Ieron - Herakles et Hermes

  • Das Heiligtum des Herakles und des Hermes gehört zur Standardausstattung eines jeden Gymnasions auf der Welt und symbolisieren die beiden Aspekte des Betriebes. Herakles steht für den Körperkult und Hermes für Lehre und Erkenntnis.


    Unter ägyptischem Einfluss wird der alexandrinische Hermes mit dem ägyptischen Gott Thot in Verbindung gebracht und auch als Hermes Trismegistos ("dreifach großer Hermes") verehrt, eine viel mystischere Gestalt als der griechische Hermes.


    Der Gymnasiarch ist der oberste Priester des Heiligtums. Da das Gymnasion ein zentraler Treffpunkt für soziale Kontakte in der Stadt ist, ist dieses Heiligtum sehr wichtig für die Alexandriner und genießt hohe Verehrung.

  • In ein reines, weißes Priestergewand gekleidet suchte der Gymnasiarch das Heiligtum auf. Sein Haupt bedeckte ein Zipfel des Gewandes. In der Hand trug er ein Büschel Räucherkräuter. Ihm folgten zwei Opferhelfer, die einen prachtvollen, weißen Stier führen. Dieses Tier hatte der Gymnasiarchos selbst ausgewählt und mit eigenen Mitteln erworben. Schon in der Frühe an diesem Tag, im ersten Licht, hatten die Helfer unter der Anleitung des Priesters begonnen, das Tier zu waschen und sein rauhes Fell zu striegeln und mit Öl glänzend zu machen. Einen Kranz aus Blumen und Lorbeer trug das Tier auf dem Kopf, die Beine waren mit purpurnen Bändern geschmückt.


    So erreichten sie das Heilige des Tempels. Der Gymnasiarch hatte zuvor den Altar gereinigt und Räucherwerk verbrennt. Schwer roch die Luft in diesem Raum, dessen einzige Öffnungen die breite, hohe Tür, deren Flügel nun fest verschlossen waren und ein kleines Loch in der Decke waren. Licht kam von Kohlebecken und Öllampen auf hohen Messingständern. So waren die Schatten hart und flackerten mit den Bewegungen der Flammen und dem Hellerwerden und wieder Dunklerwerden der Glut in den Kohlebecken.

  • "Hermes, Vater, dreifach großer, Gefährte der Wanderer und der Toten auf der letzten Wanderung, Schutzherr meines Geschlechts, Erfinder der Zauberkunst, großer Bote, Stifter der Erkenntnis, Pate der Redner!
    Hermes, Sohn des Zeus und Atlastochter Maia, Gebürtiger an den Hängen des Olymps, großer Meister und Schutzherr!
    Dich flehe ich an, beizustehen mir, und beizustehen der Polis Alexandria, die eine Gründung des großen Alexanders ist, dem du sooft wohlgesonnen warst; ich erflehe dich, meiner Zunge die Kraft zu geben, mit ihr für die Freiheit der Stadt zu fechten und meinem Verstand die Klarheit und Schärfe!
    Dir, oh großer geflügelter Meister, göttlicher Jüngling, Hirte und Fährtensucher, Künstler und Zauberer, unübertroffener Meister, Träger des Kerykeions, Namensgeber meines Stammes, will ich ein Opfer bringen, dass ich selbst gesucht und gefunden habe;
    oh Hermes, es bekomme dir gut! mögest du dich erfreuen an diesem Opfer und deinen Segen über deinen Diener Nikolaos ausgießen!
    Oh großer Bote, oh schnellster aller Reisender, oh Unsterblicher!"


    Die Opferhelfer hatten bei jeder Silbe, bei der des Priesters Stimme sich hob, dünne Flöten geblasen, einer hatte im Takt der Verse ein Tympanon geschlagen, ein anderer Weihrauch verkohlen und andere Gewürze verbrennen lassen. Der Gymnasiarchos hatte bei diesem Opfer viel Weihrauch und viel anderes Räucherwerk dem Hermes geschenkt, bevor nun das Opfertier zum Altar geführt wurde.


    In einer Rauchwolke stand der Priester, alles unterhalb seiner Brust war von Qualm verhüllt und unsichtbar. Wie vom Körper losgelöst bewegten sich seine Arme vor der Rauchwand. Er goß besten Wein auf den Altar und schwenkte eine Räucherlampe darüber.


    "Hermes, großer Ahnherr und Schutzherr, Lenker meiner Schritte auf allen Reisen, nimm das Opfer an!"


    Die Opferhelfer drückten zu dritt den Kopf des Stieres auf den Altar. Mit einem festen Strick, in den Goldfäden eingewirkt waren, wurde der Stier am Altar festgebunden. Blumen und Kräuter legte der Priester um das Haupt und goß Falerner-Wein darüber aus.

  • Einer der Opferhelfer reichte dem Hermes-und Herakles-Priester einen Korb mit Gebäck. Nikolaos legte die Gebäckteile ebenfalls auf den Altar und begoß sie mit Öl. Ein Helfer reichte ihm einen Kienspan, mit dem er das Öl auf Gebäck und Blumen entzündete. Rasch verkohlte es. Der Stier schien davon keine Notiz zu nehmen. Er war wie betäubt vom Rauch und vom Opium, das er zuvor in großen Mengen zu fressen bekommen hatte.


    Nikolaos löschte das letzte Feuer mit Wein. Es zischte. Qualm stieg auf. Für kurze Zeit konnte der Priester nicht mehr die Hand vor Augen sehen. Das Aroma verbrannter Kräuter und verdampften Weines benebelten seine Sinne. Doch der Verstand blieb klar und scharf. Schließlich musste er umsichtig und wachsam das Opfer begehen, um keinen Fehler zu machen.


