Wiedersehen zweier Schwestern

  • Beschwingten Schrittes hatte sich Livilla dem Tempel der Vesta genähert. Gut, beschwingt waren auf Befehl hin die Schritte der Sänftenträger gewesen, nicht ihre eigenen, aber das war schon anstrengend genug gewesen, das Geschaukel zu ertragen. Die Sklaven mussten noch deutlich mehr an ihrer Balance arbeiten. Ob es bequem für sie war oder nicht, das war doch Livilla gleich. Aber ihre Gedanken waren wirklich beschwingt gewesen, denn seit Romana nach Rom aufgebrochen war, war bereits eine gewisse Zeit vergangen. Ein paar Jahre. Ein paar Jahre, die sie ohne ihre geliebte Schwester hatte auskommen müssen, ehe sie die Nachreise angetreten hatte und schon mindestens das Herz ihres Vaters sehr erfreut hatte. Es war ein schönes Gefühl gewesen, so herzlich von ihm begrüßt zu werden. Ein schönes Gefühl so aufrichtig willkommen geheißen zu werden. Sie ahnte bereits, dass hier die herzlichste Begrüßung auf sie warten würde, die sie jemals erhalten hatte. Romana war ewige Zeit ihre einzige wirkliche Vertraute gewesen, denn mit alten Leuten konnte man so schlecht Pläne schmieden und plaudern, da die Interessen doch sehr weit auseinander lagen. Noch immer hatte Romana nichts an Zuneigung einbüßen müssen, gleich, dass sie sich solange nicht gesehen hatten.
    Mit doch einiger Aufregung im Herzen verließ sie die Sänfte und näherte sich langsam dem Tempel der Vesta, hoffend, dass Romana ihr bald entgegenkommen würde. Sie konnte es kaum erwarten und auch wenn sie hier, auf offenem Platz, nicht kreischen und losrennen würde, es entsprach ihren Gefühlen und das dürfte auch der Schwester bewusst sein. Lediglich ihr Gesicht musste sie hier wahren. Das war in der Villa Claudia doch deutlich einfacher gewesen, da hätten sie höchstens Sklaven sehen können und Sklaven konnte man schnell die Dringlichkeit nahe bringen, etwas gesehenes zu vergessen, wenn ihnen Augenlicht oder Zunge lieb waren.
    Sie blickte an sich herunter. Tunika, Palla und Stola waren in hübschen Blautönen gehalten und waren aus recht leichten Stoffen gefertigt, die wahrlich nicht gerade billig für die Haushaltskasse ihres Vaters gewesen waren. Aber solange dieser sie nicht bremste, spielte Geld für sie keinerlei Bedeutung. Suchend blickte sie sich um, hoffend, Claudia Romana bald zu sehen. Ihr Besuch war unangekündigt. Nicht einmal ihre Reise nach Rom hatte sie ihr verraten, denn sie wollte ihre Schwester überraschen.

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    Eis. Duo. Treis. Tetra.


    Vier, nicht schlecht, dachte sich die gedankenabwesende Parthenope, nachdem sie die Schritte, die sie gebracht hatte, um eine Bodenplatte zu überqueren, gezählt hatte. Ihren Blick stuf auf den Boden gerichtet, bekam die griechische Sklavin wie immer kaum etwas von ihrer Umwelt mit.


    “Parthenope? Sagst du was?“, hörte sie abrupt eine vertraute Stimme, und fuhr hoch mit ihrem Kopf, irritiert dreinschauend. Die griechische Sklavin schien die Zahlen vor sich selber hingesprochen zu haben, ohne es zu bemerken. “Äh... öh... nein...“


    Romana, der ebendiese vertraute Stimme gehört hatte, seufzte innerlich. In der Seit, in der sie Parthenope schon hatte, war ihr klar geworden, wieso sie damals, vor einem Jahr vielleicht, Parthenope auf jenem Sklavenmarkt, obwohl sie gebildet und nett anzusehen war, zu solch einem Schnäppchenpreis bekommen hatte. Doch Romana störte es wenig. Sie mochte die introvertierte, leicht schusselige Epirotin. Schon alleine deshalb, weil sie ihr nicht auf die Nerven fiel, zumindest zumeist nicht.


