[Tablinum] Pläne und Gedanken

  • Die ersten Tage nach dem Ende seiner Amtszeit als Praetor waren vorbei und erst langsam stellte sich bei Macer das Gefühl ein, nun wieder wesentlich mehr Zeit zu haben. Da waren erst noch die Amtsübergabe gewesen und sein Tatenbericht, dazu noch ein paar nachzuholende Gespräche und Einladungen, die noch aus seiner Amtszeit stammten und dann wenigstens zeitnah danach beantwortet werden wollten. Jetzt wurde es endlich etwas ruhiger. Die Inqusitio Senatus machte zwar noch Arbeit und die Academia Militaris sowieso, aber das war es dann auch schon. Dementsprechend ergab sich etwas Freizeit, die Macer heute entspannt in seinem Tablinum verbrachte, um mal ein wenig aufzuräumen. Auch wenn es draußen auch tagsüber noch kühl war, hatte er die Tür zum Garten hin geöffnet, damit Licht und frische Luft hinein kam - gerade so, als wolle er schon bald wieder für frischen Wind sorgen.


    Zahlreiche Wachstafeln mit überholten Notizen aus seiner Amtszeit hatte er schon seinem Verwalter in die Hand gedrückt, damit dieser sich darum kümmerte, sie zu glätten und das Wachs bei Bedarf nachzufüllen, damit sie für neue Aufgaben bereit standen. Andere Tafeln räumte er in Regalfächer oder bündelte sie zusammen, um sie als Privatarchiv in einer Truhe verschwinden zu lassen. Vielleicht würde er sie eines Tages nochmal brauchen, vielleicht würden sie seine Erben irgendwann einfach wegwerfen. Auf wieder anderen Tafeln fand er Aufzzeichnungen vor, die mit der Zeit immer wieder ergänzt, geändert und korrigiert worden waren, so dass sie nun kaum noch leserlich waren. Von manchen fertigte er eigenhändig eine saubere Abschrift an, andere vertraute er für diese Aufgabe auch wieder seinem Verwalter an. Die Klientenliste war darunter, auf der als eine der wichtigsten Aufgaben stand, dass Aurelius Avianus zum Senator gemacht werden musste. Eine Aufgabe, die Macer in den nächsten Tagen angehen wollte und die hoffentlich nur eine Formsache war.


    Auch andere Aufgaben fanden nun wieder etwas mehr Platz auf dem Schreibtisch, den sie im letzten Jahr an Prozessakten, amtliche Urkunden und ähnliche Dokumente hatten abtreten müssen. Allen voran in paar Notizen aus der Factio Russata, die sich Macer in Ruhe durchlesen wollte, um für das nächste Treffen der Factioführung vorbereitet zu sein. Neue Mitglieder gab es da wohl oder zumindest Interessenten sowie das Bedürfnis, mal wieder ein Rennen zu veranstalten. Damit konnte sich Macer mehr als nur anfreunden, so dass er schonmal den Kalender nach geeigneten Terminen durchforstete. Aber auch ernsthaftere Sachen wie seine ewigen halbfertigen Pläne für Gesetzesänderungen schaute er noch einmal durch, sortierte sie neu und platzierte sie wieder in Griffnähe, ohne jedoch heute für eine der Initiativen eine zündende Idee zu finden. Aber jetzt hatte er ja Zeit, jeden Tag darüber nachzudenken, wenn er wollte.

  • Wieder einmal hatte sich Macer etwas Zeit genommen, nach der morgentlichen Salutatio nicht zu irgendwelchen Terminen in die Stadt zu entschwinden oder gleich andere Gäste zu vertraulichen Gesprächen im haus zu haben, sondern sich einfach in sein Arbeitszimmer zurück zu ziehen, die Türen zum Garten zu öffnen und in Ruhe einige Dinge durchzugehen, die auf seinem Schreibtisch liegengeblieben waren. Sein Sekretär und Hausverwalter half ihm dabei als Gedächtnisstütze und wies ihn auf die eine oder andere Sachen hin, die auf eine Entscheidung oder eine Antwort wartete. Insbesondere Briefe liegen bei Macer gerne mal etwas länger liegen als unbedingt nötig gewesen wäre.


