Villa Helvetia - nahe Misenum

  • Der Senator war schon lange nicht mehr hier gewesen. Viele erinnerungen kamen in ihm auf, an Ort, Menschen und Geschehnisse der Vergangenheit. Sofort war er sich sicher, dass dieses Haus perfekt sein würde, für die Aufgeben, denen er sich im Leben noch widmen wollte. Was die Geschichtsschreibung anging, hatte er einige Vorteile. Von vielen Ereignissen der Vergangenheit wusste beinahe niemand mehr so genau bescheid, wie er es noch tat. Vielleicht das einzige Geschenk, was er seinem Staat noch machen konnte. Am Ende seiner Karriere, auf eben diese zurückzublicken und wieder zu geben, wie und wo der Weg bekann. Was geschah und warum es das tat. Wer die Entscheider und Drahtzieher waren sowie die Hintergründe der Ereignisse.


    Der Senator hatte nur wenige Personen mitgebracht. Einige Sklaven und einen Freigelassenen, der ihm zum Freund geworden war. Dubnus hatte bereits Trajan gedient sowie Julian. Als Freigelassener hatte er den kaiserlichen Dienst verlassen. Doch seine Kontakte nie verloren, der Senator war froh, ihn heute noch an seiner Seite zu haben. Und noch glücklicher war er darüber, dass er dieses intellektuelle Exil mit ihm teilte.



    "Senator. Eure Sachen sind ausgepackt und eingeräumt. Das Saubermachen wird allerdings noch geraume Zeit in Anspruch nehmen."


    Er hatte sich nie angewöhnt Geminus Senator zu nennen. Bei jedem anderen hätte er diese Anrede heute wohl fast als Hohn verstanden, doch Dubnus sagte dies aus respekt vor dem alten Freund und der gemeinsamen Zeit.


    "Setz Dich, lass das die Sklaven machen. Ich habe hier eine Amphore Falerner, die es zu vernichten gilt!"


    Die Einladung lies den ebenfalls älteren Mann grinsend Platz nehmen. Beide füllten sich einen Kelch Wein und betrachteten die Pflanzen des Atriums. Verwildert aber schön. Der milde Wind wehte durch die Szenerie.


    "Was meinst Du Dubnus, worüber ich schreiben sollte?"


    Der Angesprochene nahm einen kurzen Schluck.


    "Es gäbe da ein paar Themen, die geradezu auf Dich zugeschnitten sind. Nein, ich möchte sogar behauten, dass diese außer Dir keiner niederschreiben könnte. So zum Beispiel die gesamte Amtszeit des Kaisers Traianus, die Dacerkriege. Und ganz besonders das Ende dieser Zeit. Dann die Restauration der ulpischen Dynastie und der Aufstieg von Julian. Hispania Occupata und der Bürgerkrieg. Viele Dinge, über die nur wenig veröffentlicht wurde und überdies gibt es beinahe keine aussagekräftigen Zeitzeugen mehr. Außer den minimalistischen Texten der Chronicusa .... ist so gut wie nichts erhalten."


    Der Senator nickt bedächtig.


    "Wohl wahr. Was die Chronik angeht. deren Texte habe ich mir kopieren lassen und hatte sie im Gepäck."


    Was Dubnus zweifellos bekannt war.


    "Ja, Du triffst meine Gedanken da sehr genau. Mit was davon ich beginnen werde, das weiß ich noch nicht. Über Trajans Regierungszeit müsste sogar ich sehr viel recherchieren und lange nachdenken, um mich an Namen und Geschehnisse zu erinnern. Was seinen Sturz und Tod angeht, da fiele mir dies noch leichter."

