Unterricht für einen Sklaven - für Phaeneas

  • 1. Unterrichtsstunde


    Ruhig saß Phaeneas da, unbewegt. Etwas seitlich zur Tür, ein Schatten lag auf dem linken Teil des Gesichts, die scharf akzentuierte Nase als Symmetrieachse. Die ernsten, regungslosen Augen dunkel, sie schimmerten fast schwarz. Wachsam waren sie auf den Eintretenden gerichtet, also den Lehrer. Und auf genau die gleiche ernste, neutrale Art sprach er ihn an: „Salve, magister.“ Gerade blickte der Sklave ihn an, die Augen unbeirrbar auf die des Lehrers geheftet.



    Der Magister trat ein, neigte den Kopf. „Du bist also Phaeneas“, begann er mit einer Feststellung, worauf der Angesprochene – er war ja auch der einzige im Raum – nickte. „Dann lass uns gleich mit dem Unterricht anfangen.“


    Er holte eine Wachstafel hervor, auf der alle Buchstaben eingeritzt waren, fein säuberlich, in schönem Abstand von einander. „Das alles wirst du am Ende kennen.“ Der Bithynier betrachtete die Auflistung, versuchte Unterschiede zwischen den Buchstaben zu erkennen. Bisher war für ihn etwas Geschriebenes nur eine Aneinanderreihung von all diesen Zeichen gewesen, mit denen er sowieso nichts anfangen konnte. Um das festzustellen genügte ein Blick.


    Langsam las der Lehrer sie ihm vor, einen Buchstaben nach dem anderen. Dann holte er eine weitere, noch unbeschriebene Wachstafel hervor, sowie einen Stilus, und hielt Zweiteres seinem Schüler hin: „So, jetzt schreib es ab und sprich dir die Buchstaben dabei vor.“ In Phaeneas‘ Kopf hallte gerade noch ein „ ... V, X, Y, Z“. Entgeistert sah er den Magister an. „Ähm ... Und wie war der erste Buchstabe nochmal und der danach ...“ ‚... und der danach ...?‘, dachte der Sklave sich. Der Lehrer zog eine Augebraue hoch und meinte: „Nun denn, beginnen wir langsamer.“
    In routinierter Bewegung schrieb er einen deutlich vergrößerten Buchstaben in das nachgebende Material ein:


    A


    „Das ist ein A“, erklärte er.
    Es war seltsam für den Bithynier zu sehen, wie so etwas Altbekanntes, Wohlvertrautes zu einem solchen Zeichen, der Klang hier vor seinen Augen sichtbar wurde. ‚Das da ist also ein A‘, wiederholte Phaeneas für sich selbst. ‚Das ist also das, womit so viele Worte anfangen und in so vielem vorkommt.‘
    „Schreib den Buchstaben nach und sprich ihn dir dabei laut vor“, erfolgte die Anweisung des Lehrers. Phaeneas nahm den Griffel in die rechte Hand. Er setzte vorsichtig auf dem Wachs an und ritzte langsam die Form eines A ein. Dazu sprach er den Laut.


    Ein wenig ungelenk sah der Buchstabe schließlich aus, unsicher in der Linienführung, aber es war unverkennbar ein A. „Jetzt noch einmal!“, forderte der Lehrer ihn auf. Phaeneas nahm den Stilus wieder zur Hand und malte ein weiteres A auf die Tabula, wiederum sehr sorgsam, während er noch einmal den A-Laut wiederholte. Eine Zeit lang ließ der Magister ihn so üben, machte dazwischen Anmerkungen und gab Hilfestellung. Dann schrieb er ihm ein B auf, las es vor und ließ es den Sklaven auf die gleiche Art üben. Phaeneas gab sich bei allem Mühe, was der Lehrer ihm aufgab, und war dabei sorgfältig wie immer. Schließlich verfuhren sie mit dem C genauso – zwischendrin durfte der Bithynier die Wachstafel immer wieder mit dem abgeplatteten Ende des Stilus glattstreichen, auch das musste schließlich gelernt werden – bis der Lehrer eine besonders kleine, handliche Tabula hervorzog und sie Phaeneas samt einem Stilus überreichte. „Übe die Buchstaben, die du heute gelernt hast, wie wir es während des Unterrichts getan haben. Und achte überall auf Geschriebenes! Immer wenn du Text siehst, und sei es nur irgendein Gekritzel auf einer Mauer, such nach den gelernten Buchstaben. Am besten ist es natürlich, wenn du dich an schönen Schriften orientierst“, fügte er dann noch hinzu. Phaeneas jedenfalls nickte und nahm die Tafel an sich.