    “Wieder am Nachdenken, hmm? Freu dich doch! Schau, ich habe Ausgang, und nimm dich mit. Vielleicht finden wir ja was Schönes für dich.“ “...?“ “Ach, ist ja wurscht.“ Romana schüttelte ihren von gepflegten Korkenzieherlocken umrankten Kopf – erst, seitdem sie ins Atrium Vestae gekommen war, hatte sie begonnen, sich so um ihre Haare zu kümmern – langsam, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen.


    Sie hatte für heute genug getan, und so hatte sie den Entschluss gefasst, in die Stadt zu gehen. Eine dahin gehende Anfrage an Pia hatte die Obervestalin ratifiziert, sodass die Claudia jetzt ihre Freiheit genießen konnte. Immer wurde sie gefragt, wie sie denn die Restriktionen, die auf sie lasteten, aushielt; dabei genoss sie als Vestalin so viele Freiheiten und Rechte wie kaum andere Frauen in Rom. Kurz vorm Ausgehen hatte sie sich noch einmal umgezogen – sie trug nun die blütenweiße Tracht, bestehend aus Tunika, Stola und Palla, sowie den Schleier, den sie so lange auf ihrem Kopf drapierte, bis er das notwendige Maß an Eleganz besaß, wie auch der Inful, ein dünnes Kopfband, von dem rot-weiße Wollfäden herunterhingen, wie bei einer zu opfernden Kuh.


    Als sie zwischen dem Tempel der Vesta und dem nördlichen Flügel des Hauses der Vestalinnen hinausschritten ins Forum Romanum, fiel Romana etwas Seltsames auf. Es war eine junge Frau, komplett in einem hellen Blau gekleidet, die langsam auf das Atrium Vestae zuschritt, etwas zu suchen schien. Es war Livilla. Romana stockte der Atem, als sie ihre Schwester, die nun, da Romana ganz zufällig auf sie zukam, nicht einmal mehr am Atrium Vestae anklopfen musste, sah.


    Sie vergaß auf Parthenope, die schon wieder flüsternd zu zählen angefangen hatte, und beschleunigte ihre Schritte, auf die zu, die sie für ihre Schwester hielt. Tatsächlich, es bestand kein Zweifel, es war Livilla. Romana hatte sich schon immer schwerer beherrschen können als Livilla, und verlieh ihrer Freude, als tatsächlich kein Zweifel mehr bestand, dass es sich um ihre Schwester handelte, mit einem lauten Juchzer Ausdruck.


    “Livilla!“ Sie war hier! Romana konnte es kaum fassen – dies war die beste Neuigkeit seit langer Zeit! Die letzten Schritte legte sie eher stürmerisch zurück, wobei es ihr aufgrund ihrer langen Beine gelang, nicht in einen Laufschritt hineinzugeraten, umarmte, als sie Livilla erreicht hatte, diese mit einer festen Umarmung, und drückte ihr voller Enthusiasmus und Freude einen Kuss auf die Lippen.


    “Bei den Göttern, Livilla, du bist hier? Aber... wie...“ Komplett fassungslos schaute die groß gewachsene Vestalin ihre jüngere und um einiges kleinere Schwester an.