    "Hermes, labe dich an den Speisen und schenke deinen Segen!"


    Das Tympanon wurde einmal laut geschlagen. Die Flöten hauchten eine feine Melodie, die wie zauberhaft zur Bewegung der Rauchfäden im Raum passte.

  • Endlich reichte einer der Opferhelfer dem Priester einen schweren, vergoldeten Hammer, um dessen Griff Blumen gewunden waren. Nikolaos begoß das Gerät mit Rosenwasser und schwenkte es über dem Altar. Auch den Kopf des Stieres besprengte er mit duftendem Wasser. Sorgsam wickelte er ein purpurnes Band um die Hörner des Stieres. Dann knebelte er das Tier mit einem Bronzestab, an den ein Lederband zur Befestigung am Nacken des Opfertieres gebunden war.


    Die Opferdiener gossen duftende Öle über dem ohnehin gestriegelten und geölten Fell des Tieres aus. Siebenmal besprengte der Priester das Haupt des Stieres mit der Asche der Opfergaben. Siebenmal goß er Wein über dem Tier aus. Siebenmal umschritt er den Altar. Siebenmal wurde das Tympanon geschlagen. Siebenmal setzen die Flöten neu an. Siebenmal räucherte der Priester das Tier mit Weihrauchstaub ein. Siebenmal wedelte er die Beine des Tieres mit einem Federbusch ab.


    Erneut schwenkte der Gymnasiarchos den Hammer über dem Altar. Erneut vergoß er Rosenwassser. Dann holte er weit aus und schlug zu. Zwar war Nikolaos nicht besonders kräftig, doch der Hammer war schwer und traf genau die Stirn des Tieres, die zerbarst. Aus dem zerrissenen Fleisch strömte Blut stoßweise auf den Altar. Plötzlich wurde eine Fontäne frei, die im hohen Bogen hellrotes Blut schleuderte.

  • Nikolaos löste sein Gelöbnis ein. Die schlimme Sache mit dem Legionspräfekten war zwar längst nicht ausgestanden, aber er hatte den Statthalterspalast nach dessen Gespräch mit den Prytanen heil verlassen. (Dass kurze Zeit später die Dinge ganz anders aussehen sollten und Nikolaos Blessuren erleiden sollten, wusste er noch nicht, und er ahnte nicht einmal, dass der Legionspräfekt seine Spielchen bis zur endgültigen Eskalation treiben würde - ohne dass der Statthalter ihm Einhalt gebot).


    In einem weißen Priestermantel und mit einem Blumenkranz auf dem Kopf betrat Nikolaos das Heiligtum. In der Hand hielt er ein Kerykeion. Opferhelfer folgten ihm mit zwei Kälbern und Körben voller Räucherwerk, mit silbernen Weihrauchdosen und mit Wein. Vor dem Tempel hatte ein Steinmetz mit seinen Gehilfen einen Weihestein abgeladen, den der Hermespriester und Aufsteller zugleich noch segnen musste.

  • "Musen, besingt Hermes, den Sohn des Zeus und der Maia, der Herr von Kyllene und Arkadien, wollreich, segensreicher Bote der Unsterblichen..."*,


    stimmte Nikolaos an. Dazu schlug einer der Priestergehilfen ein Tympanon. Ein anderer blies Auloi. Der Hermespriester ging an einen Nebenaltar. Dort entzündete er mit einem Kienspan, den ihm einer der Gehilfen gereicht hatte, eine Lampe.


    "...geboren bei Morgendämmerung, in der Hitze des Mittags spielte er schon die Lyra..."


    Nikolaos legte Räucherwerk in eine Silberschale. Ein Opferhelfer stand neben ihm und ließ den Weihrauch stauben. Der Weihrauchstaub legte sich auf die Gewänder des Priesters und machte die Luft schwer. Nikolaos besprengte eine stilisierte Schildkröte aus Silber mit Wein.


    "...Kamerad der Festmähler, von lieblicher Gestalt, zum Tanz lärmend! Mit Freude treffe ich dich! Woher hast du den reichen Schmuck als Deckelpanzer?"



    Sim-Off:

    *Dieser Gesang, den ich hier in Ausschnitten wiedergebe, auf Hermes stammt von Homer.

  • Nikolaos hatte inzwischen mit der Flamme einer Fackel das Räucherwerk zur Glut gebracht. Schwerer, dichter Rauch stieg auf und ging in bizarren Formen an der Decke des Heiligtums auseinander.


    ">Kind, in der Klaue liegend, beeile dich, mir vom Viehzeug zu erzählen, oder wir beide werden in Zorn fallen. Denn sonst werde ich dich in den staubigen Tartaros, in schreckliche hoffnungslose Dunkelheit bringen, und weder Mutter noch Vater wird dich je befreien...<"*


    Nach einiger Zeit löschte er die Glut mit Wein. Es zischte und dampfte. Mit einem Spatel reinigte Nikolaos den Nebenaltar. Nikolaos sang noch lange die Hymne, begleitet vom Tympanon und von den Auloi der Opferhelfer. Seine Stimme war etwas heiser und sein Gesang war wenig kunstvoll, es war mehr ein Murmeln denn ein Gesang. Ein tiefes Raunen in der alten, fremdartig klingenden Sprache des Homers.


    "...Heil dir, oh Hermes, Gnadenbringer, Führer des Reisenden, Stifter der guten Dinge!"


    Als dieser Gesang vorrüber war, begann er, die fünfte Gestalt des Hermes zu preisen, den Dreifachgrößten. Diese Gestalt hatte er erst in Alexandreia kennengelernt.




    Sim-Off:

    *Soweit ich mich entsinne, geht es hier darum, dass Apollon seine Herde zurückhaben will, die ihm Hermes gestohlen hat ;).

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