Cubiculum der Aurelia Prisca

  • Die erste Nacht


    „bonam noctem, domina!“ verabschiedete sich Arsinoe und ihr letzter Blick an der Türe fiel abwartend und mit ein bisschen Sorge auf die Herrin. Prisca stand noch immer an der selben Stelle, an der sie sich stumm und wie geistesabwesend entkleiden und in das Nachtgewand hatte helfen lassen. Einen Moment wartete die Sklavin, ob noch ein Wunsch oder eine Anweisung folgen würde, dann verließ sie das cubiculum und zog die Tür leise hinter sich zu. Prisca unterdessen hatte die Gegenwart der Sklavin gar nicht mehr wahr genommen. Ihr Kopf war leer und sie mochte auch an nichts mehr denken. Der Tod ihrer Mutter war tief in ihrem Inneren gegenwärtig doch die Trauer darüber war auf seltsame Art und Weise ebenso tief vergraben. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie ihre Mutter bereits seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte, was den Tod und die Gefühle der Trauer in ihr nun so fremd und so weit entfernt erschienen ließen. Vielleicht war es aber auch nur die Angst, sich an die vielen schönen Dinge und Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit zu erinnern, die sie bisher nie so recht zu schätzen wusste.


    Prisca selbst konnte sich darauf keine Antworten geben. Sie fühlte sich allein gelassen und überfordert mit den Dingen, denen sie sich wohl künftig selbst zu stellen hatte. Wie einfach war das Leben doch bisher immer gewesen, da ihr die Mutter stets alle Sorgen und Probleme abgenommen hatte. Sollte sich das wirklich mit einem Mal ändern? Prisca ging ein paar Schritte zum Fenster und zog die die Decke, welche die Sklavin ihr vorsorglich um die Schultern gelegte hatte, augenblicklich etwas vor ihrer Brust zusammen. Der kühle Nachtwind blies ihr entgegen und von draußen drangen die Stimmen der Nacht an ihr Ohr. Stumm blickte eine Weile auf die Dunkelheit dieser fremdartigen Welt und sah dann empor zum mondlosen Himmel, an dem die Sterne klar und hell herab funkelten. Prisca mochte den Anblick der Sterne, denn sie erinnerten immer an Edelsteine, besonders wertvoll und begehrenswert weil sie eben unerreichbar waren.


    Heute Nacht war es jedoch nicht der verführerische Glanz der Sterne, der sie unablässig zu ihnen hinauf schauen ließ. Sie dachte an ihre verstorbene Mutter und auch an den Vater, den sie nie kennen lernen durfte. Seltsam das sie gerade jetzt daran denken musste, aber plötzlich fiel ihr wieder Etwas aus ihrer Kindheit ein. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte sie sich immer sehr vor dem Gott Pluto und den Geschichten über sein Totenreich gefürchtet. Und manchmal plagte sie die schreckliche Vorstellung, dass ihr Vater vielleicht nicht ins Elysium, sondern in eben diese Unterwelt gegangen sein könnte. Warum sie das tat wusste sie selbst nicht, aber sie weinte dann immer lange und bitterlich. Also erfand ihre Mutter eine einfache Geschichte und mit dieser gelang es ihr meistens, die kleine Tochter zu trösten wenn sie dabei gemeinsam zum Himmel auf sahen so wie jetzt:


    Siehst du die vielen Sterne dort am Himmel leuchten Prisca? Immer wenn ein Mensch, den wir sehr lieben, von uns geht wandert ein Teil von ihm dort hinauf und er nimmt einen Platz zwischen ihnen ein. Und immer wenn sie sehen, das wir besonders traurig sind, dann nehmen sie einen von den Sternen und werfen ihn auf die Erde zurück damit wir wissen, dass es ihnen, dort wo sie sind, gut geht.


    Damals hatte sie diese Geschichte geglaubt und es half die Tränen zu trocknen. Nun suchte sie gebannt, wie damals als kleines Kind, den Himmel nach einem dieser fallenden Sterne ab. Doch heute Nacht wollte sich kein Einziger am Himmel zeigen. Nach einer Weile, die sie so da gestanden und die Tränen unbemerkt den Stoff der Decke und ihres Nachtgewandes durchdrungen hatten, gab sie die Suche schließlich auf. Prisca presste enttäuscht die Lippen zusammen und ging zu ihrem Bett. Dort angekommen warf sich einfach darauf und weinte sich, so wie sie lag, in den Schlaf.

  • Priscas Ankunft wurde mir erst spät gemeldet. Vermutlich lag es daran, weil ich, um der germanischen Einsamkeit zu entgehen, entweder kaum in der Villa oder zurückgezogen auf meinem Zimmer weilte. Ich vermisste eine Freundin, dachte in letzter Zeit immer häufiger an Epi, an Italia und fragte mich, ob Prisca ähnlich wie Helena war.
    Zwischen mir und Helena stand etwas, ich konnte es nicht benennen, aber ich spürte es. Wir verstanden uns, aber eine innige Nähe wollte nicht aufkommen, wobei mir nicht klar war, an wem die Zurückhaltung lag. Auf die Idee, sie könnte romantische Gefühle für Marc hegen, kam ich nicht. Dafür verhielt sie sich zu geschickt und ich war vermutlich zu naiv.


