Dies Natalis Valeriani

  • Zu den wichtigsten jährlich gefeierten Festivität des römischen Reiches unter den Kaisern gehörte der Geburtstag des Kaisers, der in einer prunkvollen Prozession, beginnend bei der Ara Pacis am Marsfeld gefeiert wurde. Natürlich war der Geburtstag des Kaisers eine reichsweite Feierlichkeit, aber nirgendwo wurde so prunkvoll, so feierlich, so ausgiebig gefeiert wie in Rom, der Hauptstadt des Reiches.


    Freilich würde kaum ein ehrbarer Bürger diese Feierlichkeit auslassen, und so war der Geburtstag des Kaisers immer ein Termin, zu dem die Gassen von Rom voll waren mit Schaulustigen, mit Leuten, die hofften, von ihrem alltäglichen Trott gerissen zu werden, Leute, die hofften, etwas vom Segen der Götter abzubekommen – und natürlich mehr als genug Leute, die bereit waren, bis zum Ende zu warten, um beim üppigen Opfer etwas Fleisch abzubekommen. Viele Leute waren zudem nur hier, auf den Zuschauerrängen, um dazusein, um ihre Präsenz und ihre Frommheit öffentlich unter Beweis zu stellen.


    Am Ara Pacis trafen sich also die Priester. Man sah sie schon von Weitem, in ihren weißen Togen, ihrer würdevollen, aufrechten Haltung. Da waren die Arvalbrüder. Die Pontifices. Die Septemviri. Und die Quindecemviri. Alle bereit, für den Kaiser diese Prozession durchzuziehen, für den Kaiser zu opfern.


    Wenn man ganz genau hinsah – was sicher einige Leute in der Menge, begierig, etwas mitzubekommen vom heiligen Ritual, tun würden – dann würde man auch den Flamen Divorum sehen, den Flamen der Götter, der vergötterten vormaligen Kaiser des Reiches. Er würde das Voropfer leisten, hier am Ara Pacis. Dann würde die Prozession sich in Bewegung setzen, aus dem Marsfeld hinaus, hinein ins Pomerium, hin zum Palatin. Hier würde der Zug zum Halten kommen, und es würde an den Arvalbrüdern liegen, den Divi Augusti und dem Genius des momentanen Kaisers zu opfern.


    Und schließlich würde der Zug zum Kapitol ziehen, zum Tempel der Göttertrias, wo schlussendlich durch die Pontifices den Göttern für das Wohl des Kaisers geopfert werden würde. Dann kam die Erneuerung des Treueschwures der Senatoren – und dann würde das kommen, womit ein jeder ordentliche Festzzug abklang, und zwar mit Gladiatorenspielen.


    Doch bevor diese wunderbaren Sachen dem römischen Bürger auf dem Tablett präsentiert wurden, kam das Einbesammeln der Priester am Ara Pacis.


    Das Wetter war gut, obwohl es schon herbstlich kühl war. Vielleicht war es ein gutes Omen. Ziemlich sicher war es sogar ein gutes Omen.
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  • Potitus hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, seinen Kaiser und Freund Valerianus an dessen Geburtstag persönlich zu vertreten. So erschien er bereits morgens an der Ara Pacis, begleitet von seinen skythischen Leibwächtern, die er seit neustem ständig mit sich führten. Es waren rauhe Burschen mit Filzmützen und Hosen, offen bewaffnet mit Messern und ihren charakteristischen Bögen.


    Dazu bildete der dazwischenstehende Salinator in seiner Senatorentoga einen krassen Kontrast, der nur wenig von seinem Begleiter Servilius Livineius aufgeweicht wurde.

  • Als designierter Consul, ehrbarer Bürger der Stadt Rom und alter Kampfgefährte des Kaisers konnte es Macer natürlich nicht auslassen, zum Anlass des kaiserlichen Geburtstages zu den entsprechenden Feierlichkeiten zu erschienen. Dass diese in großen Rahmen abgehalten wurden und der Praefectus urbi auch dabei ganz physisch den Platz des Kaisers einnahm, kam ihm zwar in gewisser Weise kurios vor, aber vor allem sah er in diesem Tag eine gute Möglichkeit, dass viele für die rasche Gesundung des Kaisers beteten. Und ganz nebenbei war es für Macer selber auch eine Gelegenheit, einen kleinen Schritt bei der Umsetzung seines Wahlprogramms zu machen und schon einmal Ausschau zu halten, welche Senatoren und vor allem welche Magistrate sich bei diesem Anlass pflichtbewusst zeigten und den Senat in der Öffentlichkeit repräsentierten und welche sich eher zurück hielten.

