[Castellum] Ein letzter Tag vor dem Krieg

  • An manchen Stellen war der Boden des Lagers durch den Regen aufgeweicht und schlammig, viele Füße, die schon seit dem Morgen eilends über die Wege eilten, hatten den Boden noch etwas mehr aufgeweicht. Dennoch konnte man diesen schlammigen Wegen ausweichen und noch auf trockenem Gefilde laufen. Marcus spürte zart die Hand von Epicharis auf seinem Arm während er sie an der principia entlang führte und sie auf das eine oder andere Gebäude hin wies, mal die Thermen am Rande, die den Thermen der Stadt kaum nachstanden, den sonstigen Gebäuden, die um das Herz des Lagers angeordnet waren und schließlich all die vielen Unterkünfte der Soldaten und centuriones, die wie eine Schicht nach der Anderen, in ihrer Art einer Artischocke oder einer Zwiebel ähnelnd, sich um das Haus der legatus drängten. Jedem Feind würde es schwer fallen an all den Männern vorbei zu kommen, um cor et caput legionis zu erreichen. Als sie an einigen Stallungen vorbei kamen, die der Reiterei der Legion vorbehalten war, meinte Marcus beiläufig.


    “Sicherlich hat Dir schon Dein Vater mal das castellum gezeigt? Warst Du schon einmal auf dem vallum? Von dort oben kann man ganz besonders gut das Lager sehen und auch die Landschaft von Mantua.“


    Wenn seine Tochter oder sein Sohn so nahe des Kastell gewohnt hätte, wären die beiden Kinder mit Sicherheit öfters bei ihm im Lager gewesen und er hätte es sich auch nicht nehmen lassen, sie mal durch das Lager der prima hindurch zu führen. Marcus Schritte strebten dem intervallum entgegen, wo das Gras saftig und grün stand, nur niedergetrampelt auf den üblichen Wegen der Wachmannschaften und Soldaten der ersten Legion. Zahlreiche Pfützen und Schlammlöcher sammelten sich in den grünen Teil des intervallum. Da Marcus die junge Frau auf die Mauerabschnitte führen wollte, zögerte er einen Herzschlag lang. Ein Blick auf ihre Schühchen geworfen, die sicherlich das Wasser nicht so gut abweisen konnten, wie seine Soldatenstiefel. Kurzerhand fasste Marcus einen Entschluss.


    „Du verzeihst…?“


    , war die einzige Ankündigung. Da im Moment niemand in Sicht war, erdreistete sich Marcus und hob Epicharis hoch und trug sie auf seinen Armen über den morastigen Teil des intervallum. Zierlich und wie ein Fliegengewicht mutete ihm Epicharis an, seine Lippen wölbten sich zu einem unmerklichen Schmunzeln und sachte, ja schon sanft, da sie ihm sehr zerbrechlich vorkam- wie viele Frauen es doch auch waren- ließ er sie auf der trockenen Seite wieder auf den Boden herunter. Noch den angenehmen Duft ihres Körpers in seiner Nase spürend, deutete Marcus auf die steinerne Treppe, die auf die Mauer hinauf führte und auf den breiten Lagerwall. Festen Schrittes führte Marcus Epicharis hinauf und auf den Wehrgang. Ein laues Windchen wehte über die steinerne Brüstung, zupfte ein wenig an Marcus Soldatentunica. Marcus nickte einem Soldaten knapp zu, der an ihnen vorbei ging und Epicharis dreist angaffte, aber schnell den Blick abwandte, als er den Strafenden von Marcus Gewahr wurde. Marcus wandte sich zu dem Inneren und deutete auf das Lager.


    „Das castellum der ersten Legion. Sollen wir noch zu einem Wehrturm hinauf steigen oder wird Dir vielleicht in hoher Höhe mulmig?“

  • Epicharis stellte wieder einmal mit einiger Verwunderung fest, dass sie Aristides' Art als sehr angenehm empfand. Er verstand es auf eine ihm ureigenste Art, ihre Bedenken oder gar Missstimmung zu zerstreuen, was an sich schon ein kleines Wunder war, bedachte die Claudierin die Worte ihrer Tante Sagitta bezüglich der Ehe, die laut jener stets einsam, kalt und grausam begann und während der sich erst mit der Zeit eine respektvolle Freundschaft und mitunter sogar eine liebende Bindung entwickelte. Verstohlen musterte sie ihren Verlobten von der Seite, richtete den Blick jedoch wieder rasch nach vorn, als er zufällig zu ihr sah.


    Sie passierten einige einzeln stehende Gebäude, deren Funktion Aristides ihr vorausschauend erklärte. Epicharis fand es interessant, sich alles einmal in natura ansehen zu können. Einer Pfütze ausweichend und den herben Geruch der Stallung in der Nase, vernahm sie seine Worte und musste schmunzeln. "Oh, nein. Unter dem vormaligen Legaten waren Frauen innerhalb der Lagereinfriedung nicht zugelassen. Davon abgesehen glaube ich nicht, dass mein vater so begeistert wäre, wenn er von dieser kleinen Expedition wüsste. Aber er muss es ja nicht wissen", fügte sie hinzu und lächelte verschwörerisch. Sie dachte besser nicht daran, was ihr Vater tat, wenn er das hier erfuhr. Viel lieber genoss sie diese letzten gemeinsamen Stunden mit ihrem Verlobten, ehe sie ihn auf lange Zeit nicht wiedersehen würde, doch daran wollte sie jetzt auch nicht denken. "Den Wall? Gern. Ich wäre vermutlich ein schlechter Soldat geworden, weißt du. Zwischen diesen vielen Gebäuden hätte ich mich ganz gewiss ständig verlaufen. Die sehen ja alles gleich aus! Sicherlich ist dieser Wall oder einer der Türme für so manchen Neuling die letzte Rettung. Von da oben erkennt man sicher gut die Lagerstruktur", mutmaßte Epicharis gerade, als sie auf eine ziemlich ansehnliche Matschkuhle zusteuerten. Auf den ersten Blick fand Epicharis keine Ausweichmöglichkeit, doch die war auch gar nicht nötig, da sie plötzlich eine Hand an ihrem Rücken spürte und sie hochgehoben wurde, beinahe Zeitgleich mit Aristides Ankündigung.