    Irgendwann gingen sie auch die Liste der Klienten durch und stießen auf Aurelius Avianus, der Macer zuletzt bei der Recherche für die Inquisitio Senatus unterstützt hatte - letztlich zwar erfolglos, aber immerhin engagiert. "Den hatte ich doch im Palast zum Senator vorgeschlagen", erinnerte sich Macer sogar selber nach einigem Nachdenken. "Haben wir da eine Antwort?" Sein hausverwalter verneinte. "Gar nichts? Keine Absage? Keine Verschiebung wegen der Abwesenheit des Kaisers?", bohrte Macer überrascht nach. Erneut verneinte der Hausverwalter. Macer schüttelte den Kopf. "Das kann ja wohl nicht sein. Jemand soll sich erkundigen. Am besten direkt beim Procurator a memoria."

  • Viele Gedanken hatte sich Macer in der letzten Zeit gemacht. Gedanken zur aktuellen Tagespolitik. Gedanken zu verschiedenen Geschehnissen in der Stadt und im Umland. Gedanken über seine eigenen Verpflichtungen, Pläne und Erwartungen. Die eine oder andere Abschrift der Acta Diurna hatte er nochmal zur Hand genommen, den einen oder anderen Brief seiner Klienten dazu. Seine Gedanken waren in verschiedene Richtungen gegangen, hatten sich aber letztlich immer wieder auf die bevorstehenden Wahlen fokussiert. Er wusste, welche Chancen und Risiken es gab, was man von ihm erwartete und was er selber von sich verlangen würde. Mehr als einmal hatte er diese Gedanken nicht zu Ende gebracht, war doch in eine andere Richtung abgeglitten oder hatte sie einfach für den Tag beendet, um sich nicht im Kreise zu drehen. Aber immer wieder waren sie zurückgekommen, in verschiedenen Ausprägungen und Wege hatten sich aufgetan oder waren verschlossen worden.


    Irgendwann war es dann soweit und die Gedanken waren reif. So wie eines Tages plötzlich die Frucht vom Baum fiel, wenn sie reif genug war, so war auch Macer an diesem Tag plötzlich überzeugt, das richtige zu tun. Selbst etwas überrascht, wie einfach plötzlich diese Entscheidung gefallen war, nahm er einen Schluck verdünnten Wein und begann eine Liste zu machen. Es gab einiges zu schreiben.

  • Als alles geschrieben war blieben nur zwei Dinge zu tun: Das Geschriebene an seinen Bestimmungsort zu bringen oder bringen zu lassen und die Götter in der notwendigen Art und Weise an dem Geschehen teilhaben zu lassen. Der Hausaltar musste dafür zunächst reichen, um für alles zu danken, das Macer bei der Entscheidung geholfen hatte und um all das zu bitten, was nötig war, damit die Entscheidung gute Früchte trug. Also zündete Macer Kohle an, gab Weihrauch hinzu und bedeckte seinen Kopf. Vor dem Altar nahm er Aufstellung, betrachtete jede der dort aufgestellten Figuren der Götter, Laren und Genii und besann sich auf die Bedeutung, die diese für ihn hatten. Leise sprach er ein Gebet, das ihm recht lang geriet, weil er doch wohl einiges zu sagen hatte. Vielleicht sollte er auch häufiger mit seiner Frau sprechen, wenn er Dinge loswerden wollte, aber diesmal ging es dann doch um Dinge, bei denen ihm die Götter sicher besser helfen konnten. Eine Kanne Wein stand bereit, um ihren Inhalt zu opfern, ebenso wie etwas Opfergebäck. Dann griff Macer zu einer Wachstafel, die er eben im Tablinum beschrieben hatte, öffnete sie, verlas ihren Inhalt mit getragener Stimme, als würde er im Senat einen Gesetzentwurf verlesen, klappte die Tafel wieder zu und legte sie unter eine der kleinen Götterstatuen auf dem Altar.

  • Wenn Macer geglaubt oder befürchtet hatte, dass seine Wahl zum Consul oder spätestens sein Amtsantritt als ebensolcher sein Leben gänzlich auf den Kopf stellen würde, so sah er sich in dieser Annahme schnell getäuscht. Die Zahl der Bitten, die man an ihn heran trug und die Zahl der Verpflichtungen, die er hatte, nahm zwar zu, aber andere Pflichten fielen dadurch eben nicht weg. Und so musste er sich heute beispielsweise auch damit herumschlagen, dass sein Gutsverwalter in Oberitalien ihm zu berichten hatte, dass es aufgrund von nicht näher erläuterten Schwierigkeiten im Moment sehr schwer sei, an qualitativ hochwertigen Honig zu kommen, der für die Verarbeitung der Obsterträge auf dem Landgut nötig war. Macer schüttelte den Kopf. Da war er gerade Consul geworden und womit befasste er sich? Mit Honig! Das war so absurd, dass es schon wieder lustig war. Er gab seinem Verwalter den Auftrag, nach zuverlässigen Händlern Ausschau halten zu lassen, die Honig in erstklassiger Qualität liefern konnten und das am besten in ausreichend großen Mengen.