  • Selbstverständlich ließ es sich Menecrates nicht nehmen, direkt am Zug teilzunehmen. Eine Position am Rande als Zuschauen kam für ihn aus zwei Gründen nicht in Frage: Zum einen empfand er Kaisertreue, die er auch demonstrieren wollte. Zumal ihm der Kaiser nicht als unnahbarer Machthaber erschien, sondern als sein ehemaliger direkter Vorgesetzter absolut greifbar. Menecrates bewies demjenigen eine annähernd lebenslange Treue, den er einmal überaus schätzen gelernt hatte. Und der Nachfolgelegat Valerianus hatte die Prima unverändert gelassen, sowie den Stab und insbesondere ihn geschätzt und respektiert. So etwas vergaß der Claudier nicht. Seine Sympathien für Valerianus lagen noch über denen damals für seinen Vater Iulianus.
    Zum anderen glaubte Menecrates daran, dass die Götter schwer Erkrankte genesen ließen, sie hatten es auch bei ihm vollbracht. Und wenn er diesen Wunsch mit seiner Anwesenheit bei diesem Festzug verdeutlichen konnte, dann war sein zweites Ziel erreicht.


    Er reihte sich nach den Consuln und anderen Würdenträgern, die Vorrang besaßen, in den Zug ein.

  • Obgleich Gracchus im privaten nicht gänzlich sicher sich war, ob der Tag Valerianus' Geburt wohl ein Segen war für Rom, so musste es der Geburtstag des Imperators zweifelsohne sein, und nichts anders war es, das am heutigen Tage fetiert wurde. Hätte er ob seines Standes bereits diesem Ereignis pflichtschuldig sich anschließen müssen, so war dies gleichsam ein kultischer Feiertag, an welchem auch die Pontifices ihrem Amt nachkamen, dass Gracchus ohnehin kaum eine Wahl hatte. In eine Senatorentoga gehüllt entstieg er somit der flavischen Sänfte nahe der Ara Pacis und wartete kurz auf seinen Sohn Minor, der ebenfalls mit ihm war gekommen. Als Pontifex hatte Gracchus dafür Sorge getragen, dass sein Spross während der kultischen Handlungen einen Platz als minister hatte erhalten, dass er gleichsam seinen Beitrag zu diesem wichtigen Ereignisses würde leisten.
    "Hier trennen wir uns. Sciurus wird dich zu den anderen ministri be..gleiten und hernach stets in deiner Nähe sein. Halte dich an die älteren Jungen, folge den Weisungen der calatores und sei dir stets bewusst, welch gewi'htige Aufgabe du erfüllst für das Imperium Romanum, denn ohne die kleinen Anteile des Ritus kann daraus kein Ganzes werden."
    Stolz strich der Vater dem Sohn noch einmal über sein Haupt, denn obgleich es nicht ungewöhnlich war, dass die Kinder der Pontifices, der Senatoren oder reichen Römern diese kleinen Aufgaben bei den Ritualen übernahmen, so war für Gracchus selbstredend sein Sohn etwas ganz besonderes hierbei.
    "Nach dem Ritus treffen wir uns auf dem Capitol wieder, dann können wir noch ein wenig an der Feier partizipieren."
    Mit einem kurzen Blick zu seinem Vilicus hin versicherte Gracchus sich dessen Anwesenheit, welche jegliche Sorgen um Minor gänzlich ihm von den Schultern nahm, würde Sciurus dem Jungen doch ebenso ergeben sein wie ihm selbst, wiewohl für dessen Wohl Sorge tragen. Hernach begab er sich zu der Ara Pacis, grüßte auf dem Weg hier und da mit einem Nicken, und gesellte sich zu der kleinen Gruppe von Pontifices, welche um den Altar sich bereits hatten eingefunden.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Auch Modestus hatte sich am Geburtstag des Princeps vor dem Ara Pacis eingefunden. In seiner prächtigsten Toga befand er sich bei den anderen Quindecimviri sacris faciundis und unterhielt sich leise mit seinen Collegae. Auch wenn das Collegium der Quindecemviri keine so große Rolle bei den rituellen Handlungen spielen würde, nahm es dennoch an der Prozession teil. Daher gingen die Magister auch schon durch die Reihen der Mitglieder und legten die Reihenfolge fest. Immer zwei Männer würden nebeneinander gehen, je ein Patrizier und ein Plebejer. Natürlich würden die beiden Magister die Quindecemviri anführen.
    Modestus sah zu den sich versammelnden Senatoren herüber und stellte fest, dass er später wohl für den Treueeid zu ihnen stoßen musste. Er sah seinen Patron und natürlich fiel ihm Vescularius Salinator mit seinen ungepflegten Leibwächtern auf. Zumindest für diese Prozession hätte er doch wohl ansehnlichere Wächter wählen können. Urbaner oder Praetorianer. Aber vermutlich ging es wohl weniger um den Schutz als um das, was die Männer darstellten.