    Es war nicht nur Höflichkeit, die mich den Entschluss fassen ließ, Prisca wenigstens noch begrüßen zu gehen, sondern auch eine Portion Neugier. Ich wollte mir ein Bild von der neuen Bewohnerin machen, wollte herausfinden, ob sie eine liebe oder eher eine furchtbare Person war, also schritt ich zielstrebig auf die Tür zu ihrem Cubiculum zu, verhielt den Schritt und hob bereits die Hand, um an das Holz zu klopfen, als ich nochmals innehielt.


    Tja, was wusste ich eigentlich über Prisca? Im Grunde gar nichts, nicht einmal, warum sie jetzt bei uns wohnte. Gesprächsthemen würden wir also genug haben, und in Anbetracht meiner übermäßigen Langeweile kam mir die Abwechslung zudem recht gelegen.


    Meine Hand zögerte daher nur kurz, bevor ich zweimal mit den Knöcheln an das Holz tippte. Hoffentlich hatte sie es gehört und schlief noch nicht, es war immerhin schon recht spät. Ich lauschte mit auf den Boden gerichtetem Blick, um auch das kleinste Geräusche hinter der Tür wahrnehmen zu können.

  • Ob sie nun schon eine Ewigkeit so da gelegen hatte oder erst ein paar Minuten, das wusste Prisca nicht mehr. Auch nicht, ob sie nun wach war oder träumte. Sie vernahm ein leises Klopfen, oder besser gesagt sie glaubte ein Klopfen an der Tür vernommen zu haben. Sie musste träumen! Denn sie glaubte sich wieder zu Hause in Ostia zu befinden, in ihrem Zimmer. Sie war traurig und weinte und das Klopfen an der Türe konnte nur eines bedeuten. Jemand den sie sehr liebte würde kommen um sie zu trösten! Dankbar und voller Erwartung hob Prisca den Kopf und blickte zur Tür ...


    ... und die Illusion verschwand ebenso schnell, wie sie gekommen war. Ihr altes Zuhause, die ehemaligen Freundinnen, sogar die Mutter, alles was sie bisher geliebt und geschätzt hatte löste sich wieder in Luft auf. Zurück blieben nur die Tränen und die Gewissheit alleine hier Germanien zu sein. Prisca fand sich in dieser fremden Welt wieder, bei Menschen die sie noch nicht kannte und einschätzen konnte. Sie war allein in dem Zimmer und sie fühlte sich verlassen. Aber war sie das wirklich? Hier war doch schließlich auch ihre Familie. So sehr sich Prisca auch bemühte stets berechnend zu bleiben und nach außen hin stark zu wirken, so sehr wünschte sie sich auch, sich geborgen fühlen zu dürfen. Die Mauern mit denen sie ihre wahren Gefühle umgab, waren bei weitem nicht so dick und undurchdringbar wie manche vielleicht glaubten. Sie hatte eben gelernt sich viele Eigenschaften und Angewohnheiten, ob nun gut oder schlecht, von Anderen abzuschauen und für sich zu ihrem Vorteil zu nutzen. Und der einzige Fehler den ihre Mutter begangen hatte war der, sie dabei zu wenig an zu leiten und zu erziehen.


    Hatte sie sich das Klopfen nun eingebildet oder nicht? Aber wer konnte um diese Zeit noch vor der Türe stehen. Die Sklavin von vorhin ... Arsine, Arsane oder wie auch immer sie hieß, weil sie etwas vergessen hatte? ... Camryn? um ihr eine weitere Neuigkeit zu melden, so wie vorhin im Bad? ... am Ende gar ihr Onkel, der sich noch einmal nach dem Befinden seiner Nichte erkundigen wollte? Mit Helena oder gar Deandra rechnte sie in diesem Moment jedenfalls nicht und von den anderen wollte sie jetzt auch keinen mehr sehen. Schließlich lag sie hier mit völlig verweinten Augen, allein mit ihrer Trauer und Neuigkeiten hatte sie für heute auch mehr als genug erfahren.


    "I ... ch ... äähmm.. ich ..ähäm .brau e ... ni ch .. ts krr" (ich brauche nichts) wollte sie eigentlich rufen um den Besucher, wer auch immer es war, ab zu weisen. Zu hören war jedoch nur ein undefinierbares Krächzen und Keuchen. Die Tränen hatten sich überall in ihrer Nase, Mund und Rachen gesammelt und bei dem Versuch sich zu räuspern verschluckte sie sich so sehr, dass ein heftiger Hustenanfall folgte. Draußen vor der Türe mochte sich das wohl viel schlimmer anhören, wie es tatsächlich war, aber das konnte Prisca nicht mehr verhindern.

  • Verwundert ruckte mein Kopf zurück und betrachtete das undurchsichtige Holz der Tür, als ich zunächst das Krächzen und in unmittelbarer Folge den Hustenanfall hörte. War Prisca etwa krank angereist? Womöglich schwer krank? War das vielleicht der Grund ihres überraschenden Aufenthalts? Andererseits fand ich das auch unwahrscheinlich, denn wer schickt schon einen auf der Lunge oder den Bronchien kranken Mensch nach Germania? Nein, das konnte nicht sein. Hm, aber mysteriös fand ich die Umstände doch.


