Die Geschichte Alexandrias

  • Nach der von ihm veranschlagten Pause, die er zu einem Gespräch mit den beiden eifrigen Schülerinnen genutzt hatte, fand sich der Gymnasiarchos mit einiger Verspätung wieder am alten Platz in der Säulenhalle ein.


    "Ich hoffe, ihr habt eure Pause gut genutzt.


    Wir fahren also fort mit der Geschichte Alexandrias im Besonderen. Um die Geschichte Alexandrias zu verstehen, muss man sich mit dem großen Alexander befassen, der heros unserer Polis ist.", begann er sogleich.

  • Nike war gemeinsam mit Nikolaos und Emi zurück gekommen und setzte sich wieder auf ihren alten Platz. Aufmerksam verfolgte sie die Ausführungen des Lehrers und ließ nur kurzzeitig ihren Blick über die Jünglinge streifen, in der Hoffnung, dass diese zum neuen Thema mehr beizutragen hatten, als in der ersten Unterrichtsstunde.

  • Ich saß schon, als der Lehrer, zusammen mit Emilía und Berenike, die Säulenhalle betrat und war gespannt auf das Thema, welches sich uns nun offenbaren sollte.
    "Hoffentlich was Interessantes." hörte ich einen der Jungen einem anderen zuflüstern. Sie saßen sehr nah bei mir, deshalb konnte ich auch hören, was der Junge vorhatte, zu tun, sollte es ihn langweilen.
    Beteiligen wollte ich mich an dem Gespräch allerdings nicht. Aus Alexandria auswandern. dachte ich, amüsiert und fragte mich, ob der Junge wirklich ernst meinte, was er da sagte.


    Innerlich grinsend wandte ich meine Aufmerksamkeit dem gymnasiarchos zu.

  • Uuuuh, die Geschichte von Alexander, dem Großen! Emi grinste voller Vorfreude und machte es sich neben Pasiphaë gemütlich, etwas abgerutscht von ihrer Schwester, der sie immer noch etwas böse war. Sollten sie erstmal wieder aus dem Gymnasion raus sein, würde sie ihr noch mal ihre Meinung sagen. Doch fürs erste war ihre Aufmerksamkeit gefesselt nach vorne gerichtet, sie mochte die Geschichten über Alexander und konnte es kaum erwarten, dass Nikolaos loslegen würde.

  • "Ich werde nicht viel erzählen, nur das nötigste, damit wir rasch zur Geschichte dieser Stadt kommen können.


    "Alexander der Große wurde vor über vier Jahrhunderten in Makedonien geboren. Sein Vater war Philipp der Zweite, der als König Makedonien bereits eine gewisse Größe und Macht gegeben hatte, im übrigen aber wenig lobenswertes* an sich hatte. Des Königs Machtbegierde erstreckte sich auch auf die freien Poleis Hellas, so auch auf das große Athen, das er mit räuberischer Erpressung seinem Reich einzuverleiben versuchte. Die Reden des berühmten Demosthenes zeugen von den verzweifelten Versuchen der Attiker, dem lüsternen Streben Philipp des Zweiten von Makedonien Einhalt zu gebieten. Der Bund der freien Poleis unterlag dem Heer der Makedonen. Doch auch im eigenen Land achtete er die hergebrachte Ordnung wenig, erregte so den Unmut der Vornehmen Makedoniens und starb, wie Tyrannen oft zu sterben pflegen*². Wenig kann man ihm zugute halten, darunter, dass er – auch wenn sein Ziel das der Befriedigung seiner Machtgier war- mit Schaffung des Korinthischen Bundes, in den er viele Poleis zwang- die Knechtschaft durch die Perser vorerst abwehrte.


