Eine neue Pyrtanie beginnt

  • Nikolaos war schon vor Sonnenaufgang in die Stadt aufgebrochen. Nun stand er, noch etwas schläfrig, in der orchestra des Theaters. Auf den Holzbänken der hinteren Ränge saßen nur einige Bürger, einige lagen auch unter Decken und schliefen. Diese waren wohl von weit her gekommen, vermutlich waren sie im Umland lebende Bürger, wie Nikolaos, die sich aber nicht wie Nikolaos die Annehmlichkeit eines Pferdewagens leisten konnten. Noch war es dämmrig. Im Osten färbte sich der Himmel langsam rot. Lange würde es nicht mehr dauern, bis es hell würde.
    Nikolaos ließ sich von einem Diener seine Amtstracht zurecht zupfen. Außer diesem Diener waren auch seine Epheben hier. Einer der beiden naschte, zu Nikolaos Verärgerung, einige Datteln aus einem Körbchen, dass der Diener mitgenommen hatte. Doch lediglich mit einem milden Lächeln gab Nikolaos dem Jungen zu verstehen, dass er ertappt war. Die Müdigkeit hüllte den Exegetes wohlig ein und dämpfte seine Gemütsregungen.
    Langsam füllten sich die Ränge des Theaters. Nun kamen auch Männer, denen man ansah, dass es sich bei ihnen um Stadtbewohner handelte. Auch einige wohlhabende Bürger, die auf Landgütern in der chora wohnten, kamen in das Theater. Zu erkennen waren sie daran, dass sie von vielen Männern begleitet wurden und diese Männer große Körbe mit Proviant trugen. Auch einige Seidenschirmchen waren zu sehen, diese waren noch unnötig, würden jedoch in den Mittagsstunden ihren Besitzern eine Wohltat sein. So manche Volksversammlung dauerte bis abends. Nikolaos hoffte jedoch, dass sich schnell alles regeln und finden würde an diesem Tag.

  • In Begleitung meiner Geschäftspartnerin Archidameia, meiner Angestellten Artemisia (der einzigen Bürgerin die für mich arbeitete) und einiger befreundeter Alexandriner und auch wichtiger Kunden erreichte ich das Theatron. Ich hatte es bisher leider nie wirklich geschafft während einer kompletten, wichtigen, Ekklesia anwesend zu sein, doch heute war es mir ein Bedürfnis hier zu sein. Das Recht dazu hatte ich und so gingen wir durch die, noch wenig gefüllten Reihen, dorthin, wo sich mithin die wenigen Römer einfanden die tatsächlich ein Interesse an der Ekklesia hatten.
    Ich setzte mich, nachdem ich einige Worte mit meinen Landsleuten (von denen auch einige meine Kunden waren) gewechselt hatte, an den Rand des 'römischen Blocks', so dass meine nicht-römischen Begleiter trotzdem in meiner Nähe bleiben konnten.
    In der orchestra erblickte ich den Exegetes und machte Artemisia darauf aufmerksam. Diese nickte und erhob sich erneut (was den Unmut einiger Umsitzender auf sie zog) um dann nach unten zu jenem Amtsträger zu eilen, dem sie sich dann vorsichtig näherte.


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    Verzeih, aber du bist doch der noch amtierende Exegetes Nikolaos Kerykes, nicht wahr?

  • Nikolaos erschrak beinahe, als ihn die Frau ansprach. Die Müdigkeit verließ ihn schlagartig. "Chaire, Frau.", grüßte er die, die ihn angesprochen hatte. Dann musterte er sie ausgiebig. Ihrer Aufmachung nach, der Tatsache, dass sie ihr Haar offen trug und keinen Schleier und einen tiefen Ausschnitt und ohne männliche Begleitung hier war und überhaupt kräftiger geschminkt war als Nikolaos selbst, vermutete Nikolaos, dass es sich bei ihr um keine anständige Frau handelte, sondern vielmehr um eine, die ihr Geld selbst zu verdienen pflegte, was noch dezent umschrieben war, da es die Art ihres Gewerbes unerwähnt ließ. So wich Nikolaos zurück und verzog das Gesicht zu einem Ausdruck der Geringschätzung.
    "Dieser bin ich in der Tat.", gab er knapp zur Antwort und wandte sich dann an einen seiner vier Epheben, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. "Was willst du von mir?", fragte er, zwar nicht direkt grob, jedoch wie jemand, der rasch sein Gegenüber loswerden möchte.