    Wieder näherte ich mich mit dem Ohr der Holzfüllung und lauschte für kurze Zeit. Da sich aber nichts regte und ich auch nicht noch länger untätig herumstehen wollte, hob ich erneut die Hand, um zart anzuklopfen.


    „Prisca? Ich wollte dir nur ein Willkommen wünschen. Oder soll ich morgen wiederkommen? Hier ist Deandra.“


    Unwillkürlich verglich ich Prisca mit Helena, weil ich bislang noch kein Bild von ihr hatte. Vielleicht war meine Idee doch nicht so gut, womöglich war Prisca in gleicher Weise reserviert und liebte es, sich zurückzuziehen. Anders konnte, oder besser wollte ich mir Helenas Verhalten nicht erklären. Aber ich wollte nicht urteilen, bevor mich die Realität nicht eines besseren belehrte. Vielleicht hatte ich ja auch Glück und Prisca ähnelte Epicharis. Gespannt wartete ich auf ein weiteres Zeichen von ihr.

  • Der Hustenanfall war ebenso schnell vorüber wie er kam und während sich Prisca noch ein paar mal räuspern musste, wurde ihr bewusst wer dort vor der Tür wartete. "Ausgerechnet Deandra!" Prisca ruckte hoch und setzte sich augenblicklich auf dem Bett auf. Bei Deandra wollte sie doch von Anfang an einen besonders guten Eindruck hinterlassen. "Und jetzt?" Nach diesem ungewollten und unvermeidbaren Anfall musste Deandra doch glauben, hier drin im Zimmer sei eine Kranke oder gar eine Aussätzige, so wie Prisca´s Mutter ... . Prisca begann sich schon wieder die unmöglichsten Gedanken aus zu malen. Dabei wollte Prisca sich bei dem ersten Treffen doch nur so natürlich und freundlich geben um nicht, durch Camryn´s Gerüchte, voreingenommen zu wirken. Und sie wollte eben auch gut auf das Gespräch vorbereitet sein und nicht, wie jetzt, mit verheulten Augen da sitzen.


    Das war wohl nun alles nicht mehr möglich, denn ein Blick auf das verweinte Laken bestätigte, dass sie schrecklich aussehen musste. Verzweifelt fuhr sich Prisca mit der Hand über das Gesicht. Würden diese Wechselbäder der Gefühle auch irgendwann einmal wieder aufhören? Im Moment sah es nicht danach aus, doch zuerst musste sie eine Lösung finden. Schon setzte sie zum sprechen an und wollte eben„Danke, das ist nett, aber bitte komm morgen wieder!“ rufen, als sie die eingeatmete Luft mit einem Seufzer wieder entweichen lies. "Wie klang das denn nur? ...Nein ..." Prisca schüttelte den Kopf über sich selbst. dann würde Deandra ganz sicher annehmen hier im Zimmer befinde sich eine Kranke, vielleicht soger eine Aussätzige, mit einer ansteckenden Krankheit die noch dazu unhöflich ist.


    "Nein das geht auf keinen Fall!" Schnell begann Prisca die von den Tränen durchnässte Stelle auf dem Bett mit einem Kissen abzudecken. Hell ist es ohnehin nicht im Zimmer. Meine verweinten Augen schiebe ich eben auf den Hustenanfall und den ... hmm ... den hatte ich, weil ich mich an einer Traube verschluckt habe! ...genau ich habe im Bett noch etwas gegessen und mich dabei verschluckt, ja so müsste es gehen. Legte sich Prisca in Windeseile einen Plan zurecht, da sie gerade den noch unberührten Obstkorb auf dem Tisch entdeckt hatte. Schnell lief sie hin, riss ein paar von den Trauben ab und aß sie hastig auf, damit es auch wirklich echt aussah. Gut nur, dass sie sich jetzt nicht noch verschluckte!


    "Wie viel Zeit ist vergangen?" Nicht viel, hoffte Prisca, da sie auf die Frage von Deandra noch immer nicht beantwortet hatte. Ein letztes Mal atmete sie tief durch. Sie wollte wirklich nicht unhöflich sein, auch nicht voreingenommen und sich auch über niemanden, den sie noch gar nicht kannte, bereits eine Meinung bilden. Nein das wollte sie nicht und es würde ihr auch nicht schwer fallen. Die Stimme eben, hatte sanft fast schon tröstlich geklungen. "Vielleicht will ich auch nur nicht allein sein ...jetzt ...in dieser schrecklichen Einsamkeit der Nacht, meiner Trauer und der Tatsache, das ich niemanden mehr habe mit dem ich wirklich offen reden kann... " kam es Prisca dann noch unvermutet in den Sinn, während sie schon auf den Weg zur Türe befand. Ein kurzes verunsichertes Blinzeln, dann öffnete Prisca etwa ein bis zwei Minuten, nachdem Deandra gefragt hatte, die Türe.


    "... warte bitte! ... es tut mir leid ... ich hatte eben nur einen ... Hustenanfall ... Das ist nett, dass du mich begrüßen willst Deandra. ... eine Traube ... ich hab mich nur verschluckt ... ich wollte dich nicht warten lassen ... bitte komm doch herein ..."