  • ‚Das rauschende Meer mit der krönenden Gischt welches oftmals an den Strand schlug und nach Beigaben verlangte oder einfach nur das Ohr mit natürlicher Musik erfüllte. Das Schreien der Vögel, das Lachen der Sklaven. Die Spuren im Sand und der Wind der das braune Haar zerzauste, in dem Wissen, dass kaum eine Bürste dieses später würde bändigen können. Schon jetzt hörte Aviana das Stöhnen Tullias, die…‘
    „Domina?“ Helvetia erwachte mit einem leichten Zucken aus ihrem Tagtraum, der sie in der hin- und herschaukelnden Kutsche überkommen hatte. Kurz blinzelte sie, als ob sie sich an das spärliche Tageslicht gewöhnen müsste, das in der Kutsche ankam, dabei hatte sie nicht einen Moment die Augen geschlossen. Nur an die Realität, an die musste sie sich für den Moment gewöhnen. Sie war schon sehr erleichtert, dass der Weg vom Hafen Misenums aus nicht allzu weit war, wenn sie die Villa Rustica ihres Vaters erreichen wollte. Was die Reise anging hatte sie bedauerlicherweise auch ihre guten Manieren über Bord geworfen und sich nicht angemeldet. Die Abreise war zu plötzlich gekommen und die Nachricht ihres Eintreffens vermutlich zeitgleich mit ihrem tatsächlichen Eintreffen angelangt.
    „Domina siehst du? Dort vorn ist die Villa, es ist nicht mehr weit!“ Tullia hatte den Vorhang leicht zur Seite geschoben und Aviana neigte sich minimal vor um hinaus blinzeln zu können. Es war beispiellos schönes Wetter, wenngleich noch immer deutlich zu spüren war, dass der Sommer noch ein wenig auf sich warten lassen würde. Ein nervöses Pochen in ihrer Brust machte sich zeitgleich mit dem Gefühl bemerkbar, dass sie sich gleich übergeben würde. Sie hatte ihren Vater ihr Leben lang noch nicht gesehen und in ihr nagten starke Zweifel, dass sie willkommen war. Sie hatte manches über Helvetius Geminus in Erfahrung bringen können und er hatte ein derart politisch erfülltes Leben hinter sich, dass sie zweifelte, dass er sich über ein uneheliches Kind übermäßig freuen würde, das unangemeldet auf ihn zugestolpert kam. Sie sog tief die frische Luft ein, ehe der Vorhang wieder den Blick nach draußen versperrte. Zögerlich wandte sie sich ihrer Leibsklavin, Tullia zu, die sie nun schon eine recht lange Zeit durchs Leben begleitet hatte. Es gab Tage, da wünschte Aviana sich, dass Tullia sich in Luft auflöste, aber alles in allem war sie sehr froh über den lebensfrohen, aber doch manchmal etwas sehr strengen Charakter der Sklavin.
    „Tullia, was soll ich tun wenn er mich fortschickt? Ich meine…“ Aviana stockte einen Moment und musste sich besinnen. Dieses Szenario waren sie seit der Abreise so unglaublich viele Male durchgegangen aber so kurz vorm Ziel schienen alle Hoffnungen sie wieder verlassen zu haben. „Ich meine, ich habe mich nicht angemeldet, ich bin ein uneheliches Kind. Er wird vermuten ich bin nur auf seinen Titel aus und auf sein Geld und…“
    „Aber Domina, das hatten wir doch schon…“ kam postwendend die schon beinahe genervte Antwort, die Aviana ausnahmsweise nicht mit einem strengen Blick quittierte. Nein, viel eher hoffnungsvoll, als würde sie ertrinkend einen Strohhalm zum atmen suchen, haftete ihr Blick an der Nubierin. „Er adoptierte dich schon viel früher, wenn er dich nicht hätte annehmen wollen, dann hätte er dies damals schon entsagt. Aber trotz des Umstandes dass es zu keiner Eheschließung zwischen deinen Eltern kam, hat er dich adoptiert und vor Römischem Recht zu seiner Tochter gemacht. Und wenn er dich wegschickt, seine Verantwortung trägt er trotz alledem!“
    Helvetia wandte nur unsicher den Blick ab und starrte ins Leere. Sie wollte doch gar nicht dass er die Verantwortung trug, sie wollte seine aufrichtige Zuneigung. Was wenn er nun einer dieser korrupten Politiker war die ohne zu zögern über Leichen ging? Ihre Mutter sagte sie sähe ihm nicht unähnlich, was, wenn sie nun die Male eines schlechten Menschen trug? Da plötzlich hielt die Kutsche und ihr Blick erstarrte. Es schien wohl an der Zeit langsam…
    „Aussteigen, Herrin!“ ertönte von draußen die dunkle Stimme des Kutschers, ebenfalls Sklave nubischer Abstammung der unter der Sklavenschaft nicht unbeliebt war. Helvetia verdrängte die kichernden Sprüche der Sklavinnen über seine Bestückung, die ihr urplötzlich in den Sinn kamen. Heftig schüttelte sie den Kopf und erntete einen verständnislosen Blick Tullias. Dann erhob sie sich und ließ sich heraushelfen. Mit zaghaftem Schritt erfasste sie den Boden unter ihren Füßen. Nach der langen Zeit der Seereise und der anschließenden Kutschfahrt war es eine riesige Wohltat, zu wissen, dass der Boden für länger so fest bleiben würde. Sie übte kurz ihr gewinnendes Lächeln, was eher in eine Fratze umschlug, und brüstete sich leicht unter der schweren Stola. Tullia zupfte rasch die letzten Falten zurecht, prüfte den makellosen Sitz der Palla und ging anschließend vor der Herrin her, auf die Villa Rustica Helvetia zu. Die Zeit schien in Zeitlupe zu verstreichen, während Helvetia sich immer weiter dem Eingansportal näherte. ‚Gleich ist alles vorbei, gleich werde ich abgewiesen! Nur nicht weinen. Die Kette? Jaa, da ist die Kette…‘ schoss ihr in einem ewigen Kreislauf durch den Kopf, während sie das kalte Metall an ihrem Fußgelenk spürte. ‚Und wenn dies nun die falsche Villa ist?‘ keimte in ihr eine Hoffnung auf. Hoffnung? Doch, in diesem Moment wäre sogar eine plötzliche Hinrichtung beinahe eine große Hoffnung, nur, um der Begegnung zu entfliehen. ‚Und wenn er nett ist? Wenn alles gut geht?‘ Ja, die Gedanken vernahm sie gerne in ihrem Hinterkopf. Wie aus der Ferne hörte sie, wie Tullias Worte verklangen.
    „…tia Aviana. Sie würde gerne mit Helvetius Geminus sprechen, ist dieser zugegen?“ Mit einem nervösen Lächeln, das eher einem dümmlichen Grinsen ähnelte, neigte sie entgegen ihrer sonstigen Art leicht den Kopf und sah mit den Augen zu Boden. Den Augen, die ihrem Vater ohne jede Widerrede absolut ähnelten, was zu diesem Zeitpunkt weder er noch sie ahnen konnten.


  • Dubnus hatte den Wagen bereits kommen gehört. Wenn draußen jemand zu hören war, dann kam dieser auch zu diesem Haus, denn sonst war in weitem Umkreis nichts anderes. Er öffnete die Türe und die Besucher waren bereits heran. Der Mann begutachtete die Bittsteller. Er diente einer Familie, die früher kaiserliche Familie und Freunde zu Gast gehabt hatte, Senatoren in ihren Reihen wusste, ebenso wie Gardepraefecten. Dubnus roch geafhr und er war es lange gewohnt sie zu erkennen. Und irgendetwas knisterte hier. Aber er konnte es trotzdem nicht einordnen. Ein Nubier. Stand völlig ruhig da, viele Schritt entfernt, versteckte nichts, kümmerte sich nur um das Pferd. Sonst niemand zu sehen. Außer den zwei Frauen natürlich, doch die hatte er bereits als Mindergefahr zurückgestellt und widmete sich diesen erst jetzt. Eine voraus und eine ein wenig dahinter. Nach Kleidung Herrin und Sklavin oder Untergebene. Als die erste heran war, hob der Freigelassene den Blick.


    ... Helvetia Aviana? Dubnus war sich sicher, dasss Geminus stets gesagt hatte, dass es keine Helvetier mehr gäbe. Alle seien tot oder vermisst. Oder beides, wie wahrscheinlich bei Falco der Fall. Wer war aber nun diese Person, die da hinter der ersten herankam. Geminus war allem aufegschlossen, einfach wegschicken würde Dubnus den Besuch nicht.