    Zugegebenermaßen erschreckte sich Epicharis über diese unverhoffte Aktion etwas, doch genauso schnell wie Aristides sie hochgenommen hatte, beruhigte sie sich wieder und umschlang seinen Hals locker mit den Armen, um nicht abzurutschen. So nahe wie jetzt war sie ihm noch nie für mehr als nur zwei oder drei Sekunden gewesen. Sie spürte seine starken Arme, sog den ihm eigenen Geruch ein und fühlte sich wohl. Noch so ein Umstand, den Sagitta ihr sicherlich nicht geglaubt hätte. Aristides musste gleichsam den zarten Körper Epicharis' spüren, ihr leicht aufgetragenes Parfum riechen, das einen lieblichen Duft verströmte. Behutsam setzte er sie schließlich trockenen Fußes wieder ab, und ehe sie weiter gingen, warf sie ihm ein kurzes Lächeln zu. Wenn es eines Beweises bedurft hätte um ihr zu zeigen, dass der Flavier ein Gentleman war, dann hatte sie ihn nun.


    Sie folgte seiner Geste und gewahrte eine Steintreppe, deren Stufen von abervielen Tritten schon ganz glatt und leicht ausgetreten waren. Epicharis reichte Aristides eine Hand und ließ sich hinaufführen. Oben angekommen, wandte sie sich sogleich um und suchte das Lager zu überblicken. Doch schon die mittleren Gebäude im Herzteil des Kastells konnte sie nicht mehr sehen, nurmehr erahnen. Den Soldaten bemerkte sie zuerst nicht einmal, erst, als er mit leise klappernder Rüstung an ihnen vorbei ging. Epicharis zog ihre Palla etwas enger um den Körper, wandte jedoch mit abenteuerllustigem Glitzern in den Augen den Kopf ihrem Verlobten zu und entgegnete: "Ich würde sehr gern von einem Turm hinunterschauen." Wenn ihr Vater davon Wind bekommen würde... Epicharis aber dachte nicht daran. Sie fand es viel zu aufregend, etwas Verbotenes zu tun.

  • Erfrischend und befreiend von der stickigen Luft des praetorium umwehte Marcus die Brise auf dem vallum. Genau genommen war es nicht sehr warm im Hof, wo die Hochzeit von statten ging, aber die Luft schien ihn in dem Hof- der unangenehmen Situation wegen- sehr zu drücken. Marcus sog die Luft tief durch seine Nase hinein, roch den würzigen Duft der grünen Wiesen vor dem castellum. Das Funkeln in Epicharis Augen mißfiel Marcus nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Unternehmungslustige Frauen, Frauen, in denen das Feuer brannte und die keine sanften Lämmchen waren, vermochten ihn viel mehr zu reizen als die braven Stubenkatzen. Wenn sich auch jede Frau in seinen Augen mit seiner Mutter messen mußte, die die schönste und wundervollste Frau für Marcus war- und noch sehr viel mehr, was jedoch Marcus sich nie eingestehen würde. Aber im Vergleich mit seiner Mutter würde dennoch jede Frau scheitern müssen, egal wie temperamentvoll oder verführerisch sie auch war. Es mußte wohl an den Jahren in Hispania liegen, die der jungen Epicharis dieses Funkeln beschert hatte, denn anders konnte sich Marcus nicht vorstellen, wie dieser Keim in einem derart strengen Haushalt, wie wohl die Claudier es lebten, hatte gedeihen und wachsen können.


    „Wohl denn, es sind auch nicht sonderlich viele Treppen hinauf, aber dennoch schön mit der Aussicht.“


    Marcus führte Epicharis an dem Wall entlang, vorbei an der hohen steinernen Mauer, die trutzig sein Angesicht der menschenleere Landschaft offenbarte und mit jedem Stein laut zu rufen schien: Ich lasse niemanden durch. Ein schmaler Durchgang führte auf eine Treppe, die aus großen Steinblöcken geformt war, entlang an der Mauer, die aus quadratförmigen Steinen bestand. Und schon war man auf dem Wehrturm. Der Wind wehte hier oberhalb des castellum kräftiger, zerrte an Kleidern und Haaren und umschmeichelte dennoch mit einer sanften Wärme die Wangen und die bloß liegende Haut. Mit dem unteren Rand schwebte die Sonne bereits weniger als eine Handbreit über dem Horizont, das Firmament färbte sich coralfarben und tauchte die grüne und saftige Landschaft rund um Mantua und dem Kastell in ein mildes Licht. Marcus stützte sich mit einer Hand auf dem rauen Tuffstein ab, der den Abschluss bildetet und betrachtete einen Herzschlag lang die Landschaft, einige Schafe, die über die Wiesen entlang liefen, gefolgt von einem schlaksigen, jungen Schafhirten. Ein Falke kreiste über einer kleinen Waldgruppe und entschwand in einem rasanten Sturzflug schließlich zwischen dem grünen Geäst um gleich darauf mit einer wilden Taube in den Klauen aufzutauchen und als kleiner Punkt am Himmel zu entschwinden. Marcus atmete noch mal tief ein, lehnte sich mit der Schulter ein Deut gegen die Mauer und sah von der Landschaft weg, die nur noch wenig seine Aufmerksamkeit erregen konnte, er hatte schließlich viele, viele Stunden schon auf den Türmen und dem vallum bei zahlreichen Wachdiensten verbracht- besonders in seiner Zeit als optio.


    „Schön, hm? Siehst Du in Mantua Deine Heimat, Epicharis, oder mehr noch in Rom?“


    Marcus betrachtete ihre Gesichtskonturen, ihre dunklen, seidenglatten Haare, die im Sonnenlicht in vielen Farbnuancen brillierten. Ihre etwas zu blasse Haut- gleichwohl das wohl viele noble und schöne Römerinnen hatten, wie Marcus durchaus wußte. Doch, Marcus befand abermals, daß Epicharis eine schöne Frau war. Immerhin bürdete seine Mutter ihm nicht ein kleines patrizisches Scheusal auf, nur um irgendwelche obstrusen Pläne für seinen Lebensweg leichter zu gestalten. Das Klappern von Hufen, das Rufen eines Soldaten und das Bellen eines der vielen Lagerhunde brachte Marcus dazu, sich wieder dem Kastell zuzuwenden. Noch strotzte das Kastell vor Leben, doch schon wenige Tage später würde es leer und fast völlig verlassen sein, die Legion auf dem Weg nach Ravenna- wie Marcus hoffte- oder Misenum- was für Marcus ebenso wunderbar wäre, das Erste wegen einem Verwandten und das Zweite seiner Mutter wegen.