    Für eine geordnete Antwort blieb allerdings keine Zeit mehr und somit fiel sie wohl etwas durcheinander aus. Ihre Stimme klang noch etwas belegt und Prisca lächelte entschuldigend, während sie die Sache mit dem Hustenanfall zu begründen versuchte. Sie blickte zum ersten Mal in die Augen der Person, von der sie in der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit schon so einiges gehört hatte. Doch es wollte so gar nicht zu dem Gesagten passen oder gar dem, was sie sich unter einer 'argwöhnisch agierenden Glucke', wie es Camryn so schön umschrieben hatte, vorgestellte. Eine gut aussehende und sympathisch wirkende Frau, mit einer angenehmen und besorgt klingenden Stimme das war der esrte Eindruck, den Prisca in diesem Moment von Deandra gewann.

  • Ich blieb trotz der langen Pause, die entstand, vor der Tür, was ansonsten nicht meiner Art entsprach. Lauschen verabscheute ich ebenso wie Heimlichkeiten oder gar Intrigen, aber ich war mir nicht schlüssig, ob aus dem Zimmer leise Geräusche klangen oder ich einer Einbildung erlegen war. „Hmm.“


    Ich löste den Blick vom Fußboden und schaute auf das Türblatt, das bald darauf aufschwenkte und den Blick auf eine unsicher lächelnde Prisca freigab, die etwas zerknittert aussah, was ich darauf zurückführte, dass sie bereits geschlafen haben musste.
    Ihre Stimme klang matt, mit der sie Erklärungen lieferte, aber sie wirkten durcheinander und passten auch nicht zu meiner Vermutung.


    „Salve, Prisca“, entgegnete ich, lächelte wegen der sonderbaren Vorstellung, die ich nicht im Ansatz verstand, glaubte, es lag an meinem Vorstoß und fügte daher sogleich an: „Es tut mir leid, wenn mein Besuch dich verlegen macht. Das war nicht meine Absicht.“


    Dann jedoch kam mir ein Gedanke, während ich das Cubiculum betrat. Ihr Verhalten, das sich in den hektisch hervorgebrachten Worten offenbarte, erinnerte mich an früher. Ich hatte mich immer dann ähnlich verhalten, wenn ich mich von jemand erwischt gefühlt hatte.
    Ich grübelte, bei was ich Prisca wohl überrascht haben könnte, aber mir wollte nichts rechtes einfallen. Wieder einmal stellte ich fest, dass mir durchtriebene oder misstrauische Gedanken fremd waren, denn die Fantasie spuckte nichts Brauchbares aus, das eine Erklärung für den von ihr offenbar empfundenen Überraschungseffekt sein könnte. Also suchte ich erneut den Blickkontakt, weil mir die Augen meines Gegenübers stets mehr als dessen Worte sagten. Ich kannte Prisca nicht so genau, um beurteilen zu können, wie sie im Normalfall aussah. Als einfühlsamer Mensch, der ich schon immer war, lag aber die Vermutung nahe, dass es ihr womöglich nicht gut ging, sie nicht nur von der Reise erschöpft war, sondern Schmerzen oder gar Sorgen haben könnte.


    „Ich hätte dir jetzt gerne gesagt, wie hübsch du doch geworden bist, aber …“ Ich äußerte das versteckte Kompliment leise, weil mir die normale Sprache nicht angemessen erschien. Mein Blick streifte über ihr Gesicht, in dem so gar keine echte Freude zu entdecken war. Das Weiß ihrer Augen wies einen rosa Schimmer auf, mehr war jedoch im diffusen Licht nicht zu entdecken. „… geht es dir gut? Soll ich vielleicht doch lieber morgen wiederkommen? Oder …“ Flüchtig wog ich ab, ob ich zu weit vorpreschen würde, wenn ich sie meine Beobachtung wissen lassen würde, aber mir lag zumeist jeder Gedanke auf der Zunge, und da ich gegen keine Höflichkeitsregeln verstieß, also äußerte ich ihn doch. „… oder möchtest du reden?“


    Jetzt war ich es, die Prisca unsicher anblickte.

  • Während Deandra an ihr vorbei ins Zimmer ging, wurde Prisca erst bewusst, wie wirr ihre Begrüßung und die Begründung mit der Traube auf Denadra gewirkt haben musste. Sie fühlte sie auf irgendeine Art und Weise ertappt. Obwohl der Auslöser und der Grund ihrer Ausrede an sich harmlos waren, schämte sie sich dafür, sich so naiv verhalten zu haben. Stumm schloss Prisca zunächst die Türe. Etwas verlegen erwiderte sie den Blick, den Deandra ihr zu warf und zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass dieser nicht anklagend sondern eher verständnisvoll wirkte. Sie konnte sich täuschen, denn das Licht war nicht besonders hell, doch schon bei den folgenden Worten sollten sich die Zweifel etwas zerstreuen. Wie es schien wusste Denadra noch gar nicht die genauen Umstände ihrer Ankunft und umso verständlicher war, dass sie wohl die Reaktion eben missverstanden hatte. Auf diese Erkenntnis hin nickte sie müde, aber auch gleichermaßen mit einem ergebenem Lächeln, so als wolle sie damit alles, was Deandra eben gesagt und eventuell sogar gedacht haben mochte, bestätigen.