  • Neben den Pontifices, Flamines und Augustales kam am Geburtstag des Kaisers auch den Arvalbrüdern eine wichtige Aufgabe zu. Daher erschien Durus heute, obwohl er eigentlich auch Pontifex pro Magistro war, in seiner Funktion als Arvalis Frater, der den Magister Flavius Furianus zu vertreten hatte. Furianus hatte ja Rom leider wieder verlassen, sodass Durus der angesehenste unter ihnen war und daher auch das Opfer vollziehen durfte.


    So war er nicht nur in der Toga Praetexta, sondern auch mit dem Ährenkranz bekrönt erschienen, geleitet von verschiedenen Ministri. Da er aber ein wenig spät erschienen war, konnte er dem Consul Designatus nur ein Lächeln und einen Digitus Salutaris zusenden, ehe er seinen Platz in der Prozession einnahm, wobei er in den Augenwinkeln auch diesen Salinator mit seiner barbarischen Eskorte wahrnahm. Eine Unverschämtheit, mit diesen bewaffneten Wilden das Pomerium zu entweihen (auch wenn sie selbiges noch nicht betreten hatten)!

  • Neben den okkulten Pflichten erlernte man als Vestalin noch etwas, was ziemlich wichtig war – und zwar, sich wie eine Vestalin zu benehmen und zu erscheinen. Romana hatte nichts anderes vor an diesem Tag. Zusammen mit den anderen jungfräulichen Dienerinnen Vestas stand sie in der Nähe der Pontifices und blickte durchaus distanziert auf die Menschenmassen. Ihr Gesicht aber wurde weicher, und ein Lächeln erschien darauf, als sie ihren Vater in der Menge sah. Ob er sie auch sehen konnte?


    Ihr Blick wanderte dann weiter, und ihr Gesicht erfror wieder. Denn Salinator kam in ihr Blickfeld. Zusammen mit seinen barbarischen Leibgarden, die sich so angezogen hatten, als ob sie vorhatten, Rom in Schutt und Asche zu legen. Verdammtes Gesindel, dachte sie sich, und ein eisiger Blick traf die mit Hosen Bekleideten. Dass Salinator eine solche Garde hatte, hatte sie bisher nicht gewusst, aber ihre schon niedrige Meinung von ihm hob das auf keinen Fall. Mit diesen Typen würde er doch nicht das Pomerium betreten wollen. Oder?

  • Auch Piso sah die Leibwächter des Salinator, dachte sich aber nicht so viel dabei, wie es andere tun mochten. Natürlich war Pisos Ehre damals sehr geknickt worden durch den Vescularier, als dieser ihn als Procurator a memoria abgelehnt hatte. Aber immerhin hatte der Mann ihn in den Ordo Senatorius erhoben. Und zusätzlich hatte er, wie Piso in Erfahrung gebracht hatte, dieses unsägliche Weib, diese Germanica, nach Germanien verfrachtet, wo sie auch hingehörte. Das hatte ihm schon ein paar Pluspunkte in Pisos Buch verschafft. Zumindest Imperiosus hatte ihn als Patron erwählt. Ob das so klug gewesen war? Nun, einen netten Ritterstreifen an der Tunika hatte es ihn verschafft. Trotzdem war der Mann Piso nicht ganz geheuer, und die flavische Familienpolitik war diesem Mann nicht allzu freundlich gegenüber eingestellt (was aber kein Flavier je öffentlich zeigen würde). Also beschränkte Piso sich darauf, woanders hin zu gucken.
    Er stand zusammen mit den anderen Septemviri unweit der Quindecimviri nahe der Ara Pacis und wartete auf das Opfer des Flamen Divorum. Die Zeit vertrieb er sich damit, mit Vitellius Rufio über die neuesten Kunstströmungen in Griechenland zu sprechen, ein belangloses Gesprächsthema, aber immerhin konnte man sich damit Zeit totschlagen.
    Als Septemvir war er zwar vorläufig hier, aber er würde auch als Arvalbruder in Erscheinung treten. Schon lästig, wenn man eine solche Doppelfunktion hatte. Ihm fiel dabei ein, einen neuen Magister der Arvalbrüder sollte man bestimmen, denn Furianus war nicht mehr hier.
    Er versuchte, etwas von Gracchus bei den Pontifices zu erhaschen, aber vergebens. Nun ja, man würde sich sicher noch sehen.