  • Der Lehrer war überrascht, dass sein neuester Schülter die gelernten Buchstaben am nächsten Tag um ein deutliches Stück sicherer ziehen konnte und im Stande war sie aus jedem beliebigen Text ohne zu zögern herauszufinden, das sah Phaeneas ihm an. Dabei hatte er ja nur die ihm aufgetragenen Aufgaben erledigt, pflichtbewusst wie er eben alles tat, was ihm aufgegeben wurde.
    Wie viel Zeit er gestern mit den Übungen verbracht hatte wusste er nicht mehr so recht und wie oft er die Wachstafel wieder glatt gestrichen hatte dementsprechend auch nicht. Von den A, B und Cs auf Werbeanschriften, Ankündigungen und Inscriptiones, mit denen er sich als er in der Stadt gewesen war ständig beschäftigt hatte, ganz zu schweigen.


    Nach dieser Wiederholung erklärte der Lehrer ihm nacheinander die nächsten Buchstaben und ließ sie ihn jeweils wieder ausführlich üben.
    Dann lehnte sich der Magister ein wenig zurück und meinte: „So, und nun kommt das erste Diktat. Nimm die Wachstafel zur Hand und schreibe auf, was ich dir diktiere.“ Phaeneas tat, wie ihm geheißen, war allerdings von dem, was dann folgte, recht ernüchtert. Es waren nämlich nur kurze, recht zusammenhangslose Wörter, die er zu notieren hatte, etwa ‚ab‘*(1), ‚da‘*(2) oder ‚fac‘*(3). Na ja, sich das zu erklären war allerdings nicht schwer. Was anderes konnte er schließlich schon auch schreiben bei seinem Kenntnisstand? Es war ja quasi schon ein Erfolg, das es überhaupt Wörter gab, die sich mit diesen wenigen Buchstaben bilden ließen.


    „Und jetzt lies es noch einmal vor!“, wies der Lehrer ihn an. Oje, der bithynische Sklave bedachte ein weiteres Mal seinen bisherigen Kenntnisstand. Lesen – das war schließlich dieses mühelose, sichere Verwandeln von geschriebenen Worten in flüssigen Text, fast als wäre es spontan gesprochen. Die meisten, die vorlasen, - zumindest kam es Phaeneas so vor – schienen nach einmal hinsehen zu wissen, was dort stand, und konnten es dann zügig wiedergeben.
    Ihm aber, wenn er sich die Wachstafel in seinem Schoß so besah, erschloss sich das Geschriebene auch nach dem dritten Blick nicht so bereitwillig.
    Phaeneas betrachtete den ersten Buchstaben, sprach ihn laut, sobald er ihn erkannt hatte: „Aaa ....“ Den zweiten versuchte er gleich flüssig daranzubinden, es dauerte aber doch einen Moment, bis er wusste, welcher Buchstabe das war: „.... c ...“ Er wiederholte das recht einfach Wort noch einmal: „Ac“*(4). Darauf nickte der Magister nur und hieß ihn fortfahren.
    Müßig zu erwähnen, dass es genauso weiterging. Für jedes Wort musste sich Phaeneas die Bedeutung der Buchstaben einzeln zusammensuchen. Wenn er die Buchstaben dann heraushatte und sich mit ihrer Reihenfolge beschäftigt hatte, ergab das Wort an sich schließlich auch Sinn. Und dann ging es wieder von vorne los. Immer und immer wieder. Eigentlich stand nicht viel auf seiner Wachstafel, ein kleiner Absatz nur, aber jetzt kam es dem Bithynier endlos vor.


