Ode an die Venus - Oder: der Aushilfs- Alexandriner

  • Es war dunkel draußen, und nur das intensive Schnarchen drang zu ihm vor. Es kam von Katander, wie immer, doch das war nicht der Grund, warum Firas in dieser Nacht nicht schlafen konnte. Aber nicht nur in dieser Nacht war das der Fall. Seit Ophelia nicht mehr da war, liefen die Dinge einfach anders, um nicht zu sagen an manchen Stellen gar nicht mehr.
    Vorsichtig erhob er sich, um nicht aus versehen jemanden aus dem Schlaf zu wecken, doch eigentlich brauchte er das nicht zu fürchten, denn wenn die Belegschaft der Wohnung schon einmal in den Fängen ihrer Träume lag, dann wäre es selbst für feindliche Legionen schwer gewesen, sie durch gemeinschaftliche Fanarenstöße aus dem Bett zu treiben. Bei ihm selber lag der Fall normalerweise nicht anders, doch in den letzten Tagen hatte fürchterlich gelitten. Unter andem auch an Schlaflosigkeit.
    Zwar würde er sich das niemals eingestehen, doch wenn er es schon mit sich selbst nicht tat, dann wäre es vielleicht keine schlechte Idee, die eigene innere missliche Stimmungslage jemandem anzuvertrauen, der sich unbedingt mit solchen Fällen auskannte.


    Firas glaubte nicht an Götter und auch in jenem Moment schaute er skeptisch in den schwarzen Nachthimmel, nachdem er auf den Balkon getreten war. Gab es all die Götter wirklich? An manchen Tagen hatte er nicht daran glauben können und auch jetzt war es fast wieder so weit. Nicolaos, der alte Grieche, der so treu die Weinvorräte seines alten Herrn Gaius verwaltet hatte, hatte sicher recht wenn er sagte, dass alle Götter ihre tiefe Freude daran hatten, alles zu erschaffen, nur um es dann sich selbst zu überlassen. Es gab sogar jemanden, der behauptet hatte, die Götter wären in winzig kleinen luftleeren Räumen eingesperrt, die irgendwo unsichtbar in dieser Welt schwebten und das es fürchterlich egal wäre, was die Menschen in ihr trieben. Damals hatte er das nicht verstanden und auch jetzt ließ ihn der Gedanke das Gesicht verziehen. Er dachte lieber an Ophelia und an das letzte Mal, an dem sie sich gesehen hatten.
    Die Welt war nicht gerecht. Ob mit oder ohne Götter, es war einfach nicht fair! Im jüdischen Viertel, in dem sie gewohnt hatten, glaubten die Menschen nur an einen Gott. Das machte es vielleicht ein wenig unkomplizierter, doch auch nur auf den ersten Blick.


    Firas seufzte den Mond an und schaute dann über seine Schulter zurück. Gut, dass er es versäumt hatte aufzuräumen. Genauso wie Katander. Als der Herr Archias vorhin zurück gekommen war, hatte er auch nicht mehr auf den Balkon geschaut. Ein Grund dankbar zu sein, denn so stand die Karaffe mit dem Wein noch an Ort und Stelle. Eigentlich war es nicht sein Art, doch er war so einsam, dass es eh nicht mehr darauf ankam, was er noch tat und unterließ. Sein Gemüt war dumpf und die Nacht war dunkel. Er war allein und das war ein perfekter Moment, um sich in den Sessel sinken lassen zu können. Besser nicht!