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    Artemisia war diese Art der Reaktion nicht unbekannt, daher ignorierte sie dies weitestgehend. Ausserdem hatte sie auch nur eine kurze Aufgabe zu erledigen und konnte sich dann wieder an ihren Platz begeben.
    Verzeih bitte, dass ich dich so unvermittelt ansprach, aber meine Arbeitgeberin, die Dame Urgulania von den Iuniern... sie deutete auf die sitzende Römerin ...schickt mich zu dir. Sie bat mich dir diese Nachricht zu übergeben.
    Sie holte eine Papyrusrolle hervor und übergab sie dem Exegetes.


    Nikolaos Kerykes,
    sei mir gegrüsst.
    Ich hoffe du erinnerst dich an mich, jene unbedeutende Rhomäerin,
    die dich aufsuchte um dich um deine Unterstützung bei der Bekanntgabe
    ihrer Proxenie bat.
    Heute möchte ich dich erneut um einen Gefallen bitten. Meine Anwesenheit
    hier bei der Ekklesia ist nicht rein zum Vergnügen, sondern entspringt dem
    Wunsch meiner neuen geliebten Heimat dienen zu dürfen.
    Da eine unbedeutende Frau wie ich dies jedoch nciht aus eigenem
    Antrieb heraus schafft, möchte ich dich um deine Unterstützung bitten.
    Gewähre mir deinem Hilfe und ebne mir den Weg in eines der Einstiegsämter
    des Prytaneions, vorzugsweise das des Eutheniarchos,
    und dir wird mein ewiger Dank gewiss sein. Natürlich wird sich
    dieser Dank nicht nur in Worten ausdrücken sondern auch
    eine von dir gewünschte Form annehmen.


  • Eine Frau, die Pyrtane werden wollte... . Das war für Nikolaos überaus befremdlich. Und noch dazu eine Römerin... . Er dachte einen Moment nach. Einige Vorzüge hätte es natürlich, einen weiteren abhängigen Pyrtanen, ob nun männlich oder weiblich, römisch oder hellenisch, im Pyrtaeion sitzen zu haben.
    "Bitte richte deiner Herrin aus, sie möge sich zu mir begeben, damit wir über ihr Anliegen von Angesicht zu Angesicht sprechen können. Noch hat die Volksversammlung nicht begonnen, es bleibt dafür also genug Zeit. Dennoch soll sie sich beeilen, wenn dies möglich ist.", sagte er schließlich. Er war neugierig auf diese Frau.

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    Artemisia nickte, verneigte sich leicht und eilte dann davon um Urgulania zu informieren.



    Offentsichtlich hatte mein Angebot an den Exegetes ein Stück weit sein Ziel erfüllt. Artemisia informierte mich, dass er mich persönlich sprechen wollte und so machte ich mich auf den Weg zu ihm. In aller gebotenen Würde, aber dennoch relativ eiligen Schrittes, schritt ich hinunter in die orchestra und näherte mich dem Exegetes.
    Chaire Exegetes. Urgulania von den Iuniern. Meine Angestellte sagte mir, dass du mein Anliegen gerne direkt besprechen möchtest.

  • "So ist es.", meinte Nikolaos. Er kannte die Frau. An ihr Gesicht hatte er sich erinnert, im Gegensatz zu den tausenden anderer Bittsteller, die in der letzten Amtszeit zu ihm durchgedrungen waren. Um keine peinliche Pause entstehen zu lassen und um Zeit zu sparen, begann er sogleich mit dem angekündigten Gespräch.
    "Du möchtest also, als Frau, Eutheniarchos werden, und ich soll dir dazu verhelfen? Es ist zugegeben etwas unüblich, dass eine Frau sich in ein Amt wählen lässt-" Er musterte Urgulania. "-jedoch in heutiger Zeit nicht mehr völlig abwegig. Ich glaube, von dir zu wissen, dass du unverheiratet und auch sonst mündig bist. So steht diese Frage deiner Kanditatur nicht im Wege, lediglich eine gewisse Frage der Akzeptanz bei den Bürgern, die sich jedoch heute klären wird." Er legte eine Pause ein. "Ich möchte dich bitten, mir darzulegen, was du dir von dem Amt versprichst und was ich, ich folge hier deinem Brief, mir davon zu versprechen habe."