    "Bitte setz dich doch! ... Es geht mir wirklich nicht besonders gut ..."


    Mit einer einladenden Geste deutete Prisca auf die bereit stehenden Korbstühle. Ja, sie war müde, fühlte sich schrecklich und war immer noch etwas verlegen über ihr eigenes Verhalten. Aber sie wollte auch reden zumindest Deandra kurz erklären, was vorgefallen war. Vielleicht würde es ja Prisca selbst helfen, die Trauer besser zu verarbeiten. Indem sie einfach immer wieder darüber sprach. Und Deandra wirkte auf sie wie eine Person, der sie sich anvertrauen konnte.


    "... und der Grund dafür ist, dass ich heute erst vom Tod meiner Mutter erfahren habe. ... Sie war schon sehr lange krank und wusste, dass sie sterben würde. Ihr letzter Wunsch war es, dass ich hierher nach Mogontiacum reise. ... Onkel Marcus hat mir heute morgen, nach meiner Ankunft, alles erzählt und .. na ja, ich weiß selbst nicht so recht wie ich es beschreiben soll ... seitdem spielen meine Gefühle ein wenig verrückt."


    Mit zittrigen Fingern fuhr sich Prisca kurz über die Augen und versuchte zu erklären, was alles vor gefallen war.


    "Ich war gerade in Griechenland, auf einer Studienreise ... aber wie sich herausstellte, hatte meine Mutter diese nur als Vorwand benutzt, um mich weg zu schicken. Ich sollte wohl nicht sehen, wie sie starb ... sie ... sie litt nämlich an ... Aussatz ... ... das alles erfuhr ich erst heute von meinem Onkel. Sie hatte ihm das alles geschrieben und ihn anscheinend gebeten, dass er künftig mein tutor sein solle."


    Nur schwer konnte Prisca dies aussprechen und sie schämte sich sichtlich. Die Todesursache ihrer Mutter war für sie selbst wie ein Makel, der ihr von nun an anhaften würde und erst nach einer langen Zwischenpause konnte sie zu Ende sprechen. Wieder trafen sich ihre Blicke und fast schon entschuldigend wirkte Priscas Gesichtsausdruck bei der Feststellung der Tatsache, dass sie wohl von nun hier bleiben würde.

  • Meine Ahnung bestätigte sich, es ging Prisca tatsächlich nicht gut. Ich wollte geduldig warten, bis sie von alleine berichtete, drängen entsprach nicht meiner Art. Der von mir gehaltene Blickkontakt, den ich nur beim Platznehmen unterbrach, signalisierte jedoch in Abweichung zu meiner Schweigsamkeit meine Aufnahmebereitschaft. Mir fiel erst jetzt ihre Abgespanntheit auf. Sie beinhaltete mehr als die Erschöpfung von einer anstrengenden Reise und einem nicht minder anstrengendem ersten Tag in Mogontiacum.


    „Oh, … das … wusste ich nicht …“, stammelte ich, denn ich fühlte mich plötzlich meiner Souveränität beraubt. Es wäre von mir vermessen gewesen zu glauben, ich könne auch nur im Ansatz nachempfinden, wie schwer es war, den Verlust eines Elternteiles beklagen zu müssen. In gewissen Weise hilflos klangen Priscas Worte in mir nach.
    Ich konnte mir denken, warum Marc den schlimmen Krankheitszustand von Priscas Mutter mir gegenüber verschwiegen hatte. Er hätte mich nur an unsere Mutter erinnert, der es gleichsam schlecht, sehr schlecht sogar ging, was ich aber bisher mit Erfolg verdrängen konnte.


    „Es tut mir jetzt so leid, dass ich gestört habe. Wie unpassend muss dir mein Besuch zu dieser Stunde erscheinen.“


    ‚Wie ungeschickt’, dachte ich bereits, als das letzte Wort verklungen war. Aber was sagte man am besten in so einem Fall? Dass man versteht? Unmöglich, ich konnte es nicht nachempfinden. Dass man mitfühlt? Aber konnte ich das denn tatsächlich? Einwas jedoch ging ohne Zweifel: Hilfe anbieten.


    „Prisca, ich fürchte, ich kann nicht einschätzen, wie du dich fühlen musst, denn mir ist nie Vergleichbares passiert. Sicher, ich stelle es mir schrecklich vor, und doch wird meine Vorstellung kaum an die Realität heranreichen. Wenn du aber Ablenkung brauchst oder jemanden, der zuhört, jemanden, der einfach da ist, um mit dir gegen die Einsamkeit zu kämpfen, dann zögere nicht und sag mir Bescheid. Vielleicht lebt sich die Folgezeit leichter, wenn man weiß, man ist nicht allein.“


    Es war eine Vermutung, mehr nicht. Mir zumindest würde es helfen, aber ich wusste, die Menschen waren verschieden und ich kannte Prisca nicht. Flüchtig dachte ich über die Todesursache nach, die sie erwähnt hatte. Hm, Aussatz. Das war keine feine Angelegenheit und zudem ein grausamer Tod. Unwillkürlich trat ein kummervoller Ausdruck auf mein Gesicht, der jedoch durch meine anschließende Forschung in ihren Gesichtszügen wieder verschwand. Prisca schaute mich wieder direkt an. Sie wirkte unsicher, als sie erwähnte, Marc solle nach dem Wunsch ihrer Mutter ihr Tutor sein. Diese Unsicherheit, die fast entschuldigend wirkte, war es, die mich über die weitere Vereinnahmung meines Verlobten durch andere hinwegsehen ließ. Sie hatte es sich nicht ausgesucht. Während andere weibliche Wesen Marcs Nähe offensiv suchten, schien es ihr sogar unangenehm zu sein, für Umstände zu sorgen. Das machte sie sympathisch, mehr noch als je zuvor.