  • Zögerlich hatte sie sich dem Atrium Vestae Stück für Stück genähert. Sie hatte ein wenig Sorge, irgendwie bei etwas Wichtigem zu stören. Immerhin war Vesta für Rom von einer sehr hohen Relevanz. Und selbst wenn sie Vesta selbst nicht störte, hatte sie ein wenig Sorge, ihre Schwester bei etwas zu stören, das ihr von Herzen wichtig war. Und das war eben die Religiösität in allen Belangen. Allerdings konnte sie auch beherzt behaupten, dass auch sie von Herzen wichtig war, also war sie gerade drauf und dran ihre Schritte sicherer und schneller voreinander zu setzen, als eine weiße Gestalt auftauchte. Im Gegensatz zu Romana fiel Livilla das Wiedererkennen erst recht schwer. Die Körpergröße hätte sie zugleich stutzig machen sollen, aber sie hatte sich in ihrem Leben so sehr an den großen Menschen gewöhnt, der eigentlich immer an ihrer Seite war, dass die Gestalt nicht sofort so ungewöhnlich für sie erschien. Immerhin konnte sie sehr schnell bestimmen, dass es eine Vestalin sein musste.
    Erst war Livilla eine Sekunde irritiert, als die weiße Gestalt sich nun mit schnellem Schritt auf sie zubewegte. Hatte sie schon Gebiet betreten, das ihr gar nicht gestattet war und würde dafür nun Ärger bekommen? Unwahrscheinlich. Und dann erkannte sie Romana, an der Art, wie sie lief, an der Art, wie ihr Körper gebaut war und daran, dass der Schleier ein wenig flatterte und das Erkennen des Gesichtes etwas erleichterte. Und dann folgte prompt die Bestätigung, als sie ihren Namen von der so vertrauten Stimme - gejauchzt - vernahm. Ein leises, frohes Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht und auch sie bewegte sich nun auf Romana zu. Bei ihr sah es allerdings auf Grund des nicht ganz so schnellen Laufens nicht nach einem Laufschritt aus - bei Romanas Tempo würde sie schon beinahe eher den Eindruck eines Athleten erwecken.
    So kräftig wie sie nur konnte erwidert sie die Umarmung, in der sie sich von einer Sekunde zur nächsten wiederfand und auch den Kuss, den sie etwas überraschend auf ihren Lippen fand, gab sie freudvoll zurück. Aber das durfte wirklich nur Romana! Einjeder andere, das gedachte sie selbst in diesem Moment, würde sich wenigstens eine erboste Standpaukte einfangen.
    "Romana! Wie ich mich freue, dich endlich wiederzusehen! Großartig siehst du aus!" bekundete sie zu allererst. Von der Sklavin nahm auch sie keinerlei Notiz - warum sollte sie auch? Erst einmal kannte sie diese nicht und von dem Moment an, wo Romana ihr ins Auge gestochen war, waren auch nur wenige Augenblicke verstrichen bis sie sich nach einigen Jahren wieder in den Armen liegen konnten.
    "Ja, wie kommt es nur dass ich in Rom bin! Ich habe mir Flügel geborgt und bin natürlich hergeflogen!" witzelte sie in ganz ungewöhnlicher Art. Sie witzelte allerdings nur sehr leise und lächelte liebevoll zu der großen Romana auf. Kaum zu glauben dass auch Livilla durchaus schützen konnte, wenn man diese Situation so betrachtete. Aber für ihre Schwester hatte und hätte und würde sie so einiges auf sich nehmen - sogar die Reise nach Rom! Und dabei hasste sie das Reisen doch so sehr...

  • Noch einmal drückte sie ihre Schwester fest, ungeachtet der tatsache, dass dies ihr die Luft abschnüren mochte. ”Und ich mich erst, Livilla!”, brachte sie als Antwort heraus, als diese ihr versicherte, dass sie sich freute. Über ihre Bemerkung über ihr Aussehen musste Romana freudig lächeln. ”Das ist lieb von dir!” Andere sagten ja, die Vestalinnentracht war reizlos. Aber es kam halt darauf an, wie man sie trug. Zwischen ich ein paar alte zusammengeflickte Tücher sich einfach auf den Körper draufklatschen oder aber bessere Stoffe mit vorteilhafterem Schnitt nehmen und sich auch Mühe geben beim Anziehen lag durchaus ein Unterschied. Wobei Romana noch nie eine Modebesessene gewesen war. Womöglich wäre dies nun anders, wäre sie keine Vestalin. Und auch jetzt noch war es so, dass sie keinem Zwang unterworfen war. Die Tracht war üblich, jedoch nicht vorgeschrieben. Schminken und Schmuck anziehen sollte man halt tunlichst vermeiden. Nur zog es Romana vor, zumeist in ihrem Ornat einherzuschreiten. Somit blieben ihr unangenehme Erfahrungen, bei denen ein Typ versuchte, sie anzubaggern, verschont. Obwohl in letzter Zeit schon in ihr das Bedürftnis entbrannt war, einen Mann zu finden, mit dem sie zwar keine Beziehung führen würde, der aber trotzdem... einfach nur da war, und hie und da ein paar Komplimente für sie hatte.