    Sim-Off:

    *(1) = von ... weg, nach
    (2) Imperativ von geben ... also gib!
    (3) auch ein Imperativ: Mach!
    (4) von atque = und nicht, aber nicht

  • Der Lehrer setzte sich gerade, als er seinem Schüler die übliche Frage zu Beginn des Unterrichts stellte: „Nun denn, Phaeneas, zeig mir einmal deine Hausaufgaben.“ Der Sklave reichte ihm darauf seine Wachstafel und gab sie zur Ansicht frei. Nachdem der Magister die ersten Blicke darauf geworfen hatte, wollte er gerade zu einem Kommentar ansetzen, da unterbrach er sich selbst mit dem irritierten Ausruf: „Was ist denn das?!“ Vor ihm, im unteren Teil der Wachstafel, befand sich ein krakeliges, ungelenk und unsauber geschriebenes etwas, das so einige Buchstaben hätte wiedergeben können. Phaeneas lief leicht blass an, was in diesem Fall ungefähr dem gleich kam, wenn andere verlegen rot wurden. „Ach das, da habe ich Cephalus etwas schreiben beigebracht – das hier ist einer seiner ersten Versuche.“ Der Bithynier registrierte das amüsierte Lächeln des Magisters. „Na, da werdet ihr wohl noch etwas mehr üben müssen.“ Damit wandte er sich wieder Phaeneas‘ Bemühungen zu. „Sehr schön“, meinte er. „Es macht insgesamt einen guten Eindruck. Das N ist noch nicht klar genug gezogen, das A in Zukunft auch noch ein wenig schöner. Und das O nicht ganz so rund, etwas ovaler, siehst du?“ Er malte ihm eines vor. „Ansonsten leserlich und die Zeilen gerade. Weiter so!“ Der Lehrer schien es längst gewöhnt zu sein, Phaeneas‘ musternden Blick auf sich gerichtet zu haben, der auf jedes Wort zu lauern schien. Gerade wenn er lobte. Dann war der Bithynier besonders misstrauisch, gegenüber dem Wahrheitsgehalt.


    „So, heute kommen ein paar der letzten Buchstaben. Q, R und S.“ Der Magister zeichnete auch diese vor. Inzwischen schrieb er die neu zu lernenden Buchstaben längst nicht mehr so groß wie anfangs. „Meinst du, du kommst mit allen drei zugleich zurecht, Phaeneas?“ Der nickte langsam. „Sic arbitror, magister. Ich denke ja.“ Darauf schob der Lehrer die Tabula zu ihm: „Dann fang an.“ Wie schon längst gewohnt nahm Phaeneas einen Stilus zur Hand und zog den vorgeschriebenen Buchstaben seines Lehrers nach, ritzte ihn in das weiche Wachs ein. „...Q...„ Dann den nächsten: „... R ...„ Ein herrlich rollender Laut! Als letztes schrieb er den dritten Buchstaben. Äh ... „Was war das noch gleich?“, erkundigte er sich. „Das ist das S“, gab der Magister bereitwillig Auskunft. „S“, wiederholte der bithynische Sklave gewissenhaft. So übte er eine Zeit lang weiter. „Q ... R ... S, Q ... R ... S ... Q, R, S ...“ Der Lehrer korrigierte zwischendurch, vor allem die Rundung des Q, die ihm schlicht zu rund war.


    Sobald er befunden hatte, dass Phaeneas die neuen Buchstaben genug eingeübt hatte, und ihn mit dem Schreiben aufzuhören geheißen hatte, stellte er fest: „Jetzt kannst du übrigens deinen Namen schreiben, Phaeneas.“
    „Wirklich?“ Der Bithynier sah ihn an, als hätte er ihm gerade verkündet, dass er nun ohne Probleme den Mond aus seiner Bahn werfen oder sein Leben im Nachhinein ändern könne. „Ja“, bestätigte der Lehrer. Phaeneas‘ Augen leuchteten auf. Dann griff er nach dem Stilus und der Wachstafel. „Mit P-H am Anfang“, merkte der Magister an. Noch einmal sah der Sklave ihn mit großen Augen an. Ihr Götter, was schrieb man seinen Namen umständlich! Auf jegliche neue Überraschungen gefasst brachte er zuerst P und H zu Papier, dann orientierte er sich daran, wie man ‚Phaeneas‘ sprach. Der Lehrer nickte von der Seite her: „Haargenau so.“
    Der Bithynier besah sich das Schriftbild seines Namens. Noch nie hatte er ihn in Buchstaben festgehalten gesehen oder zumindest nicht im Wissen darum. Es war für ihn ein bisschen, wie wenn man als kleines Kind seine Hand im Kies nachzeichnete oder sich in jenem Alter bewusst mit seinem Spiegelbild auseinandersetzte: die Entdeckung eines kleinen Stücks von sich selbst. ‚Das da bin ich, Phaeneas. Diese Buchstabenreihe bezeichnet mich, steht für mich. Genau das da vor mir auf der Wachstafel.‘ Das schwungvolle P gefiel ihm, genau wie das H dahinter. Der ganze Name hatte etwas gleichmäßiges, stimmiges. Das sich abwechselnde A-E E-A eingerahmt von P-H und S. Es hatte Anfang und Ende – eine runde Sache!