    "Seid auch ihr mir gegrüßt. Der Senator ist gerade aus Misenum zurückgekehrt und ist im Garten, hinter dem Haupthaus. Ich melde ihm ... Helvetia Aviana ..., wenn ich richtig verstanden habe? Welchen Anliegen soll ihm weitergeben?"


    Ein wenig tiefer bohren, war ratsam.

  • Helvetia's Herz schien ihr aus der Brust herauszuspringen. Wenn dies möglich wäre, würde sie es jedenfalls nicht wundern, wenn es demnächst vor ihr auf den Steinen landen würde. Sie betrachtete den vor ihr stehenden Mann und hatte für einen Moment den Verdacht, ob er vielleicht der Vater sei? Aber schon bald erübrigte sich diese Vermutung. Vermutlich würde sie selbst im Kaiser höchstpersönlich ihren Vater vermuten, da sie diesen auch noch nie gesehen hatte. Gerade wollte sie selbst zu einer Antwort ansetzen, als Tullia ihr zuvorkam. Nervös zibbelte Helvetia an ihrer Kleidung herum.


    "Helvetia Aviana ist korrekt. Nun das Anliegen sieht mir nach einem familiären Besuch aus, wie ich die Lage einschätzen würde." entgegnete Tullia also spitz, wobei Helvetia beinahe schon fürchtete, dass die Antwort ein wenig zu spitz war. Sie schluckte kräftig und fügte ihrerseits rasch noch entschuldigend hinzu: "Verzeih den Tonfall, Ianitor, Tullia weiß des Öfteren nicht was sich gehört. Helvetius Geminus ist mein Vater..." Und zugleich fiel ihr auf, warum Tullia mögilcherweise nicht direkt die Wahrheit ausgesprochen hatte und warum Helvetia für gewöhnlich lieber den Mund hielt. Nun würde sie erst Recht den Eindruck einer Erbschleicherin erwecken. Unsicher rieb sie sich die Nasenspitze und blickte die schöne Villa hinauf, um nur nicht an die missliche Situation zu denken in der sie sich, ihrer Auffassung nach, befand.


  • Ein familiärer Besuch. Also nicht verhört. Vielleicht irgendeine entfernt Verwandte? Zumindest reichte das Dubnus soweit. Er würde die beiden dem Senator vorführen. Er wollte sich schon wegdrehen und die Türe freigeben, da ergriff das junge Mädchen das Wort.


    Geminus ist ihr Vater? Dubnus musste ersteinmal schlucken. Das erschien ihm wenig wahrscheinlich. Sein Verdacht nach einem Gaunerstück stieg wieder deutlich an. Er spähte wieder zu dem Nubier hinüber, der weiterhin unauffällig über die Nüstern des Pferdes strich. Er würde sie hineinbitten und den Senator entscheiden lassen, wie diese Tragödie ausgehen würde. Und wachsam bleiben ...


    "Dann darf ich Euch herein bitten!"


    Er drehte sich weg und machte die Türe somit einladend weit auf.


    "Folgt mir ins Atrium."


    Durch den Eingangsbereich hindurch, folgten ihm die beiden ins Atrium. Dort wies er auf eine Bank und verschwand tiefer im Haus.

  • Helvetia war keine gute Rednerin und verplauderte sich gerne in ihrer großen Aufrichtigkeit. Dafür aber war sie eine umso bessere Beobachterin und das Zaudern ihres Gegenübers war ihr beinahe sofort aufgefallen. Sie unterdrückte ein resigniertes Seufzen, drehte sich um und gab dem Nubier einen kurzen Wink, dass sie nun hineingehen würden. Bis hierher hatte er nämlich auch eine wachende Funktion inne gehabt. Er lächelte den beiden Frauen zu, die nun hinter Dubnus hinterhereilten. Mit interessierten Augen sah Helvetia sich um und versuchte anhand der Einrichtung einen Eindruck von Geminus zu erhaschen. Allmählich wich die blinde Aufregung eher einer großen Freude und diese spiegelte sich auch sehr bald in ihren leuchtenden Augen wieder.


    Im Atrium angekommen blieb Helvetia höflich stehen, denn gleich würde der Senator hereinkommen und sie wollte nicht gleich den Eindruck erwecken, sich unaufgefordert gesetzt zu haben. Außerdem konnte man viel leichter agieren wenn man stand, abgesehen davon, dass sie bei einem erneuten Aufstehe nicht ihre Stola erneut würde richten müssen.
    "Ach Tullia, gleich kommt er.." tuschelte Aviana leise und ließ ihren Blick eilig durchs Atrium huschen um zu sehen, ob er irgendwo auftauchte. Tullia hingegen lächelte nur beruhigend. Ihr schien bewusst zu sein, dass jedes weitere gesprochene Wort die Aufregung nicht lindern würde und derzeit schien Aviana auch ein wenig an Selbstbewusstsein gewonnen zu haben.
    "Hoffentlich erkennt er das Kettchen überhaupt, wer weiß, ob es ihm an meiner Mutter seinerzeit überhaupt aufgefallen ist. Ich mein, denk nur wie lang das her ist. Ich habe ja nicht einmal eine Ahnung wie alt er überhaupt ist..." sprach sie weiterhin leise mit ihrer Sklavin.

  • Geminus hatte sich eine kurze Weile Dubnus Verschwörungstheorien angehört. War währenddessen aber selber still geworden und grübelte selber nach. Über anderes, als sein Gegenüber vermutete. Helvetia Aviana war dabei das finale Stichwort. Als er es vernommen hatte, schickte er den alten Dubnus weg. Nicht ohne ihm gedankt und ihm deutlich versichtert zu haben, dass keine Gefahr bestehe. Bis eben hatte Geminus gegrübelt, ob der den Dacischen oder den Restaurationskrieg zuerst literarisch aufarbeiten sollte. Doch ein ganz persönliches Schlachtfeld anderer Art rief ihn ganz offensichtlich zu einer unerwartet neuen Runde. Er legte seine Unterlagen beiseite und ging ins Haus zurück.