  • Die ersten Wochen des Consulats waren verstrichen und Macer hatte sich so langsam in alles eingewöhnt, was das Amt mit sich brachte. Spektakuläre Reden hatte er noch keine gehalten und einen Codex hatte er auch noch nicht reformiert, aber zumindest letzteres hatte er auch gar nicht vor. Dafür war die Sache mit den Berichten der verschiedenen senatorischen Amtsträger schon auf dem Weg und die ersten Reden dazu würden sicher bald gehalten werden. Macer legte die entsprechende Wachstafel zur Seite und griff zur nächsten. Er studierte kurz die dort verzeichneten Namen einiger Amtsträger der letzten Periode und überlegte, in welcher Reihenfolge und bei welcher Gelegenheit er sie ansprechen wollte, um sie an ihre Res Gestae zu erinnern. Dann legte er auch diese Tafel zur Seite und griff zur nächsten. Auf der ging es ums Geld ausgeben. Genauer gesagt um das Geld anderer Leute und wie man diese dazu brachte, es zum Nutzen der Allgemeinheit auszugeben. Da musste er wohl ein paar Einladungen schreiben und Essen spendieren. Auch diese Tafel landete danach auf dem Ablagestapel.


    Dann kam er Stapel mit privaten Angelegenheiten. Noch immer war die lästige Sache mit dem Honig ungelöst. Immerhin hatte sein Sekretär ihm eine Liste aller Großhändler besorgen können. Macer überflog sie und strich ein paar Einträge heraus.

    Villa Rustica Matinia - Imkerei / Marcus Matinius Metellus
    APIUM CURA DETRITI / Lucius Octavius Detritus
    Apiaria Iuniae / Iunia Axilla
    Apiaria Aurelii Lupi / Sextus Aurelius Lupus
    Beata Apis / Lucius Purgitius Maecenas
    Mel Annaei Flori / Lucius Annaeus Florus
    Apis Aurum - Bienengold / Marcus Flavius Aristides
    Imkerei des Prudentius Scipio und Villa Rustica Prudentia - Imkerei / Tiberius Prudentius Balbus
    Tullia´s Mel et fel / Mogontiacum


    An die restlichen sollte sein Sekretär Anfragen schicken. Dazu landete die Tafel auf einem anderen Stapel und Macer griff zur nächsten...

  • Am Ende war es ziemlich plötzlich vorbei gewesen. Den einen Tag war Macer noch Consul gewesen, mit Senatssitzung und Pflichten und allem drum und dran und nut wenige Tage später war er alles los. Kein Vorsitz mehr, keine Reden halten müssen, geradezu ein entspanntes Leben. Was ihm die eine oder andere Stunde in seinem Tablinum bescherte, in denen er sich gründlicher als in den Monaten davor um Briefe und andere Anliegen kümmern konnte. Die letzte Nachricht von seinem Klienten Annaeus Modestus aus Germania lag besonders in seinem Fokus und er machte sich sogleich daran, seinerseits eine Antwort zu verfassen. Erst als er seinen Laufburschen damit losgeschickt hatte, widmete er sich anderen Dingen. Da war noch die Sache mit dem Nachbarhaus, auf das er seit einiger Zeit ein Auge geworfen hatte, um seine eigene Casa zu vergrößern. Mit Albina an seiner Seite wurde es schließlich etwas enger in den vorhandenen Räumlichkeiten als in seiner Junggesellenzeit.

  • Einen Hauskauf machte man sich im Allgemeinen nicht leicht und auch Macer machte da keine Ausnahme. Dabei ging es nicht einmal um ein neues Haus, sondern nur um den Aufkauf des Nachbauhauses, um seine eigene Casa zu vergrößern. Ein oder zwei Wände raus, den zweiten Eingang zumauern und die große Wand zwischen den beiden Gärten herausreißen, das würde es dann gewesen sein. Und der Nachbar gedachte ja auch zu verkaufen, sonst wäre Macer gar nicht erst auf die Idee gekommen, dass es so einfach wäre. Aber die ganzen Details, die dann zu klären waren, die zogen sich eben. Der Kaufpreis musste ausgehandelt werden und einen Architekten hatte Macer schon hinzugezogen, um die Bausubstanz zu beurteilen. Am wenigsten Sorgen machte er sich noch darum, die nötigen Handwerker für die Bauausführung zu finden, denn da konnte er erstens auf einige Klienten zurück greifen und zweitens gab es Bauhandwerker nun wirklich genug in der Stadt. Aber noch war es nicht so weit, denn der bisherige Hauseigentümer hatte sich noch immer nicht auf einen Termin festlegen lassen, zu dem er überhaupt ausziehen wollte.