    Alexanders Mutter war die Königstochter Olympia von Epiros. Sein Lehrer war der berühmte Aristoteles. Olympia misstraute der Zweitfrau ihres Mannes, und so ist zu vermuten, dass die Edlen Makedoniens ihre Unterstützung nicht vermissen ließen. Aristoteles erzog den jungen Alexander und unterstützte ihn darin, sich das große Wissen und die feine Bildung der Bewohner Hellas anzueignen, die den Makedonen zur damaligen Zeit, als sie noch ein städtebewohnendes Reitervolk waren, abging*³.


    Alexander war – zwar kein Philosoph- doch an den guten Wissenschaften durchaus nicht uninteressiert. Jedoch leistete er zu Pferde – man denke an die Zähmung des Bukephalos, die er angeblich als Zwölfjähriger erreicht hatte- und auf dem Schlachtfeld mehr als im Garten der Künste. Als achtzehnjähriger Jüngling wandte er in der Schlacht bei Charoneia das Schicksal auf die Seite der Makedonen. Zwei Jahre später war der räuberische Vater tot und Alexanders Halbbrüder und viele Abkömmlinge edler Geschlechter mit Erwartungen an den Thron ebenso – Alexander hingegen war König Makedoniens und Hegemon des Korinthischen Bundes, und mit den Truppen der Bundesgenossen zog er gegen die Perser und deren lüsternen und grausamen König Darius den Dritten, der selbst den Persern ein widerlicher Herrscher war, den sie hassten und den sie vieles mehr entgegenbrachten als Treue. Der Jüngling drängte die Perser zurück, befreite die Poleis Kleinasiens von der Knechtschaft, konnte dank der Gunst der Götter Sieg um Sieg erringen.


    Der bedeutendste dieser Siege war der in der Schlacht in der Ebene Issos. Darius floh und ließ – feige wie er war- sein Frau, seine Mutter, seine Töchter in die Hände der Sieger fallen – die jedoch schonten die Frauen und taten ihnen keine Gewalt an. Alexander zog nun in Richtung der Kyrenaika und eroberte auf dem Weg Syrien und die Stadt Tyros, während ihm andere Städte freundlich empfingen und das Volk der Ägypter ihn zu seinem Herrscher wählte, er dem Amun in Siwa opferte und zum Sohn des Gottes von der Priesterschaft auserkoren wurde und er schließlich Alexandreia gründete, eine von mindestens zwölf Städten mit diesem Namen, einer Weissagung des Amuns folgend, wie man sich erzählt. Dann zog er in das Kernland Persiens, wo sich Darius versteckte. Alexander blieb unbesiegt – unbesiegbar war er. Denn – so sagt man sich- die Götter hatten ihn zum Liebling auserkoren.


    Nun hatte Alexander große Teile Persiens in seine Gewalt gebracht – und er begann weise zu herrschen. Aber sein Ehrgeiz trieb ihn an und ließ ihm keine Ruhe. Niemand weiß, ob es göttliche Fügung war oder gar Wahnsinn. Alexander wollte weiter in den Osten ziehen – aber seine Strategen stritten mit ihm. Jeder, der seinen Plänen im Wege stand, starb rasch und bald. Die Soldaten der Bundesgenossen schickte er heim, bald auch die makedonischen Truppen.
    Sollte er die Züge seines frevelhaften Vaters angenommen haben? Sein Freund, der ihm das Leben gerettet hatte, der treue Klitos, fand den Tod; ebenso Kallisthenes, dem wir die Aufzeichnungen über die Feldzüge verdanken. So auch jeder, der ihm den Kniefall verweigerte. Dennoch hielten einige Heerführer trotz allem und unter allen Widrigkeiten zu Alexander: Seleukos, dessen Vater schon dem Vater Alexanders als Stratege gedient hatte, Lysimachos ein makedonischer Adeliger, Neoptolemos, ein Gefährte Alexanders, Leonnatos aus dem Geschlecht der Lynkesten, ein verdienter Kommandeur, Peithon, Offizier der Leibgarde Alexanders, Antipatros, Reichsverweser von Makedonien, Asandros, Nikanor, beides Offiziere Alexanders, Peukastes, Leibwächter und späterer Statthalter der Satrapie von Persepolis, Oxyartes, König von Baktrien, Stiefvater und Gefolgsmann Alexanders, und, nach vielen mehr, die ich auslassen werde, Ptolomaios, der im Verlauf der Geschichte wichtig für die Alexandreia werden sollte. Dabei ist jedoch in einzelnen Fällen vielleicht weniger Treue der Grund für die Treue selbst.