  • Aus der Menge der versammelten Priester schälte sich eine ganz besonders eminente (wenn auch etwas dickbäuchige) Erscheinung. Der Flamen Divorum hatte in den letzten Jahren, da er schon dieses Amt bekleidete,einen guten Teil seiner Einkünfte in Essen investiert, was man nun auch an seinem Rettungsring um den Bauch sehen konnte. Unbenommen seines ungünstigen Erscheinungsbildes jedoch war er um Würde bemüht, als er das Voropfer einleitete.


    “Favete Linguis!“, machte ein Rufer, bevor der Flamen Divorum, in einem Ehrenspalier von Tibicines, die laut zu dudeln anfingen, die Ara Pacis hinaufschritt. Am oberen Ende der Stufen angekommen, reichte ihm ein Sklave eine Schüssel, an welcher er sich rituell reinigte. Kaum war die rituelle Reinigung, natürlich keine Reinigung im hygienischen, sondern viel eher im metaphorischen Sinne, vollzogen, konnte der Flamen Divorum bereits mit dem Opfer beginnen.


    Ein paar dienstfertige Augustales – sie assistierten dem Flamen Divorum beim Opfer – hatten, als der gute Mann die Stufen sich hinaufgemüht hatte, bereits Weinkrüge und Kuchen um den Altar des Genius des Kaisers, auf den der Flamen Divorum nun zuschritt, platziert. Unter Ächzen bückte sich der Flamen, um besser zum Behälter mit dem Weihrauch zu gelangen, und pfefferte ihn nonchalant in die Opferpfanne, die neben dem eigentlichen Altar stand. Kurz wartete er, bis es aus dem Foculus rauchte, dann erhob er seine dicken, speckigen Arme und erhob seine aufgedunsenen Handflächen gen Himmel.


    “Oh Genus Augusti, der unseren Kaiser beseelt, nehme diesen Wein an. Möge er deine Ehre mehren und dir ein gutes Opfer sein.“ Denn dass ein Opfer ein gutes Opfer war, das war wichtig.


    Unter einigem am Strapazen wuchtete er drei Weinkrüge auf den Altar des Genius, bevor er sich nach rechts drehte. Nach rechts, wo der Altar der Pax stand, wohin sich nun der Flamen Divorum schleppte, gefolgt von den Augustales, die die verbliebenen Opfergaben nachtrugen. Gnädigerweise reichte ein Augustale dem Flamen Divorum den Weihrauch, sodass dieser nicht danach langen musste. Erleichtert ächzte der Dicke, bevor er ihn in den Foculus der Pax hineinwarf und auch hier auf Weihrauchqualm wartete. Dann endlich breitete er seine Arme zur Betstellung aus, wie gehabt.


    “Oh Pax, die den Frieden bewahrt, nehme diesen Kuchen an. Möge er deine Ehre mehren und ein gutes Opfer sein.“ Noch einmal stellte er unter einigem an Keuchen den Kuchen, den er vor sich vorfand, den Altar und drehte sich abermals nach rechts.


    Obwohl das Voropfer nicht sonderlich beeindruckend gewesen war, war der Flamen Divorum nun komplett aus der Puste. Um seine körperliche Leistungsunfähigkeit zu verbergen, verschmolz er auch kurz nach dem Opfer mit dem Rest der priesterlichen Menge. Er tat gut daran, dann nun begann die Prozession.


