Der Tempel des Ianus

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    Janustempel von Peter Paul Rubens



    Auf dem Forum Romanum, direkt auf dem Argiletum zwischen Basilika Aemilia und Curia, steht der Ianustempel. Der Doppelbogen wurde angeblich vom sagenhaften König Numa Pompilius erbaut und zeigt seit jener Zeit an, ob sich das Reich im Krieg oder im Frieden befindet. Im Friedensfalle sind die großen Türen fest verschlossen, herrscht Krieg sind sie allerdings weit geöffnet. Doch nicht jedes Kriegsende führt zum Schließen des Tempels, denn nur dann kann Rom sich friedvoll zurückziehen, wenn es auch gesiegt hat. Ohne Sieg, keinen Frieden, ohne Frieden kein Schließen der Türen.
    In der Geschichte war dieser Tempel folglich nur selten verschlossen. Einmal unter seinem Erbauer, Numa Pompilia, nach dem ersten der punischen Kriege. Dann drei weitere Male unter Augustus, einmal unter Nero (wenn auch dies sich als Schwindel herausstellte, hatte Rom doch gegen Parthia den Armenienfeldzug verloren) und einmal unter Vespasian.


    Eine übermannsgroße Statue des doppelgesichtigen Gottes steht innerhalb der Tore. Um Ianus Schutz zu erflehen war es üblich, an den Toren zu rütteln.


    Vor dem Tempel befindet sich ein freies Stück Land, das als Feindesland deklariert ist. Um einen Krieg zu erklären bedarf es des Speerwurfes eines Fetialen, eines bestimmten Priesters, auf Feindesland.

  • Früh am Morgen hatte sich die kleine Opfergesellschaft zusammengefunden. Auch wenn Sextus insgeheim fluchte, es war nun eben einmal brauch, dass Ianus, der am Anfang aller Dinge stand, sein Opfer morgens erhielt. Die täglichen Opfer auf den vielen Altären der Stadt waren bereits vollzogen, aber die hora secunda war für Sextus' Dafürhalten immernoch reichlich früh, zumindest im Sommer.
    Einen Vorteil hingegen hatte es, so früh schon unterwegs zu sein. Die Straßen waren so gut wie leer. Hier am Forum war natürlich immer etwas los, auch in den frühesten Stunden des Tages, aber dennoch war es kein Vergleich zu den Nachmittagsstunden, wenn die Stadt aus allen Nähten zu platzen schien. So war es kein Problem gewesen, den weißen Ochsen hierher zu führen und anzubinden. Natürlich hatte es auch den Nachteil, dass so nicht zu viele Menschen von seinem Opfer Notiz nehmen würden, ebensowenig wie von der großzügigen Fleischspende in seinem Namen. Aber für den Einstieg hier in Rom würde es genügen müssen.
    Das Tier war schön geschmückt worden. Um die Hörner waren infulae und vittae gebunden, weiß und rot. Die Hufe waren vergoldet worden, was furchtbar teuer gewesen war, aber um Eindruck zu schinden durfte man nicht knausern. Eine breite, reich geschmückte dorsule lag dem Tier über dem Rücken. Zwei Popae hielten das Tier an den schweren Ketten und befestigten diese an den schweren Eisenringen, während der kräftige victimarius mit dem malleus sich noch etwas abseits hielt und wartete.
    Sextus ging ein letztes Mal zu dem Ochsen und besah sich das Tier. Der Ochse stand ganz ruhig, beinahe etwas verschlafen. Offenbar hatte sich jemand die Mühe gemacht, ihm etwas einzuflößen, so dass er still hielt. Gut so! Ein Ausbrechen der Tieres wäre katastrophal gewesen. Das weiße Fell war noch zusätzlich mit Puder eingerieben worden, so dass nicht der geringste Makel daran zu erkennen war. Die Augen waren klar und dunkel, nur ein wenig verschlafen. Aber an und für sich sah das Tier gesund aus. So konnte das Opfer beginnen.


    Der Aeditus des Tempels wartete bereits vor den geöffneten Türen des Tempels. In Parthia war kein Sieg errungen worden, daher waren die Türen nach wie vor sperrangelweit offen. Eine ältere Frau ging an den beiden Männern vorbei und rüttelte an der Tür, sprach ein kleines, kurzes Gebet, während Sextus noch die letzten Zahlungsmodalitäten leise abklärte. Als man sich schließlich einig war, zog der Aurelier eine großzügige Falte seiner weißen Toga über den Kopf wie eine Kapuze und trat an das Becken, das einer der Popae ihm hinhielt. Gewaschen hatte er sich bereits zuhause, aber das Ritual musste eingehalten werden. Allerdings verzichtete er auf eine Formel dabei, die das Wasser beschwören sollte, ihn zu reinigen.
    Ein kleiner Zug von tibicines folgte ihm, ebenso wie zwei ministri, die die Opfergaben trugen. Vor dem Kultbild des doppelgesichtigen Gottes war der kleine, tragbare Altar aufgebaut worden, das Opferfeuer brannte mit kleiner Flamme daneben. Sextus wartete, bis die kleine Gemeinschaft aufgeschlossen hatte, ehe er zum Kultbild aufblickte und die Stimme erhob.