    Träume sind Schäume, dachte sie sich. Was für Gedanken, war sie in ihrer Zeit in Rom etwa schon komplett verdummt? Vielleicht hatte die watteplüschige Eintracht ihrer Freundinnen mit ihren Männern auch schon Spuren in ihr hinterlassen... doch dass sie das ganz tief in ihrem Inneren als schrecklichen Gedanken empfand, bezeugte wohl, dass dem nicht so war.


    ”Flügel geborgt? Ja, klar, was denn sonst.” Romana, die wusste, wie schwer es ihrer Schwester fiel, solche Schmähs am Rande zu reißen, lächelte jene schief an. Gerade wegen der Seltenheit solcher Ausbrüche schienen die wenigen Witze, die Livilla machte, umso wertvoller. ”Götter, ich kann dir nicht sagen, wie froh ich bin, dass du endlich hier bist. Eine richtige Dame bist du geworden, wenn du es vorher nicht schon warst.” Ein bewundernder Blick traf die Kleidung ihrer Schwester.


    ”Sag, wie ist es dir ergangen? Wie geht es unseren Großeltern? Hat Großvater seine Leiden halbwegs überwunden? Und wie geht es Großmutter, hat sie noch immer diese Migräne?” Romana war ziemlich besorgt über das Wohlbefinden ihrer Großeltern, was man auch sehen konnte.


    ”Wir sollten uns unbedingt irgendwo hinsetzen und uns unterhalten! Es ist so viel passiert, ich habe es dir ja schon in meinen Briefen an dich gesagt, aber es gibt noch so viel mehr, sage ich dir... wir sollten uns irgendwohin hocken, in eine Kneipe oder so... HE! Parthenope!” Der herrische Befehl ging nicht an Livilla, sondern natürlich an die Griechin, die traumverloren in die falsche Richtung schlenderte, und erst jetzt wieder in die Wirklichkeit geholt wurde, und auf die beiden zulief. Romana seufzte. ”Meine neue Sklavin. Parthenope, aus Epirus. Ein Schnäppchen am Markt.” Sie verdrehte die Augen. ”Aber sie ist treu und hat wenigstens was im Hirn. Parthenope...” Die Griechin war schon eingetroffen und schaute erwartungsvoll zu Romana hoch. ”Das hier ist meine Schwester Livilla. Ich möchte, dass du Befehle von ihr so befolgst, als kämen sie von mir.” Parthenope blickte zuerst konfus Livilla an, dann nickte sie langsam. ”Ja, Herrin.” Romana nickte befriedigt und wandte sich dann an Livilla. ”Also, wohin sollen wir gehen?”, fragte sie, während ihr noch immer die Freude und Begeisterung aus den Augen strahlte.