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  • Obschon die Festivitäten, die das alljährlich das Anniversarium des Imperator Caesar Augustus Ulpius Aelianus Valerianus zelebrierten und somit den Kaiser in divine Sphären enthoben, ebenso alljährlich zu den impressivsten Ereignissen des lokalen Kalenders zählten, stellten sie in diesem Jahr für den jungen Flavius eine besonders eminente Causa dar, da er, wie sein Vater ihn gewiesen hatte, sich zu den Camilli zu zählen die Ehre hatte und somit an der Seite desselbigen coram publico an den öffentlichen Kulthandlungen teilhatte. Aus diesem Grunde heraus hatte man den Knaben, der die Gravität derartiger Aufgaben lediglich zu ahnen vermochte, glänzend präpariert: Seinen noch mit infantilen Rundungen versehenen Leib bedeckte eine glänzend weiße Tunica, die von einem roten, mit prächtigen Stickereien versehenen Gürtel gehalten wurde, während sein Haupt von einem frischen Kranz von Lorbeer gekrönt war. Selbstredend war er zuvor gründlichst gewaschen worden um jedweden Verdacht der Unreinheit bereits zu zerstreuen.


    Wenige Augenblick nach dem Überqueren des Marsfeldes, an dessen Rand die sorgsam geschmückte Ara Pacis aufzufinden war, sandte Manius Maior Manius Minor dessenungeachtet von seiner Seite und übergab ihn Sciurius, jenem omnipräsenten Schatten, dessen Assenz dem Knaben stets eine gewisse Insekurität, bisweilen sogar einen schwerlich kausal einzuordnenden Schauder über den Rücken jagte. Doch drückte der Villicus ihm rasch den Urceus in die Hand, mit deren Hilfe er seinen Vater in den Status völliger kultischer Reinheit versetzen würde, sobald der ihm bezeigte Calator das entsprechende Zeichen geben würde, und schob ihn in die Reihe anderer Knaben, die in dem jungen Flavius geradezu gewohnte Gefühl unbestimmter Xenophobie evozierten, an das er sich mit fortschreitenden Lebensjahren geradezu zu gewöhnen begann.


    Da das Opfer der capitolinischen Trias zu den letzten des Tages zählen würde, oblag es dem Knaben nun indessen, durch ernstes Dreinblicken, Ruhe und Aufmerksamkeit das Spectaculum nicht zu disturbieren, das der adipöse Flamen Divorum in diesem Augenblick vor dem Altar des Friedens vollführte. Insbesondere galt die Aufmerksamkeit des jungen Flavius hierbei selbstredend jenem Servus Publicus, der während des unblutigen Voropfers seine Aufgabe wahrnahm und dem Opferherrn das kühlende Nass über die sorgsam manikürten Finger goss.

  • Schweigend, wie es sich für ein Opfer gebot, verfolgte Macer die Zeremonie. Alles in allem war auch so ein Opfer am kaiserlichen Geburtstag ein Opfer wie jedes andere und die Priester handelten gekonnte und routiniert. Auch die Wahl der angebeteten Götter war angesichts des Anlasses und des Ortes nicht überraschend, so dass Macer einmal mehr zu der Überzeugung kam, dass Priester sein eigentlich gar nicht so schwer sein konnte. Unter seinen Klienten gab es ja einige Bestrebungen, höhere Priesterämter anzunehmen und wenn er darüber nachdachte, war sich Macer sicher, dass er das forcieren sollte. Für eigene Pläne war es diesbezüglich sicher im Moment der völlig falsche Augenblick, aber ein gewisses spontanes Interesse konnte er nicht leugnen. Aber erst einmal standen andere Aufgaben an, von denen die nächstliegende sein würde, nach dem Voropfer auch das Hauptopfer zu verfolgen.

  • Potitus verfolgte etwas belustigt, wie die Priesterschaften aufmarschierten, eine Miene gewichtiger als die andere. Für Salinator selbst war der Staatskult nicht viel mehr als eine verknöcherte Patrizier-Show, bei der mit möglichst großen Umständen einfache Dinge gesagt wurden und deren Riten so leblos wie langweilig waren. Nach einer Weile überlegte er sogar, einen in seiner Nähe stehenden Senatoren anzusprechen, als das Voropfer glücklicherweise schon zuende war.

  • Die Prozession. Immer wieder der feierlichste und schönste Teil eines römischen Rituales. Erbaute es nicht die Herzen aller Römer, die Creme de la Creme des Reiches, die höchsten Priester, durch die Straßen marschieren zu sehen? Bezeugte es nicht, dass die Götter auf Rom lächelten? Und sorgten nicht diese Priester dafür, dass es auch so bleiben würde?