  • Endlich war es soweit und der Umbau beziehungsweise die Erweiterung von Macers Casa war beschlossene Sache. Der Nachbar hatte sich endlich entschlossen, tatsächlich auszuziehen, über den Kaufpreis war man sich einig geworden und der Architekt hatte die Bausubstanz des Nachbarhauses für brauchbar befunden. Der Termin, zu dem der Nachbar sein letztes Hab und Gut aus seiner alten Casa geräumt haben würde stand fest und Macer hatte die ersten Aufträge an Handwerker vergeben, die dann mit den Arbeiten beginnen würden. Auf Dreck durch die Bauarbeiten hatten Albina und er sich auch schon seelisch eingestellt und ihre Pläne für die finale Gestaltung der neunen Räumlichkeiten waren auch schon ziemlich weit gediehen. Wobei an letzterem vor allem Albina beteiligt gewesen war und sich mit ihren Wünschen meistens durchgesetzt hatte. Was vielleicht auch daran lag, dass sich Macer quasi freiwillig eher auf die pragmatischen Aspekte der Planung beschränkt hatte. Immerhin hatte er selber mal einen Architekturkurs an der Schola besucht und folgerichtig dem Architekten für die aktuelle Baumaßnahme mit seinem gesunden Halbwissen das Leben schwer gemacht.

  • Nach der Diskussion im Senat zur Einschränkung der Reisemöglichkeiten für Senatoren hatte sich Macer häufige rin sein Arbeitszimmer zurückgezogen, um über das Thema nachzudenken und alte Dokumente zu studieren. Einige Dinge hatte er als Abschrift aus diesem oder jenem Grund ohnehin im Haus, andere hatte er sich bringen lassen. Zu seinem Verdruss gaben diese Dokumente aber nicht so viel her, wie er erhofft hatte. Oder sie gaben schon einiges her, aber nicht das, was er für einen sinnvollen Hebel zur Ausweitung der Reisefreiheit benötigt hätte. Die Regelung, die der Quaestor im Senat vorgestellt hatte, deckte sich wohl schon weitestgehend mit dem, was unter Augustus eingeführt worden war. Möglicherweise war es sogar schon großzügiger geschnitten, denn in augsteischer Zeit wäre ein Senator die meiste Zeit des Jahres wohl nicht einmal bis in die Gallia Narbonensis gekommen, was nun erlaubt sein sollte.


    Mit dieserlei wenig erfreulichen Ergebnissen setzte er einen kurzen Brief an die kaiserliche Kanzlei auf, denn im Senat hatte er schließlich eine Bearbeitung des Themas versprochen und daher nahm er an, dass der Quaestor eben eine Mitteilung Macers am Kaiserhof angekündigt hatte. Das Thema war damit für ihn allerdings abgeschlossen und er würde die Veröffentlichung der endgültigen Fassung erwarten.

  • Ein Brief aus Germania lag auf Macers Schreibtisch, wo er ihn nach dem Lesen abgelegt hatte. Von den Gedanken über den konkreten Inhalt des Briefes und einer möglichen Antwort schweiften Macers Überlegungen immer wieder zu verwandten Themen, bis er sich schließlich eine Wachstafel griff und einige Namen darauf kritzelte. Es waren die Namen einige Klienten, über die er sich Gedanken machte, um sie im Auge zu behalten oder ihnen gewisse Wünsche zu erfüllen. Oder die ihm helfen konnten, Wünsche anderer Klienten zu erfüllen. Dass Cyprianus zum Praefectus Praetorio geworden war, traf sich bezüglich einiger Anliegen ganz günstig. So würde Macer wohl wenig Schwierigkeiten haben, Offiziersposten zu vermitteln, zumal er als Kommandeur der Academia Militaris auch selber Empfehlungen aussprechen konnte. Um andere Klienten machte er sich mehr Sorgen. Flavius Piso zum Beispiel oder auch Aurelius Avianus schienen im Senat zu Hinterbänklern zu verkommen und machten sich keinen Namen in der Politik. Da könnte er vielleicht mal wieder tätig werden, denn so konnte er von ihnen kaum Nutzen erwarten.


    Nachdem er einige Zeit auf der Tafel herum gekritzelt hatte und einige Pläne in Form von Linien zwischen Namen ihre Abbildung gefunden hatte, griff er zu einer weiteren Tafel, um einen Brief zu formulieren. Es folgten weitere, auch wenn diese nicht unbedingt alle am selben Tag fertig wurden.