    „Ja, es ist doch gut, wenn du von nun an bei uns bleiben sollst“, erwiderte ich leise. „Marcus wird dir eine große Hilfe sein. Du wirst sehen, er ist sehr fürsorglich. Er kümmert sich um jeden einzelnen, fast mehr noch als um sich selbst.“


    Ein sanftes Lächeln umspielte meine Lippen. Hätte ich Prisca näher gekannt, würde ich sie vermutlich jetzt umarmen, aber so blieb ich in meinem Korbsessel sitzen und blickte sie mit einem aufmunternden Kopfnicken an.

  • Anscheinend hatte ihr Onkel wirklich niemandem die Umstände ihrer Ankunft mitgeteilt, wenn selbst Deandra sich nun für ihre Unwissenheit entschuldigte. Vielleicht hatte ihre Mutter ihn darum gebeten, vielleicht hatte es ihr Onkel auch nur vergessen oder es aber für nicht so wichtig empfunden. Welchen Grund auch immer ihr Onkel gehabt hätte, auf die Idee, dass auch die anderen Familienangehörigen gerade mit Sorgen und am Ende gar Trauer zu kämpfen hatten, kam Prisca nicht. Während sie dem forschenden Blick von Deandra begegnete wurde es Prisca wieder bewusst, wie wenig sie sich bisher mit der eigenen Familie und den Angehörigen befasst hatte. Viel zu wenig stellte sie fest und diesen Umstand wollte Prisca jedenfalls von nun an ändern. Zumindest nahm sie es fest vor während sie Deandra zu hörte.


    "Du hast mich wirklich nicht gestört Deandra. Kurz bevor du kamst, stand ich noch am Fenster weil ich einfach nicht einschlafen konnte. Ich musste über so vieles nachdenken, über meine Mutter, meine Familie und meine Zukunft. ... so ist das wohl, mit der Trauer, jeder geht anders damit um und ich kann ja noch nicht einmal meine Gefühle selbst genau beschreiben. Zu fremd und unwirklich erscheint mir alles noch im Moment. ... Aber zu wissen, dass ich mit dir reden kann hilft ... gegen die Einsamkeit und ..."


    Anfangs schüttelte Prisca leicht den Kopf und lächelte schwach, um Deandra davon zu überzeugen, das ihr nichts leid zu tun brauchte. Deandras Worte hatten absolut ehrlich geklungen. Keine Heuchelei oder falsche Anteilnahme konnte Prisca aus ihnen heraus hören und das tat ihr gut. So musste sie ihre Gefühle wenigstens jetzt nicht hinter einer Fassade verstecken wie sie es sonst so oft und gern tat, sondern konnte selbst ganz befreit reden. Wer wusste schon, wie es in einem anderen Menschen aussehen mochte und wie dieser mit seiner Trauer um zu gehen verstand. Im Gegenteil, in Deandras Worten lag etwas, das sie sogleich für sich verinnerlichte. Und diese Worte wiederholte sie sich im Geiste und sprach sie nach einer kurzen Pause aus.


    "... es ist wirklich schön zu wissen, das ich nicht alleine bin. ... Du und auch Onkel Marcus ... ihr habt mich wirklich sehr herzlich empfangen und wollt mir helfen, obwohl wir uns Jahre nicht gesehen haben. ... Es gibt so vieles, das ich nach so langer Zeit gerne von euch und dem Rest der Familie erfahren möchte und was meinen Onkel betrifft, ... so hoffe ich zumindest, dass ich ihn nicht über Gebühr für mich beanspruchen werde. ... Jedenfalls möchte ich das du weißt, dass ich euch sehr dankbar dafür bin. ... wenn also ich einmal helfen oder etwas für euch tun kann, so zögere bitte auch du nicht es mir zu sagen."


    Je weiter sie sprach umso mehr erwiderte Prisca, mit einem deutlichen Nicken und einem befreitem Lächeln, Deandra´s aufmunternde Geste. Prisca war dankbar für die angebotene Hilfe ihrer Verwandten und dafür wollte auch sie etwas von sich zurückgeben. Auch wenn sie nicht wusste, was dies sein könnte und ob Deandra ihr Angebot ernst nahm oder es nutzen würde, das spielt im Moment für Prisca keine Rolle. Welche Dinge sich auch immer daraus in der Zukunft entwickeln mochten, ob zum Vor- oder Nachteil, jedenfalls sprach in diesem Moment nicht die Berechnung aus Prisca. Als kurzzeitig ihre Augen zu glänzen begannen, war es echte Rührung aber vor allem auch die Müdigkeit, die sie nun immer mehr überfiel. Mit einem kurzen Blinzeln versuchte Prisca die Schleier vor ihren Augen beiseite zu wischen, was ihr nicht ganz gelingen wollte.