    Es fing also der Zug an. Vorne marschierten die Pontifices, jenes eminente Gremium, welches das bedeutendste unter den römischen Kollegien darstellte. Zusammen mit ihnen marschierten die Flamen mit – inklusive der Flamen Divorum, auf dessen Kleidung der aufmerksame Betrachter Schweißflecken erkennen konnte – und der Rex Sacrorum, würdig wie immer, und auch wie seine Vorgänger und hoffentlich auch Nachfolger. Auch die Vestalinnen schritten hier mit, in all ihrer jungfräulichen Pracht.


    Von ihnen gefolgt, die Quindecimviri, die 15 Männer, die dafür zuständig waren, dass auch fremde Götter nie Rom zürnen würden. Obwohl ihre Rolle im ganzen Spektakel nicht allzu groß war, waren auch sie hier.


    Gleiches galt für die Septemviri, die hintendrein marschierten, die Festbereiter, die insbesondere für die Trias – und die Stillung ihres Appetites – zuständig waren. Der Kaisergeburtstag war kein Anlass, wo sie eine gar besondere Rolle hatten, aber sie eigneten sich prächtig, um die Prozession größer und eminenter sein zu lassen.


    Dann kamen die Arvalbrüder. Kein Collegium, sondern eine Sodalitas, wichtig für den Kaiserkult, und als solche auch hier dabei. Sie würden später noch dem Kaiser opfern.


    Zum Schluss waren auch noch die Augustales, auch wenn ihre Beteiligung insgesamt sich auch eher im niedrigeren Bereich hielt.


    Hintennach folgten die Opferdiener - die Ministri, die musizierenden Tibicines, die Popae, und sonstiges kultisches Fußvolk, neben den höheren Priestern, die vor ihnen schritten, kaum der Beachtung wert.


    Im Prozessionszug drinnen befanden sich Opfertiere. Sie waren strategisch zwischen den einzelnen Gesellschaften aufgeteilt. Ein Ochse für den Genius des amtierenden Kaisers, seine Hörner waren prächtig verziert, die Quasten seines Opferdeckchens wackelten lustig im lauen Wind. Mehrere Stiere nahmen ebenfalls an der Prozession – ihrer ersten und letzten – teil, sie waren für die Divi Augusti und Iuppiter. Einige Rinder schließlich befanden sich ebenfalls unter den Opfertieren, eines für Iuno, eines für Minerva und die übrigen für die Divae Augustae. Sie waren genau so prunkvoll verziert wie die männlichen Opfertiere. Mindestens.


    Die Prozession verließ den Campus Martis. Schlängelte sich durch Straßen und Tore hindurch. Über das Forum Romanum. Und kam schließlich beim Palatin an, wo die Arvalbrüder ihr Opfer an die Divi Augusti und den Genius Valeriani geben würden.


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  • Als sich der Zug in Bewegung setzte, reihte sich Macer im hinteren Teil ein, in dem weniger formell als vorne diejenigen mitliefen, die nicht Priester waren, auch keine sonstigen religiösen Ämter und Funktionen bekleideten, aber aufgrund ihres Ranges oder Amtes immerhin wichtig genug waren, mit durch Rom zu laufen, um zum Hauptopfer zu kommen. Der halbe Senat schien in diesem Teil des Prozessionszuges versammelt zu sein und das wohl auch nur deswegen, weil die andere Hälfte irgendwelche Priesterämter bekleidete und deswegen weiter vorne schon unterwegs war.

  • Schweigend und mit würdevoller Miene verfolgte Tiberius Durus im Kreise der übrigen Arvalbrüder das Voropfer des Flamen Divorum. Wie er so zusah, fragte er sich, ob er eines Tages ebenso fett werden würde: Zwar hatte er schon ein beachtliches Consularenbäuchlein angesetzt, aber noch konnte er sich ganz gut bewegen (außer Laufen, dafür brauchte er natürlich seine Krücke!). Glücklicherweise hatte Capsa ihn für heute aber ganz gut aufgepäppelt, sodass er wohl mit Hilfe seines Gehstockes allein würde laufen können.


    Und dies musste er auch kurz darauf tun, denn die Prozession setzte sich in Bewegung. Da er heute als Arvalbruder auftrat, konnte er auch nicht den Platz an der Spitze des Collegium Pontificium einnehmen, doch zumindest hier führte er die Reihe an, in der auch sein Sohn zu finden war.