    Helvetia Aviana. Der Name war ihm, im Gegensatz zu seinem exilierten Mitstreiter nicht unbekannt. Nur das dazu passende Gesicht, kannte auch er nicht. Lange war es her, dass er sich über diese Dinge Gedanken gemacht hatte. Die Mutter des Mädchens und er, waren sich damals einig gewesen, dass der unvermeidliche Skandal, den ihre Liebe und die daraus entstandene Frucht, vielen Menschen nur Leid bringen würde. Deswegen waren die beiden nach Hispania gegangen, in die Nähe von Valentia, zu nahen Verwandte. Den beiden sollte es an nichts fehlen und er hatte auch rechtlich dafür gesorgt, dass seine Tochter nicht vaterlos blieb. Doch ein rechtlicher Vater ersetzt keinen tatsächlichen.


    Er näherte sich dem Licht des Atriums. Er näherte isch den beiden Frauen. Und erkannte sofort die Mutter im Gesicht ihres Kindes. Mit welchen Gefühlen und welchem Anliegen, war sie nach so langer Zeit wohl zu ihm gekommen? Er würde zunächst behutsam vorgehen, denn er könnte es gut verstehen, wenn sie ihn hasste.


    "Aviana. Ich hätte nicht gedacht, Dich jemals kennenzulernen. Doch nun da es so ist ..... freue ich mich."

  • Immer wieder glitt Avianas Blick über ihre Kleidung, laufend in Furcht einen Fleck entdecken zu können. Dabei ließ sie vollkommen außer Acht, dass Tullia sie schon Zeigefingerschwenkend auf so einen aufmerksam gemacht hätte. Dann hörte sie wie sich mit leisem Hallen Schritte näherten. Sie sog einmal tief die Luft ein und warf der Nubierin einen ängstlichen Blick zu, die allerdings aufmunternd lächelte. Und auch Aviana sagte sich, jetzt, wo sie schon soviel Mut aufgebracht hatte hierher zu kommen, würde die Begegnung mit Geminus sicher das geringste Übel werden. Sie wandte sich in die Richtung aus der sie die Schritte näherkommen hörte und nahm eine vernünftige Haltung ein, als auch schon eine Gestalt zu sehen war. Aus wachen Augen nahm sie jedes Details auf, Details, die mit jedem Schritt immer mehr wurden. Und was die Augen anging, hatte ihre Mutter Recht gehabt, die hatte sie wirklich von ihrem Vater, wenngleich auch der Rest eindeutig mütterlicherseits Ähnlichkeit aufwies.


    "H.. Helvetius Geminus.." hauchte sie und merkte wie seltsam ihr Eindruck sein musste. Noch immer sah sie ihn unverwandt an, ihre Augen strahlten nachwievor, wenngleich sie auch merklich erblasst war. Ein komisches Gefühl beschlich sie, eine Mischung aus Euphorie und Nervosität. Sie räusperte sich um nicht wie ein Hühnchen dazustehen, nachdem sie ihn schon so übermäßig förmlich begrüßt hatte. Dass er dem Ganzen eher offen gegenüber stand hatte seine Begrüßung deutlich genug gezeigt. Aber geschehen war geschehen.
    "Und wie ich mich erst freue! Ich habe solange auf diesen Moment gewartet.. Ich hoffe ich komme nicht ungelegen oder .. unerwünscht, denn i... es muss ja schon komisch sein dass ich ohne jede Vorankündigung hier hereinplatze u..und Dich so überrumpele und.. Aber Du erinnerst dich an mich?" Plapperte sie, bis die Erkenntnis endlich zu ihr durchdrang, dass er sich an sie erinnerte! Ein fröhliches Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.

  • Zunächst war sich Geminus ihrer Reaktion nicht gewiss. Sie hauchte seinen Namen. Und verlore darauf merklich an Farbe. Schock oder aufkeimende Wut, vorbereitet durch emotionale Überreitzung, konnten sich durchaus so vorbereiten. Daher verhielt sich der Helvetier zunächst abwartend.


    Sie freute sich ebenso, hatte sogar lange auf diesen Moment gewartet? Nein .... sie hasste ihn nicht, sie hatte sich nach ihm gesehnt. Die Erkenntnis traf ihn unverhofft. Er versuchte seine Gedanken zunächst zu sortieren.


    "Nein, Du kommst nicht ungelegen. Sogar ganz und gar nicht, ich habe mehr als Zeit, als ich ausfüllen kann!"


    Versuchte er eine ungezwungene Erwiderung.


    "Ich kann Dich schon verstehen, dass Du keine Vorwarnung voraus geschickt hast. Denn genau wie ich jetzt, triffst Du das Ungewisse. Ja, ich erinnere mich an Dich. An den absolten Willen Deiner Mutter, Dich zur Welt zu bringen und an ihre Freude über Dich, bevor sie Dich überhaupt je gesehen hatte."


    In dem Lächeln auf ihrem Gesicht, konnte er sich verlieren. Es ähnelte sehr ihrer Mutter. Er empfand den tiefen Wuinsch zu verhindern, dass diesem Menschen Leid widerfuhr.

  • Aviana lauschte lächelnd seiner Stimme, auf welche sie so lange bereits gewartet hatte. Sie mochte sie. Es konnte daran liegen dass sie so lange erwartungslos auf sie gewartet hatte und sie nun jede Art mögen würde, oder aber dass es wirklich, zusätzlich zur Verwandtschaft, aufrichtige Sympathie war. Aber er wirkte auch etwas ausgebrannt, hatte sie den Eindruck. Ein kleines bisschen. Beschlussfassend wirkte es, als sie ihre Arme vor ihrem Körper kreuzte und die Hände ineinander legte.
    "Ich schätze Zeit ausfüllen, das kann ich wirklich für Dich übernehmen, wenn das wirklich ein Problem sein sollte." Aviana's Gesichtsausdruck war unverändert vergnügt. Allerdings schien sie endlich wieder ein wenig an Farbe zu gewinnen.
    "Und vorausgeschickt habe ich vor Allem deshalb nichts, weil der Aufbruch von einem Moment auf den Nächsten erfolgte. Allzuviele Schiffe segeln dieser Jahreszeit nicht, das Meer ist ja recht launisch. So habe ich die nächstmögliche Variante genutzt und bin mit Tullia und Kartos aufgebrochen!" erklärte sie ihre Entscheidung, ehe sie den Gedanken an ihre Mutter zuließ. Erst dann entgegnete sie eher leise:
    "Der letztendliche Aufbruch erfolgte als Mutter starb. Sie.. auch sie sagte und betonte immer wieder wie froh sie war, mich geschenkt zu bekommen. Sie hat mich auch niemals belogen was dich anging, wenngleich ich auch erst später von dir erfahren habe." schilderte sie aufrichtig.