    Allmählich löste er sich vom Anblick seines Namens, ließ von den dadurch neu entstandenen Gedanken und Empfindungen ab und widmete sich wieder seinem Lehrer.
    „Da du dich beim Schreiben auf der Wachstafel bewährt hast, wirst du nun den Umgang mit etwas neuem lernen“, kündigte der an. Ohne sich in Worten noch weiter zu erklären, nahm er ein Stück von einem Papyrusbogen zur Hand und legte es vor den Sklaven. Dann reichte er ihm ein Schreibrohr. „Das hier müsste für deine Hand in etwa das richtige sein. Halt es mal, Phaeneas. So wie man einen Stilus hält.“ Nachdem der Schüler es in Empfang genommen hatte und tat, wie ihm geheißen, betrachtete der Lehrer das Ergebnis kritisch. „Ja, doch, das müsste hingehen“, meinte er schließlich. Dann holte er nacheinander einen kleinen Glasbehälter mit einer schwarzen Flüssigkeit, einen Schwamm, ein kleines Messer und noch etwas hervor, das Phaeneas zuerst nicht sehen konnte. Genau diesen Gegenstand zeigte ihm der Magister zuerst. „Einen Bimsstein benutzt man, um eine vom Schreiben stumpf gewordene Rohrfeder wieder spitz zu machen. Mit diesem Messer hier“ – er hob es hoch und legte es wieder zurück – „spaltet man danach die Spitze der Feder wieder. Frische Schreibfehler lassen sich mit Hilfe des Schwammes beseitigen. Nun denn.“ In sorgsamer Bewegung öffnete er das Tintenfass und machte eine einladende Geste. „Nimm Tinte auf und schreib, was ich dir diktiere: ‚Mens sana in corpore sano.‘*(1) .“ Obwohl Phaeneas das Rohr nur ein wenig eintauchte, verhinderte es trotzdem nicht, als er das Schreibgerät zum Papier zurückführte, dass ein Tintenkleks auf dem beigen Material landete. Der Lehrer hob dazu dezent missbilligend eine Augenbraue, meinte aber nur: „Na ja, hier kannst du gleich den Schwamm ausprobieren.“ Phaeneas nickte: „Gut.“ Er griff danach und wischte damit vorsichtig über den tiefschwarzen Fleck. Erleichtert betrachtete er, wie der Klecks verschwand. „Im Laufe der Zeit wirst du lernen, den Schwamm so zu benutzen, dass man hinterher nichts von seinem Gebrauch sieht“, erklärte der Lehrer dazu. Phaeneas nickte wieder und tauchte die Feder ein zweites Mal in die Tinte, diesmal noch sparsamer als vorher. „Wie war der Satz gleich?“ Geduldig wiederholte sich der Magister. Nun gut. Vorsichtig setzte der Bithynier auf dem dünnen Papyrus an und schrieb.
    Immer zufriedener stellte er seit einiger Zeit fest, dass er die Buchstaben immer schneller aneinanderreihen konnte. Zuerst hatte er für jeden einzelnen lange überlegen müssen, bis er ihm eingefallen war, ein Wort war für Phaeneas einer Ewigkeit gleichgekommen, von einem Satz ganz zu schweigen. Mit der Zeit hatte er gelernt jeden Laut mit einem oder mehreren Buchstaben zu verbinden, das war dann nur noch ein gedankliches Abhaken gewesen, das immer weniger Überlegung verlangte. Inzwischen funktionierte das mit dem Schreiben recht flüssig und stellte Phaeneas insgesamt doch relativ zufrieden.
    Es hatte mit dem Schreiben neben dem praktischen Nutzen noch eine andere, außergewöhnliche Bewandnis: Es war eine Bestätigung für Phaeneas‘ Bemühungen. Er, der als Sklave aufgewachsen und von früh auf mit den verschiedensten Aufgaben und den damit verbundenen Ansprüchen an ihn vertraut war, sah nichts besonderes daran, wenn er eine dieser Sklavenarbeiten erledigte, und betrachtete es als ganz selbstverständlich zu wissen, wie es funktionierte, und sich dabei zu bemühen es möglichst gut zu machen, (und konnte es am Rande erwähnt oft nicht verstehen, wenn jemand nicht so selbstverständlich damit klar kam). Das Lesen und Schreiben dagegen lernte er nun vom Nullpunkt an, ohne jegliches Vorwissen. Zu sehen, dass die Hingabe, die er in diese Sache investierte, sichtlich Fortschritte mit sich brachte, seine Leistungen so vor Augen geführt zu bekommen, es hatte eine ungewohnt bestärkende Wirkung auf Phaeneas. Denn es zeigte ihm, dass seine Bemühungen nicht sinnlos waren, und wurden hier auf angenehme Weise honoriert.