    Er herrschte, davon abgesehen, mit Bedacht über sein Reich. Auf dem Weg zu einem Feldzug in das Land jenseits Syriens und auf der anderen Seite des roten Meeres holten die Götter ihn zu sich.


    Alexander ist ein großer Mann, der seinem Vorbild, dem großen Helden Achilles wohl gleichkommt, daran ist kein Zweifel, auch wenn er Züge an sich trägt, die durchaus zweifelhaft sind und auch wenn er die freien Poleis zwar rettete doch damit gleichsam in eine - wennauch meist milde- Knechtschaft führte. "


    "Habt ihr Fragen soweit?"



    Sim-Off:

    * Die üble Meinung über Philipp II. war insbesondere bei den Athenern weit verbreitet.


    *² Das Staatsideal, dass Nikolaos von haus aus anerzogen worden ist, besteht wohl in einer Art Adelsrepublik wie in Athen vor den Tyrannen und vor Perikles, die viele "demokratische" Reformen einleiteten ;).


    *³ In der Tat war auch die Ansicht, die Makedonen seien Barbaren, vor Alexander bei den "Griechen" verbreitet.



    Wird bald fortgeführt mit Ptolomaios. Da wird es dann auch spannender ;). (Gerade in Hinblick auf die Frage, ob Alexandreia je eine echte "Polis" war.)

  • Uuuuah, spannend. Mit gespitzten Ohren und großen Augen lauschte Emi ihrem Lehrer, dessen ruhige Stimme sehr anschaulich von den Taten Alexanders berichtete. Das meiste hatte Emi schon gehört, war doch das Leben und das Streben dieses Mannes ihre Lieblingsgeschichte, etwas, mit dem sie sich schon immer gerne beschäftigt hatte. Sie hatte auch mal einen Kater gehabt, den sie Nikanor genannt hatte, doch irgendwann war der doch recht wilde Draufgänger nicht mehr nach Hause gekommen...


    Würde Nikolaos noch mehr erzählen? Als er nachfragte, ob jemandem etwas unklar war, schüttelte Emi heftig den Kopf. Gespannt hing sie an seinen Lippen und wollte eigentlich nur, dass er noch mehr erzählte.

  • Trotz meiner Aufmerksamkeit gelang es mir, von Zeit zu Zeit in die Runde zu sehen und das aufmerksame Lauschen der Menschen um mich herum wahrzunehmen.
    Zugegebenermaßen war ich etwas überrascht. Bei soviel männlicher Beteiligung hätte ich ein etwa rüpelhafteres Verhalten erwartet, doch anscheinen waren die Söhne Alexandrias doch besser erzogen, als ich erwartet hatte - zumindest dann, wenn eine Respektsperson vor ihnen stand.


    Als Nikolaos kurz innehielt und auf Fragen wartete, schüttelten einige den Kopf, der größere Teil jedoch blieb einfach stumm und unbeweglich und wartete auf den nächsten Teil der Ausführungen.

  • "Unter den Getreuen des Alexanders, die ich erwähnte, ist der mit dem Namen Ptolemaios für Alexandreia besonders wichtig. Nach dem frühen Tode des Alexanders – den einige als Heimrufung durch die Götter bezeichnen, andere als das elende Ende eines Trunkenboldes – ich erwähne dies nur der Vollständigkeit halber, nie käme es mir in den Sinn, das Andenken unseres großartigen Stadtgründers zu schmähen- stritten jene Getreuen darüber, wie das Großreich weiter zu beherrschen sei. Perdikkas, ein General Alexanders, wurde Chilarch und beherrschte so das ganze Reich anstelle eines Königs. Ptolemaios, dem die Pläne des Perdikkas nicht geeignet schienen, das Erbe Alexanders wohlzubehalten, wurde Satrap von Aigyptos. Bald aber trat er in die Nachfolge Alexanders als Königs von Ägypten. In Alexandreia ließ er sich mit seinen Gefolgsleuten nieder.


