Eine dringende Angelegenheit

  • Mit ernster Miene betrat Nikolaos das Koinon. Er hatte seine Epheben losgeschickt, um alle Pyrtanen zu holen. Seit Beginn der neuen Pyrtanie war es bei den Sitzungen sehr still geworden in den heiligen Hallen des Tychaions. Das war Nikolaos nur recht, doch diese Sitzung bedurfte der Anwesenheit aller Pyrtanen. So stand er ungeduldig vor seinem Steinsessel und wartete auf das Eintreffen der anderen. Gegen die Aufregung hatte er in seiner Sänfte etwas Opium geschluckt, nicht viel für seine Verhältnisse, denn er brauchte einen klaren Kopf.

  • Mit wachsender Ungeduld nahm Nikolaos das Eintreffen einzelner Pyrtanen wahr. Ihm ging das alles viel zu langsam. Müssen sich wohl noch ankleiden und von ihren Huren verabschieden, die ehrenwerten Männer, dachte er etwas angesäuert. Oder sie haben ihren Kopf vom letzten Symposion noch nicht wieder schmerzfrei bekommen. Dabei habt ihr doch alle genug Geld für den Saft des Morpheus, und den bietet euch meine Handelsgesellschaft zu guten Bedingungen an, nun da der Rohstoff dazu zum großen Teil nicht aus Parthien und anderen Reichen aus dem Osten eingeführt werden müssen, sondern einige Stadien von Alexandria wachsen. Das müsste doch ein Leichtes sein. Kommt endlich aus euren weichen Betten mit euren fetten Bäuchen! Nikolaos wollte die unangenehme Sache schnell hinter sich bringen. Er brachte seinen Körper schon einmal in eine würdevolle Haltung.

  • Allmählich wurde Nikolaos das Warten etwas zu lang. Mit wachsendem Ärger hatte er beobachtet, dass unter den Abwesenden auch sein vormaliger Günstling Cleonymos war. Dieser schien seine Pflichten als Befehlshaber über die Stadtwache vielleicht ernst zu nehmen, nicht jedoch die als Pyrtane. Er würde dem einfachen Aigypter gerade biegen müssen, sonst schadete er womöglich noch seinem einstigen Fürsprecher durch solcherlei Pflichtversäumnisse. Nikolaos Miene verfinsterte sich zunehmend.
    "Schließe die Tür", sagte er schließlich zu einem Staatssklaven. Dieser führte das ihm Aufgetragene augeblicklich aus. Nun waren nur noch Pyrtanen im Saal. Nikolaos wartete, bis sich das Gemurmel der Männer legte. Dann ließ er die nun eingetretene gespenstische Stille einige Zeit lang wirken. Schließlich blickte er ernst in die Runde.
    "Was ich euch heute mitzuteilen habe, Pyrtanen, ist eine äußerst traurige und erschreckende Nachricht. Als ich es vor einer Stunde vom Eparchos der Rhomäer erfuhr, der mich beauftragte, es nun euch zu erzählen, konnte ich es anfangs nicht glauben. Doch leider - leider ist es wahr. Der göttliche Basileus, Beschützer dieser Polis, ist im Kampf gegen die Feinde des rhomäischen Volkes und somit auch gegen unsere Feinde, die Parther, gefallen und hat uns Sterbliche verlassen und ist in den Kreis der Unsterblichen zurückgekehrt."
    Er legte eine lange, bedeutungsvolle Pause ein. Als er merkte, dass die Spannung ihren Höhepunkt erreicht hatte, fuhr er, immer noch mit betroffener Miene, fort mit seiner Ansprache.
    "Wir werden ihm in einigen Tagen im Kaisareion opfern, auf dass er der Polis gnädig bleibt, auch wenn er den Erdkreis der Sterblichen verlassen hat. Ich möchte dich bitten, werter Agoranomos-" Er blickte Mithridates an. "-dass du ein makelloses Opfertier besorgst, koste es, was es wolle." Die Tatsache, dass überhaupt geopfert würde, sah der Exegetes anscheinend als beschlossen an. Widerspruch würde er wohl kaum dulden, er würde augenblicklich Gotteslästerung schreien und mit dem Finger auf den Widersprechenden deuten.
    "Bei all der Trauer, die diese Nachricht verbreitet, gibt es eine weitere Nachricht, die zwar die Trauer nicht nimmt, jedoch die Sorge um den Fortbestand des Friedens. Es gibt einen neuen Basileus, der sich für das Wohl der Rhomäer sowie unserer Stadt einsetzen wird. Er heißt Ilpios Ailianos Valerianos. Der göttliche Basileus, der uns nun verlassen hat, hat diesen Mann dazu bestimmt, die Geschicke des rhomäischen Volkes in Zukunft zu leiten. Sobald er unsere Polis besucht, werden wir ihm einen gebührenen Empfang bereiten." Er blickte erneut in der Runde umher. Auch hierbei schien er Widerspruch im Voraus ausgeschlossen zu haben. Er legte eine längere Pause ein.
    "Hiermit möchte ich diese betrübliche Sitzung beenden und euch Zeit zur Trauer geben, wenn es keine weiteren Bemerkungen oder Fragen gibt."
    Dass die Trauer sich in Grenzen halten würde, wusste Nikolaos, genauso wie er wusste, dass die Sorge um den Frieden im Volk der Rhomäer trotz der Nachricht von dem neuen Basileus bei nahezu allen Pyrtanen überwiegen würde. Doch es wäre wohl kaum einer so tollkühn, etwas Gegenteiliges zu dem zu behaupten, was Nikolaos da an Trauer vorgespielt hatte.

  • Bei seinem Eintreffen war Mithridates die schlechte Laune des Vorsitzenden nicht entgangen. Wobei er sich auch nicht daran erinnern konnte, diesen Nikolaos jemals nicht mit säuerlicher oder gar wütender Miene angetroffen zu haben. Wenn der Archipyrtan ein so freudloses, arbeitsreiches Leben führte, wie es den Anschein machte, würde er sicherlich eines frühen, unangenehmen Todes sterben. Ein Gedanke, der Mithridates wiederum ein kleines, erwartungsfohes Lächeln entlockte.
    Die Nachricht vom Tode des römischen Kaisers beunruhigte ihn jedoch stärker, als er es sich selbst eingestehen wollte.
    Ein neuer Kaiser in Rom bedeutete immer auch Veränderungen in den Provinzen; ob zum Guten oder Schlechten für Alexandria würde sich erst noch herausstellen müssen.
    "Natürlich werde ich mich um das Opfertier kümmern, verehrter Exegetes." Eigentlich hatte der Agoranomos ja vorgehabt, möglichst schnell zu seinen üblichen Beschäftigungen zurückzukehren. Aber die Huren und der Mohnsaft würden doch noch ein Weilchen warten müssen.
    "Ist denn tatsächlich zu erwarten, dass der neue Basileus unsere geliebte Polis in nächster Zeit aufsuchen wird?"

  • "Zuerst wird er sicher in Rom einziehen", sagte Nikolaos. "Ich bin mir sicher, der Eparchos wird das Koinon rechtzeitig davon in Kenntnis setzen, wenn er der rhomäischen Provinz Aiygptos und unserer Polis einen Besuch abstattet. Das Opfer jedoch sollten wir so rasch wie möglich vorbereiten. Auch keinen Aufschub duldet die Einberufung der Ekklesia, um den Bürgern diese traurige Nachricht nicht vorzuenthalten."

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