  • Er kam also direkt zur Sache. Das gefiel mir sehr. Jetzt ging es also nur noch darum mich gut zu verkaufen.
    Ich bin sicher, die Akzeptanz liesse sich erreichen, wenn ein so bedeutender Mann wie du meine Kandidatur unterstützen oder zumindest akzeptieren würde.
    Ich lächelte ein kleines Bisschen.
    Was ich mir von diesem Amt verspreche ist vor allem, dass ich dieser Stadt, die mir seit meiner Ankunft hier zur Heimat geworden ist, dienen kann und ihr ein wenig von dem zurückgeben kann, was sie mir gab.
    Ausserdem denke ich, dass ich für dieses Amt einen gewissen Vorteil mitbringe. Immerhin gilt es als Eutheniarchos einen engen Kontakt mit dem Praefectus Annonae zu halten, und mit Verlaub kann ich sagen, dass ich als Römerin sicherlich in einer besseren Position bin um mit einem römischen Beamten zu verhandeln, denn die Meinung die die meisten Römer von den Alexandrinern habe ist nicht die beste.

    Ich selbst hatte früher auch eine schlechte Meinung von dieser Stadt, doch tat das hier nichts zur Sache.
    Was du dir davon zu versprechen hast hängt ganz von dir ab. Nenne mir deine Wünsche und ich sage dir ob ich sie erfüllen kann.
    Da ich vermute, dass du heute erneut für ein Amt kandidieren wirst, biete ich dir darüber hinaus auch die Stimmen, über die ich verfügen kann, an. Es mögen nicht viele sein, aber ein paar bedeutende Männer zähle ich zu den Kunden meines Hauses und biete dir ihre Stimmen.

  • Nikolaos ahnte langsam, welches Gewerbe die Frau vor ihm betrieb. Ihre Herabwürdigung der Alexandriner ärgerte den Exegetes ein wenig, und der Ärger wurde auch nicht durch das Lob seiner Person gemildert. Dass Kunden gewisser Dienstleistungen der Besitzerin des Ortes, in dem diese Dienstleistungen ausgeführt wurden, ihre Stimme verkauften, hielt Nikolaos für völlig übertrieben, jedoch beließ er es dabei.
    In Gedanken ging er die möglichen Kanditaten für das Amt das Eutheniarchen durch. Natürlich hatte er sich schon Tage vor der Volksversammlung den meisten seiner Klienten Besuche abgestattet, um sie nach ihren Plänen zu befragen. Er konnte im Grunde nichts verlieren, wenn nicht die Römerin das Amt übernähme, so täte es einer der Krateiden oder Nearchäer oder womöglich ein Anhänger des Mithridates Castor, oder sogar dieser selbst. Vorschlagen würde er die Römerin natürlich nicht, denn es hätte seine Position womöglich geschwächt, wenn er versucht hätte, eine Frau in ein Amt zu bringen.
    "Du hast meine Stimme und die Stimmen meiner Anhänger, wenn du dich für das Amt des Eutheniarchen aufstellen läßt. Ich werde gleich meine Epheben ausschwärmen lassen, um einigen Männern diese Weisung zu erteilen.", sagte Nikolaos schließlich. Er sprach sehr leise, folgendes flüsterte er sogar. "Solltest du in die Reihen der Pyrtanen gelangen, so erwarte ich, dass du in allem was du tust niemals entgegen meiner Absichten handelst. Als erste Gegenleistung wünsche ich, dass du, falls du das Amt erlangen solltest, mir bei der nächsten Sitzung der Pyrtanen den Vorsitz der Pyrtanen aufdrängst. Ich hatte ihn bereits in der letzten Pyrtanie inne, da würde es unnötigerweise ein Gerücht über meine Unbescheidenheit erzeugen, wenn ich mich selbst aufdrängte. Wenn du mit mir zusammenarbeitest und dir nicht zu schade bist, mir über deine Vorhaben Bericht zu erstatten, sollst du meine volle Unterstützung haben." Er sah die ältere Frau lange an. "Solltest du in irgendwelchen Angelegenheiten Hilfe benötigen, so scheue dich nicht, sie dir bei mir zu holen. Im Gegenzug werde ich dies auch bei dir auf diese Art handhaben." Wieder eine Pause. "Bist du zu einer Zusammenarbeit dieser Art mit mir bereit?"