    Schon damals war Alexandreia überaus prächtig. Der Baumeister Dinokrates von Rhodos hatte einen überaus geschickten Sinn für eine Anlage der Straßen und Stadteile bewiesen, der nicht nur die Regeln der Symmetrie und des goldenen Schnittes – man denke dabei an das Verhältnis der beiden Plateiai- beachtet und in jedem Winkel der Stadt für angenehm frische und gesunde Lüfte sorgt, sondern auch die Harmonie des Kosmos widerspiegelt. Seither gab es viele Erweiterungen – doch in der inneren Stadt ist der Plan des Dinokrates noch genau zu erkennen. Seht euch um! Selbst die Insel Pharos, die Homer beschreibt, könnt ihr besuchen. Und das Grab des Alexanders! Ihr merkt, der Geist der alten Zeit ist lebendig!


    Ptolemaios ließ prachtvolle Paläste errrichten, Gärten anlegen, brachte dem Land großen Wohlstand, richtete eine Verwaltung ein und verteidigte Ägypten gegen die anderen Nachfolger Alexanders, so gegen Seleukos im Osten. Er gewährte Freiheiten, Freiheit aber nicht.


    Von Anfang an hatte immer einer ganz Ägpyten beherrscht. So verlangte es die Notwendigkeit. Die Nilschwemme, die Bewässerung, der Ackerbau und die jährliche Landverteilung waren Aufgaben, bei denen keine Zwietracht herrschen durfte und kein Streit, wollte man nicht verhungern*. So war es in Aigyptos seit Anbeginn des ehernen Zeitalters. Alles Land gehörte dem Herrscher, doch er verteilte es zur Nutzung – mal klug und wohltätig, mal raffgierig und dumm. Der Ackerbau und der Handel lagen in der Hand des Herrschers – also des Staates, wenngleich es hier kein Politie war und die Bürger Untertanen waren. Aus den großen Poleis Griechenlands kennen wir es ganz anders: Ackerbau und Handel liegt in der Hand jeder einzelnen Hausgemeinschaft. Die Ausgaben für das Gemeinwesen übernehmen solche Bürger, deren Haus reich genug ist – ihr alle wisst hoffentlich, worum es sich bei der Leiturgie handelt*². Ptolemaios, den wir Soter nennen, indes tat es nicht anders als alle Könige Ägyptens, die ihm vorausgegangen waren. Aber er nahm auf die Bedürfnisse der Menschen Rücksicht: So verteilte er sein Land so, wie es den Sitten des jeweiligen Volkes entsprach. Die Ägypter waren an die Art der Landzuteilung der alten Könige gewöhnt, so beließ er es dabei. Griechen und Makedonen stiftete er Poleis mit einer Asty und einer Khora. So auch Alexandreia. Aber man muss bedenken, dass nun alles von seiner Mildtätigkeit abhing.


    Auch waren die meisten Polites gleichzeitig Beamten des Königs. Es gab also Freiheiten, aber ob es Freiheit gab? Nicht die Freiheit des glänzenden Athens an seinen ruhmreichsten Tagen. Aber Sicherheit und Wohlstand, der gedieh. Aigyptos wurde das reichste Land der bekannten Welt. Es gab nichts, was es nicht gab in Alexandreia. So ist es heute noch. Weniger Volksversammlungen gab es in Alexandreia als Feste*³. Die Bürger trugen statt Wolle bald Seide.