  • Geminus hatte Freude daran mit ihr zu reden. Vielleicht lag das daran, dass er Familie so lange vermisst hatte. Wie sehr, wurde ihm erst jetzt bewusst. Aber er rief sich zur Ordnung, er konnte sich nicht zu sehr an sie gewöhnen, bevor er nicht wusste, was sie eigentlich wollte und vor hatte.


    "Du möchtest mir beim Zeit erfüllen helfen? Du möchtest also länger bleiben?"


    Geminus merkte, dass diesem Teil des Gespräches erst einmal ein anderer vorgehen musste. Er wusste ja gar nichts, was führte sie jetzt her, was wollte sie, erwartete sie von ihm. Warum ging sie weg, von wo sie kam?


    "Bitte setzt Dich doch erst einmal."


    Er bot ihr einen Platz im Atrium an, an dem Platz, wo er immer mit Dubnus saß. Er blickte kurz zu Tullia, diese erkannte sofort den Sinn seines Blickes. Er war sich seiner Unhöflichkeit bewusst geworden, sie nicht ins Gespräch einbezogen oder sie nur begrüßt und gefragt zu haben, wer sie denn überhaupt sei. Tullia winkte ab, lächelte und trat einige Schritte zurück. Also eine Sklavin und noch dazu eine wohl ausgesuchte. Geminus lächelte kurz zurück.


    "Möchtest Du etwas trinken nach der Reise?"


    Sprachs und winkte Dubnus bereits entsprechend zu ohne eine Antwort abzuwarten. Aviana dachte wohl ähnlich und began von alleine.


    "Und vorausgeschickt habe ich vor Allem deshalb nichts, weil der Aufbruch von einem Moment auf den Nächsten erfolgte. Allzuviele Schiffe segeln dieser Jahreszeit nicht, das Meer ist ja recht launisch. So habe ich die nächstmögliche Variante genutzt und bin mit Tullia und Kartos aufgebrochen!"


    Aufbruch Hals über Kopf?


    "Der letztendliche Aufbruch erfolgte als Mutter starb. Sie.. auch sie sagte und betonte immer wieder wie froh sie war, mich geschenkt zu bekommen. Sie hat mich auch niemals belogen was dich anging, wenngleich ich auch erst später von dir erfahren habe."


    Decria Priscilla war gestorben. Das belastete den Senator trotz all der Jahre merklich. Was vorallem daran lag, dass er die Zweisamkeit mit ihr nie wirklich ausleben durfte, daher war seine Erinnerung an ihre Zeit sehr frisch.


    "Das tut mir sehr leid. Ein harter Schlag. Das klingt nach ihr, ja, Ehrlichkeit und Offenheit waren ihr immer sehr wichtig."


    Ein Grund, warum er sie einmal sehr geliebt hatte. Er blieb einige Augenblicke still sitzen ehe er erneut sprach.


    "Warum hat Dich das zum Aufbruch gezwungen?"


    Er war sich noch nicht ganz klar darüber, warum sie so abrupt ihre Heimat und gewohnte Umgebnung aufgegeben hatte. Sie musste dort doch Freunde und Häuslichkeit haben. Was ihr eigentlich tröstlicher hätte sein sollen, als ein Fremder Mann über dem Meer.

  • Sie schwieg als Helvetius Geminus sie fragte, ob sie ihm beim Zeit erfüllen helfen würde. Da war sie vorschnell gewesen und hatte sich sogleich selbst eingeladen, ohne vorher vielleicht ein wenig dezenter zu fragen. Aber sein Tonfall sagte eindeutig, dass es ihn nicht störte, doch schwieg sie trotzdem vorerst nach seiner Bekundung über dieses Thema und ging zum Nächsten über, dem Warum ihres Auftauchens, das wohl sehr überraschend gekommen war, hier, im schönen Italia. Sie folgte seiner Aufforderung und nickte nur zaghaft auf sein Angebot hin, etwas zu Trinken zu erhalten. Sie war gespannt, was in diesem Hause gereicht wurde, aber dann hob sie erst einmal ihre Stimme und erzählte die Kurzfassung der Geschichte zu ihrer Mutter und erwartete seine Reaktion.
    Als sie geendet hatte blieb ihr Gesicht an seinem hängen. Sie beobachtete seine Züge sehr genau und sie fand dort einen sehr traurigen Ausdruck, zumindest in seinen Augen. Wie ein kleiner Schleier der sich vor sie gezogen hatte. Damit hätte sie nicht gerechnet, immerhin war es schon lange her, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte. Wärme und Mitgefühl regten sich in ihr, beinahe, als hätte sie selbst gar nicht getrauert und würde nun auftauen. Sie gab sich fix einen Ruck um auf seine Frage einzugehen:
    "Naja, ich war einfach irrsinnig neugierig zu sehen wer nun mein Vater war. Und auch wenn ich Onkel und Tante gern habe, so war nach dem Verlust meiner Mutter doch das Interesse an meinem eigenen Vater größer als an ihnen beiden. Es..." Aviana errötete leicht und nestelte an ihren Fingernägeln herum. Es musste wahnwitzig klingen dass sie sich zu dieser launischen Jahreszeit aufmachte um ins Ungewisse zu reisen - und das als Frau mit nur zwei Begleitern.
    "... nunja, es war halt auch ein Abenteuer und bislang war mein Leben.. Sehr, sehr... eingeschränkt, ja." Sie hatte sehr nach einem Wort ringen müssen, denn 'langweilig' klang für ein Leben bei der Mutter, die sie nun vermisste, nicht besonders lobend.
    "Das Spielen mit den anderen fiel nachher weg, natürlich, wegen den gesellschaftlichen Pflichten. Aber in Valentia gibt es derer nun auch nicht soviele dass man den ganzen Tag etwas erlebt hat und nach einigen Jahren, da... naja da freut man sich doch wenn man einen Grund hat, dem Alltag zu entrinnen. Vor Allem so einen guten Grund..." 'Blödkuh!' ging es ihr durch den Kopf. Nun konnte man es so verstehen, dass sie ihn nur als Vorwand genutzt hatte, um einer gutgesitteten Erziehung zu entgehen, dabei entsprach das nun auch nicht ganz der Realität. Sie rieb sich verlegen die Nase und suchte wieder seinen Blick, nachdem ihr Blick durch das Atrium geglitten war - zum wievielten Male wusste sie auch nicht zu sagen. Sie hoffte er verstand sie richtig.