  • Livilla räusperte sich tatsächlich einmal vernehmlich, als die Luft wieder in ihre Lungen strömte und ihr das Gefühl vermittelte, dass Fliegen durchaus möglich sein mochte. Aber eigentlich rührte das Gefühl vermutlich daher, dass ihr eine so herzliche Begrüßung zu teil wurde. Sie liebte ihren Vater, aber Romana war seit jeher etwas besonderes gewesen. Mit ihr konnte sie in wenigen Tagen mehr lachen als ohne sie vermutlich ein ganzes Leben lang. Sie musterte Romanas Gesicht, nun da sie wieder einen leichten Abstand zu diesem hatte, etwas genauer. Sie wirkte wirklich gut erholt. Als Vestalin hatte man sicherlich viel zu tun, ohne Frage, aber im Gegensatz zu dem was bei den Großeltern alles angefallen war, war dies vermutlich das reinste Kinderspiel. Und mit leichter Scham dachte Livilla an die Faulheit zurück, die sie selbst manchen Tages gezeigt hatte. Solang alles lief, war auch alles in Ordnung, aber meistens hatte Livilla selbst nur genörgelt, bis Romana, die treue Seele, dann weg war. Ganz so fürsorglich war die jüngere Claudia auch dann beileibe nicht gewesen, aber ihre Mühen waren dann deutlich da. Und als Romana dann wieder Atem schöpfte, wusste Livilla genau, dass ihre eigenen Antworten von nun an knapp ausfallen würden, oder dass sie sich den Schwall an Fragen merken musste. Ein leichtes Grinsen legte sich in ihr Gesicht, während sie Romanas volle Fahrt nicht unterbrach sondern sie reden ließ.
    Dann rief Romana die Sklavin herüber. Livilla folgte neugierig Romanas Blick. Gleich der allererste Eindruck war bemitleidenswert. Livilla tat es gegenüber Romana fast leid, dass sie selbst so engstirnig mit der Funktionalität eines Sklaven war und sie nahm sich fest vor, sich bei der Parthenope halbwegs Mühe zu geben, nett zu sein. Immerhin machte sie einen freundlichen Eindruck. Vermutlich war sie einfach nur unfähig. Sie ließ sich zu einem knappen Nicken für die Sklavin herab. Dann wandte sie sich wieder an Romana um ihre letzte Frage zu beantworten, bei der sie sichergehen konnte, nun in Ruhe antworten können. Mit noch immer dem leisen Grinsen im Gesicht erklärte sie:
    "Ich würd sagen, irgendwohin, wo es ruhig ist. Nicht soviel Aufregung. Dann können wir uns in Ruhe austauschen, oder was ist dir lieb? Ich richte mich gern nach deinen Wünschen, nach meinen hast du dich oft genug gerichtet. Auf jeden Fall haben wir eine Sänfte zur Verfügung." meinte Livilla dann nicht ganz ohne Reue. Sie stubste begleitend Romanas Nase liebevoll, zog ihre Hand dann aber rasch wieder ein.
    "Deine ganzen Fragen beantworte ich dir dann in aller Ruhe. Wieviel Zeit hast du denn etwa? Ich will dich ja nicht länger einnehmen, als ich es darf - oder eben auch du." erkundigte sie sich, während sie sich bei der Schwester einhakte und zielbewusst in Richtung Sänftenträger losmarschierte. Der Sklavin würde es sicher nichts machen, nebenher zu laufen. Zwei Menschen waren für das Holz - und möglicherweise auch die Sklaven - ausreichend Belastung.

  • Hach nein, was musste es viel zu reden geben! Schließlich hatten sich die beiden Schwestern seit jahren nicht mehr gesehen – so lange schon, das musste man sich vorstellen! Romana musste kurz an sich selber zurückdenken, wie sie damals aus Etrurien eingetroffen war. Ein schlaksiges Mädchen mit wuscheligen Haaren, einer etwas zu großen Nase und dazu noch ein rechtes Landei war sie gewesen, als ob sie von einem abgelegenen Bauerhof nach Rom geschleift worden wäre. Nun aber, ja, jetzt war sie eine Dame von Stand, von hoher Geburt und von Welt, eine Städterin, und eine heilige Frau. Und ihre Nase hatte sich auch ausgewachsen. Was wollte man mehr, dachte sie sich.


    Und sie dachte daran zurück, wie Livilla sich immer wieder gedrückt hatte vor Arbeit, die anfiel bei den Großeltern. Aber, um ehrlich zu sein, die Lange hatte es der Kurzen nie übel genommen. Schließlich hatte sie es gerne gemacht. Und noch heute nährte sie ihr nicht unbeträchtliches moralisches Gewissen daraus.


    Solange ihr nicht ihre Sklavin auf die Nerven ging. Romana war echt nicht erbaut, dass sich die Griechin sogar bei der Vorstellung ihrer Schwester so unmöglich aufführte; heute musste sie wieder einen ordentlichen Aushänger haben. Vielleicht, ja, sollte sie toleranter sein mit ihrer Sklavin. Aber Toleranz war noch nie Romanas Stärke gewesen.