    “Ianus, der du am Anfang aller Dinge stehst, Gott des Wandels! Ianus, der du die Tore des Himmels bewachst, der du nach Ost und West zugleich blickst! Ianus, Torhüter, Schlüsselwächter, der du siehst, was kommt und was geht! Höre mich an!“


    Die Flötenspieler hatten ihr Spiel auf eine leise, melodische Weise verlegt, die im Hintergrund die Geräusche der Straße fernhielt. Der erste der ministri trat vor, wie es besprochen worden war, und legte großzügig Weihrauch aufs Feuer, wo es sofort qualmenderweise seinen eindringlichen Geruch verbreitete.
    “Ianus, der du die Grenzen bewachst, der du stets im Übergang bist, Ende und Anfang zugleich! Dieser Weihrauch sei für dich und nur für dich. Nimm ihn als Geschenk von mir, Sextus Aurelius Lupus!“
    Ein paar Kräuter fanden ebenso ihren Weg auf das Feuer und verliehen dem Geruch eine schwindelerregende Note. Dennoch stand Sextus firm und gerade vor der bärtigen Statue des Gottes, die Arme leicht seitlich erhoben, die Handflächen nach oben.
    “Großer Wächter, der du den Frieden in deinen Mauern hältst und fest verschließt, wenn er hereingebrochen ist, auf dass er nicht so schnell entfliehe, oh Hüter der friedlichen Zeit! Ich bringe dir mulsum, so süß wie diese wundervolle Zeit!“
    Der zweite Junge trat vor und goss aus einer Amphore vorsichtig das Honig-Wein-Gemisch in ein Loch, das im Boden vor dem Altar zu finden war.


    “Ianus, der du ein guter Ratgeber bist für alle Anfänge, höre mich an. Ich kam von Achaia hier her, um dem Willen meines Vaters zu entsprechen und ein neues, ruhmreiches Leben zu beginnen. Ich blicke zurück...“, und er tat es auch wirklich, indem er über seine Schulter sah, um seine Worte zu unterstreichen und wie es beim doppelgesichtigen Gott nicht unüblich war, “... und sehe das Leben, was ich bislang geführt habe. Als Sohn, als Schüler. Stets hatte ich guten Rat und gute Anleitung.
    Und nun blicke ich nach Vorne“
    , und er tat es, wand sich dem Gott wieder ganz zu, “...und sehe meine Ziele, die vor mir liegen. Ich sehe die Laufbahn, die ich einschlagen möchte. Der Weg, der mich hoffentlich bis in den Senat führen wird. Das Amt als Haruspex, das ich erhalten möchte. Auch die Ehe, die mein Vater für mich angedacht hat. Ich stehe hier, Ianus, auf dem Weg zum wirklichen Mann, der seiner Familie Ehre macht. Ein neuer Anfang in einer neuen Stadt.“
    Sextus ließ die Worte einen Moment sacken. Wenn er ein gefühlsduseliger Mensch wäre, er hätte den Moment wohl ergreifend gefunden. Sicher, es waren große Aufgaben, die vor ihm lagen. Aber er war sich sicher, dass er sie meistern würde. Dafür würde sein Ehrgeiz schon sorgen. Und Sextus war noch nie für überschwängliche Gefühlsmitteilungen bekannt gewesen.
    “Ianus, hier stehe ich am Übergang und bitte dich, führe mich vom hier in das dort, ebne meinen Weg hinaus in die Welt. Segne diesen neuen Anfang in dieser wundervollen Stadt. So wie du am Anfang jedes Tages stehst, stehe auch am Anfang meiner Karriere. Lass meine Pläne gelingen, darum bitte ich dich. Als Dank soll dir ein prächtiger, schneeweißer Ochse gehören.
    Ianus, gib mir dienen Segen, auf dass ich weiß, dass mein Vorhaben gelingen wird, und auf dass ich auch weiterhin meine Pläne in deine wissenden Hände lege und dir auch weiterhin treu opfern werde!“


    Damit beendete er das Voropfer mit der Wendung nach rechts. Die kleine Prozession von dem Opferherrn, den tibicines und Opferhelfern folgte ihm gemessenen Schrittes nach draußen in den morgendlichen Sonnenschein. Der Ochse hatte sich nicht gerührt und sah auch jetzt nicht viel interessierter drein. Lediglich die Menge an Menschen vor dem Tempel hatte sich leicht erhöht, und es traute sich auch niemand mehr, das Opfer nun zu stören und selbst den Gott um etwas zu bitten. Einigen anderen war anzusehen, dass sie auf etwas Opferfleisch spekulierten.
    Der Aeditus besprengte ihn leicht mit etwas Wasser, um ihn nochmalig zu reinigen. Danach wurde es bereits still auf dem Platz, und die Flötenspieler ließen ihr Spiel verstummen, als der kräftige Bariton des Aeditus über den Platz schallte. Favete Linguis!“ Und alles schwieg.
    Ihm wurde eine Schüssel gereicht, in der er sich die Hände nochmalig wusch, anschließend ein weißes Tuch, das mallium latum, mit der er sich abtrocknete.