  • "Es freut mich sehr zu hören, dass ich trotzdem wohl Teil Deines Lebens war. zumindest, dass Du meiner bewusst warst. Das war nicht selbstverständlich."


    Geminus musste Lachen, was er nur schwer unterdrücken konnte.


    "Dir war langweilig in Deinem bisherigen Leben. Das verstehe ich, wenn das junge Leben nach größeren Taten und der weiten Welt hungert. Aber, dass Du diese gesuchte Spannung, Abwechslung und Erfüllung bei mir uralten verdorrten Traube suchst, das verstehe ich nicht so ganz."


    Noch immer musste er schmunzeln, aber man merkte deutlich, dass sein Lachen freundlcih und gütig gemeint war.


    "Aber versteh mich nicht falsch. Ich freue mich, dass Dich dieses Abenteuer zu mir führt. Denn auch ich habe Dich nicht vergessen und mich oft gefragt, was für ein Mensch Du wurdest. Dieses letzte Geschenk durfte ich nun empfangen."

  • Einige Wochen nun schon lebte sie bei ihrem Vater, der viel dieser Zeit sehr zurückgezogen verbrachte. Hin und wieder zwar saßen sie gemeinsam beim Essen, doch auch wenn sie beisammen waren, waren beide irgendwie auch zurückgezogen. Sie saßen nebeneinander, schweigend, sinnierend. Wenn jemand das Wort erhob, war es meistens Aviana, denn auch wenn sie großen Respekt vor der Ruhe ihres Vaters hatte, so hatte sie doch zugleich auch ein sehr aufgewecktes Wesen und neigte wie eh und je zum Plaudern. Anfangs war sie noch sehr unbeholen wenn sie da saßen und wenig sprachen, aber mit der Zeit gewöhnte sogar Helvetia Aviana sich an das Klima. Es würde noch viel Zeit brauchen, bis sie sich damit auch vollends wohl fühlte, mehr Zeit vermutlich, als es gab, aber sie genoss es schon einfach die Zeit mit dem Vater zu verbringen, der sie so freundlich aufgenommen hatte. Ein Mann in seiner Position hatte viel zu verlieren und es gab sicherlich auch nicht wenige Menschen die einfach nur einen Teil seiner Macht wollten. Nicht aber Aviana.
    Langsamen Schrittes schlenderte sie ein gutes Stück vom Gebäude entfernt dahin und sah in den Himmel. Er war nicht vollkommen blau, einige weiße Wolken spannten sich über das Zelt. Und ein recht kühler Wind zog über die sanften Hügel hinweg. Sie fröstelte ein wenig, Nackenhaare stellten sich auf und irgendwie vermisste sie Leben. Sie sah hier nicht allzu viele Menschen und trotz ihres warmen Wesens fiel es ihr schwer, Kontakte zu finden, denn die Villa lag ein gutes Stück abseits von Misenum. Sie fühlte sich schlecht bei dem Gedanken mit Freundinnen auszugehen, Spaß zu haben, vielleicht sogar ein bisschen Narretei zu treiben, denn Geminus hatte es nicht verdient, dass sie dem Treiben eines Tunichtguts nachging. Er verlangte nichts von ihr, alles was sie gab, war vollends freiwillig. Aber dennoch, obgleich Geminus ihr niemals einen Vorwurf machen würde, wie sie vermutete, fühlte sie sich wie eine Verräterin. Sie hatte das Gefühl, ihn mit diesen Wünschen abzuwerten, zu symbolisieren, dass er ihr einfach nicht genug geben konnte. Langsam ließ sie sich auf die Knie ins Gras sinken und anschließend auf den Rücken fallen, den Blick immerzu gen Himmel gerichtet.
    Vor ihrem Auge begannen wieder, sich Erinnerungen in einem immerfort fließenden Fluss zu zeigen. Was dachte wohl Geminus, wenn er nicht über alte Schriften grübelte? Sie hatte viel über Rom gelernt, seit sie auf der Villa Rustica eingezogen war, doch noch immer wusste sie wenig über ihren eigenen Vater, über ihre Familie. Sie sprach ihn selten auf derlei an weil sie sich nicht aufdrängen wollte und er sprach von sich aus wenig. Möglicherweise, weil er es für Gewäsch hielt? Sie lächelte leis in den Himmel...

  • Geminus näherte sich seiner Tochter behutsam, sog die frische Luft in seine Lungen und betrachtete das junge Leben im Gras. Er hatte schon oft in letzter Zeit über sie nachgedacht. Das zur Folge hatte, dass er noch nachdenklicher und verschlossener wirken musste, als ohnehin schon. Er hatte dieses Exil gewählt. Weit ab von Rom, von Aufgaben, die seiner nicht mehr bedurften, von Entwicklungen, die er nicht mehr verstand und die ihn nicht mehr betrafen. Er hatte sich diese Enklave der melancholischen Sicht auf die Vergangenheit als Ausklang seines Lebens ausgesucht. Er hatte das Leben gesehen, seinen Teil an Macht, Ehre und Ruhm gehabt. Rom brauchte ihn nicht mehr, kein Kaiser forderte ihn mehr, kein Senat bedurfte mehr seiner "Weisheiten" und keine Familie war mehr da, die Untertützung oder Rat gebraucht hätte. Zu diesen Einsichten, war es ein weiter Weg für ihn gewesen. Er wollte seinen Entschluss durch seinen Wohnsitz hier verfestigen und besiegeln. Und hatte damit recht behalten. Niemand suchte ihn hier auf oder hatte Interesse an einem Kontakt. Außer vielleicht dieser eine Soldat im Ort, doch das war Zufall gewesen. Ein melancholiegeschwängertes Rückschauen und paradelaufen mit Vergessenem und Vergangenem. In dem Moment berauschend und belebend. Der Wein tat seinen Teil dafür. Doch Ernüchterung ... und Kater .... holten einen bald wieder ein.