    Ptolemaios war freigiebig – manche sagen in frevelhafter Weise verschwenderisch, doch er ließ bei seinen Festen auch die Geringsten mit Speisen beschenken und er ließ viele Tempel errichten - , er regierte klug und baute ein Beamtenwesen auf, das heute noch fortbesteht, er versuchte die widerstrebenden Interessen der Völker zu vereinen, wie es schon Alexander in der damaligen Provinz Ägypten getan hatte und er eroberte zwar wenig, schützte das Reich aber vor Eindringlingen und den Begehrlichkeiten anderer Herrscher, kämpfte gegen Piraten und förderte so den Handel. Der tätige Dank der Griechen und Makedonen dafür war die Treue – oder waren gar die Wohltaten des Herrschers tätiger Dank für die Treue der Untertanen?


    Alexandreia jedenfalls erblühte. Es gab damals noch die Boulé. Wie heute gab es damals die Prytanenschaft und andere Beamten. Es gab ein Dikasterion und regelmäßige Volksversammlungen. Es gab führende Männer wie in jeder Polis – und Ptolemaios oder sein Statthalter, wenn er selbst auf Feldzügen war, ließ sie gewähren, solange sie nicht gewisse Grenzen überschritten und solange sie Treue schworen und dem Gottkönig opferten. Sie opferten; allein die Aigyptoi – die seit jeher von Königen beherrscht wurden - waren aufrührerisch, doch weniger gegen den König, als gegen seine Beamten, die Griechen und Makedonen waren. Nicht die Alleinherrschaft widerstrebte ihnen – nein, sie waren missgünstig gegen jene, die dem Herrscher treu waren und daher besondere Wohltätigkeiten erfuhren. Kein Aufrührer brachte aber nur die Herrschaft ins Wanken. Ptolemaios Soter hinterließ seinem Nachfolger ein starkes und wohlhabendes Reich."



    Sim-Off:

    * "Hydraulische Gesellschaft" nennt man das in der modernen Staatskunde ;). Heute hat Bürokratie einen sehr unangenehmen Klang, im Alten Ägypten war ein Heer von Schreibern, Wesiren und soweiter notwendig, um das Großreich zu verwalten. Für Polites war ein solches System natürlich etwas befremdlich. Gab es bei ihnen doch nur abhängige Wahlämter, deren Inhaber ein jeder kannte.


    *² Staatskassen bzw. einen Staatshaushalt kannten die Poleis zumindest in klassischer Zeit, als sie noch unabhängig von hellenischen Königen waren, gar nicht. Für Ausgaben der Polis wurden einfach reiche Bürger von der Volksversammlung verpflichtet ("Leiturgie" hieß dieser Dienst). (Inhaber von Ämtern mussten ohnehin viel für das Gemeinwohl ausgeben.) Standen besondere Ausgaben an, wie zum Beispiel ein Krieg, wurde die Ehre der Leiturgie an entsprechend viele Bürger verteilt.


    *³ Der Autor Jean-Marie André stellt in seinem Buch "Griechische Feste, römische Spiele - Die Freizeitkultur der Antike" die These auf, die hellenischen Könige (so auch und in besonderem Maße die Ptolemäer) hätten eine Art "Spaßgesellschaft" (die Bezeichnung verwendet der Autor nicht, aber es entspricht ungefähr seiner Meinung) etabliert, um die Privilegierten ihrer Untertanen (in Ägypten Makedonen und Griechen) ruhig zu stellen. Ausschweifende Privatfeste galten in der klassischen Antike in den meisten Poleis als verwerflich (nur mit staatstragendem / staatskultischen Charakter wurden solche Feste betrieben), während in der Zeit der hellenischen Königreiche das entstand, was man heute allgemein (und fälschlicherweise) mit "Orgien" (eigentlich bedeutet das Wort soetwas wie (Dionysos-)Mysterien-Feier) bezeichnet, also nicht mehr die gepflegten Gelage (bei denen es ja aus prüder Sicht auch schon hoch her ging), sondern Riesenfeste, bei denen die halbe Bürgerschaft besoffen gemacht wurde.