    „Mens sana in corpore sano“, las der Lehrer noch einmal vor. „Genau. Und nun weiter mit ‚Bona bonis.‘*(2) ...“


    Sim-Off:

    *(1) Der Vollständigkeit halber: Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper.
    (2) Das Gute den Guten.

  • „Und Phaeneas, wie ist es dir dabei ergangen, Wörter mit X, Y und Z zu finden?“
    „Ach, es ging schon“, meinte der. „Na ja, bei der Schreibung bin ich mir teilweise nicht sehr sicher.“
    Der Lehrer nickte. „Dann lass es mich einmal sehen. Die Fehler werden wir schon finden.
    Hm-hm-hm.“
    Ein Wort nach dem anderen vorlesend ging er durch die Auflistung: „Hypocaustum, apodyterium ... Den guten Tiribazos hier ohne H“, fügte er an. „Xystus – sehr gut. Dieses Wort vereint gleich beide verlangen Buchstaben in sich. Hymnus, typus ... Aber den Thymian hier schon mit einem H. Typus nicht, thymum schon und Tiribazos nicht.“ Phaeneas seufzte. Wie sollte man sich das auch merken können? „Bithynia ... Mit H bitte sehr.“ Und gleichzeitig sah man die Verwunderung an: „Wie kommst du denn gerade da drauf? Hätte es Aegyptus nicht auch getan?“ Etwas nachdenklich murmelnd, mehr für sich, fügte er noch an: „Und da wäre auch kein H, das ...“ Den Rest verkniff er sich.
    „Aus diesem Land stamme ich“, stellte Phaeneas – nicht ohne Stolz – fest.

  • Nun war es soweit, endlich hatte ich Zeit gefunden und ich konnte einer Unterrichtsstunde beiwohnen, oder zumindest einem Teil davon.


    Etwas verspätet tauchte ich auf und öffnete die Tür....


    "Salvete, die Herren, ich hoffe, ich störe nicht..." grinste ich und schloss die Türe wieder hinter mir.

  • Der Magister sah seinen Schüler nachdenklich unter seinen dichten weißen Augenbrauen hindurch an. „Ach so.“


    In diesem Moment ging die Türe auf – und Lucianus kam herein, wie ja angekündigt, und sagte dabei noch etwas, das Phaeneas ein weiteres Mal verblüffte:
    „Salvete, die Herren.“ In so eine Bezeichnung war Phaeneas wahrlich noch nie miteinbezogen worden. So brachte Lucianus ihn immer wieder zum Lachen – indem er ihn auf angenehme Weise überraschte.
    Ein spontanes Grinsen war Phaeneas‘ Antwort (wie es der Lehrer in der Zeit, die er mit dem Sklaven verbracht hatte, wohl noch nie gesehen hatte. Und genau der ergriff jetzt weiter das Wort: )
    „Aber nein, aber nein, Vinicius, setzt dich doch. Wir waren gerade dabei uns die letzte Hausaufgabe anzuschauen. Dabei ging es für Phaeneas darum, möglichst viele Wörter zu finden, in denen X, Y und Z vorkommen.“ Er reichte Lucianus die Wachstafel. In Schönschrift waren dort besagte Wörter in geraden Zeilen aneinander gereiht – inzwischen natürlich teilweise verbessert:



    hypocaustum, apodyterium, T[strike]h[/strike]iribazos, xystus, hymnus, typus, thymum, Bithynia, peristylium, hystericus*(1), zona*(2), t[strike]h[/strike]yrannicus*(3)