    ”Ja, sicherlich! Dann suche ich es mir aus. Ich bin ja auch schon ein bisschen länger hier als du. Am Besten, sage ich dir, ist doch immer wieder die Taberna Apicia. Nirgendwo bekommt man dort so gute Sachen zu trinken, und so viel zu essen.” Dass Romana für eine Frau einen gesunden Appetit und einen ordentlichen Zug hatte, musste Livilla wohl wissen. Dass sie nicht dick war, lag wohl einzig daran, dass sie während ihrer Kindheit viele Kalorien für ihren Wachstum benötigt hatte, und nun viel für ihren nicht ungewaltigen Metabolismus draufging. So konnte Romana, dann und wann halt, auch ungeniert schlemmen. Sie kicherte ein bisschen, als Livilla ihre Nase berührte, und entgegnete die liebevolle Geste.


    ”Wieviel Zeit ich habe? Hmm, den ganzen Tag, bis zum Anbruch der Dämmerung! Ich habe heute frei! Sicher haben da die Parzen ihre Finger im Spiel, Schwesterchen!”, freute sich Romana,hakte ihrerseits ein, und folgte Livilla zu ihrer Sänfte. Parthenope stoffelte hinter den beiden Schwestern her. Bald schon würde Romana ja einen eigenen Wagen haben, mit dem sie durch Rom kutschieren konnte – das würde ein Spaß werden!

  • Livillas Mimik veränderte sich gekonnt kaum. Der Begriff "Taverne" sagte ihr so überhaupt nicht zu, Essen konnte man in gehobenerer Gesellschaft doch deutlich besser. Aber sie konnte ihre Mimik eben nicht nur kontrollieren, wenn sie etwas haben wollte, sondern auch wenn sie etwas geben wollte. Und so erklärte sie, wenn auch nicht gerade mit vor Freude triefender Stimme:
    "Dann gehen wir doch dorthin! Die Sklaven werden den Weg sicherlich kennen, sodass wir zwei uns ganz aufeinander konzentrieren können." lächelte Livilla und bewegte ihre Nase nach dem Stubser hin und her, als würde sie jucken. Während sie kurz vor der Sänfte waren, kam die nächste angenehme Überraschung. Einen ganze Tag! Das machte den Gedanken an eine stinkende Taverne mit unsauberem Geschirr und niederer Gesellschaft doch deutlich erträglicher.
    "Allerdings! Ein ganzer Tag, da werden wir heut Nacht aber vollkommen heiser sein - du musst morgen nicht viel sprechen?" erkundigte sich Livilla mit gespielter Besorgnis, während sie die Sänfte bestieg und Romana erwartete. Der Sklavin schenkte sie nur noch einen kurzen Blick. Hoffentlich döste die Transuse auf dem Weg nicht ein und verlief sich mit geschlossenen Augen. Eine Sklavin suchen zu lassen fehlte ihr heute gerade noch. Und dann noch aus dem außergewöhnlichen Grund der Verwirrtheit, nicht auf Grund eines Fluchtversuchs. Als Romana auch saß und es sich halbwegs gemütlich gemacht hatte, die Instruktion an die Sänftenträger weitergegeben wurde, erhob Livilla endlich die Stimme.
    "Großvater ist zum Zeitpunkt meiner Abreise nahezu quietschfidel gewesen. Gut er hat Probleme sich richtig zu bewegen, die Kochen eben. Aber alles in Allem war er wirklich gut Zuwege. Und Grossmutters Kopfschmerzen, nunja... Daran wird sich vermutlich nichts mehr ändern. Gerade jetzt wo die kalte Jahreszeit vorbei ist und das Wetter doch noch recht häufig umschwingt leidet sie häufig unter Kopfschmerzen. Du weißt ja wie wetterfühlig sie ist..." meinte Livilla mit einem warmen Gesichtsausdruck. Sie hatte nie soviel aufgebaut zu den alten Leuten. Nie soviel, wie Romana es getan hatte. Aber dennoch war das alte Paar ihr sehr ans Herz gewachsen. War auch schwer vermeidbar, wenn man das halbe Leben mit ihm verbrachte.
    "Und wie es mir ergangen ist? Nun ich glaube ich habe immer mehr von Vaters Züge angenommen. Ich habe sehr viel der freien Zeit damit zugebracht, mich über Kräuter und Salben zu erkundigen, um das Handeln der Sklaven etwas besser beurteilen zu können - nicht dass sie mich noch vergiften. Aber besondere Vorkommnisse gab es eigentlich nicht... Oh doch! Erinnerst du dich noch an den Jungen in deinem Alter? Secundus?" Livilla sah schalkhaft zu Romana hinüber.