  • Der 13. Tag des Phaopi war gekommen und wiederum versammelte sich die Bürgerschaft zur ekklesia, um die Beamten der kommenden Pyrtanie zu wählen. Während Mithridates noch die Zuschauerränge abschritt, hier eine Hand schüttelnd, dort ein freundliches Wort sprechend, fiel ihm der Exegetes ins Auge, offensichtlich ganz vereinnahmt von einer jungen Frau, deren Beruf nur unschwer zu erraten war. Ließ sich der Archipyrtan jetzt schon in aller Öffentlichkeit von seinen Liebschaften seine Wahlkampfstrategien einflüstern? Ein kurzer Kommentar in dieser Sache in Richtung seiner Anhänger, löste heiteres Lachen unter den Begleitern des Agoranomos aus.
    Auch wenn M.C. sich selbstverständlich darüber im Klaren war, dass zumindest ein Teil dieser Leute überhaupt kein Problem darin sah, wenn sich ein hoher Staatsdiener mit seinen Huren zeigte und diesen stattdessen wohl eher um seine Begleiterinnen beneidete.
    Aber ihre Aufgabe bestand ja nun mal nicht darin, sich allzu viele Gedanken zu machen, sondern darin, im richtigen Moment glaubwürdig zu klatschen, zu schimpfen, zu jubeln. Und wann dieser Moment für seine Begleiter kam, dass entschied immer noch Er, Mithridates Castor, der Sohn des Nikander...

  • Zitat

    Original von Nikolaos Kerykes
    "Bist du zu einer Zusammenarbeit dieser Art mit mir bereit?"


    Ich überlegte den Bruchteil einer Sekunde und nickte dann. Es gab an diesem Handel nichts auszusetzen und er bot beiden Vorteile, auch wenn der Exegetes sicherlich noch ein paar mehr Vorteile hatte als ich. Doch das war unumgänglich, wollte ich mich nicht an einen anderen Mann wenden, was in Anbetracht der Kürze der verbleibenden Zeit sicherlich hätte schwer werden könne.
    Voll und ganz. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit dir.

  • Cleonymus kam erst einige Minuten später als Nikolaos an und auch nur deswegen weil er auf dem Weg hierher nicht umhin gekommen war einige Wachtposten zu überprüfen. Nun da er das Theater betreten hatte sah er sich nach den üblichen Gesichtern um und entdeckte auch sogleich Mithridates Castor und seine kleine Schar gakernder Hühner ... Als sein Blick allerdings auf Nikolaos fiel verschlug es ihm kurz den Atem ... statt wie üblich in übertrieben freundlichen Gesprächen mit reichen Stadtbewohnern, war er gerade mit einer Römerin beschäftigt die Cleonymus irgendwie bekannt vorkam ...


    Cleonymus beschloss sich das ganze näher anzusehen und schickte seine Begleitwache in die Ränge, damit sie die Leute die dort noch schliefen wekten und erstmal für eine allgemeine Ordnung sorgten. Als er sich dem ungleichen Paar schließlich näherte erkannte er die Römerin als Iunia Urgulania die Römerin die den Wüstenräubern entkommen war ...


    Als Cleonymus die beiden erreichte begrüßte er sie freundlich und blieb dann vorerst einen Schritt entfernt stehen um sie nicht zu stören und unterhielt sich mit einem der Epheben des Nikolaos, welcher ihm freudig von den guten Aussichten erzählte die, seiner Meinung nach, vor Cleonymus und Nikolaos lagen ...