    .....


    Der Magister behandelte noch die restlichen Wörter, dann meinte er: „Weißt du was, Phaeneas, du schreibst einfach die Wörter mit oder ohne H, die du verwechselt hast, noch einmal, dadurch prägst du sie dir besser ein. Tja, und nun folgt ein Diktat – auf Papyrus.“ Mit einem Nicken richtete der Bithynier sich die Schreibutensilien her, prüfte die Feder und meinte schließlich: „Ich bin bereit, Magister.“
    Langsam sprach der Lehrer den Satz vor: „Nihil durare potest tempore perpetuo, cum bene sol nituit.*(3) Nun schreib.“
    Und Phaeneas notierte, wieder in ordentlicher Schrift, zügig. Erneut wurde Lucianus das Schriftstück vorgelegt.


    Sim-Off:

    *(1) Nicht schwer zu erraten: hysterisch
    (2) Gürtel, Zone, Landstrich
    (3) tyrannisch
    (4) Etwa: Nichts kann über längere Zeit hinweg bestehen, wenn die Sonne gut scheint. -> Pflanzen
    Einer der besten lat. Sätze, die ich kenne! :D

  • Ich nahm die Wachstfael entgegen und las..... war erstaunt, wie weit sie schon gekommen waren und quittierte mit einem anerkennenden Kopfnicken.....


    Dann lauschte ich den weiteren Angaben des Lehrers und als dieser dann geendet hatte sagte ich "Scheint ja so, als ob Phaeneas bald meine Briefe wird schreiben können!?"

  • „Das würde ich auch so sehen. Meine Unterrichtseinheiten hat er sich gut verinnerlicht - Phaeneas ist ein fleißiger Schüler, der immer bei der Sache ist, noch über die aufgegebenen Aufgaben hinaus übt, sich konzentriert mit dem beschäftigt, was man ihm zeigt ...“ Er seufzte. „... ein wahrer Segen, wenn ich da an so manche meiner jüngeren Schüler denke ... Alles andere ist interessanter als der Unterricht ...“ Er besann sich wieder auf das ursprüngliche Thema: „Jedenfalls bin ich sehr zufrieden mit Phaeneas‘ Leistungen. Wenn er so weitermachen wird wie bisher, wird er weiterhin schnell Fortschritte machen und ein guter Schreiber und dir eine nützliche Hilfe sein.“
    Ein seltsames Gefühl stieg in Phaeneas auf. Das Lob des Lehrers klang seltsam in seinen Ohren. Denn es stimmte nicht mit dem überein, wie Phaeneas selbst sich sah. Er lernte nicht aus Begeisterung oder weil er schon immer davon geträumt hatte, lesen und schreiben zu können. Genauso wie ihm jeder Ehrgeiz fremd war oder vielleicht auch nur annähernd der Wunsch Lucianus zu beweisen, dass sich die Investition in ihn lohnte.
    Er übte und gab sich Mühe, weil er gelernt hatte alles, was er tat, sorgfältig zu erledigen.
    Wäre er weiterhin des Lesens und Schreibens unkundig geblieben, er hätte auch nicht das Gefühl gehabt, dass ihm etwas fehlen könnte. Er hätte schlicht so weitergemacht wie bisher, ohne daran etwas bedauernswertes zu finden.