  • In gewisser Weise war Macer fast glücklich darüber, dass über Rom diese unselige und in seinen Augen auch unsinnige Ausgangssperre verhängt worden war, denn so brauchte er keine Sorge haben, draußen etwas zu verpassen, während er in seinem Arbeitszimmer saß und sich die dringend benötigte Zeit zum Nachdenken nahm. Manches hatte er in den letzten Wochen, vielleicht sogar Monaten, ganz offenbar verpasst, denn der Mord am Kaiser und seinem Sohn hatte ihn völlig überrascht. Zwar fiel ihm durchaus noch das eine oder andere politische Abendessen ein, bei dem kritisch über den Kaiser gesprochen wurde, aber er konnte sich an kein Gespräch erinnern, aus dem sich ableiten ließe, dass einige Senatoren tatsächlich einen Sturz Valerianus' planten. Was natürlich nichts heißen musste, denn zum einen war der Senat nicht gerade eine kleine Gruppe und Macer sprach längst nicht regelmäßig mit jedem und zum anderen konnte er sich auch ganz sicher nicht mehr an jede Bemerkung und jeden Kommentar erinnern, der jetzt im Licht der neuesten Ereignisse eindeutig sein würde, es damals aber nicht war.


    Letztlich half ihm die Erkenntnis, Nichts zu wissen, aber ohnehin nicht weiter. Es galt nun, sich zu positionieren und eine Haltung zu dem zu entwickeln, was geschehen war und zu dem, was möglicherweise kommen sollte. Das war Macer sich selber schuldig und auch anderen Menschen, wie ihm zum Beispiel ein Brief eines seiner Klienten nahelegte. Macer war Consular, ehemaliger Statthalter, ehemaliger Kommandeur, da konnte er jetzt nicht einfach herumsitzen und die Dinge auf sich zukommen lassen. Zumal es ihm bei einigen Punkten auch gar nicht schwer fiel, eine klare Meinung zu haben. Wer immer diesen Mord begangen hatte und mit welchem Ziel auch immer, es war in seinen Augen ein abscheuliches Verbrechen. Soweit war die Sache einfach. Auch, dass dem Testament des Kaisers gefolgt werden musste, war ihm klar, ohne dass er dessen Inhalt kannte. Er vermutete eine Einsetzung seines Sohnes, aber der war ja auch tot.


    Erste Unsicherheiten machten sich auch in Macers Kopf breit, wie es weiter gehen sollte, wenn das Testament eben keinen Weg aufzeigte. Dann musste es unweigerlich zu Machtkämpfen kommen. Auf einer Seite würden die Mörder stehen, so viel war ihm klar. Allein aus diesem Grund, dass es Mörder waren, würde es mindestens eine Gegenpartei geben. In einer dieser Gegenparteien würde auch Macer sein, dachte er sich, denn auf Seiten der Kaisermörder wollte er ganz sicher nicht kämpfen. Aber er wusste weder, wen die Mörder noch wen die anderen als neuen Kaiser aufbieten würden. Zahlreiche Namen angesehener Consulare schossen ihm durch den Kopf. Aelius Quarto, mehrfacher Consular und blutsverwandter des ermordeten Kaisers. Vinicius Hungaricus, Consular und ehemaliger Prätorianerpräfekt. Matinius Agrippa, Consular und einfach stinkreich. Und natürlich auch Vescularius Salinator, kein Consular, aber de facto der mächtigste Mann Roms zur Zeit. Außerdem einige Statthalter, die die Lage nutzen könnten, sich von ihren Truppen ausrufen zu lassen. Alles in allem eine Situation, die von Macer weiteres Nachdenken erfordert, bevor er eine eigene Position hatte und mit Klienten und Freunden darüber sprechen konnte.

  • Die Ausgangssperre war aufgehoben und fast konnte man den Eindruck gewinnen, das Leben normalisiere sich. Der Tod des Kaisers war noch immer ein Thema, viel mehr aber inzwischen das Verschwinden einiger Senatoren. Bei einigen wusste man inzwischen, dass die Prätorianer mit ihrem Verschwinden zu tun hatten, andere wurden als Geächtete gesucht. Noch immer hatte Macer kein klares Bild, wer auf welcher Seite stand und wer im Recht war und wer nicht, aber immerhin waren die Seiten überhaupt mal ein wenig klarer. Im Prinzip war ihm schon jetzt klar, dass am Ende jeder das Recht würde gebrochen haben - fragte sich nur, welches und in welchem Umfang.