    „Du arbeitest für die acta, Epicharis?“

  • Während sie über den Lagerwall gingen, drehte Epicharis immer wieder den Kopf und sah mal von der einen, mal von der anderen Seite hinunter. In der Ferne waren bereits die vorsorglich angezündeten Lichter der Stadt zu sehen, denn das Castellum lag schließlich etwas außerhalb, doch nicht so weit weg, dass man es nicht würde erkennen können, wenn man aus der Stadt hinaustrat und sich nur gut genug umsah. Kurz darauf befanden sie sich auch schon im Turm, stiegen die Stufen empor und traten an die Brüstung des Turmes. Hier oben war es zugiger, doch man konnte auch viel weiter sehen. Das ganze Lager war nun zu überblicken, und auf der anderen Seite das weite grüne Land um Mantua herum. Irgendwo trieb ein Schafhirte ein aus der Reihe tanzendes Schaf zurück zur Herde, weiter zurück fuhr ein schwer beladener Ochsenkarren im letzten Licht des Tages der Stadt entgegen.


    Epicharis hatte beide Hände auf die Mauer gelehnt und spähte einem Wachtposten gleich ins Land hinaus. Der Wind zupfte verspielt an ihren Haaren, ganz als wollte er sie zum Reigen mit der kühlen Brise rufen. Sie spürte Aristides' Blick auf sich liegen, sah jedoch weiterhin in die Landschaft heraus, das Kinn ein wenig vorgereckt. "Ja, wunderschön. Es hat also auch Vorzüge, Soldat zu sein?" neckte sie ihn und warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, um sich gleich abermals der Landschaft zu widmen. Ein Falke stieß einen triumphierenden Schrei aus und flog mit der schweren Beute in den Klauen davon. "Meine Heimat ist dort, wo meine Familie sich aufhält. Früher wollte ich stets zurück nach Tarraco, wenn ich nach einem Aufenthalt dort wieder hier angekommen war", erzählte sie und dachte daran, dass es jedes Mal großes Geschrei gegeben hatte, wenn der Hafen Ostias auch nur in Sicht gekommen war. "Rom ist laut und grässlich, aber es bietet auch vieles, dass Mantua und Tarraco nicht haben. Müsste ich mir eine Residenz erwählen, würde ich Spanien bevorzugen." Nun wandte sich Epicharis zur Seite und sah Aristides mit schräg gelegtem Kopf an. "Wie steht es mit dir? Du hast bei der Sibylle und auf der Feier oft von Baiae gesprochen. Vermisst du deine Heimat?" hakte sie nach und blinzelte gegen den Wind, der immer mehr Strähnen aus ihrer Frisur klaubte, um damit zu spielen. Ihre Ornatrix hätte vermutlich heulend die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, doch schließlich war sie mit Epicharis gereist und würde die Frisurpracht schnell wieder in ordnung bringen können - so die Theorie.


    Ein nur angedeutetes Lächeln zierte nun die Züge der Claudierin, die sich erneut abewandte, um nun die Lagerseite zu betrachten. Sie überquerte den kleinen Raum des Turmes und sah ins Kastell hinunter. Aus dem Praetorium drangen Musik und Gelächter, zu ihrer Rechten marschierte eine Centurie gerade vom Exerzierplatz, und irgendwo weiter hinten wurde ein Lagerfuer entzündet. "Hm?" Alles in allem zwar interessant, doch kein so schöner Anblick wie jener auf der Außenseite, weswegen Epicharis sich nun wieder Aristides zuwandte und langsam auf ihn zuging. "Die Acta? Ja. Ich bin die Lectrix, das bedeutet, dass ich sämtliche Artikel korrekturlese. Es ist eine angenehme Arbeit, manchmal auch lustig, wenn sich ungewollte Fehler einschleichen und dem Text einen gänzlich neuen Sinn geben", erzählte sie und dachte an die letzte Ausgabe, die kürzlich erschienen war, und in welcher jemand die Duccier als einfluchreiche Familie bezeichnet hatte. Schmunzelnd lehnte sie sich mit der Rückseite leist gegen die Brüstung, legte ihre Ellbogen auf den zerfurchten Stein und blinzelte Aristides aus einem Krank fliegender Haare hinweg an.


    Eine kurze Pause entstand schließlich, und Epicharis nutzte sie, um ihren Verlobten etwas zu fragen. "Marcus, ich könnte in Mantua bleiben, solange bis ihr abrückt", schlug sie, vielleicht etwas naiv, vor. Immerhin bereitete sich so ein Krieg nicht allein vor, und Aristides musste auch ohne sie schon genug um die Ohren haben. Dies fiel ihr nur wenige Augenblicke auch auf, nachdem sie die Worte gesprochen hatte. Daher fügte sie hastig an: "Weißt du denn, wann es soweit ist?"

  • Die Vogelschau schien Marcus in letzter Zeit häufiger zu beschäftigen. Denn einige Herzschläge sann er über das Omen nach, welches der Falke ihnen offenbart hatte. Würden die römischen Legionsadler schnell über die Parther hinweg ziehen, ihre Klauen in ihr Fleisch rammen und mit schwerer Beute nach Hause ziehen können? Für Zeichen des göttlichen Willen, abernatürliche Offenbarungen war Marcus leicht zu gewinnen und auch damit zu beeindrucken. Doch daß die Götter stets und überall ihren Orakelspruch zeigten, das Schicksal nicht so uneinsehbar ist, wie man leichterhin annehmen könnte, davon war Marcus fest überzeugt. Schließlich trug er auch das ein oder andere Schutzamulett, was er noch aus Baiae hatte und nur zum Baden in den Thermen ablegte, wenn auch widerwillig. Er hatte eines gegen den bösen Blick und eines, was ihn vor Unglück bewahren sollte. Es hatte nicht immer geholfen, doch Marcus lebte und atmete noch, hatte zwei prachtvolle Kinder- in den letzten Monaten und auch jetzt leider ein großer Quell von Sorgen- und sonst war sein Leben auch von einer sonnigen Seite beschienen. Denn seine Verlobte, die sich ihm gegenüber an der Mauer abstützte, hatte sich von einer gewinnenden und liebreizenden Art gezeigt, die ihn durchaus angenehm überrascht hatte. Und Marcus hoffte inständig, daß das auch so währen blieb.