    Es geht bald weiter mit Ptolemaios Philadelphos und dem Mouseion.

  • Soviele Informationen, Emi grinste immer noch und konnte es sich nicht nehmen lassen kurz zu den Jungs zu gucken. Sie selbst konnte ihrem Lehrer noch gut folgen und hörte aufmerksam zu. Sie mochte seine Stimme und er erzählte in einem guten Tempo, so dass es leicht fiel zuzuhören. Sie war gespannt, welche Themen er noch ansprechen würde und ob sie das Gesagte bei einem Test oder einer Fragestunde würden wiedergeben müssen.

  • "Zwei Jahre vor seinem Tod hatte Ptolemaios Soter die Herrschaft an seinem Sohn mit Berenike, seiner Halbschwester, abgetreten, um zu verhindern, dass sein erstgeborener Sohn das Erbe antrete.


    Jener, der zweite Ptolemaios, heiratete seine Schwester Arsinoe, was für uns befremdlich ist, aber dem Gebrauch der alten Herrscher der Aigyptoi entsprach, den, wie viele andere Sitten auch, das Geschlecht der Ptolemaier angenommen hatte, so wie es auch in Teilen ähnlich herrschte wie die alten Herrscher, die in Theben und in Memphis ruhen.


    Seine Regierungszeit stand anfangs an Erfolg der seines Vaters nach. Die Stadt Kyrene wurde von seinem Halbruder Magas abtrünnig gemacht, was Ptolemaios auch mit einem Krieg nicht verhindern konnte, denn in diesem Krieg unterlag er trotz der Unterstützung griechischer Könige.


    Manche sagen, der geschwisterliebende Ptolemaios sei auf dem Schlachtfeld kein Günstling des Glücks gewesen, andere sagen, er stünde seinem Vater als Feldherr um vieles nach. Einige wenige gar behaupten, er habe so gar kein Geschick in der Kunst der Kriegsführung an sich gehabt. Ganz wenige sagen, er sei zu sehr auf den Prunk aus gewesen, habe sich zu lange in weichen Polstern geräkelt, sei darüber fett und träge geworden, habe das Vermögen des Staates mit Festen verprasst, habe versucht, die reichen Händler Alexandreias mit Gaumenkitzeleien und Weinströmen in seinem Palast gefügig zu machen, darüber hinaus aber das Heer vernachlässigt.


    Wie dem auch sei, was Ptolemaios Philadelphos auf dem Schlachtfeld nicht vermochte, erreichte er zumindest im eigenen Staat. Er schwächte die starke Verwaltung seines Vaters kaum und tat sich als Förderer der Künste in Alexandreia hervor. Ihm haben wir viele Tempel zu verdanken und auch die Einrichtung des berühmten Mouseions, das noch heute von seinen Schenkungen Nutzen trägt. Er gilt als Gründer der heiligen Bruderschaft, wennauch schon Ptolemaios Soter eine Bibliothek mit zweihunderttausend Büchern gestiftet haben soll.


    Bald war Alexandreia unter ihm der Mittelpunkt der Gelehrsamkeit der ganzen Oikumene geworden. Dichter und Wissenschaftler strömten zuhauf in die Perle am Nil und verliehen ihr zusätzlichen Glanz. Ptolemaios stellte sie unter seinen Schutz, sodass sie ungestört von allen Widrigkeiten ihren Werken nachgehen konnten*.



    Auf dem Schlachtfeld erfolgreicher war der Sohn des Ptolemaios Philadelphos, wennauch Alexandreia unter ihm die Blüte überschritten hatte und zu welken begann. Er jedenfalls ließ sich als Theos Euergétes verehren, und trieb damit die Verehrung noch weiter als seine beiden Vorgänger, ganz, als wolle er vollends das Vorbild der alten Herrscher Ägyptens erreichen.