    Und dann war Aviana in sein Leben getreten. Oder besser, hatte überhaupt Leben in sein Dasein gebracht. Und waren alle mühsam errungenen Klarheiten wieder in frage gestellt. Sie war auf ihn angewiesen, konnte nicht allein existieren. Er machte somit seine Wahl zu ihrer. Und damit haderte der Senator. Er war zum Sterben hierher gekommen. Sie zum Leben. Wie konnte er ihr dieses Gefängnis, diese Verwahranstalt des Lebenszeitabsitzens und Sinnierens aufzwingen? War das ein Verbrechen? hatte sie nicht mehr, nicht besseres verdient?


    Allein kam er zu keiner Lösung, daher hatte der alte Mann endlich beschlossen seine Tochter in diese Gedanken einzuweihen und ihre Ansichten zu erfahren. Dabei wollte er allerdings behutsam vorgehen.


    "So früh schon auf den Beinen?"

  • Aviana’s Blick hatte sich völlig an die Wolken gehängt. Sie beobachtete das Treiben, wie sie ihre Formen veränderten, durch den Wind getrieben. Aus einem Schaf konnte ein Wolf werden, ein Gesicht, sogar ein einzelnes Auge, brachte man die nötige Fantasie dafür mit. Und aus einem Gesicht wiederum wurde recht bald das Gesicht ihrer Mutter, die Schafe blieben Schafe und sie sah sich auf dem Hof ihrer Vergangenheit. Wo sie, seltsamerweise, nicht so frei gewesen war wie hier. Sie hatte mehr Verantwortung und Aufgaben gehabt. Zum Einen lag es daran, dass das Leben durch Geld nicht einfach „erledigt“ war, wie hier, denn es war Geld genug da. Zum Anderen aber wollte ihre Mutter sie wohl auch auf ein gutes Leben vorbereiten. Helvetia war tatsächlich gesellschaftsfähig, wenngleich sie bislang kaum höhere Gesellschaften erlebt hatte. Sie benahm sich nicht immer, aber sie wusste sich zu benehmen. Sie war ein „Landei“ mit „Lebensbewusstsein“. Unter diesen Gedanken bemerkte sie Geminus erst, als er seine Stimme erhob.
    Sie schreckte zusammen und saß binnen eines Augenblicks wieder auf ihrem Hintern, im Gras zeichnete sich noch ab, dass sie noch eben dort gelegen hatte. Sie sah Geminus an und lächelte ihn fröhlich an. Sie strich sich das offen auf ihre Schultern fallende Haar hinter die Ohren und stand dann langsam auf, Grashalme, Käfer und weiteren „Unrat“ von den Kleidern klopfend.
    „Aber natürlich! Guten Morgen, Vater.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, wie sie es jeden Tag tat. Sie hatte viel aufrichtige Liebe und Zärtlichkeit für ihn übrig. Das Glück war vielen spät zusammenkommenden Familien nicht vergönnt. Man überlegte oft, wie man sich dem Anderen gegenüber gibt, was er denkt, wie er sich behandelt fühlt wenn man dies und jenes tat und sagte. Zwischen ihnen, hatte Aviana das Gefühl, war alles so ungezwungen, als wäre sie nicht erst im Erwachsenenalter in sein Leben getreten. Und obwohl dieses innere Zugehörigkeitsgefühl da ist, immer da war, gab es furchtbar viel noch zu erfahren. Sie tat wieder einen Schritt zurück.
    „Ich hoffe du hast gut geschlafen? Das Wetter ist momentan etwas unruhig, ich habe etwas Kopfschmerzen zurückbehalten. Die Götter scheinen unruhig zu sein.“ Erklärte sie mit leicht besorgter Miene.

  • "Einen guten Morgen auch Dir!"


    Geminus genoss das morgendliche Begrüßungritual mehr, als er offen zugab. Aufmerksamkeit und Zuwendung war er nicht mehr gewohnt, doch den Weg ... den viele andere Greise gingen ... in mürrische Abkapselung, wollte er nicht gehen.


    "Ja, die Götter scheinen besorgt zu sein ..."


    Schon sehr lange hatte er seine Stimme nicht mehr an die Götter gerichtet. Außer vielleicht an einen, einen alten Freund, dessen Gesellschaft er sehr vermisste. Ein Mann, dessen irdische Macht ihn nicht korrumpieren konnte, musste auch unter den Göttern Beachtung finden.


    Eigentlich hatte er nicht sonderlich gut geschlafen, denn seine Grübeleien belasteten seine Nächte. Die Vertrautheit mit seiner Tochter verwunderte ihn tief, denn er kannte sie eigentlich ja überhaupt nicht. Ihre Leben waren getrennt von einander abgelaufen. Ohne Berührungspunkte oder Informationen. Doch als sie in Misenum ankam, hatte er das Gefühl sie zu kennen, ein eigentlich grundlagenloses Verstehen seines Gegenübers. In seinem Leben war ihm das bislang erst einmal passiert und das war Avianas Mutter gewesen. Dieser besondere Funke, schien auf die Tochter übergegangen zu sein und das beeindruckte den ergrauten Politiker sehr. Er hatte stets gedacht diese Aura nie wieder im Leben zu verspüren. Und diese Aura war der Quell eines Drangs nach Leben. Und diesen Quell konnte er hier nicht in Stein fassen und verkümmern lassen ...


    "An was hast Du gedacht, als Du den Wolken bei ihren Zügen zusahst?"