  • Nachdem die Prozession die Via Flaminia und das Forum Romanum hinter sich gelassen hatte, begann der etwas beschwerliche Anstieg auf den Palatin. Dort, wo normalerweise die Praetorianer jedermann abblockten, der kein ordentliches Anliegen hatte, führte der Zug heute einfach ungehindert durch. Zwar standen einige Praetorianer in Zivil herum, jedoch war die wichtigere Aufgabe dieses Tages wohl die Absicherung der Teile des Palastes, die nicht Teil der Feierlichkeiten waren.


    Zur Sicherheit fanden die Opfer jedoch nicht innerhalb des eigentlichen Templum Divorum, das sich innerhalb der Domus Augustana, dem kaiserlichen Wohnbereich, statt, sondern auf dem davorliegenden Peristylium der Domus Flavia statt. Dort hatte man Statuen aller vergöttlichten Kaiser und Divae Augustae aufgestellt. Ihre Haut glänzte golden in der Oktobersonne, sie alle waren barfuß und in heroischen bis göttlichen Posen dargestellt. In ihre Mitte befand sich jedoch eine Statue, die einen muskulösen, mit einer Toga bekleideten Mann darstellte, dessen bärtiges Gesicht eindeutig dem des Kaisers entsprach. In seiner linken hielt er ein Füllhorn, aus dem der Wohlstand quoll, in der Rechten eine Patera. Sein Haupt war bekränzt mit goldenem Lorbeer, sodass jeder erkennen konnte: Dies war der Genius Valeriani!


    Hier nun hatte man alles vorbereitet: Die Arvalbrüder würden ihre Plätze vor den Götterstatuen einnehmen, umgeben von ihren Ministri, während man in extra zu diesem Zweck eingebauten Ringen am Boden die Stiere und Rinder befestigte, die heute zu Ehren des Kaisers das Zeitliche segneten.


    Dahinter befand sich der achteckige Brunnen, der das Zentrum des Hofes bildete. Rund um ihn und bis hin zu den Säulengängen aus kappadokischem Marmor konnte nun der Senat, dahinter die Ritter und schließlich das Volk seinen Platz einnehmen um die Opferhandlungen zu verfolgen.
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  • Der Weg war doch weiter gewesen, als Durus angenommen hatte. Die Via Flaminia war noch in Ordnung gewesen, doch als dann auch noch der Aufstieg zum Palatin begann, begann sein Bein schlimm zu schmerzen und er musste zwischendurch anhalten, um sich zu erholen. Hilfe schob er jedoch stets bestimmt beiseite: Wer nicht zum Tempel laufen konnte, war auch nicht würdig zu opfern!


    So war er schweißgebadet, als sie den Baukomplex betraten, der vor vielen Jahren sein Arbeitsplatz gewesen war. Noch gut erinnerte er sich an die Aula Regia, den Porticus, in dem er gelegentlich Spazieren gegangen war. Jetzt war alles hergerichtet und herausgeputzt, aber es war doch klar: Das hier war ein kopfloses Zentrum: Der Kaiser weilte fern von hier, auch wenn sein bürokratischer Leib weiterarbeitete, als wäre nichts gewesen!


    Glücklicherweise hatte er ein wenig Zeit, sich zu erholen, bis der ganze Wurm sich in den Innenhof gedrängt hatte. Die Tiere waren bereits kontrolliert und wurden nun ihrer Dekorationen bekleidet, während der alte Tiberier die letzten Schritte zu der Statue des Divus Augustus schritt. Jeder Arvalbruder würde einem Divus oder einer Diva opfern bis hin zum Genius Valeriani, der heute ja seinen eigentlichen Geburtstag feierte. Somit würde für jeden klar sein: Gaius Ulpius Aelianus Valerianus stand in direkter Kontinuität mit Caesar, Augustus, Tiberius, Claudius, Vespasian, Titus, Nerva, Traianus und schließlich Iulianus. Aber auch Diva Iulia Augusta und Diva Iulia, die Tochter des Titus, würden zu Ehren kommen, wie es die Tradition verlangte.