    Erst durch die Vermählung mit Berenike, der Tochter des Magas, mit Ptolemaios Euergetes erlangten die Ptolemäer Kyrene und die fruchtbare Kyrenaika zurück. Man sagt, die Vermählung sei nicht ohne Ränke erfolgt: Nach dem Tode des Vaters wollte die Mutter Berenikes ihre Tochter mit dem Sohn von Antigonos, einem Mann namens Demetrios, verheiratet wissen. Man sagt, Gift habe die Hochzeit verhindert*. Fromm opferte Berenike ihr Haar für die glückliche Rückkehr des Ptolemaios Philadelphos aus Syrien, wo er für die Ehre seiner hinterlistig von Laodike ermordeten Schwester kämpfte. Laodike war vom König Syriens, Antiochos, vom Platz der Hausherrin verstoßen worden, damit er Berenike, die Schwester Ptolemaios, heiraten konnte, wofür Laodike Rache nahm*.


    Ptolemaios kehrte wohlbehalten vom Feldzuge zurück, obgleich das Haar der Berenike aus dem Tempel verschwunden war, man sagt, es sei für alle Ewigkeit zu Sternen am Firnament geworden, manche aber sagen, ein böswilliger Mensch habe es entwendet, um Ptolemaios Unglück zu bringen.


    Ptolemaios war im Gegenteil vom Glück gesegnet. Sein Feldzug nach Syrien versetzte den Herrschaftsgelüsten des Antiochos einen Schlag und befriedete die Gegend, sodass der Handel weiterhin blühen konnte und Ägypten reich blieb und reicher wurde.


    Reich blieb Alexandreia, aber die Blütezeit war vorrüber. Ptolemaios, der sich einen wohltätigen Gott nannte, vertrieb alle Gelehrten des Mouseions. Ob er dies tat, da sie ihm die Verehrung als Gott verweigerten, oder ob er dies tat, da ihm, wohl einem beschränkterem Geist, ihr Wissen unheimlich und düster erschien, das wissen wir nicht. Sicher ist nur, dass die heiligen Hallen zerfielen und Alexandreia nicht länger Hauptstadt der Gelehrsamkeit war, sondern Pergamon in Asien Künstlern Aufnahme gewährte und großzügige Möglichkeiten zur Arbeit. Zwar war ein berühmter Kopf wie Erasthothenes als Prinzenerzieher von Ptolemaios dem Dritten nach Alexandreia geholt worden, zwar bemühte sich Euergetes irgendwann, das Mouseion wieder mit klugen Männern zu bevölkern, wohl weniger aus Liebe zu den Künsten, als vielmehr, damit Pergamon Alexandreia nicht endgültig den Rang abliefe, aber die großen Zeiten unter Ptolemaios Philadelphos, als der berühmte Dichter Kallimakhos hier wirke, waren vorrüber.


    So ist es leider, das Geschick auf dem Schlachtfeld und Kunstsinn selten in einem Mann zusammenfallen. Dennoch kann man Ptolemaios Euergetes als einen guten Herrscher ansehen. Eine gewisse Machtgier und eine fast närrische Angst vor Feinden im eigenen Haus ging keinem der Ptolemäer allzusehr ab."



    Sim-Off:

    *Mit solchen Gerüchten muss man natürlich heute vorsichtig umgehen. Gerade mächtige Frauen haben in der antiken Geschichtsschreibung oft ziemlich ihr Fett weg bekommen. Man denke da an die Darstellung Livias (d.h. der letzten Ehefrau des Augustus) bei Tacitus: Mit Ränkespielen habe sie ihren Sohn Tiberius an die Macht bekommen und Giftmischerei wirft ihr der gute Tacitus mehr als hundert Jahre nach ihrem Tod auch vor.


    Andererseits war es natürlich damals (wie heute) durchaus üblich, für die eigene Macht über Leichen zu gehen. Und vor der eigenen Familie machten die wenigsten Herrscher dabei halt.