    „Für etwas muß man schließlich entlohnt werden, wenn man Stunde um Stunde einen monotonen Dienst verrichten muß, niemals einen Feind erwartend und höchstens von einem Kauz in der Nacht begrüßt werdend. Nun, der Wachdienst wird in nächster Zeit sicherlich nicht mehr monoton sein.“


    In Germania war auch stets damit zu rechnen gewesen, daß sich einige verrückte Freiheitsdenker ins castellum schleichen wollte. In Italia trauten sich das noch nicht mal die dümmsten Gauner. Aber in Parthia, so rechnete Marcus damit, würde das sicherlich noch anders werden. Sie würden oftmals in ständiger Wachbereitschaft sein müßen. Da Epicharis noch weiter die Landschaft betrachtete, besah sich Marcus weiter ausführlich seine Verlobte. Den Schwung ihrer Nase, ihre hohen Wangenknochen und die sinnliche Wölbung ihrer Lippen, ebenso das kess nach vorne gereckte Kinn. Marcus lächelte sinnierend, schöne Frauen konnte er stundenlang ansehen. Dabei lauschte er ihren Worten und vor seinen Augen zeichnete sich Hispania ab. Gesehen hatte Marcus das Land noch nie, war auch nicht im Geringsten im Bilde, wie Hispania aussehen könnte. Aber eine fiktive Landschaft, golden, rot und braun in allen Schattierungen konnte er sich durchaus ausmalen. Doch mehr als Berge, wilde Pferde und guten Wein, zudem noch Räuber und Verräter konnte Marcus sich nicht unter Hispania ansonsten vorstellen. Doch er nickte und konnte gut nachempfinden, was Epicharis meinte.


    „Oh ja, ich vermiße Baiae auch oftmals. Ich bin aufgewachsen und war sehr glücklich dort. Und dort wo man seine glücklichen Kindheitsjahre verbringt, an diesen Fleckchen Erde hängt man sicherlich noch sehr viel mehr als an die schönsten Plätze der Welt. Selbst Africa, ein paradiesisches Land, vermag meine Heimatstadt nicht zu schlagen.“


    Den Westen von Africa wollte Marcus eines Tages noch erkunden, war das doch ein Land der weißen Flecken auf Marcus persönlicher Landkarte- sprich, er hatte das Land noch nicht erforscht und wollte es noch unbedingt kennen lernen. Gerade steckte ein Soldat seinen Kopf durch den Durchgang zum vallum, sah Epicharis und Marcus und verschwand eilig wieder ehe Marcus ihn wegschicken konnte. Marcus wandte nun doch seinen Blick von dem schönen Antlitz der jungen Claudia ab, betrachtete das Treiben im Lager und das Entzünden so manch einer Feuer, die wohl dem Zwecke des abendlichen Mahls dienten- Puls und verdünnter Wein für die einfachen Soldaten. Mit so einer Kost gab sich Marcus keinen Abend mehr zufrieden, hatte jedoch die Befürchtung, daß er das bald wieder mußte. Marcus Mundwinkel verzogen sich zu einem Schmunzeln. Sollte er jemals in die Verlegenheit kommen einen Artikel für die acta zu verfassen- was wohl niemals sein würde- so würde Epicharis mehr als zu tun bekommen. Es sei denn, er gab es Hannibal in Auftrag. Marcus lehnte sich mit der Schulter erneut gegen die Wand und sah Epicharis unverwandt an. Die Haare umschmeichelten ihr schönes Gesicht und umrahmten sie ganz zauberhaft. So konnte Marcus schwerlich, wie schon im Garten in Rom, der Versuchung widerstehen. Er hob seine Hand und strich sanft eine Haarsträhne zurück, die sich um ihre Wange schmiegte. Dabei berührte seine Hand ihre Wange, doch statt dieses Mal seine Hand wieder zurück zu ziehen, ließ er seine Hand weiter an ihrer Wange entlang gleiten und legte sie behutsam an ihr Kinn.


    „Es wäre schön, wenn Du noch in den nächsten Tagen in Mantua bleibst, Epicharis. Wann wir genau aufbrechen, hängt leider noch in der Schwebe. Morgen, Übermorgen oder erst in einer Woche? Wir wissen es nicht. Die Soldaten, die nicht im Stab sind zumindest.“

  • Er wusste es nicht, konnte es gar nicht wissen, aber mit seinen Gedanken hatte er bereits im Vorfeld die Überraschung vorweg genommen, welche sich Epicharis ausgedacht hatte. Doch auch Epicharis konnte dies nicht erahnen, und so verhielt sie sich nicht so, wie sie es in diesem Moment vielleicht getan hätte, hätte sie nur gewusst, dass Aristides etwas ahnte.


    Er schien gefangen zu sein von dem Vogelflug, folgte den Bahnen des Tieres mit dem Blick, bis es nurmehr ein winziger Punkt am Horizont vor der nun immer rascher untergehenden Sonne war. Über seine Worte konnte sie nur schmunzeln, denn er stellte den Dienst als monoton und langweilig dar, und gar als unnötig. Sie hegte jedoch die gleichen Gedanken wie er, und im Gegensatz zu ihm schwieg sie nicht, sondern sprach sie aus. "Es mag dir müßig vorkommen, dieses Lager zu bewachen, und doch tust du es. Nicht etwa aus Übungszwecken, sondern weil du ein Mann bist, der seinem Kaiser und seinen Männern treu ist, Marcus. In den dunklen Nächten in Parthien, wenn man den Feind von allen Seiten vermuten kann, wirst du dir wünschen, es sei nur ein Kauz, der vorbeifliegt und sich nicht weiter um die Palisaden kümmert", sagte sie, und in ihrer Stimme schwangen doch leichte Besorgnis und Melancholie mit. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein gleißendes Licht, golden wie die Stickereien auf ihrer Palla, rot wie die Tunika, welche Aristides trug, und hell wie ein Stern in dunkler Nacht. Epicharis wusste schon jetzt, dass sie diesen Abend nicht vergessen würde.


    Aristides' Worte klangen sehnsüchtig, als er von der Heimat sprach. Und was er sagte, konnte Epicharis nur zu gut verstehen. Vermutlich mochte sie Hispania deswegen so sehr, weil sie dort stets glücklich gewesen war als Kind. So wie es ihrem Verlobten mit diesem fruchtbaren Land ging, so erging es Epicharis mit Africa, denn im Gegensatz zu ihm war sie niemals dort gewesen. Doch irgendwann würde sie nach Alexandria reisen und alles bestaunen. Den großen Leuchtturm vor dem Hafen, das Museion, die verschiedenen Tempel längst verstaubter, altägyptischer Götter, die Menschen, das Land... Ihre Gedanken wurden unterbrochen von einem braungelockten Kopf, der kurz he rsah und dann auch schon wieder verschwand. Epicharis schmunzelte peinlich berührt, denn was mochte der Soldat schon denken? Ein ranghoher Soldat und eine junge Dame allein auf einem Wachtturm, den Sonnenuntergang im Rücken...da blieb nicht viel Raum für Spekulationen, die Situation erschien glasklar.