    „Aber um diese Fortschritte zu gewährleisten, muss er nachwievor an seinen erworbenen Fähigkeiten arbeiten. Schreiben ist natürlich sehr wichtig, aber auch Lesen, viel Lesen, nur so kann man sich Rechtschreibung wirklich gut einprägen.“
    Phaeneas löste sich aus seiner durch seine Grübelei hervorgerufenen Starre. „Ja, apropos lesen“, wandte er sich an Lucianus. „Kann ich die städtische Bibliothek benutzen?“

  • "Das freut mich zu hören...." kommentierte ich meinen freudigen Gesichtsausdruck, um dann auf die Frage zu antworten ".... ja, natürlich, aber auch meine private Bibliothek soll ihm zur Verfügung stehen!"

  • Sim-Off:

    Spricht Lucianus nicht mehr mit Phaeneas? :P


    „Sehr gut.“ Phaeneas nickte. „Dann werd ich beides demnächst mal aufsuchen.“
    Damit meldete sich wieder der Lehrer zu Wort: „So, letzte Stunde haben wir mit der ‚Naturalis historia‘ von Plinius Secundus maior angefangen. Daraus wirst du uns zuletzt noch eine Stelle vorlesen, Phaeneas.“


    Der Angesprochene seufzte bei diesem Stichwort, nahm aber die Papyrusrolle entgegen und suchte die Stelle, an der sie am Tag zuvor aufgehört hatten. Das mit dem Lesen war bei ihm so eine Sache, die noch nicht so recht wie Phaeneas wollte ...
    Sobald er gefunden hatte, wo es weiterging, begann er langsam und bedächtig zu lesen, sichtlich darum bemüht es nicht zu abgehackt klingen zu lassen. Das bedingte anfangs erstmal eine lange Pause: „ ....... Dass die Gestalt der Welt zu einer ... vollkommenen Kugel gerundet ist, lehrt ... vor allem ihre Bezeichnung und ... die Über-einstimmung ... der Men-schen in dieser Bezeichnung, indem sie sie Welt-kugel* ... nennen, zum anderen auch ... sach-liche ... Bewei-se:
    Nicht nur ... weil diese Form sich in ... allen ... seinen Teil-en zu sich selbst ... hin-neigt, von ... sich selbst ge-tra-gen werden muss und ... sich ... um-schließt und um-fasst, ohne ... irgendeine ... Be-fest-igung zu brau-chen, ohne ein Ende oder ... einen An-fang in ... irgendeinem Teil seiner selbst zu em-pfinden,
    und nicht nur, .... weil es für die Bewegung, ... in der es sich - ... wie sich sogleich zeigen wird - ... in der Höhe ... dreht, in dieser Ge-stalt ... am geeig-nets-ten ist,
    sondern es zeigt sich auch ... in der Be-stä-tigung durch den An-blick, ... da es ... als ausge-wölbt und ... in der Mitte befindlich ... an jeder Stelle gesehen wird, was bei einer anderen Ge-stalt nicht gesche-hen könnte.“


    Sim-Off:

    *orbis

  • Sim-Off:

    oh, hatte ich wohl falsch gelesen


    Ich hörte dem Vortrag zu und war durchaus überrascht, wie gut es schon ging...... anscheinend hatte ich dann doch bald einen persönlichen Schreiber.... ob ich ihn denn dann auch noch brauchen würde, war wohl nun eher die Frage....


    "Sehr gut, Phaeneas.... scheint ja schnell voran zu gehen.... nur weiter so!"

  • Niemandes Stimme glaubte er mehr, auf niemandes Worte gab er mehr. Was Lucianus sagte, hatte in Phaeneas‘ Ohren einen ganz anderen Stellenwert. Und es gefiehl ihm, wie er immer hinter ihm stand, ihn unterstützte.


    Aber in diesem Fall ging es nicht um Phaeneas an sich, sondern um seine Leistungen was das Lesen anbelangte. Und da wusste der Bithynier ganz genau, was er selbst davon hielt.
    Zweifelnd sah Phaeneas Lucianus deshalb an.


    „Na ja ... Besser als vor einiger Zeit, aber mich überzeugt es noch nicht sonderlich ... Um als wirkliches Lesen zu gelten klingt es in meinen Ohren jedenfalls noch schlicht zu holprig.“

  • Lucianus sagte ihm einfach, wie er das Holprige vermindern konnte. Sprach ganz selbstverständlich davon, dass es besser werden würde.
    Besser. Ein so vielfältig gebrauchtes Wort. Welche Bedeutung hatte es in seinem, Phaeneas‘, Leben? Ein gedachtes Schulterzucken war die Antwort.
    Optimistisch klang Lucianus‘ Antwort in den Ohren des Sklaven.