  • "Die Freude ist ganz meinerseits.", erwiderte Nikolaos höflich. "Mein Haus soll dir von nun an offen stehen, wenn du Hilfe benötigst. Gibt es noch etwas zu besprechen?" Er hatte währenddessen seinen eintreffenden Kollegen zum Gruss über Urgulanias Schulter hinweg zugenickt. Das Theatron war nun beinahe vollständig gefüllt. Die Morgensonne hatte einen Platz erreicht, von dem aus sie der Stadt mehr schenken konnte als nur ein Zwielicht. Nikolaos flüsterte seinen Epheben etwas zu, woraufhin diese, mit Ausnahme von Kalthtymos, der in Nikolaos' Nähe blieb, ausschwärmten. Nikolaos würde, sofern Urgulania nichts mehr anzumerken hatte, die Volksversammlung in wenigen Augenblicken eröffnen.

  • Und so soll dir auch meines offen stehen.
    Dann deutete ich ein leichtes Kopfschütteln an.
    Nein, sonst gibt es im Moment nichts. Alles weitere besprechen wir dann bei Gelegenheit.
    Ich verabschiedete mich dann von jenem jungen Exegetes und machte mich wieder auf den Weg zu meinem Platz, denn die Versammlung würde sicherlich in Kürze beginnen.
    Ich erklomm die Reihen und nahm dann meinen Platz zwischen meinen Freunden, Kunden und Unterstützern ein.

  • Cleonymus wartete noch bis sich die Epheben auf den Weg machten und ging dann zu Nikolaos hinüber, leicht betrübt darüber das die Römerin ihn scheinbar übersehen hatte und darüber das Nikolaos ihn nicht vorgestellt hatte ...
    Aber das war doch kindisch dachte er sich im nächsten Moment immerhin war Nikolaos kein Liebhaber sondern ein Kollege, was kümmerte ihn mit wem er noch zu tun hatte ...


    "Khaire Nikolaos, ein wahrlich guter Tag für Neuwahlen ich kann praktisch spüren wie die Schiksals Fäden neu verwoben werden am heutigen Tage."

  • "Chaire, Cleonyme", antwortete Nikolaos auf den Gruss des Strategens. Dessen pathetisch angehauchter Kommentar belustigte ihn. "Aber, aber, so schlimm wird es wohl nicht sein. Und rufe die Tyche nicht herbei, wenn es nicht dringend ist und wenn die Umgebung nicht angemessen ist und du ihr kein Geschenk zu bieten hast.", tadelte Nikolaos seinen Kollegen freundschaftlich. Gratis machten schließlich die Götter gar nichts für die Sterblichen, Geschenke mussten da schon her, besser noch, falls der entsprechende Sterbliche wohlproportioniert und hübsch anzusehen war und natürlich jung, geschlechtlicher Verkehr. Gerade die älteren Männer unter den Göttern fanden diese Leistung besonders erquicklich, aber auch so manche Göttin war solchem Handel nicht abgeneigt.
    "Ich werde jetzt beginnen.", flüsterte Nikolaos dem Kollegen noch zu, bevor er sich weiter von seinem Platz entfernte und weiter in die orchestra hinein ging.

