fast 300 Jahre Könige, die sich als dessen legitime Erben betrachteten und ein großes Reich schufen. Es ist hiermit an der Zeit, jenes Geschlecht zu würdigen, das so lange Zeit die Geschicke dieses Landes bestimmte: Die Ptolemäer. Das Haus der Ptolemäer entstammte uralten makedonischem Adel. Nach ihrem Vorfahren wurden sie auch des öfteren Lagiden genannt, obwohl jeder König sich Ptolemaios nannte. Die Stammnamen der Königinnen dagegen waren Arsinoe, Berenike und Kleopatra. Für griechische Verhältnisse ungewöhnlich war dabei, dass König und Königin gleichberechtigt herrschten. Meistens waren König und Königin übrigens auch miteinander verheiratete Geschwister, was auf der Tradition der ägyptischen Pharaonen beruht.


    Diese Ptolemäer waren es, denen Alexandria seinen Ruf zu verdanken hat, viel mehr als dem toten Welteroberer. Denn vor allem die ersten drei von ihnen waren große und fähige Herrscher, die sich stetig um den Ausbau ihres Reiches bemühten, welches unter ihnen neben Ägypten auch Iudaea, Teile Syriens und Kleinasiens, die Kyrenaica und alle Küsten des östlichen Mittelmeeres beherrschte. Doch ihr Herrschaftsanspruch war weit höher: Nicht weniger als das gesamte Reich Alexanders des Großen wollten sie beherrschen, eine Selbstdarstellung, die in anderen Teilen der Welt nicht unbedingt auf Gegenliebe stieß.


    Um ihren Herrschaftsanspruch zu untermauern, ließen sie Alexandria zum Zentrum der damaligen Welt ausbauen. Die Stadt wurde nach dem Muster der propagierten Weltherrschaft aufgebaut, in Form von kosmologischen Prinzipien, die die Ideologie der Könige wiederspiegelten. Nichts wurde dem Zufall überlassen, man ließ die besten Künstler, Architekten und Ingenieure der Welt kommen und erschuf die Stadt als ein einziges Gesamtkunstwerk. Spuren dieser Zeit sind bis heute das Straßensystem, der Leuchtturm und die Bibliothek.


    Leider hielt diese ruhmreiche Epoche nicht allzu lang an. Den ersten vier Ptolemäern folgte eine Reihe mehr oder minder dekadenter und unfähiger Despoten. Andauernd kam es zu Bürgerkriegen und Aufständen. Eine Revolution oder Palastrevolte folgte der nächsten. Brüder rebellierten gegen Brüder, um selbst König zu werden, Ägypter riefen eigene Dynastien aus und die Bevölkerung der Städte wehrte sich gegen die ungerechte Behandlung durch die ptolemäischen Tyrannen. Dazu kam noch der ständige Krieg mit einer anderen Nachfolgedynastie Alexanders, den Seleukiden, die über Persien und den Nahen Osten herrschte und ebenso die Herrschaft über das ganze Alexanderreich für sich beanspruchten. Und letztendlich darf man nicht die Ägypter vergessen, die versuchten, die verhasste Fremdherrschaft abzuschütteln. In dieser Zeit bekamen die Alexandriner auch ihren Ruf, unberechenbar, streitsüchtig und aufrührerisch zu sein.


    Das Reich zerfiel so langsam in Chaos. Alexandria wurde mehrmals von wütenden Mobs und plündernden Soldaten heimgesucht, ganze Landteile machten sich unabhängig oder wurden von anderen Mächten erobert. Und die hilflosen Könige wandten sich bald um Hilfe an Rom, wodurch die einstige Weltmacht zum römischen Klientelstaat verkam.


    Trotzdem kann man auch in der Endphase des Reiches erkennen, auf welch soliden Grundpfeilern die Ptolemäer ihr Reich bis zum Schluss hielten. Noch zu Zeiten Caesars besaß Ägypten die bei weitem mächtigste Flotte des Mittelmeeres und Kleopatra VII. schaffte es immerhin, zwei der mächtigsten Feldherren Roms zu umgarnen. Und die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften, die die Ptolemäer förderten, kann man gar nicht hoch genug schätzen. Nicht zuletzt leben diese Früchte heute in den Villen der Reichsten und Mächtigsten Roms weiter: Viele Gemälde, Statuen und Mosaiken, die die ihre Häuser und Städte zieren, gehen auf Vorlagen zurück, die die alexandrinischen Meister einst vor langer Zeit entwarfen.

  • Nachdem ich lange Zeit durch den Friedhof gewandert war und mir die Gräber und Gruften uralter Nobler der Provinz angesehen hatte, erreichte ich die Villa des Gaius Vibius Maximus, des derzeitigen Präfekten der Provinz. Naja, „Villa“ mag vielleicht ein wenig untertrieben sein: Die Regia des Praefectus Alexandriae et Aegypti machte den umherstehenden Ptolemäerpalästen alle Ehre. Und der Trakt der Regia, in dem der Praefectus seine Feierlichkeiten abzuhalten gedachte, war sogar ein ptolemäischer Palast.


    Ich schritt dem Weg zum Anwesen entlang und zeigte den Bediensteten meine Einladung, worauf sie mich in das Innere begleiteten. Und jetzt muss ich genau beschreiben, für all diejenigen, die sich immer noch der Illusion des Pflichtbewusstseins und des Diensteifers des römischen Ritterstandes hingeben. Denn ich fühlte mich den ganzen Abend über ganz unwillkürlich an das Satyricon des Petronius erinnert.


    Eine neue Welt eröffnete sich mir: Weittragende Säulengänge, bemalte Kuppeln, Atrien und Höfe mit allerlei künstlichen Teichen, mechanischen Spielereien und Jahrhunderte alten griechischen Statuen. Alles war in den hellsten Farben angemalt, verziert von Gold und Marmor verschiedenster Farben, um Bögen und Säulen rankten sich Kletterpflanzen in schwungvollen Spiralen und Mustern, sphärische Musik und Vogelgezwitscher erklang und alles duftete nach Rosen und Jasmin.


    Ich durchwanderte einen Lustgarten nach dem anderen, als ich endlich zum Gastmahl geführt wurde. Das Fest war schon voll im Gange: Auf Klinen lagen einige Dutzend Personen, die Höchsten der Provinz, bedient mit allem denkbaren Luxus und kühl gehalten durch fächerwedelnde ägyptische Sklaven, die angekleidet waren wie in einen Märchen. Lustige Musik ertönte und Tänzerinnen und Kurtisanen erfreuten die Blicke der Liegenden, Saufenden und Fressenden, deren Seide und Purpur über und über bekleckert war von Wein und Bratensoße. Exotisches und berauschendes Räucherwerk aus Arabien und Indien schwängerte die Luft.


    Ich erblickte meinen sehr betrunkenen Freund Hegesias, der unter einer Kline ungeniert und munter mit einer indischen Kurtisane kopolierte. Daneben dozierte der Bibliothekar des Museions lallend nebst zwei römischen Pärchen, die sich lautstark über die Ausführungen des Mannes amüsierten und ihn wohl für eine Art putziges Tierchen hielten. Neben einer großen Platte mit Straußeneiern, die von einem ausgestopften und mit Glitter übergossenen Vogel Strauß gekrönt wurde, fand ich dann auch Gaius Vibius Maximus, seines Zeichens Praefectus Alexandriae et Aegypti, uneingeschränkter Herr über die Provinz und dritthöchster Mann im Reich nach dem Kaiser und dem Präfekten der Prätorianer.

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