• Gehe suchend durch den Abend,
    bin nicht rastend, ruhelos,
    wohin geh ich, wohin will ich,
    warum laufe ich denn bloß?


    Ein Gedanke, viele Worte
    und ein Name treibt voran,
    Du bist nichts und Du bist alles,
    wo, warum es nur begann?


    Weiche aus, tief in die Schatten,
    keiner sieht was ich getan,
    wie viel Leid erträgt die Seele,
    wie fing dieser Wahn nur an?


    Weiß ich, was ich machen werde,
    höre ich, was besser sei?
    Spreng die Ketten Deines Herzens,
    hole Luft und Du bist frei…


    "dominus?" Brix' Stimme zerriss entfernt die Stille, die mich umgab, hier draußen auf der Terrasse, wo ich fröstelnd dem Sternenhimmel harrte. Ich regte mich nicht, noch sagte ich etwas. "dominus? Hat jemand Corvinus gesehen?" Ein Murmeln drang an mein Ohr, gefolgt von hastigen Schritten, zuerst auf Mosaik, dann auf Stein, schließlich gar nicht mehr. Ich blickte ausdruckslos zur Seite, wo Brix nun stand und mich ein wenig ratlos musterte. Vermutlich überlegte er, ob er es wagen könnte, mich anzusprechen. Nervös blickte er zurück ins Haus, nestelte an der Kordel seiner tunica herum und räusperte sich schließlich. "dominus, da ist jemand im atrium für dich, ein gewisser Sisenna Neratius Flaccus. Er sagt, es sei dringend."


    Was folgte, war vorerst keine Reaktion. Zu deutlich sah ich die warm leuchtenden Locken zwischen Realität und Wunschdenken aufblitzen, und fragte mich, ob mich nun tatsächlich dem Wahn anheim gefallen war. Eine ganze Weile stand ich einfach nur weiter mit vor der Brust verschränkten Armen da und starrte die fernen Tannen an, deren benadelte Zweige sich leicht in der Brise bewegten. "dominus?" fragte Brix erneut, und mit diesen Worten und einem Blinzeln verblassten die Strähnen allmählich. Ich neigte den Kopf zur Seite. "Neratius Flaccus? Ich kenne keinen Neratius. Was will er?" fragte ich, woraufhin Brix erleichtert schien, dass ich antwortete, statt ihn weiterhin zu ignorieren. "Das hat er nicht gesagt, nur dass es dringend sei und er jetzt sofort um ein Gespräch mit dir bittet. Wenn es dir nicht zusagt, richte ich ihm aus, dass er morgen nach der salutatio wiederkommen soll", fügte er an. "Nein, ist schon gut. Ich höre mir an, was er zu sagen hat. Was wissen wir über den Mann?" gab ich zurück, ließ die Arme sinken und setzte mich in Bewegung. Brix tat es mir gleich, und gemeinsam gingen wir nach drinnen. "Neratius Flaccus, etwa Anfang vierzig und verheiratet mit einer Senatorentochter. Er besitzt ein kleines Handelshaus in Ostia und einige Schiffe, die regelmäßig zwischen Ostia und Tylus verkehren", informierte Brix mich. "Gut. Danke, Brix", entgegnete ich und betrat das atrium, während der Germane selbst stehen geblieben war und mich allein den Besucher empfangen ließ.

  • "Neratius, salve. Es ist ungewöhnlich, dass man zu solch später Stunde um ein Gespräch bittet", begrüßte ich den wartenden Mann, der sich nach kurzer Musterung als ein untersetzter Mittvierziger mit exzentrischem Modegeschmack herausstellte. Mein Blick verweilte ein wenig länger auf seiner tiefvioletten, hellgrün gesäumten toga, als es vielleicht notwendig gewesen wäre, doch im Grunde wunderte mich hier, im Herzen der Welt, nichts mehr. "Verehrter Aurelius, ich kann dir gar nicht genug danken, dass du mir so spät noch Gehör schenkst! Ich würde dich auch nicht stören, wenn es nicht ungeheuer wichtig wäre!" erwiderte mein Besucher mit einer zerknirschten Miene und rang dabei mit den Händen. Mir wäre es durchaus lieber gewesen, er wäre sogleich zum Punkt gekommen und hätte all die Höflichkeiten unter den Tisch fallen lassen. "Selbstredend. Was ist dein Begehr?" hakte ich daher nach und machte keine Anstalten, den Mann zum Bleiben einzuladen, indem ich auf die Sitzgelegenheiten verwies. Meine Gedanken hatten sich noch immer nicht gelegt und wirbelten wirr durch meinen Geist, sodass es mir schwer fiel, mich angemessen zu konzentrieren. Ich wollte den Neratier zwar schnellstmöglich aus dem Hause haben, konnte und wollte dies aber nicht allzu offensichtlich offenbaren. Also ließ ich mich auf ihn ein.