  • Nikolaos ließ den Blick über die Reihen des Theaters wandern. Inzwischen waren sie gut gefüllt. Auch einige Demagogen konnte er erkennen, weniger an ihnen selbst sondern vielmehr an den Menschentrauben, die sich um sie bildeten. Eine Art Anspannung machte sich in seinen Muskeln bemerkbar, das Blut schien schneller durch das Fleisch zu sickern. Er sammelte seine Gedanken einen Moment, dann räusperte er sich, etwas gekünstelt, und begann.
    "Bürger! Wir sind heute zusammen gekommen, um die Ekklesia abzuhalten, wie es Sitte und Gesetz ist seit Jahrhunderten. Wir sind heute zusammen gekommen, als freie Bürger einer freien, unabhängigen Stadtgemeinschaft. Wir werden heute wieder einmal unserere Pflichten als Bürger wahrnehmen. Bevor wir uns jedoch anderem widmen, steht eine Sache an diesem Tag im Vordergrund: Wieder einmal ist eine Pyrtanie vorbei und nach dem Grundsatz der Gleichheit werden deshalb die Pyrtanenämter neu besetzt. Ich erinnere jeden, der an diesem Tag dazu bestimmt wird, ein solches Amt zu bekleiden, daran, dass er der Stadt und ihren Bürgern im besonderem Maße verpflichet ist. Er möge sich seiner Bürde als würdig erweisen und sie mit Anstand tragen."
    Nikolaos legte eine Atempause ein. Er sah sich in den Reihen der Zuhörer um. Besonders die Pyrtanen in den ersten Reihen betrachtete er aufmerksam.
    "Nun möchte ich euch bitten, Vorschläge zu äußern, welcher Bürger welches Amt bekleiden soll. Dabei soll jeder Vorschlag gehört werden und der Prüfung durch die Abstimmung übergeben werden. Jeder ist gleichermaßen verpflichtet, ein Amt zu übernehmen, wenn es ihm angetragen wird. Jeder ist gleichermaßen aufgefordert, sich für ein Amt bereit zu halten, wenn er fähig ist, es im Sinne der Stadt gut auszufüllen. Jeder, der ein Amt übernimmt, sollte sich bewusst sein, dass seine Pflichten nicht nur die der Stadt und ihren Bürgern gegenüber sind, sondern auch die den unsterblichen Göttern gegenüber, denen er im besonderen Maße dienen und huldigen muss, denn er tut dies nicht zu seinem Wohl allein sondern zum Wohl der Stadt."
    Nikolaos sah sich wieder in den Reihen um. Von der orchestra aus hatte er den ganzen Zuschauerraum im Blick. Nun wartete er auf Vorschläge, Zwischenrufe und heißblütige Reden und Gegenreden, wie er sie schon von den vielen Volksversammlungen im Laufe seiner Laufbahn kannte. Seine Vorschläge würde er, wie es eine Art Anschein der Bescheidenheit gebot, zunächst im Hintergrund halten.

  • Es war also an ihm, die Initiative zu ergreifen und so erhob sich der kleingewachsene Mann und begann mit seiner kräftigen Stimme zu sprechen:
    "Bürger, hört mich an!
    Wie ihr alle wisst, diente ich, Mithridates Castor, in der vergangenen Pyrtanie der Polis als Agoranomos.
    Ich habe all meine Kraft gegeben und all meine Ressourcen eingebracht, um dieses Amt so auszufüllen, dass sich das Leben in unserem geliebten Alexandria weiter verbessert. Ich maße mir kein eigenes Urteil an, inwiefern dieses Ziel erreicht wurde, doch wer sich umblickt, wird erkennen, dass die Wirtschaft prosperiert, die Handelseinnahmen steigen und die Sicherheit auf unseren Märkten gewährleistet ist."

    M.C. machte eine kurze Pause, um dann fortzufahren:
    "Aber der politische Erfolg unserer Polis beruht nicht zuletzt auf einem ständigen Wechsel an der Spitze der Macht und der Bereitschaft, dem Gemeinwesen in unterschiedlicher Form zu Nutze zu sein.
    Unser allseits geschätzter und hoch dekorierter Exegetes sprach soeben von Pflichterfüllung."
    Mit einer schwungvollen Geste richtete er die Aufmerksamkeit der Bürger auf seinen Rivalen.
    "Ich pflichte ihm darin voll und ganz bei.
    Ich schlage also Nikolaos Kerykes als meinen Nachfolger im Amt des Agoranoms vor. Seine Unbestechlichkeit, seine Fähigkeiten im Verwaltungsbereich und nicht zuletzt seine Lebensführung sind frei von jeglichem Makel. Ich bin sicher, er wird seiner eigenen Worte gedenken und dem Staat auch als Agoranomos auf die hervorragende Art dienen, wie er es bereits in anderer Form tat."

    Nach diesen Worten nahm M.C. wieder Platz, während seine Anhänger den Vorschlag bejubelten und Nikolaos bereits zum neuen Agoranoms ausriefen.

  • Nikolaos wartete, bis der Agoranomos zu Ende gesprochen hatte. Noch während dessen Anhänger jubelten, erhob er seine Stimme.
    "Werter Agoranomos, hochverehrte Mitbürger!
    Ich kann deine Frage, Mithridates Castor, ob du der Stadt auf vortreffliche und großartige Weise gedient hast, mit nur zwei Worten beantworten: Du hast!
    Unübertroffen, unübertroffen bist du in der Ausübung des Amtes des Agoranomos! Kein anderer hat je die Reichtümer der Stadt mit soviel Geschick verwaltet, kein anderer hat sich als Agoranomos so gütig gezeigt und derartig bereit zur Aufopferung seiner selbst für das Gemeinwohl. Kein anderer hat je den Handel zu einer solchen Blüte gebracht. Kein anderer übertrifft dich, Mithridates Castor.
    Daher werde ich dir noch zwei Worte aus ganzem Herzen und mit ganzer Inbrunst antworten:
    Du wirst!