  • Nicht, weil sie sah, dass ihrer Schwester alles verging, wenn sie nur an das Wort Taberna dachte, sondern eher, weil ihr plötzlich kam, dass es durchaus so sein konnte, dass dies der Fall war, musste sie noch etwas hinzufügen. “Ach ja, wegen der Taberna, mach dir keine Sorgen! Die heißt nur so. Sie hat wohl irgendwann einmal als Taberna angefangen. Aber mittlerweile ist sie das vielleicht feinste Gasthaus in der ganzen Stadt. Die Sklaven werden den Weg sicher kennen, die Taberna ist bei den Trajansmärkten, von hier aus ist es bis dorthin nicht weit!“ Sie musste unwollend grinsen, als ihre Schwester ihre Nase hin und her schnuffte wie ein Kaninchen. Das sah einfach immer wieder unvergleichlich niedlich aus – und wenn Romana als Frau dies schon so empfand, würde das nur um so mehr stimmen für die Männer Roms. Ja, Livilla würde wohl aufpassen müssen, dass sie nicht sofort abgeschleppt wurde von irgendjemandem, kaum dass sie in Rom war. Romana selber wäre dies schon fast passiert – nur ihre konsequent getragende Tracht hielt die Kerls von weiteren Belästigungen ab.


    Sie lachte fröhlich, als Livilla düstere Prophezeihungen über ihren Zustand morgen machte. Oh ja, irgendwie hatte sie durchaus Lust, sich mit ihrer Schwester über ein paar Gläschen Wein heiter werden zu lassen. Die Claudia ließ sich nieder auf den weichen Kissen, welche innerhalb der Sänfte die Sitze polsterten, hernieder und seufzte glücklich – endlich wieder sitzen! Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass Parthenope ihren Pflichten nachkam, und nicht traumverloren ihren Luftschlössern statt der Sänfte nachlief. “Morgen habe ich nichts vor, also... können wir heute Abend richtig auf die Pauke hauen!“ Solche Worte von eienr Vestalin zu hören war schon etwas befremdlich, und deshalb redete Romana so auch nur mit ihren besten Freundinnen, zu der ihre Schwester wohl gehörte. Apropos Freundinnen, sie musste ebendiese ihrer Schwester noch vorstellen – mit gewissem Stolz dachte sie daran, dass diese ja gewissermaßen die High Society von Romm darstellten, wie man es zumindest 1900 Jahre später ausdrücken mochte.


    Sie lächelte, als sie hörte, dass es ihrem Opa gut ging. Und ihrer Großmutter auch halbwegs. Mit gewisser Wehmut dachte sie an ihren großzügigen Großvater und ihre weise Großmutter zurück. Und nie hatte sie sie mehr in Clusium besucht. Nun, sie hatte ja auch nie die Zeit gehabt. Ausgang aus dem Atrium Vestae war nicht so leicht zu erhalten, obwohl, jetzt mehr als früher. Was nicht ging, war, so Ausgang zu bekommen, dass sie Rom verlassen konnte. Wobei es ohnehin nicht üblich war für eine Vestalin, die ewige Stadt zu verlassen.


    Sie hörte weiterhin interessiert zu, als Livilla ihr weiter erzählte. “So, Kräuter? Man sieht eben, dass wir Schwestern sind.“ Romana, eine passionierte Gärtnerin, wie Livilla sicher wusste, musste lächeln. Nur, Kräuter mischen war noch nie ihr Metier gewesen. Vielleicht könnten sie sich zusammentun, Romana würde die Kräuter züchten und Livilla sie vermischen... der Gedanke war zu absurd, um ihn weiter zu verfolgen. Sie spitzte allerdings ihre Ohren, als ihr Livilla erzählte von Secundus. Ja, den kannte sie durchaus. “So? Was ist denn mit ihm?“, fragte sie neugierig.

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