    "Oh, natürlich, natürlich. Verzeih. Nun, ich betreibe ein kleines Handelshaus in Ostia und beliefere in weitem Umkreis viele römische Familien. Einer meiner Kunden feiert morgen die Hochzeit seiner Tochter. Das Problem ist, dass er leider vergaß zu erwähnen, dass er die Waren nicht an die bei uns hinterlegte Adresse geliefert haben möchte, sondern in sein Stadthaus hier in Rom!" Neratius Flaccus verstummte und sah mich klagend an. Ich versuchte, nachzuvollziehen, was der Mann nun eigentlich von mir wollte, doch es gelang mir nicht. Gerade, als ich eine entsprechende Frage stellen wollte, fuhr er fort. "Verstehst du, ich bin nicht befugt, tagsüber Waren auszuliefern. Und gerade vorhin habe ich zudem erfahren, dass das Schiff sich wohl verspätet, deswegen kann ich nicht einmal garantieren, dass ich im Laufe der nächsten Stunden überhaupt liefern kann." Neratius seufzte gemartert und schüttelte niedergeschlagen den Kopf. "Und du möchtest nun, dass ich dir für den morgigen Tag eine Sondergenehmigung ausstelle?" fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach und musterte den Mann vor mir zweifelhaft. Jener nickte verdrießlich. "Ja, deswegen bin ich hier. Ich weiß noch gar nicht, ob ich sie überhaupt brauchen werde, wie gesagt, das Schiff hat Verspätung, ich weiß nur nicht wie viel. Wenn ich Glück habe, bekomme ich die Lieferung heute Nacht noch durch. Nur wenn nicht...." Neratiur schwieg, hob die Schultern und sah mich hoffnungsvoll an.

  • "Für den Fall der Fälle wäre es dir lieb, du hättest eine Genehmigung", schlussfolgerte ich und nickte verständig. "Nun, da wird die allgemeine Gebühr fällig, Neratius. Du wirst sicher verstehen, dass ich da keine Ausnahme machen kann. Komm doch mit in mein officium, da klären wir alles weitere." "Ja, natürlich, quaestor. Ich hab das Geld dabei, ich hatte gehofft, dass du mir hilfst. Sehr freundlich von dir, wirklich, sehr freundlich", erging sich Neratius Flaccus in Dankeshymnen, während er mir zu meinem Arbeitsraum folgte, der direkt an das atrium angrenzte.


    Drinnen wies ich dem Händler einen Platz, setzte mich selbst hinter den Schreibtisch und zog ein frisches Pergament hervor. Ich griff nach einer der drei Federn und dem Tintenfässchen, entkorte letzteres und tauchte die Kielspitze in die dunkle Tinte ein. "Dein praenomen, Neratius? Und den Namen deines Unternehmens." sagte ich und blickte den Mann erwartungsvoll an. Gerade nestelte er an dem ledernen Beutelchen herum, den er mit sich führte. "Publius. Und das ist der negotiatio Neratii", erwiderte Flaccus und beobachtete mich dabei, wie ich seine Sondergenehmigung ausstellte. Schweigen breitete sich im Raum aus, nur durchbrochen vom Kratzen der Feder auf Pergament. Scheinbar sah sich Neratius im Zugzwang, mich zu unterhalten. Er räusperte sich. "Kommen...kommen eigentlich viele vorbei und wollen eine Sondergenehmigung?" Ich hob nur kurz den Blick. "Dieser Tage? Nein." Ich war nicht daran interessiert, eine lockere Unterhaltung mit einem Mann zu beginnen, den ich weder kannte noch wiedersehen würde. Zumindest ging ich momentan noch davon aus. Und auch Flaccus schien das zu dämmern, denn er nickte nur lahm und schiweg dann, bis ich über das Schriftstück blies, um die Tinte zu trocknen.


    "Das sollte es gewesen sein. Damit bist du befugt, am morgigen Tag deine Ware auszuliefern, sollte dies notwendig sein", sagte ich, während ich mit dem amtlichen Siegel hantierte. Rotes, zähes Wachs tropfte auf das bräunliche Papier, dann drückte ich das Amtssiegel hinein.

  • Einen Moment heilt ich inne und betrachtete das Wachs, das nur langsam fest wurde. Sorgfältig legte ich den Siegelstempel wieder zurück in die Schublade. Danach schob ich das halbtrockene Pergament zu meinem Besucher hinüber. "Das sind dann fünfundachtzig Sesterzen, die ich dafür bekomme." Natürlich bekam nicht ich das Geld, sondern der Staat, doch vorerst verwahrte ich diese Gebühren, um sie zum gegebenen Zeitpunkt der betreffenden Stelle auszuhändigen. Neratius biss die Zähne aufeinander und zählte die Münzen ab. Ihm war deutlich anzusehen, dass er mit dem Geld lieber etwas anderes gemacht hätte als eine Sondergenehmigung zu erstehen, die er vielleicht gar nicht benötigen würde. "Fünfundachtzig. Und vielen Dank noch mal, quaestor. Die Götter mögen dich segnen", leitete Neratius die Verabschiedung ein, ehe er nach dem Brief griff.



    Sorgsam rollte er das teure Schriftstück zusammen und erhob sich dann. Ich tat es ihm gleich, wollte ich doch nicht den Abend in meinem officium verbringen. Ich hatte noch ein Rendezvous mit einer Schriftrolle. "Ich wünsche ein gutes Geschäft", entgegnete ich und neigte zum Abschied den Kopf. Neratius zog eine Grimasse, in der man mit viel Fantasie ein Grinsen erkennen konnte, dann hob er die Hand und war kurz darauf aus dem Raum verschwunden. Ich wartete noch ein Weilchen, korkte die Tinte und legte die Feder ordentlich neben das Fässchen. Erst dann verließ ich meinen Arbeitsraum, tief seufzend, und teilte Brix auf dem Weg in mein Gemach mit, dass ich für den Rest des Abends nicht mehr gestört werden wollte.

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