    Eine Weile hatte sie den Blick auf den Boden gerichtet, sich der Tatsache bewusst, dass Aristides sie unverwandt musterte. Eine Frau spürte solche Blicke schließlich stets. Und als sie zögerlich den Blick hob, ihn an Aristides' Gestalt empor gleiten ließ, schließlich an seinem Gesicht anlangte, da entdeckte sie, dass es nicht nur irgendein Blick war, sondern ein besonderre. Und von einer auf die andere Sekunde war Epicharis befangen und hatte diesen erschreckend großen Kloß im Hals. Sie gab es ja zu, sie war angetan von diesem Mann, sie war nicht schockiert, dass sie ausgerechnet ihn heiraten sollte, und sie sah auch nicht der Tatsache freudig entgegen, dass er im Krieg vielleicht fiel und ihr somit die Heirat erspart blieb. Wie viele andere an ihrer Stelle mochten so denken? Sie sah ihm entgegen, das Herz bis zum Hals klopfend, folgte dem Weg seiner Hand mit dem Blick, bis diese ihre Wange erreicht hatte. Für eine Winzigkeit nur schloss sie die Augen, und als sie sie wieder aufschlug, sah sie wieder Aristides' Gesicht. Die Szene erinnerte sie an jene Situation im Hortus, doch anders als damals nahm er seine Hand nicht fort und brachte damit Epicharis Handinnenflächen zum Schwitzen. Das geschah bei ihr immer dann, wenn sie sehr aufgeregt war. Ihr Atem ging etwas flacher, und auf seine Worte hinweg entgegnete sie nichts, da sie befürchtete, der Frosch in ihrem Hals mochte sie die Antwort quaken lassen. Sie nickte nur. Sie nickte und wartete, was er nun vor hatte.

  • Wie ein weicher Schleier legte sich das Licht der Abendsonne auf die Gestalt von Epicharis. Orangegolden erstrahlten ihre hohen Wangenknochen, was Marcus sehr gut gefiel und seine Lippen zu einem Lächeln veranlaßten. Was ihm ebenso erfreute, wie ihre anmutige und schöne Gestalt und Erscheinung, war auch ihre offensichtlich gute Meinung über ihn- so gerechtfertig sie nun war oder nicht. Denn insgeheim war Marcus davon überzeugt, daß vieles von dem, was er in der legio tat einfach die Routine und tägliche Pflichterfüllung war, wohinter er keine große Bedeutung oder Wichtigkeit erkannte. Er mußte sie tun und er vollführte sie. Aber womöglich erkannte Epicharis etwas in Marcus, dessen er sich selber nicht bewußt war. Wenn er auch wußte, dass er dem Kaiser stets treu und loyal sein würde, der kurze Eindruck, den er von dem Mann während seiner Audienz erhalten hatte, hatte tief und nachhaltig auf Marcus gewirkt. Ein Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Güte und Führungsstärke hatte Marcus bei sonst keinem Menschen in dieser Art erlebt und er war seit dem Zeitpunkt noch sehr viel stolzer, dem Kaiser derart dienen zu dürfen. Womöglich suchte Marcus- aufgewachsen ohne Vater- aber auch einfach nur weiter nach einem Vaterersatz und projizierte seine ganze Verehrung aus diesem Grunde auf den Kaiser.


    „Ja, in Parthia. Weit, weit weg scheint mir das Ganze zu sein. Und mit jedem Tag entfernt sich das Land noch sehr viel mehr als ob es auf einer schwimmenden Insel läge, was sich auf dem blauen Ozean von uns weg bewegt. Wir warten schon lange auf den Abmarschbefehl, seit längerem haben wir Ausgangssperre, dürfen noch nicht mal mehr in die Stadt und zudem scheint sich der Feldzug immer wieder zu verzögern. Die Männer werden unzufriedener und manch einer raunt schon, daß vielleicht erst eine andere legio dort hingeschickt werden soll und wir nur die sichere Nachhut bilden sollen…“


    Marcus sann mit ruhiger Stimme vor sich hin, unterbrach sich dann jedoch und wollte Epicharis nicht mit seiner plötzlich aufkeimenden pessimistischen Stimmung anstecken. Daß er in den letzten Tagen über einen Austritt wieder aus der Legion nachgedacht hatte, ließ er unerwähnt. Denn im Grunde war es ihm im Moment verwehrt, wollte er nicht als Feigling gelten. Und zudem wollte er immer noch nicht seine Männer im Stich laßen, jetzt, wo sie einen bekannten centurio brauchten, der ihre Marotten und sie dessen Schrullen kannten. Marcus Mund zeigte wieder ein sinniges Lächeln, seine Gedanken richteten sich auf das Hier und Jetzt, Grübeleien wurden bei Seite geschoben- was Marcus durchaus leicht konnte. Seine Fingerspitzen erkundeten Epicharis Kinnlinie und zogen sich weiterhin nicht zurück. Stattdessen sah er in ihre braunen, leuchtenden Augen, die einen goldenen Glanz, ein warmes Schimmern enthielten, er entdeckte das feine Spiel von winzig kleinen schwarzen Linien in dem Braun, sogar kecke kleine dunkle Tupfen meinte Marcus in ihnen erkennen zu können, ein faszinierendes Spiel der Farben offenbarte sich in den Augen von seiner Verlobten. Dunkle Augen, dunkle Haare, Marcus mochte das sehr. Der Moment schien still zu sein, im Hintergrund leuchteten weitere Feuer im Lager auf, die Dunkelheit senkte sich an einer Stelle im Osten über das Kastell, während der westliche Teil und der Wehrturm vom letzten Sonnenlicht bestrahlt wurde. Marcus, der in dem Moment nicht nachdachte, sondern ganz seinem inneren Impuls folgte, beugte sich zu Epicharis vor und legte seine Lippen auf die von Epicharis. Geschmeidig und samtig fühlte sich ihr sinnlicher Mund an. Marcus legte einen Arm um ihre Taille, zog sie behutsam näher und küsste sie sanft und sinnenfreudig, kostete dabei erst Mal mit seinen Lippen die Konturen ihrer Unterlippe ehe er weiter ging.