    "... apropos Hilfe anbieten ... mein Onkel erwähnte heute Morgen bei meiner Ankunft, Gartenarbeit sei eine gute Ablenkung. Zumindest sagte er ich hätte einen grünen Daumen, was auch immer er damit meinte. Vielleicht kann ich dir ja morgen, oder wann du Zeit und Lust hast, ein wenig zur Hand gehen?"


    Prisca schätzte Deandra´s Gesellschaft sehr und das Gespräch, welches sie selbst gesucht hatte nun von sich aus zu beenden, empfand Prisca als sehr unhöflich. Andererseits war es schon tief in der Nacht und vielleicht wollte sich auch Deandra gerne zurückziehen. Was Prisca betraf war sie zumindest offen und bereit für viele gemeinsame Gespräche und sicher würden sich noch genügend Gelegenheiten finden lassen. Das brachte sie in eine gewisse Zwickmühle und so versuchte Prisca mit einem Schmunzeln und einem unverbindlichen und aufgelockerten Thema das Gespräch, für sich und Deandra, heute nicht weiter zu vertiefen. Die gemeinsame Gartenarbeit bot sich zumindest für ein, relativ kurzfristiges, Wiedersehen an.

  • Nach Prisca Erklärung war ich überzeugt davon, nicht gestört zu haben, was nicht nur beruhigend, sondern auch erfreulich war. Es ließ sich nicht vermeiden, ich verglich sie mit Helena. Prisca wich mir nicht aus, sie vertröstete mich nicht, schaute mir in die Augen, wenn sie sprach, was mir den Glauben an Offenheit und Aufrichtigkeit wieder zurückgab. Eine Basis, auf der Vertrauen wachsen konnte, und obwohl der Tag von einer traurigen Nachricht überschattet war, entlockte mir ihr großzügiges Angebot, das sie ausgerechnet im Moment eigener Niedergeschlagenheit machte, ein Lächeln, das ich nicht einmal unpassend fand. Wie sollte man auch anders reagieren, wenn sie – selbst am Boden – schon an ihre Hilfe in Notlagen anderer dachte?


    Ich beugte mich vor und legte meine Hand auf ihre.


    „Erst einmal geht es ganz alleine um dich. Ich möchte nicht hoffen, dass ich je deine Hilfe in einer ähnlichen Lage bräuchte, dennoch herzlichen Dank für das Angebot.“


    Meine Gedanken wanderten flüchtig zu Mutter, bevor ich mich energisch zur Ordnung rief. Ich verbot mir zuletzt, diese Thematik auch nur zu streifen.


    „Aber wenn ich einmal einen Rat bräuchte, dann werde ich gerne zu dir kommen“, sagte ich mit Überzeugung, während ich die Hand zurück auf meinen Schoß legte. Das Lächeln verblieb auf meinen Lippen, während ich für mich feststellte, dass wieder einmal Trauriges und Erfreuliches nahe beieinander lagen. Eines Tages würde ich mich an Priscas Angebot erinnern und dankbar sein.


    Als sie die noch immer nicht zu meiner vollen Zufriedenheit erfolgte Gartenumgestaltung ansprach, lachte ich leise.


    „Stimmt, der Garten bekommt seit längerem meinen Zeitüberschuss zu spüren“, erwiderte ich, nachdem sie geendet hatte. „Gemeinsam dürfte es sicherlich noch mehr Spaß machen. Ich habe da noch einige Ideen, die noch nicht vollständig ausgegoren sind, aber das könnten wir ja morgen besprechen. Du wirst sicherlich von der Reise erschöpft sein.“


    Zusätzlich sorgte ich mich zwar auch darum, ob Prisca wohl gut würde einschlafen können, aber ich sprach diese Sorge nicht an, denn wir waren gerade auf unverfängliche Themen gekommen. Sie sollte lieber damit zu Bett gehen.


    „Frühstücken wir morgen zusammen?", fragte ich, um ihre Gedanken auf die Zukunft, weg vom Vergangenen und Gegenwärtigen zu lenken. Ein leichtes Kopfnicken, verbunden mit einem Lächeln, hob die eingefügte Bitte innerhalb der gestellten Frage heraus.

  • Das Bild das Prisca langsam von Deandra gewann wollte so gar nicht zu dem passen, was Camryn ihr heute über die Verlobte von Onkel Marcus erzählt hatte. Jedenfalls konnte Prisca keinerlei Anzeichen dafür entdecken, dass Deandra irgendwelche Hintergedanken gehabt hätte bei dem, was sie hier und jetzt gesagt und getan hat. Sicher war es noch zu früh von Vertrauen oder gar Freundschaft zu sprechen, auch wenn sich ihre tröstende Hand eben schon wie die einer guten Freundin angefühlt hatte. Eine gute Freundin wäre wie eine Verbündete, der man alles anvertrauen und bei der man stets Rat suchen konnte. Trotz ihrer Müdigkeit musste Prisca auch an ihre Freundinnen aus Ostia denken und daran, wie viele davon je den Status einer guten Freundin gehabt hatten. Zugegeben, viele waren es nicht gewesen, aber das hatte nicht immer nur an Prisca gelegen. Viele Dinge, die ihr die Mutter nicht bei bringen konnte und wollte, lernte sie eben über sogenannte Freundschaften und oft war sie selbst bitter enttäuscht worden. Letztendlich würde nur die Zeit die Gewissheit mit sich bringen. Und Zeit würden sie wohl haben, vor allem hier in Germanien. Prisca war jedenfalls bereit, den Grundstein für eine Freundschaft zu legen.