    Weiter geht's mit den anderen Ptolemäern, die das Reich in Krisen stürzen, dann irgendwann mit Kleopatra und den Römern.


    Am Ende stelle ich noch einmal eine SimOff-Zeittafel für besseren Überblick und Buchtipps zusammen.

  • "Nebenbei: Die Erfindung eines Briefbeförderungswesens hat Augustus übrigens aus Ägypten übernommen, von einer Institution namens angaréion, die die Ptolemäer entwickelt* hatten. Solche Einrichtungen sind in kleinen Bürgerschaften nicht notwendig, aber um ein großes Reich zu verwalten, müssen die Anweisungen des Herrschers auch Beamten in den entlegenen Gegenden erreichen und von entlegenen Gegenden Nachrichten in die Königsstadt gelangen."


    Ein feines Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.


    "Der vierte Herrscher aus dem Geschlecht des Ptolemaios war es, der Antiokhos besiegte und die Schmach tilgte. Aber er war grausam - seine Mutter Berenike fiel seiner Mordlust zum Opfer. Der Sieg über Antiokhos währte nicht lange, der fünfte der Ptolemaiden, Ptolemaios Epiphanes, verlor Asien und den Teil Syriens, den der Vierte gewonnen hatte. Die Bürgerschaft von Rom führte zu dieser Zeit einen Krieg gegen Antiokhos. Antiokhos war ein Kind, als er den Thron bestieg - und entschied kaum selbst über seine Amtsgeschäfte, er war ein Knabe, als er vermählt wurde und zwar Ehemann, doch nicht Herr im eigenen Haus und starb jung an Gift.


    Epiphanes Sohn Philometor wurde ebenfalls jung Herrscher und stand lange unter der Vormundschaft von Regenten, bis er in die Mündigkeit entlassen wurde, aber mit seiner Schwester und Gemahlin Kleopatra der zweiten und seinem jüngeren Bruder Euergetes des Zweiten als Mitregenten. Der jüngere der beiden Brüder vertrieb den Älteren, aber mithilfe der Römer konnte Philometor zurückkehren und herrschte über Aigyptos, doch musste die Kyrenaika dem jüngeren Bruder überlassen. Aber die Römer wollten tätigen Dank für ihre Hilfe bei der Beilegung des Streites sehen. Die große Zeit des einst blühenden Landes neigte sich dem Ende zu. Das Mouseion verlor viele glänzende Männer und erlangte wenig neue hinzu. Die Sammlung der Bibliothek wurde vernachlässigt - wie das ganze Gemeinwesen verfiel, da die Kassen des Herrschers leer waren und leer blieben.


    Die Schulden, die er bei den Römern hatte - Schulden an Gefallen und Schulden an Geld- vermachte er seinen Nachfolgern, die sie nicht nur nicht abzutragen vermochten, sondern vermehrten. Nicht die Herrscher herrschten, sondern Berater, Höflinge und Schmeichler - und die Schulden lasteten schwer auf dem Land. Die Steuern stiegen ins Unermessliche und das Volk litt unter den Bruderkriegen, unter den Abgaben, unter den Launen der Herrscher - und ihrer falschen Freunde, die sie von Kindstagen an umgaben und sie schlecht berieten. Nicht die besten Männer wurden zu königlichen Beratern sondern die kundigsten Schmeichler.


    Das ist überhaupt die große Gefahr der vererbten Herrschaft: Dass einer zu jung erbt, und nicht selbst herrschen kann, dass zwei sich die eerbte Herrschaft gegenseitig nicht gönnen, dass Männer Herrscher werden, die dazu nicht in der Lage sind. Ägypten und damit sein Haupt Alexandreia hat früh zu blühen begonnen und welkt lange."





    Sim-Off:

    *Vermutlich hatten eigentlich schon die Perser dieses System entwickelt, das Alexander der Große von ihnen übernommen und die Ptolemäer in ihrem Reich einfach weitergeführt hatten.


    Als nächstes kommt, wie versprochen, Kleopatra.

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