  • Es schien Epicharis gar, als sei Aristides von einer seltsamen Vorfreude erfüllt, als fieberte er dem Abmarsch entgegen und könnte es gar nicht mehr erwarten, endlich loszumarschieren. War dies wirklich nur Kaisertreue und Vaterlandsliebe, oder sehnte sich ihr Verlobter nach dem Gemetzel, nach dem Rausch des Blutes? Vermutlich hoffte er gar, die Erfüllung in diesem Krieg zu finden. Epicharis schwelgte einen Moment stumm in Gedanken. Die Rufe und das Gelächter der Männer im Lager drangen gedämpft zu ihnen herauf, aus einem nahe liegenden Wäldchen schallte der verschlafene Ruf eines Käuzchens über das Umland und irgendwo am Fuße der Mauer streifte ein Fuchs entlang.


    Epicharis blickte nun wieder Aristides an, war versucht, ihm zu sagen, dass sie fröstelte, beließ es aber bei ihrem Blick, als sie den seinen sah und sogleich dessen Intention herausfilterte. Die Claudierin hielt still und erwiderte das gegenseitige Ergründen der Augen des jeweils anderen, nur ihre Brust hob und senkte sich rhythmisch mit jedem Atemzug. Aristides' Finger schienen eine wärmende Spur auf ihrer hellen Haut zu hinterlassen, und schlagartig war Epicharis nicht mehr kalt, sondern angenehm warm. Gelegentlich blinzelte sie und unterbrach damit den Blickkontakt. Und obwohl sie wusste, wofür diese Situation, in der sie sich befand, prädestiniert war, so war sie doch innerlich erstaunt, als Aristides' Gesicht sich näherte und sie plötzlich seine Lippen auf ihren spürte. Nicht feucht, wie Tante Sagitta es prophezeiht hatte, und nicht widerwärtig war das gefühl, sondern auf gewisse Weise gleichsam interessant und neu. Epicharis schloss nicht die Augen, sondern sah Marcus an. Ihre Lippen schienen der wärmste Teil ihres Körpers zu sein. Mehr nebenbei spürte sie, wie Aristides sie an sich zog, behutsam und liebevoll, und nun schloss die Claudia doch die Augen, drehte den Kopf um eine Winzigkeit und gab sich ganz dem hin, was gerade passierte. Dass dabei ihr Herz bis hinauf in den Hals schlug, ist wohl unnötig zu erwähnen. Aufregend fand sie auch das aufegeregte Kribbeln im Bereich des Magens, und ganz plötzlich realisierte sie, woher der Begriff kam, Schmetterlinge im Bauch zu haben.


    Wenn sie auch zu Anfang nicht wirklich davon überzeugt gewesen war, dass sie Aristides mehr schätzte als eine arrangierte Ehe es verlangte, so war sie sich nun sicher, dass er dieses Kribbeln nicht würde auslösen können, wenn sie ihn lediglich respektierte - Epicharis hatte sich tatsächlich verliebt, auch wenn so ziemlich alles dagegen sprach, was sie je von anderen gehört hatte. Sie wusste es noch nicht, aber wenn Aristides genauso empfand, sollten sie beide wohl einst gänzlich das Gegenteil von dem darstellen, was Antonia und Gracchus füreinander waren.

  • In einer Explosion aus feuerroten Farben, von Orange-Gelb bis zu einem tiefen Purpur- was in den Tiefen eines Lagerfeuers lodern würde- versank die Sonne hinter dem Horizont, wurde von dem heranziehenden Blau der Nacht verschluckt und gab nur noch einen letzten Schimmer Preis, ehe die letzten Farben in milden Pastelltöne verblasste. Der Abendstern- die Venus- offerierte ihr Licht und ein Stern nach dem Anderen zeigte sich erst zögerlich, dann mit größerer Freude am Firmament. Marcus bemerkte das jedoch nicht, hatte weder Augen noch Sinne für den Sonnenuntergang übrig- wie sonst wohl auch kaum. Sanfte Haut spürte Marcus mit seinen Lippen, küßte Epicharis erst hauchzart, fühlte ihren betörend duftenden Körper an sich, wenn auch die Rüstung viel zu dämpfen vermochte- was vielleicht gut war und Marcus Blut nicht gleich hoch schießen ließ. Sachte glitt seine Hand an ihrem Kinn entlang bis zu ihrem Hals. Seine Fingerspitzen ertasteten ihr Ohrläppchen und strichen dann durch den Ansatz ihrer Haare.


    Nachdem Marcus einige Herzschläge lang, milde mit seinen Lippen die von Epicharis erkundet hatte, öffnete er ganz langsam seinen Mund, umgriff ihre Unterlippe und ging dann noch ein wenig weiter. Es war schon gut, daß die Rüstung sie noch trennte. Denn gleichwohl Marcus nicht zur Gänze ihren Körper spüren konnte, ging sein Atem doch jetzt schon bedeutend schneller. Es lag auch schon einige Tage her, daß er bei einer Frau gelegen hatte und Epicharis schmeckte wie Ambrosia in jenem Moment, ihr Duft war wie das süßeste Parfüm und ihre weiche Haut für ihn aufwühlend. Ein Herzschlag schien sich in eine Unendlichkeit zu dehnen, der Kuss wollte nicht enden und Marcus gedachte in jenem Augenblick auch nicht das zu tun. Und dann war die Zeit schneller verflogen als er es gedacht hätte, langsam löste sich Marcus nach dieser verworrenen Blase der Zeit und dem langen Kuss. Erstaunt bemerkte Marcus, daß nur noch ein schmaler Lichtschein am Horizont zu sehen und sie im Licht der Sterne getaucht waren, die nicht sehr viel erhellten.


    Der erste Nachtwind kam auf und Marcus sah zum ersten Mal das dünne Kleidchen von Epicharis, meinte sogar eine Gänsehaut bei ihr zu entdecken. Aber Marcus war sich dessen nicht ganz sicher, litt er doch durchaus unter einer gewissen Nachtblindheit- wenn auch nur in schwacher Form. Trotzdem löste er den leichten Umhang, der mehr zur Zierde über seiner Rüstung hing, die Wärme seines Körpers schon aufgesogen hatte und legte diesen um Epicharis Schultern. Die goldsilberne Schließe klickte leise, als er sie zu machte. Daß Marcus mal fror, war nur im Winter so- oder während Germanias kalten Nächten. Doch nicht zu dieser Zeit und in Italia, selbst wenn es mal frischer wurde. Immer noch hielt Marcus einen Arm um Epicharis geschlungen und strich mit der anderen Hand unter ihrem Kinn entlang.


    „Schöne Epicharis, ich muß etwas zugeben. Anfangs war ich nicht sonderlich davon angetan wieder zu heiraten. Meine erste Ehe war...nun, sagen wir, sie war nicht sehr erbaulich. Aber ich bin wahrlich positiv von Dir angetan. Du bist charmant, klug, freundlich und wunderschön. Ein Geschenk der Götter.“


    Marcus lächelte und fuhr mit seinem Daumen angedeutet an ihrer Unterlippe entlang.