    “Ianus, großer Gott aller Übergänge, dieses Opfer sei dein! Möge es dir gefallen!“
    Sextus wartete geduldig, bis das Tier mit mola salsa bestrichen und der Schmuck entfernt worden war. Der Aeditus gab ihm das Opfermesser in die Hand. Langsam schritt der Aurelier das Tier damit ab, die Klinge knapp über dem weißen Fell haltend, vom Kopf bis zum Schwanz. Nun war es endgültig seiner Bestimmung geweiht. Das Messer legte Sextus wieder auf die patera, die einer der popae hielt.
    Der victimarius wartete bereits, den schweren Opferhammer in beiden Händen haltend. Als er bemerkte, dass der Aurelier zu ihm herüber sah, stellte er die einzige Frage, die er zu stellen hatte. “Agone?
    Sextus wartete noch eine dramaturgische Sekunde, ehe er schließlich laut und klar antwortete. “Age!“ Der Hammer beschrieb einen wohlgeübten Bogen und landete krachend auf dem Schädel des Ochsen, der sofort in die Knie ging. Augenblicklich war der Opferstecher herbei und stach mit seinem Messer gezielt in die Halsschlagader des verendenden Tieres, woraufhin sich ein ordentlicher Schwall Blut ergoss. Der Ochse gab noch nicht einmal mehr ein Stöhnen von sich, sondern blutete in aller Stille des Moments einfach langsam aber sicher aus.


    Mit einem geschickten Schnitt öffnete der victimarius schließlich die Bauchdecke des Tieres und lud die Innereien auf einzelne paterae, die ihm dazu angereicht wurden. Dabei achtete er penibel genau darauf, kein Organ zu verletzen, allen voran die Leber. Jene wurde schließlich, auf einer einzelnen, goldenen Schale ruhend, zu Sextus selbst gebracht. Er ließ es sich nicht nehmen, sie selbst zu untersuchen und den Erfolg des Opfers zu verkünden. Dies würde er unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis tun, denn dafür war ihm der Schein zu wichtig, als dass er solch eine Schmähung, und sei sie von einem Gott, hätte hinnehmen können. Natürlich würde er Ianus mit Sühneopfern anschließend überschütten, aber erst einmal sollte das Opfer angenommen werden.
    Ohne zu zögern griff Sextus nach dem blutigen Organ, um es sich von allen Seiten ansehen zu können. So eine Rinderleber war ein großes Stück Fleisch, so dass sich viele Zeichen darauf verbergen konnten. Und er besah sie sich, teilte sie sogar unbewusst in die verschiedenen Zonen ein, die er so oft hatte aufsagen müssen. Aber kein Gott, auch nicht Ianus, schien sein Missfallen zum Ausdruck bringen zu wollen. Keine Verfärbungen waren zu sehen, keine Beulen oder Vernarbungen. Noch nicht einmal Knoten konnte Sextus fühlen. Alles schien ganz normal, um nicht zu sagen, bestens.
    “LITATIO!“ verkündete er laut und deutlich, ehe er die Leber wieder zurück legte, auf dass sie mit den anderen Innereien in die Tempelküche gebracht werde, um dort gekocht zu werden.


    Als Sextus sich schließlich die blutigen Hände – nochmals – abwusch und abtrocknete, und anschließend mit dem Aeditus noch die letzten Zahlungsmodalitäten des Opfers durchging, war er durchaus zufrieden mit sich. Der Ochse wurde unterdessen schon zerteilt und würde in angemessenen Portionen an die Vorbeikommenden verteilt werden. Als Geschenk von Sextus Aurelius Lupus! Nicht unbedingt der ruhmreichste Weg, sich bekannter zu machen, vor allem nicht, wenn nicht bald eine Wiederholung folgte. Aber immerhin hatten so einige Leute seinen Namen schon einmal gehört. Und er würde dafür sorgen, dass sie das nicht so rasch vergaßen.

  • Ich hatte es mir nicht nehmen lassen, diesem Opfer beizuwohnen. Als Teil der Opferprozession war ich zum Tempel des Ianus am gleichnamigen Bogen gelaufen, hatte mich gereinigt und den Tempel betreten, um zunächst dem Voropfer beizuwohnen und im Anschluss dem Blutopfer, das die Dringlichkeit der Bitte Lupus' noch untermauern sollte. Als potentiell neuer haruspex ließ sich Lupus nicht nehmen, die etruskische Disziplin der Eingeweideschau selbst durchzuführen, und mich überraschte in keinster Weise der gute Ausgang dieses Opfers.


    Als wir den Tempel wieder verließen, klopfte ich Lupus auf die Schulter. "Gut gemacht. Wann wirst du zum haruspex primus gehen und um die Aufnahme ersuchen, Sextus? Hast du bereits einen Termin im Sinn und die Fürsprache Flavius Gracchus' gewinnen können?"

  • Lupus indes schien gedanklich noch bei seinem Opfer zu verweilen, und so traten wir den Heimweg in einvernehmlichen Schweigen an. Er befand sich auf dem besten Weg, selbst bald einem collegium beizutreten.

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