    In all diesen Gedanken kam ein Brief auf Aegyptus als kleine Abwechslung gerade recht. Quintilius Sermo schrieb ihm, und alleine das war schon eine Überraschung. Macer hatte nicht gewusst, dass dieser in Aegyptus war. Neugierig studierte er den Brief und begann gleich darauf, eine Antwort zu verfassen. Es gab wahrlich genug zu schreiben.

  • Der neueste Brief, der Macer erreicht hatte, hatte ihn sehr zum Nachdenken gebracht. Alleine der Name des Absenders hatte ihn schon überrascht und irritiert, denn bisher stand er weder in engem Kontakt mit Aurelius Lupus, noch hatte er damit gerechnet, Post von einem geflohenen Senator zu erhalten. Auch in Stimmung und Tonfall war der Brief anders, als die meiste Korrespondenz, die Macer überlicherweise führte, was die Einordnung nicht gerade erleichterte. Vor allem war es aber der Inhalt, den der Absender durchaus wortreich vor ihm ausbreitete und den Macer mehr als einmal lesen musste, um ihn vollständig zu erfassen. Immer wieder glitten schon nach wenigen Sätzens eine Gedanken ab, um das gelesene mit dem zu vergleichen, was er aus anderen Quellen oder eigener Anwesenheit wusste, was er erfahren hatte, was er bisher erschlossen und geglaubt hatte. Nur um dann festzustellen, dass Aurelius Lups ihn in seinen Gedanken gleichzeitig bestätigte und widerlegte. Ein wirklich schwer verdaulicher Brief, den Macer nach einer Weile einfach beiseite legen musste, um gedankenverloren einige Schritte im Garten zu tun, nur um dann wieder in sein Arbeitszimmer zurückzukehren, den Brief noch einmal zu studieren und festzustellen, dass es noch weitere Interpretationen und Schlussfolgerungen zu bedenken gab. An zufriedenstellende Schlussfolgerungen war nicht zu denken und an eine rasche Antwort schon gar nicht.

  • Nach dem abendlichen Besuch des seltsamen Boten seines Klienten Annaeus Modestus hatte Macer die Nacht mit sehr vielen Gedanken und weniger Schlaf verbracht und sah trotzdem auch am nächsten Morgen nicht klarer. Deshalb zog er sich nach der Salutatio gleich wieder in sein Tablinum zurück, öffnete die Türen zum Garten, um frische Luft und hoffentlich klare Gedanken hereinzulassen und grübelte weiter. Ein seltsamer Brief von Aurelius Lupus, ein seltsamer Bote von Annaeus Modestus, der den im Osten ausgerufenen Gegenkaiser unterstützen wollte, und zudem noch diverse verurteilte und verbannte Senatoren. Es war dringend an der Zeit, die Fakten zu ordnen und den Versuch zu machen, klarer zu sehen.


    Was wusste Macer also? Es hatte eine Verschwörung gegeben, in deren Folge Kaiser Valerianus samt seines Erben getötet worden war. Das war klar. Als Folge davon wiederum hatten die Prätorianer einige Senatorenhäuser durchsucht. Auch das stand fest. Gab es einen konkreten, berechtigten Verdacht gegen sie oder wollte jemand ihnen die Schuld in die Schuhe schieben? Macer wusste es nicht, hielt ersteres aber für wahrscheinlicher. Dafür spach, dass sich Tiberius Durus bei dieser Durchsuchung selbst getötet hatte. Macer nahm zumindest an, dass dies die Wahrheit war und der Brief von Aurelius Lupus hatte ihm das im Prinzip bestätigt. Auch wenn dieser Salinator die Schuld am Tod des Tiberiers gab und diesen als Mord bezeichnete. Versuchte also doch Salinator, einigen Senatoren die Schuld an einem Mord in die Schuhe zu schieben, den er selber hatte verüben lassen? Macer wusste es nicht. Salinator war der eingesetzte Erbe und hatte dieses Erbe angetreten. Völlig unwahrscheinlich war es nicht, dass dieser es sich blutig erworben hatte und daher der wahre Kaisermörder war. Aber was hatten die verurteilten Vinicier dann gestanden, bevor sie zum Exil verurteilt wurden? Warum waren andere Senatoren geflüchtet, noch bevor ihre Häuser durchsucht wurden? Und warum hatte sich ausgerechnet einer von diesen im Osten zum Gegenkaiser ausrufen lassen? Macer hatte keine klaren Antworten, aber alleine die Fragen machten es für ihn wahrscheinlich, dass Salinator nicht der Kaisermörder war.