    Phaeneas schüttelte den Kopf. „Ums Schreiben brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Das funktioniert sogar direkt.
    Na ja, aber wie mein Lehrer mich schon die ganze Zeit zu überzeugen versucht: Mit der Zeit kommt es automatisch. Er wird schon damit recht haben.“
    Ein schiefes Lächeln begleitete den Satz.
    „Das will ich meinen!“, nickte der Magister heftig und schmunzelte dabei ebenfalls.

  • "Ausserdem wirst du in Rom noch mehr als genug Gelegenheit bekommen deine Nase in diverse Bücher zu stecken. Im Haus der Vinicier gibt es nicht nur hervorragenden Wein, nein sondern auch eine umfangreiche Bibliothek!"

  • „Jetzt musst du dich nur noch als freiwilliges Opfer bereiterklären, dir immer wieder vorlesen zu lassen!“, grinste Phaeneas. Die Sache an sich, seine Lesefähigkeiten, war in diesem Moment für ihn unwichtig geworden, jetzt zählte nur der Witz.

  • Phaeneas‘ Augen leuchteten auf. „Wirklich?“, fragte er, nicht um zu fragen, sondern als Freudensbekundung. Um der Glückseligkeit Ausdruck zu geben, die sich in ihm breit machte.
    Lucianus stellte ihm gerade in Aussicht, zusätzlich noch Zeit mit ihm zu verbringen. Keinen Augenblick in Lucianus‘ Gegenwart fand Phaeneas verschwendet. Schließlich war sein Herr ja auch der einzige, dessen Gegenwart der Bithynier überhaupt als wirkliche Gesellschaft anerkannte. Er genoss nachwievor jede Sekunde mit Lucianus.


    „Klasse übrigens, dass du heute gekommen bist!“, fuhr Phaeneas fort.


    Leicht irritiert verfolgte der Lehrer den Dialog zwischen den beiden. Den zweifelnden Phaeneas hatte er ja schon kennengelernt, in verschiedensten Unterrichtsstunden hatte er ihn davon überzeugen müssen, dass die sich nur langsam einstellenden Lernerfolge völlig normal waren und es dementsprechend weitaus weniger schlimm stand, als der Thraker zu vermuten geneigt war. Aber so unbeschwert plaudernd hatte er ihn noch nie erlebt.

  • Ich nickte nur.... Phaeneas hatte sichltich Freude daran, zu Lernen und er sollte noch viel mehr Möglichkeit dazu bekommen....


    "Nun ist es aber an der Zeit für mich, viele wichtige Dinge sind noch zu klären..... macht weiter so!"

  • „Ah ja, klar ... natürlich.“ Phaeneas nickte leicht. Es war immer wieder das gleiche Muster, wie er feststellte, immer wieder „entließ“ er Lucianus an die Arbeit, egal ob jeden Morgen oder jetzt. Gleichzeitig überlegte er, ob sein Herr ihm gerade vorhin einen Grund gegeben hatte – wenn man mal vom Wetter absah – sich auf Rom zu freuen. Dann erinnerte er sich selbst wieder daran, wie sehr sich seine jetzige Situation von früheren Zeiten, die er erlebt hatte, unterschied und wie viel er jetzt hatte, wovon so manches für sich allein schon unglaublich gewesen wäre – beispielsweise die Ruhe und den Frieden, den er jetzt genoss, - und vor allem die Gegenwart von jemandem, der ihn nicht nur als zwingende Nebenerscheinung zu etwas anderem duldete. Und unter diesem Gesichtspunkt gesehen fände er es – nein, nicht vermessen, daran dachte er gar nicht – lachhaft auf irgendetwas in doch ferner Zukunft zu sehen, wenn doch die momentane Situation schon so fantastisch war.
    „Wir sehen uns ja“, fügte er hinzu ...vielleicht auch mehr für sich selbst. Jedenfalls schob es die etwas nachdenklichen Gedanken fort, von denen er so, wie sie in diesem konkreten Fall auftraten, nicht wusste, was er mit ihnen anfangen sollte.

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