    Unentschlossen trat er an die Brüstung des Balkons und nahm den Blick nicht von den Sternen im Himmel, wobei er die Karaffe in der Hand wog. Er zuckte mit den Schultern, ehe er ansetzte und sich einen tiefen Schluck gönnte. Außer ihm und dem schwarzen Nichts war ja eh niemand da. Er fragte sich, wo Ophelia wohl war und ob es ihr gut ging, ehe er noch einmal trank und dann noch einmal. Vielleicht hatten alle recht mit den Göttern und deshalb Glück, weil sie wirklich an sie glaubten und nicht wie er alles darauf ankommen ließen. Selbst Gaius hatte in seinem Leben der Götter gedacht, vor allem wenn er bei Wagenrennen gewettet hatte, oder nachdem er einen reichen Kunden übervorteilt hatte, der ihm Flüche und Rachegelüste so laut über die Mauer brüllte, dass selbst ihren Nachbarn noch Angst und Bange wurden, obwohl diese selber gar keine Pferde verkauften und mit Gaius weder verwandt noch verschwägert waren.


    Vielleicht sollte er es auch einmal versuchen. “Venus?“, flüsterte er in den Himmel. Zwar kannte er sich im römischen Pantheon aus, und auch in dem ägyptischen, so ziemlich in allen Dingen, was recht leicht war, wenn man wie er aufwachsen musste, doch so wirklich wusste er nicht, an wen er sich wenden konnte. Im Grunde war er ja auch ein Niemand und es würde ihn schwer wundern, wenn auch nur ein einziger dieser Götter ihn kennen würde.
    Firas räüsperte sich und leerte den Rest des Weines, indem er ihn einfach hinunter stürzte. Er war schwer und süß und der Weg den er nahm ließ sich recht gut in seinem Inneren nachverfolgen. Hitze stieg in seinen Kopf und seine Wangen glühten.


    Mit dem Handrücken wischte er sich den Mund und ab und setzte die Karaffe auf die Brüstung. Noch einmal musste er sich Räuspern, denn ein wenig unpassend erschien es ihm doch, dass er sich ausgerechnet wegen einer Frau an einen der Götter wandte, oder eben an Venus, so wie er es vor hatte. Es erschien ihm am Sinnvollsten. Wie man sich an einen Gott wandte wusste er nicht so recht. Es gab viele Arten, genauso viele wie es Götter gab. Er schwankte ein wenig, körperlich, wie auch in seiner Überzeugung das Richtige zu tun. Aber was sollte es schon. Versuch blieb Versuch und es bekam ja auch keiner mit. Ein schneller Schulterblick überzeugte ihn davon. Tief sog er Luft ein, ehe er leise begann.



    Du Göttin Venus lausch', lausch' Firas' zartem Liede!
    Denn ob der schrägen Stimm'; ich sonst das Singen miede.
    Wie sonderbar -er weiß - denn oft mag's nicht erklingen.
    Mit schiefem Klang bewusst, ein Ohr ich will erzwingen.


    Die bittren traurig Lieder, ertönen in den Nächten!
    Oh Göttin Venus feine; lausche geneigt dem Krächzen.
    Der Sehnsucht Rausch verzaget, mir grausig das Gemüte,
    Und denke nur nicht du; es läg' am Mischgeblüte!


    Sicher würde es die Göttin verärgern, wenn er lange um den eigentlichen Gegenstand der Anrufung herum reden würde. Aber er war ja auch nur ein Sklave, der eh von nichts etwas wusste. Einerseits ein Grund des Ärgernisses für ihn, auf der anderen Seite aber auch eine gute Ausrede für alles!


    Ihr süßen Träume mein; gar schändlich mir entführet,
    aus meiner Sichtung fort, und dennoch an mir rühret
    noch immer ihre Stimm'; vernommen mit Entzücken,
    Du Göttin, weiß und rein, was bleibet sind nur Lücken!


    Sie würde schon wissen wer gemeint war. Firas rollte mit den Augen und etwas in seinem Magen sagte ihm, dass der ungewohnte Wein nun zur Gänze seine Wirkung entfaltete. Es war erleichternd und brachte seinen Geist auf eine ganz neue Bahn!


    Wie der der Sabiner' Raub, ein Zug in Bergeshügel!
    Bleibe ich hier nun allein; und selber alles bügel.
    Trau niemals Mann, der Frau, gewonnen wie zeronnen,
    auch Sabinens Berge leer, guckt' trüb nur drauf die Sonnen!