  • Wie konnte ein Mann, der bald vielerlei parthische Barbaren mit seinem Gladius niederstrecken würde, nur so sanft sein? Das fragte sich Epicharis. Dieser Gedanke war aber zugleich auch alles, was ihren Kopf in jenem Moment der Süße füllte. Alles weitere war ausgeblendet, ihre Sinne vollkommen auf Aristides und den Kuss ausgerichtet. Ihr Körper befand sich in einem inneren Aufruhr sondergleichen. Sie schmeckte ihn, hörte seinen Atem und spürte ihn zugleich auf der weichen Haut ihres Gesichts. Ganz selbsttätig hob sich ihre Linke und legte sich zart und anschmiegsam an die Wange des Geliebten, welche etwas rauh und doch weich war, ein Paradoxon für sich. Epicharis schob die wettergegerbte Haut auf den täglichen Dienst unter freiem Himmel, doch schob wurde sie erneut im Denken gestoppt, weil sich der Kuss nun veränderte.


    Bei der heiligen Iuno, was tat Aristides mit ihr? Immer noch zeigte sich Gänsehaut, doch inzwischen war da noch etwas anderes, was sie auslöste. Epicharis glaubte, keinen Atem mehr zu haben, denn Aristides hatte ihn ihr geraubt. Kurz hob sie die Lider und sah ihn liebevoll an, dann schloss sie die Augen erneut und ließ sich leiten von ihm, dem zärtlichen Soldaten. Derweil fuhr sie hauchzart, fast so, als traute sie sich nicht recht, fast einem Schmetterlingsflügel gleich, an seinem Kieferknochen entlang zum leicht stoppeligen Kinn und wieder zurück. Unbewusst umarmte sie ihn mit dem anderen Arm. So standen sie eine ganze Weile eng beieinander und schenkten sich einen letzten, ungestörten Moment der Zuneigung.


    Ohne Worte, dafür aber mit einem lieben Blick, ließ er schließlich von ihr ab, musterte sie kurz und zog sich dann seinen Umhand von den Schultern, um ihr Frösteln zu lindern. Epicharis umschlang ihren Körper in einer schützenden Geste mit den Armen und sah dankbar zu ihm auf, während er ihr das dünne Stück Stoff um die Schultern legte und die Schnalle klicken ließ. Seine nahe Präsenz hatte sie nicht mehr frieren lassen, doch nun, wo sie erneut einen gewissen Abstand voneinander hatten, spürte sie doch wieder die Kühle des Windes und ärgerte sich darüber, denn gewiss würde Aristides deswegen bald vorschlagen, sich wieder zu den anderen zu gesellen - und das wollte die junge Claudierin nicht, zumindest noch nicht. Doch wenn sie dies zugab, so würde sie ein Zugeständnis machen, das sie Aristides noch nicht machen wollte - immerhin sollten Frauen nie zu viel von sich preisgeben, damit sie für die Männer interessant blieben.


    Seine Worte ließen sie verlegen lächeln und sie senkte kurzweilig den Blick, seine Berührungen spürend. Ehe sie sprach, schluckte sie vorsorglich, denn der Frosch schien ihr noch nicht gänzlich aus der Kehle gewichen. Was er sagte, überraschte sie, denn es klang aufrichtig und ehrlich - nicht dahergesagt. Sie schwieg noch einen Augenblick, suchte nach den richtigen Worten, fand sie aber nicht. "Marcus, ich bin...ich weiß nicht, was ich sagen soll", gestand sie und lächelte. "Noch vor einem Monat habe ich es als meine Pflicht angesehen, dem Wunsch meines Vaters zu folgen. Von Mal zu Mal aber lerne ich dich besser kennen, und in mir reift die Überzeugung, dass es keinen besseren Mann hätte geben können für mich. Umso schmerzlicher wird es sein, dich nun für lange Zeit zu verlieren." Epicharis' Blick wurde etwas wehmütig, doch das Lächeln schwand nicht. Sie würde vermutlich noch den ganzen Abend lang lächeln, so beschwingt fühlte sie sich.

  • Einige Jahrhunderte später in einer anderen Zeit und unter anderen und doch ähnlichen Umständen hätte Marcus womöglich romantischere Intentionen und besondere Handlungen vollzogen in jenem Augenblick auf dem Turm einer Burg. Doch das Wort Minne oder die Botschaft der Troubadoure kannte Marcus, Römer und Patrizier durch und durch, nicht im Mindesten. Die Lichter der Lagerfeuer flackerten wie muntere Feuerzungen in den Himmel und von vielen Stellen des Lagers drang Musik von Flöten und so manch einem Horn hinauf zu der Wehrmauer. Der Wind umwehte immer kühler den Turm, presste seine unsichtbaren Hände gegen die Steinmauer, glitt durch Fugen und Ritzen und umspielte den Mann und die Frau, die dort hoch oben über dem Lager waren. Die Kühle und der frische Lufthauch, der sich unter die Rüstung von Marcus schlich tat seinem überhitztem Blut sehr gut, denn gleichwohl die Rüstung ein Schutzpanzer zwischen ihm und Epicharis darstellte für jegliche lasterhafte Gedanken- und doch waren sie bei Marcus sofort gekommen- so pochte es durchaus in seinen Schläfen und noch in seinem ganzen Körper. Es war nicht der Fall, daß Marcus noble, ehrenhafte Gedanken hegte und er hätte nicht gezögert, all seine kleinen Tricks und Mittel zu nutzen, um Epicharis nicht nur in seine Unterkunft zu locken und sie- einem bösen Wolf aus dem Walde gleichend- zu schlimmeren Untaten zu bewegen und somit schnurstracks in sein Lager zu führen. Aber es war der Grund, daß er bald in den Krieg ziehen würde, daß er zögerte. Denn es bestand immer die Gefahr, daß eine Frau schwanger wurde und eine Schande derart- zumal er weit weg sein würde- wollte er Epicharis doch ersparen. So löste er sich schließlich doch ein wenig von ihr, denn Marcus kannte sich selber gut genug. Irgendwelche Vorsätze oder Vernunft waren in dem Moment zerschlagen und lösten sich wie eine Rauchfahne in der Gewalt des Windes auf, wenn die Versuchung sich ihm zu drängend darbot.