    Aber was um alles in der Welt hatte Annaeus Modestus damit zu tun? Wie passte er ins Bild, wo er doch schon lange in Germania war? Am wahrscheinlichsten war wohl, dass die Kaisermörder ihn für ihre Seite hatten gewinnen können. Dass sie einen solchen Versuch machten, lag nahe, denn wenn es alles Senatoren aus Rom waren, hatten sie keine eigenen Truppen, um nun gewaltsam gegen Salinator vorzugehen. Im Osten hatte sich Palma Unterstützung geholt, von Norden sollte dies also nun Modestus leisten. Macer musste zugeben, dass dies strategisch Sinn machte. Aber wieso hatte ihn sein Klient dann gewarnt? Wusste er, dass er mit Kaisermördern kooperierte? Dass er gegen einen rechtmäßigen Kaiser kämpfte? Es ergab keinen Sinn, dass er seinen Patron schützen wollte, wenn er überzeugt wäre, auf der richtigen Seite zu stehen. Stand er also auf der falschen? Oder stand er auf gar keiner Seite und die germanischen Truppen mischten sich überhaupt nicht ein? Hatte ihm der Bote einen gefälschten Ring gezeigt, um sich auszuweisen, und war in Wirklichkeit ein bezahlter Handlanger der Kaisermörder, der in Rom Verwirrung stiften sollte? Macer hielt auch dies für wahrscheinlich oder zumindest nicht völlig abwegig.


    Was sollte Macer also nun tun? Salinator vorwarnen, dass sich auch im Norden etwas zusammenzog? Das wäre richtig, wenn Salinator der Gute war und Modestus auf der Seite der Kaisermörder stand. War Modestus dagegen außen vor, würde eine solche Warnung eher den Kaisermördern in die Hände spielen, indem sie die erwünschte Verwirrung steigerte. Und wenn Salinator selber doch nicht der Gute war, würde Macer sich mit einer solchen Warnung selber auf die falsche Seite stellen. Die Situation war mehr als verzwickt und auch nach Stunden des Grübelns und Nachdenkens hatte Macer noch immer keine Entscheidung.

  • Zwischen all den politischen Wirren und Unklarheiten eines heraufziehenden Bürgerkriegs konnte und wollte Macer auch das politische Tagesgeschäft nicht vernachlässigen und das bedeutete, dass er sich um Klienten und andere Schützlinge kümmern musste. Die Wahlen standen bevor und außerdem gab es immer irgendjemanden, der irgendwo irgendeine Hilfe haben wollte. Macer kümmerte sich durchaus gerne darum, waren solche Dinge doch eine nette Abwechslung zu den großen Sorgen Roms, auch wenn man in diesen Tagen wohl auch bei solchen Kleinigkeiten sehr darauf achten musste, wen man um welche Art von Gefallen bat, um nicht ungeahnt in politische Verstrickungen zu stolpern. Dass gerade seine eigenen hochrangigen Klienten, die er so gerne bei der Erfüllung von Wünschen niederrangiger Klienten mit einspannte, in eben solche politischen Verstrickungen verwickelt waren, machte die Sache dabei nicht einfacher.


    Mit Fabius Torquatus war es immerhin insofern einfach, als dieser in Rom an den Kaiserhof wollte, so dass Macer ohnehin neue Wege gehen musste, da er dort keine direkten Kontakte hatte. Also musste es indirekt gehen und in jedem Fall nicht so wie vom Fabier gewünscht mit einen Brief, den jener auch noch selber überbringen wollte. Indirektion hieß das Zauberwort, das Macer bei diesen Vorhaben so sehr schätzte, wenn es darum ging, über diesen und jenen einen Kontakt herzustellen, der dem eigentlichen Bittsteller dann letztlich wie von Zauberhand die Türe öffnete - wenn alles klappte.

  • Ein paar Tage später konnte sich Macer eine kleine Triumphgeste und ein anschließendes zufriedenes Grinsen nicht verkneifen, als er den Brief las, den ihm Fabius Torquatus geschickt hatte. Jetzt hatte er also wieder eine Kontaktperson am Kaiserhof in der Abteilung des Ab epistulis. Das war strategisch gesehen geradezu ein Glücksfall, über den es einfacher als bisher sein sollte, selber Bittgesuche unterzubringen und unauffällig mitzubekommen, wer ansonsten so durch besondere Bittgesuche auffiel. Dass sein Klient erst einmal als Notarius anfing, betrachtete Macer trotz aller Einschränkungen, die sich damit ergaben, als Vorteil. So bestand nämlich eine deutlich geringere Gefahr, dass der Mann seinen Posten wieder los wurde, falls es im Zuge des Bürgerkriegs zu neuerlichen Umwerfungen am Kaiserhof käme.