    Die Flötenspieler, die die ganze Prozession über gespielt hatten, änderten nun ihre Melodie und der Opferritus konnte beginnen. Durus, wie auch die übrigen Arvalbrüder, bedeckten ihr Haupt mit der Toga und ließen sich die Hände waschen. Auch die Zuschauer wurden erneut mit Wasser besprengt, um auch ihre Reinheit zu sichern. Wieder einmal fragte der alte Tiberier sich dabei, ob sein schlimmes Bein eigentlich eine Gefährdung des Opfers darstellte: Makellos war er ja nun wirklich nicht mehr!


    Dennoch schob er diesen Gedanken beiseite und vollführte mechanisch und wie im Schlaf die folgenden Rituale, die neben ihm auch die übrigen arvalischen Opferherren vollführten: Das rituelle Entkleiden des Stieres mit Hilfe des Culter, die Weihe durch ein kleines Gebet und das Besprengen mit Wein.

  • Als sich die Menschenschlange den Pontifices näherte, konnte kein Auge die Vestalinnen übersehen. Sie fielen in ihrer Tracht auf und Menecrates suchte die Schar der jungfräulichen Dienerinnen Vestas nach seiner Tochter. Seine Augen lächelten und sein Mundwinkel streckte sich, als er sie entdeckte. Einmal abgesehen von diesem Ereignis hing er sonst immer seinen Gedanken nach, überlegte weitere Schritte, durchdachte Vorhaben oder versank in Erinnerungen. Viele drehten sich um den Kaiser, es war schließlich sein Tag heute. Nur den eigentlichen Opferhandlungen widmete er seine volle Aufmerksamkeit.


    Derart abgelenkt schritt er den Palatin eher unbewusst nach oben und spürte die Anstrengung weniger als sonst. Beim Tempel angekommen suchte sich er sich einen angemessenen Platz inmitten der Senatskollegen. Ab und an traf ihn ein Tropfen des Wassers, um die Reinheit zu gewährleisten, dann begann der Akt der Opferung, ausgeführt vom PONTIFEX PRO MAGISTRO. Er bat gedanklich die Götter um die Annahme der Gaben und eine wundersame Heilung des Kaisers.

  • Mächtig, fast drohend in ihrer glanzvollen Schönheit, herniederdrückend, depressivmachend ästhetisch, und einsam trotz der Menge, die sie umgab, standen die Statuen der alten Kaiser auf ihren Sockeln und schauten heroisch in die Ferne. Piso hatte sich aus den Reihen der Septemviri gelöst und sich bei den Arvalbrüdern eingereiht. In Vertretung von Furianus würde wohl Durus das Opfer starten, und tatsächlich hatte jener sich als erster eingereiht. Piso stellte sich schweigend also zu anderen Arvalbrüdern hin. Ein paar kannte er, zumindest flüchtig.
    Sein Blick wanderte nach vorne und glitt über eine Statue. Heee! Den kannte er ja! Das war... das war... der Kaiser. Bronzen schaute er besser aus als in echt, musste man hierzu sagen. Piso runzelte die Augenbrauen und schritt weiter, voran. Die Rinder rund um die Arvalbrüder bemerkte er am Rande. Sie waren für die göttlichen Kaiser und Kaiserinnen. Der Flavier blickte sich kurz sorgfältig um, bevor er sein Augenmerk auf Durus richtete.
    Ihm wurden zuerst die Hände vollgesprenkelt. Auch Piso hielt seine Hände pflichtschuldigst aus und ließ sie ein wenig ernässen. Ja, so war es gut, er war nun rituell gereinigt.
    Piso hatte sich Vespasianus gesichtert, der Mann, der die Flavier an die Spitze der Macht katapultiert hatte. Zur soldatisch-klotzigen Repräsentenz des Flaviers ging der Flavier mit einem Sklaven, der das Rind führte, und schielte kurz auf Durus, bevor er das tat, womit er begann.
    Die Decke, die das Tier vor ihm bedeckte, lupfte er hinunter, ohne es anzufassen, dann ließ er Mola Salsa drüber fallen und strich von Kopf bis Schwanz mit seinem Koltermesser. Und nun die Arme in die Höh! “Divus Vespasianus, nimm dieses Opfer an zu deiner Ehre“, machte er nicht allzu laut, bevor er sich nach rechts wandte, dort von einem Opferhelfer einen Weinbecher gereicht bekam, und den Wein sorgsam über den Kopf des Tieres ausschüttete.
    Dann trat er zurück. Er würde erst mit seinem Gebet anfangen, wenn Durus das auch tat!

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