    Wir, Bürger, können auf Mithridates nicht mehr verzichten, denn er ist der Beste, den es für das Amt des Agoranomos gibt. Hochverehrter Mithridates, ich weiß deine Bescheidenheit und dein eisernes Beharren auf den Grundsatz der Gleichheit überaus zu würdigen.
    Bei den Rhomäern gab es einst ein Amt, das in Kriegszeiten besetzt wurde. Dieser Beamte durfte über das gesamte Heereswesen befehlen. Viele, unzählige haben dies missbraucht, haben ihre Amtszeit übermäßig ausgedehnt.
    Doch es gab auch einen, der war Bauer, und den riefen die Rhomäer in dieses Amt, denn er war als tüchtig bekannt und es stand ein Feind vor den Toren Roms. Der Mann, Kinkinatos ist sein Name, vertrieb die Feinde mit dem Heer das ihm anvertraut worden war.
    Dann ging er zurück auf seinen Acker! Nie hätte er daran gedacht, seine Macht gegen sein Volk zu richten.
    Und ein solcher Mann ist auch unser Agoranomos!
    Doch hier ist diese Mäßigkeit und Bescheidentheit nicht angebracht. Du selbst, Mithridates, weißt wie kein anderer, dass du wie kein anderer geeignet bist für dieses Amt.
    Und daher wiederhole ich: Du wirst! und wünsche dir alles gute für eine weitere Amtszeit."

    Nikolaos' Anhänger jubelten. Der Exegetes warf Cleonymus und Iunia Urgulania flüchtige aber eindeutige Blicke zu. Als der Beifall ein wenig abgeklungen war, fuhr Nikolaos fort.


    "Du hast Recht in der Annahme, dass ich nichts mit mehr Inbrunst, nichts mit mehr Freude, nichts mit größerem Stolz tue, als der Stadt und euch, Bürger!, zu dienen. Ich werde euch dienen!


    Wie ihr wisst, ist der Gymnasiarchos alt. Es wäre eine Schande, ihm noch ein weiteres Mal eine derartige Bürde aufzuladen. Ich dagegen bin jung und kann der Stadt und ihren Bürgern meine ganze Kraft widmen.


    Ich weiß nicht, ob es zutrifft, was der Agoranomos sagt, dass meine Lebensweise rein und frei von Makel ist.


    Ich weiß nicht, ob meine Erfahrung von zwei Amtszeiten als Pyrtane, ob meine Erfahrung in der Leitung der Versammlungen der Pyrtanen, ob meine Erfahrung als Exegetes ausreicht.


    Ich weiß nicht, ob es genügt, Priester der Musen und des Apollons zu sein, um auch diese heilige Aufgabe zu übernehmen, die Söhne dieser Stadt zu guten Bürgern zu erziehen und dem Boten der Götter den Tempeldienst zu verrichten.


    Ich weiß nicht, ob es genügt, doch ich werde es herausfinden, wenn ihr mir euer Vertrauen schenkt."


    Wieder kam aus den Reihen der Anhänger des Nikolaos Beifall, wieder warf er Urgulania und Cleonymus Blicke zu, während er seinen Blick in den Reihen des Theaters wandern ließ.
    Dann sah er den Agoronamos direkt an.


    "Da du, werter Agoranomos, jetziger und künftiger, wie ich hoffe, in Angelegenheiten des Stadtvermögens Geschick bewiesen hast, wirst du auch in Angelegenheiten deines eigenen Vermögens Geschick bewiesen haben.
    Da du, wie wir alle wissen und wie weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus bekannt ist, von edelster Großzügigkeit bist, wirst du die Ehre sicher nicht zurückweisen, die dir zukommt, das Fest des Alexanders und der Tyche zu bezahlen."


    Wieder jubelten die Anhänger des Nikolaos. Laut und vielstimmig wurde die Großzügigkeit des Mithridates gepriesen.

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