  • „Es wäre vermessen zu sagen, ich hoffe, dass die Götter sich irren in ihrer Besorgnis und unserer aller Wege so weiterverlaufen dürfen, wie sie es auch zur Zeit tun, denn Götter irren sich nicht. Aber wenigstens kann ich hoffen, dass wir die Wetter missverstehen und dass wir uns irren.“ Erklärte sie mit leiser Stimme. Der Wind zog frisch an ihrer beider Kleidung, aber noch war es für sie nicht unerträglich. Zwar hatte sie immer in sehr warmen Regionen gelebt, aber auch in warmen Regionen kamen kalte Zeiten. Solang es in ihr immer glühte, vermag kein Wetter ihr etwas anzuhaben. Das war ihr Motto, schon lange. Besorgt betrachtete sie Geminus. Hoffentlich fror er nicht, denn je älter ein Mensch wurde, je schneller fror er. Und, so ungern sie es sich auch selbst eingestand, er war einfach ein alter Mann. Zum Glück noch weitestgehend im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, aber die Melancholie in seinen Zügen und manchen seiner Worte war íhr natürlich nicht entgangen.
    „Oh ich habe an so vieles gedacht. Schau die Wolke dort..“ sie zeigte mit der Hand zum Himmel, wo noch eben ein Gesicht zu sehen war, aber mittlerweile hatte der Wind sie vollkommen verzerrt und weitergetrieben. Sie verzog das Gesicht. „… ist nicht mehr dort. Aber sie hat mich sehr an Mutter erinnert. Manchmal vermisse ich sie noch sehr.“ Als sie Geminus anlächelte, wirkte es noch immer freundlich und offen. Sie war nicht traurig, sie wusste, ihre Mutter war gut aufgehoben, wo sie war. Davon war sie fest überzeugt, denn einem guten Menschen konnte im Nachleben nichts Schlimmes geschehen. Sie war nicht aufgesetzt heiter, auch nicht ob diesen Gedanken. Wohin sie auch geht und wo sie steht hat sie das Gefühl, dass ihre Mutter auf sie achtet, ihr Schutz gibt. Und sie weiß dass dieser Schutz auch von Geminus zu erwarten ist.
    „Das Leben nimmt manchmal seltsame Bahnen wie ich finde. Ich habe irgendwie das Gefühl dass mir nichts geschehen kann. Auf mich scheinen die Götter gut Acht zu geben, ich habe keine Angst vor meiner Vergangenheit und auch nicht vor meiner Zukunft. Es verläuft so selbstverständlich gut und auch vor schlechten Erfahrungen habe ich keine Furcht, denn sie gehören einfach dazu und… letzten Endes wendet sich alles zum Guten. Ich weiß, seltsame Gedanken vielleicht, aber… ich mag sie.“ Erklärte sie sich etwas genauer und stellte sich seitlich zu ihm um wieder in den Himmel zu sehen. Der Himmel war immer ihr größter Trost, gleich ob er blau, dunkel, gewittrig oder grau war. Er gab ihr laufend Hoffnung. Was sie sich nicht vorstellen konnte, war ein Leben, in dem sie laufend nur eingesperrt war, wie manche Sklaven in Küchen. Sie brauchte keine Extravaganzen wie ein Pferd oder ähnliches, wie es viele andere tun, aber sie brauchte einfach die Möglichkeit, sich frei und ungezwungen zu fühlen, dann stand sie wirklich alles durch.

  • Auch er schaute hinauf zum Himmel.


    "Auch mich hat in all den Jahren vieles an Deine Mutter erinnert ..."


    ... er machte eine Pause und sog langsam und lange die Luft ein ...


    "... und auch ich vermisse sie."


    Der Senator hörte ihr genau zu. Und dann kam sein Stichwort gerade zu auf einem goldenen Tablett ... auch nicht vor meiner Zukunft ...


    "Was erwartest Du Dir von Deiner Zukunft, mein Kind? Was erhoffst Du Dir?"


    Er erinnerte sich an seine eigenen Hoffnungen für sein Leben. Zunächst war er mehr oder minder dahingeplätschert. Bis die beiden Ulpier sein Leben betraten. Der alte Trajan hatte ihn mit seinem Pioniergeist angesteckt. Es gab soviel zu tun, soviel zu regeln und aufzubauen. Nach dem donnernden Ende der Flavierdynastie, hatte Nerva weder die Jugend, noch den Elan Rom wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Doch er vollbrachte trotzdem eine wahrlich große Tat. Er adoptierte Trajan und segene die Römer dadurch mit dessen Herrschaft. Die Zeit war berauschend gewesen. Ideen beflügelten ganze Provinzen und tausende an Menschen. Dann war das republikanische Desaster über Rom gekommen und hatte den großen Trajan zunächst zerstört und dann dahingerafft. Zu dieser Zeit hatte Geminus die Agonie kennengelernt. Alles schien umsonst gewesen zu sein, alles fiel in Trümmer. Doch Julian hatte ihm neue Inspiration gegeben. Wie sein Vater, hatte er es geschafft Geminus Tatendrang zu befeuern. Es galt das Kaiserreich wiederzuerlangen, Volk und Reich vor der destruktiven Zersplitterung zu bewahren. Koste es, was es wollte. Nach dem Sieg, der Vernarbung der Wunden und der Abrechnung mit dem Gegner, war erneut eine Zeit des Aufbruchs heraufgezogen. Geminus konnte nicht einmal sagen, wann ihn dieser neue Elan eigentlich verlassen hatte .....


    Kopfschüttelnd erinnerte er sich der Gegenwart von Aviana.


    Er spürte viel seiner einstigen Aufbruchsstimmung in ihr. Als Frau konnte sie viele der Wege, die ihm offen standen nicht gehen. Aber er wusste, dass sie der Welt etwas zu geben hatte. Und er durfte dies nicht verhindern. Sie hatte ohne seine Hilfe der Mensch werden können, der jetzt vor ihm stand. Nun war es seine Pflicht, heute alles zu tun, um dieser Lebenschance Raum zu verschaffen und Wege zu bereiten.


    Er lächelte gütig.

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