    Irgendwer musste ja immer verlieren. Das war schon immer so! Er wurde mutiger.


    Wär Alexander ich, dann würde ich mich rächen,
    doch ach, ich bin es nicht; ich habe ja nur Schwächen!
    Ein Hannibal mit Tross? Gehört' ich zu den Helden!
    Trüg' Helm und Schilde gar; ich hätte was zu melden.


    Firas schmatzte vernehmlich und hielt einen Moment inne. Seiner Meinung nach klang er schon etwas lallig. Einige Schlieren traten vor seine Augen. Das wusste Venus sicherlich auch und Götter sollte man nicht mit alten Geschichten langweilen, oder irgendwelchen Fantastereien. Wider schnappte er nach Luft.


    Oh liebe Venus fein, warum ich's an dich richte?
    Das Schwärmen ist es gar, wieso ich hier nun dichte!
    Erbarm' dich mir Holde, auch ohne Tatensinn,
    den all' die großen Helden, sind heute auch schon hin.


    Im Siege sie verloren, und nach der großen Schlacht,
    alle fiel'n von oben, tief in die dunkle Nacht.
    Auch in Nacht und Nebel, hier steh' an Brüstungs Rund,
    ich singe und ich sehn', mir hier die Seele wund!


    Oh, die hohen Imperoren, sie alle wähnten gar,
    dass vor des Ruhmes Pforte, auch mal die Liebe war.
    „Fama crescit eundo“, sagt „devide et impera“
    Am End' ist alles gleich', mit menschlich' natura.


    Mag' teilen alle Macht, auch dieses, jenes, das...
    was einmal du verloren, macht dich mit Tränen nass.
    Drum' traue keiner Seel', du nur dir selber gern,
    Ob hoch, ob tief, verlass' dich nicht, halt alle Liebe fern!


    Liebe war eine schlimme Sache, das konnte er wohl im Brustton der Überzeugung sagen, besonders vor diesem Spiegel, den sein weinseliger Geist ihm nun in den buntesten Farben bemalte. Liebe! Schändlich! Man fühlte sich schlapp und krank, wenn sie sie nicht mehr akut ausgelebt werden konnte. Aber was hieß in seinem Fall schon akut? Nikolaos nannte das mal „platonisch“, aber schmerzen tat es trotzdem. Firas fühlte schon das schwelende Staccato, das ihm entweichen wollte und es ganz gegen seinen Willen auch tat.


    O tempora, o mores! In medias tief res!
    Und auch in vino veritas! Viel klarer dann ich seh's!
    In statu nascendi und auch im status quo
    Fleh' ich dich an, du Göttin mein, völlig in extenso!


    Vielleicht zu viel und er sollte es etwas revidieren! Er klammerte sich an die Brüstung. Weiter weg kreischte eine Katze und irgendwo raschelte es.


    Bin Firas nur, der Arme, der schrecklich was vermisst,
    misset Frau und Freude, und dafür zu viel isst.
    Göttin du der Liebe, bringt schnell die Frau mir wieder,
    versprech' dir auch, ganz heilig gar, leg' dir ein Opfer nieder!



    Das meinte er Ernst. Opfer gegen Frau! Firas lachte keuchend und kam sich vor wie ein...zumindest wie ein Mann, der sich unter normalen Umständen nun eine Blöße gegeben hätte. Aber was sollte es schon. Es hat ja niemand gehört. Vorsichtig spähte er über das Geländer. Nein, es war ruhig. Vom Gebell einiger Hunde abgesehen und natürlich fernem Poltern, das er nicht wirklich deuten konnte. Prüfend hob er noch einmal den Blick in den Himmel. Alle Sterne waren noch da. Sie kreisten nur ein bisschen. Bestimmt hatte die Adressatin auch nichts mitbekommen. Firas war sich fast sicher und seufzte schwer, während er gen Tür schlingerte. Nun würde er sicher schlafen können!

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