    „Dann sollten wir unbedingt den Göttern danken, daß sie uns derart ein Geschenk gemacht haben. Vielleicht bringen wir, wenn ich zurück kehre, noch Iuno ein Opfer bevor wir heiraten. Damit sie uns weiterhin diese Gunst schenkt.“


    Opferungen fühlte sich Marcus gewachsen, nur nicht das Lesen der Organe. Aber das würde er wohl auch nicht vollbringen müßen. Marcus hob seine Hand und fuhr mit seinem Daumen an Epicharis Kinn entlang, ließ den Finger dort ruhen und betrachtete sie nachdenklich. Was für ein liebreizendes Lächeln, was für eine wunderbar offene Art sie doch hatte! Nur hoffentlich war sie nicht eifersüchtig, denn daß Marcus die Gänge ins lupanar jemals sein laßen konnte, das wußte er, würde wohl nie paßieren. Doch zu dem Zeitpunkt und mit so einer vollkommen grazilen, dabei doch vereinnahmenden jungen Frau vor sich waren solche Gedanken keine, die Marcus zu beschäftigen wußten.


    „Die Zeit des Krieges wird ganz gewiß schnell herum gehen. Und ich habe wahrlich nun einen wunderbaren weiteren Grund eilends wieder nach Hause zu kommen, zu helfen, die Parther noch flugs in die Knie zu zwingen.“


    Marcus legte sanft seine Hände auf ihre Wangen und gab ihr einen Kuß, einen Leichten, der nicht sein Blut in Wallung bringen konnte, aber dennoch die Zuneigung ausdrückte, die er immer mehr für die junge Frau verspürte. Aber dann geschah, was Epicharis befürchtet hatte und das auch aus dem Grund heraus, daß Marcus meinte, sie würde wirklich frieren.


    „Gehen wir doch zurück. Die Feier wird sicherlich noch vonstatten gehen.“


    Marcus ergriff ihre Hand, um mit ihr zusammen den Turm wieder zu verlaßen und sich in das nächtliche Lager zu begeben, das gefüllt war mit vielen Soldatenherzen die bang oder eifrig darauf warteten, bald in den Krieg und in das fremde Parthia zu ziehen.

  • Wenn sie wirklich einige Jahrhunderte später, in einer anderen Zeit und unter anderen und doch ähnlichen Umständen gelebt hätten, so hätte Epicharis auch durchaus ein wenig mehr Romantik von Aristides erwartet. Doch auch sie war Römerin im Hier und Jetzt, und so war sie schon jetzt beeindruckt von dem - wie sie glaubte - ungewöhnlichen Verhalten ihres Verlobten, denn für beinahe alle Patrizier war und blieb die Ehe nun mal eine Zweckverbindung, zumeist aus politischen Gründen. Und bei einer solchen Verbindung, so hatte sie gehört, nahm sich der Mann nötigenfalls auch mit Gewalt, was er wollte, auch wenn die gesellschaftlichen Gepflogenheiten eingehalten wurden. Von Romantik war da kaum eine Spur. Deswegen glaubte Epicharis, mit Aristides großes Glück gehabt zu haben. Wenn sie beispielsweise Antonias Erzählungen Glauben schenkte, war Gracchus ein liebloser, kalter und grober Klotz. Nein, nein...da war sie schon besser dran, so zärtlich wie ihr Aristides gegenübertrat.


    Die Claudierin vermutete allerdings keinerlei lasterhafte Hintergedanken, welche mit seinem Verhalten kamen. Hätte sie etwas davon geahnt, wäre sie vermutlich etwas empört gewesen, denn es war für sie klar, dass er sie erst in der Hochzeitsnacht entblößt sehen würde. Genauso klar übrigens war es für sie, dass er sich in der Ehe nur ihr widmen würde und sonst keiner, ob Sklavin, Lupa oder was auch immer. Auf keinen fall wäre sie ihm gefolgt, hätte er es versucht. So viel Willenskraft brachte sie in jedem Falle auf. Doch war es müßig, darüber nachzudenken, denn ihre Gedanken blieben vor Aristides verborgen, genauso, wie die seinen sich ihr nicht erschlossen - was vielleicht gut so war.


    Statt also den Vorschlag zu vernehmen, ihm zu seiner Unterkunft zu folgen, hörte sie schöne Worte, die sie erneut verlegen lächeln ließen.
    "In jedem Falle, Marcus. Das machen wir." Nötigenfalls würden sie seinen Vetter um Hilfe bitten können, schließlich war er ein Sacerdos. Und was den Termin anging, würden sie sich vertrauensvoll an Epicharis' Verwandten Myrtilus wenden können, der ihnen als ehrenwerter Augur sicherlich den Willen der Götter deuten würde. Doch solche Gedanken waren noch weit entfernt, denn Aristides würde vermutlich für Jahre nicht einmal in Epicharis' Nähe verweilen. Jene Nähe war es auch, die sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte, denn abermals streichelte er sie sanft und sprach liebe Worte. Als Epicharis aufsah zu dem Mann, welcher ohne weiteres auch ihr Vater sein konnte, gewahrte sie die Ehrlichkeit in seinen Augen, und dieser Blick prägte sich ihr dauerhaft ein. "Und ich werde einen guten Grund haben, die Götter um Beistand zu bitten, auf dass Rom siegreich sein wird, auf dass du siegreich sein wirst, damit ihr rasch wieder heimkehrt, Marcus", flüsterte sie inbrünstig und auf den Zehenspitzen stehend nahe an seinem Ohr, ehe er sie erneut mit einem liebevollen Kuss bedachte.


    Kurz darauf schlug er vor, wieder zurück zu gehen, wie sie es bereits erwartet hatte. Sie nickte nur und ließ sich an der Hand nehmen, damit er sie sicher zurück zur laut und fröhlich feiernden Gesellschaft würde führen können. Worte des Abschieds sprach sie nicht auf dem Weg, denn zum einen ging sie davon aus, ihn nicht jetzt zum letzten Mal zu sehen, zum anderen hatte sie ohnehin noch eine Überraschung für ihn parat, nachdem sie sich am Tag der Abreise der Legion aus Mantua bereits voneinander verabschiedet haben würden. Als sie von der Wehrmauer hinunter stiegen, bemerkte sie, dass es weiter unten beinahe windstill war, ganz im Gegensatz zu der Plattform des Turmes.


    Auf dem Rückweg schwieg Epicharis und hing den Gedanken nach. Eine sonderbare Stimmung hatte von ihr Besitz ergriffen und ließ sie dauerhaft lächeln. Nur wenig später betrat sie an Aristides' Seite erneut das Legatenhaus, in dem die Hochzeit noch in vollem Gange war.

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