    Noch einmal überflog Macer zufrieden den Brief, dann verfasste er eine schnelle Antwort, legte ihn beiseite und wandte sich gut gelaunt der nächsten Angelegenheit auf seinem Schreibtisch zu.

  • Der Bürgerkrieg zog immer drohender näher an Rom heran, zumindest wenn man den verschiedenen Nachrichten und Informationen allen glauben konnte, als Macer einen Brief von seiner Geschäftspartnerin Iunia Axilla erhielt. Es war ein langer Brief, den er im Tablinum in Ruhe studierte. Sie war also nach Ostia gezogen, um vor dem Bürgerkrieg zu fliehen. Macer schaffte es nicht, sich schnell eine Meinung zu bilden, ob das eine gute oder schlechte Idee war, also ließ er es und laß stattdessen weiter. Als das Abendessen bei ihr erwähnt wurde, verzog er den Mundwinkel, nur um beim nächsten Abschnitt selber ein klein wenig ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Irgendeine Stimme sagte ihm, dass er ihr auch längst schon hätte schreiben können, dass sich ihr Einsatz für Fabius Torquatus tatsächlich gelohnt hatte. Das würde er dann jetzt wohl erst einmal nachholen müssen, was umso leichter fiel, da sie am Ende auch noch nach geschäftlichen Belangen fragte, die ohnehin eine Antwort nötig machten. Macer legte daher den Brief auf den Schreibtisch und begann, über eine Antwort nachzudenken, die er wenig später auf einer Wachstafel zu formulieren begann.

  • Die Trauertage nach dem Tod von Albina hatten Macer sichtlich mitgenommen und auch wenn nach dem Ende der Pompa Funebris das Haus weitgehend von allen sichtbaren Anzeichen der Trauer gereinigt worden war, waren die weniger sichtbaren doch noch da. Die Gedanken, die Macer hatte, die Gespräche, die ihm fehlten, die Geräusche und Ereignisse, die sich um Albina drehten und nun einfach nicht mehr stattfanden. Alles nicht greifbar, und doch in manchen Momenten noch mit einer sehr ergreifenden Wirkung auf Macer.


    Wesentlich greifbarer und daher ein guter Punkt zum Festhalten waren da die Kondolenzbriefe, die auf Macers Schreibtisch im Tablinum lagen. Es waren keine überwältigenden Stapel, aber doch genug, um Macer einige Tage immer wieder zu beschäftigen, bis alle beantwortet waren. Heute war zum Beispiel der von seiner Geschäftspartnerin Iunia Axilla dabei, der ihm vor allem deshalb besonders wichtig war, weil sie sich als junge Mutter wohl im Besonderen mit Albinas Tod befassen konnte. Außerdem bot sie ihm Hilfe wegen seiner eigenen neugeborenen Tochter an, so dass er ihr auf jeden Fall antworten musste. Also griff er nach einer Wachstafel und begann, eine Antwort vorzuschreiben.

  • Langsam wurden die Tage wieder spürbar länger und wie immer um diese Jahreszeit, wanderten Macers Gedanken damit öfter als im Winter zu seinem Landgut in Oberitalien. Zwar machte sein Verwalter dort gute Arbeit und würde Macer zweifellos ganz von selber in Kürze einen Brief mit einem Bericht über den Verlauf der Winterzeit schicken, aber trotzdem hatte Macer das Bedürfnis, sich als guter Gutsherr zu erweisen und seinerseits einen Brief in den Norden zu schicken und sich nach dem Stand des Gutes zu erkundigen. Überraschungen waren nicht zu erwarten, denn wenn es ernste Zwischenfälle gegeben hätte, hätte man ihn zweifellos informiert, aber so konnte er zumindest etwas gegen seine eigene dezente Untätigkeit tun, die ihn im Winter befallen hatte. Politisch tat sich wenig, auch bei der Factio war mal wieder wenige rlos als ihm lieb war, seine Tochter machte keinen Ärger und für den täglichen Tratsch in den Thermen hatte sich Macer ohnehin nie wirklich interessiert. Da konnte einem auch als Consular ein wenig langweilig werden und ein wenig Verantwortung für ein Landgut kam da als Ablenkung gerade gelegen. Also setzte sich Macer hin, zückte einen Stylus und begann, den Entwurf eines Briefes auf eine Wachstafel zu kritzeln.

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