    Als sie Deandras Pläne für den Garten hörte, wurde ihr dann bewusst, was sie eben mit ihrem Angebot angerichtet hatte. "Ich und Gartenarbeit .... oh weh was habe ich da nur gesagt. Deandra wird mich sicher noch dafür verfluchen wenn sie erst bemerkt, wie ungeschickt ich mich dabei anstelle." Aber Prisca freute sich trotzdem darauf und wollte sich Mühe geben. Es tat irgendwie gut zu reden, Pläne zu schmieden, einfach etwas gemeinsam zu unternehmen. Das lenkte von den trüben Gedanken ab, auch wenn sie sich noch lange nicht ganz verdrängen ließen.


    "Ich hoffe nur du wirst es nicht noch bereuen, mich als Gartenplanerin engagiert zu haben ... na, jedenfalls verspreche ich dir, dass ich mir Mühe geben werde."


    versuchte sie zu scherzen, indem sie auf ihre fehlende Begabung diesbezüglich anspielte und nickte aber zur Bekräftigung ihrer guten Absichten. Kurz sah Prisca sich zu ihrem Bett um. Ein wenig ängstigte sie schon die Vorstellung, gleich wieder allein zu sein mit ihren Gedanken. Aber den Schlaf würden beide nötige haben und Deandras Vorschlag mit dem gemeinsamen Frühstück war etwas, worauf sie sich freuen konnte.


    "Natürlich frühstücken wir gemeinsam! ... doch zuerst werden wir beide wohl noch etwas Schlaf benötigen ... "


    Nun wäre wohl der Zeitpunkt gekommen, um sich zu verabschieden. Als hätte sie nichts anderers erwartet, reagierte Prisca auf Deandras Frage, die wie eine Bitte geklungen hatte. Während sie das sagte war sie bereits im Begriff langsam aufzustehen.


    "Bonam noctem, Deandra. ... Es hat mich wirklich gefreut, dass du mich heute noch besucht hast und ich danke dir für deine lieben Worte!"


    Mit einem herzlichen Lächeln gab sie zu erkennen, dass sie sich schon ein wenig besser fühlte. Wenn es sonst vielleicht nicht üblich war, sich bei einer solchen Verabschiedung die Hand zu reichen, so hielt sie Deandra nun gleich beide Hände entgegen, um damit ihren Dank zum Ausdruck zu bringen.

  • Ich musste schmunzeln, als Prisca ihre Zweifel bezüglich ihrer Hilfsmöglichkeiten bei der Gartenplanung anmeldete. Leise lachend winkte ich ab.


    „Ach, notfalls erklären wir allen erstaunten germanischen Besuchern, dass wir den neuesten Trend aus Italia berücksichtigt haben, und den Besuchern, die sich damit auskennen, sagen wir einfach, dass unser Garten germanisch geprägt ist. Fertig.“


    Ich folgte ihrem Blick zum Bett, und obwohl ich zuvor gewiss nicht die Absicht hatte, ungewöhnliche Ideen auszubrüten, schoss mir eine spontan durch den Kopf, die mich in gewisser Weise selbst überraschte. Bevor ich sie jedoch äußern konnte, sprach sie weiter, erwähnte das Frühstück und wies auf den benötigten Nachtschlaf hin. Ich nickte, denn damit kehrte sie wieder zu meiner Idee zurück, die ich im Kopf behielt, als sich Prisca erhob und Worte der Verabschiedung fand.


    Ich stand ebenfalls auf und wollte ihr gerade meinen Vorschlag unterbreiten, als sie mich sprachlos machte. Es rührte mich, wie sie ihren Dank wegen meiner Worte ausdrückte, die nach meiner Auffassung selbstverständlich gewesen waren. Ich blickte auf die entgegengestreckten Hände und plötzlich schossen Erinnerungen an Situationen und damit verbundene Gefühle durch meinen Geist. Mir wurde bewusst, wie einsam ich die meiste Zeit in Germania war, wie ich unter der Reserviertheit oder gar Feindschaft litt, die mich tagsüber hier umgab. Die Stunden, in denen Marc hier sein konnte, waren knapp bemessen, sie stellten die einzigen Lichtblicke dar.


    Sentimental wie ich war, traten mir Tränen in die Augen. Na so was. Ich wollte doch erst vor Momenten diejenige sein, die Ablenkung verschaffte, die beistand, vielleicht sogar Trost spenden konnte. Plötzlich jedoch hatte sich das Blatt gewendet. Ich fühlte mich klein, schutz- und anlehnungsbedürftig. Sanft schob ich meine Hände in ihre, und während ich den Blick hob, verließ eine Bitte statt des geplanten Angebotes meinen Mund:


    „Darf ich heute Nacht bei dir bleiben?“

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