[Inficet Mantua in morbum incidet] Das Geschehen im Castellum

  • PHASE II
    Publius Cornelius Sotericus
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    "Wollt ihr mich eigentlich alle verarschen?", brüllte der dem Praefectus Castrorum direkt unterstellte Optio die ahnungslos dreinschauenden Soldaten an, die wie so viele vor ihm mit fast leeren Händen gekommen waren, "Das wird ja wohl nicht alles sein! Wo ist der verdammte Rest?"


    Die Milites zuckten nur mit den Achseln, und es entsprach seiner alten Angewohnheit, die Leute so lange mit Blicken aufzuspießen bis sie ihm sagten was er hören wollte. Was dann schließlich auch einer der jüngeren Soldaten tat, nachdem er sich von einem Hustanfall wieder erholt hatte: "Die Bauernhöfe liegen quasi brach. Die Rustici die wir angetroffen haben, hatten kaum etwas zu verkaufen. Die Vorräte vergammeln im Regen, weil niemand sie aufstockt, und die Bauern alleine können es nicht leisten. Viele Arbeiter und Tagelöhner liegen krank daheim, von manchen hat man garnichts gehört."


    Die Faust des Optios sauste gegen eine Strebe die bis zum Dach des Lagerraums reichte: "BLÖDER SCHEISS! LABER MICH NICHT VOLL. WO IST DIE WARE?"


    "Es ist aber so.", druckste ein weiterer rum, "Schau doch einfach nur einmal raus auf die Via. Wieviele Händler sind heute ins Lager gekommen? Die Straße ist im Vergleich zu früher wie leer gefegt. Zehn verdammte Händler! Da stehen normalerweise hundert! Die Stadt liegt brach, genauso wie die Bauernhöfe in der Gegend. Die Leute liegen im Bett oder versuchen sich alleine an der Arbeit..."


    "Verdammte Axt...", grollte der Optio, der die Nahrungsmittelversorgung der Legion zwar nicht in Gefahr, aber doch in Schwierigkeiten sah, "...dann werden wir uns was anderes einfallen lassen müssen. Glotzt nicht so! Weggetreten!"


  • Spurius Baebius Lupus
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    Was für ein Scheisstag das doch war! Es hatte schon angefangen, als Lupus auch nur den Versuch unternahm sich wie immer mit dem Brüllen des Centurio aus seiner Koje zu schwingen. Als hätte ihn eine Quadriga überfahren, so fühlte er sich, mal ganz davon abgesehen, dass seine verdammte Tunika so nassgeschwitzt war, als hätte er sich wie ein zweijähriger eingenässt! Von den Kopfschmerzen ganz zu schweigen. Die Dunkelheit vor dem Sonnenaufgang war da noch dankbar, aber je heller es wurde, desto heftiger versuchte das Pochen hinter seiner Stirn ihm die Augen aus dem Schädel zu drücken.
    Mit Besorgnis hatte er die leere Koje auf der anderen Seite der Stube registriert, in der sein Kamerad Fuscus gelegen hatte, bis der Optio ihn ins Lazarett hat schleifen lassen. Bei dem hatte es auch so angefangen! Erst der Husten... dieses ständige, nervige Husten mit dem er die ganze Stube und die zwei daneben wachgehalten hatte. Selbst als ihnen vor die Tür gekotzt hatte, hatte man das noch mit schlechten Witzen abgetan. Der Centurio war natürlich garnicht begeistert gewesen... aber wann zeigte der sich schon einmal begeistert? Und dann war er eines Morgens nicht mehr aufgestanden, hatte nurnoch kreidebleich, klatschnass und wimmernd in seinem Bett gelegen und nach seiner Mutter gerufen.


    Lupus würde sich diese Schwäche nicht geben. Nein, nicht er. Er wollte schließlich irgendwann in die Truppe versetzt werden, die den Aquilifer schützte. Vielleicht selbst irgendwann den Adler zu tragen. Aber bis dahin war es wohl noch ein weiter Weg, weil vor ihm all jene gefragt würden, die in Parthia dabei gewesen waren. Und das waren so einige, nur er nicht. Was für ihn bedeutete: sich noch mehr reinhängen! Dem Centurio den Arsch küssen und dem Optio schöne Augen machen. So sah das aus! Und da konnte man nicht einfach den Schwanz einkneifen nur weil einem übel war.


    Was das Exerzieren allerdings nicht einfacher machte. Gestern hatte er sich schon gefühlt als hätte das verdammte Castellum an einem Tag im Alleingang errichtet. Heute.. heute trug er den Fels des Sysiphos mit sich herum, der ihm immer wieder entglitt. Jeden. Verdammten. Schritt.
    Lupus keuchte schwer, und unterdrückte nur mit Mühe ein Husten als er sich der Erschöpfung nahe zwischen die anderen seiner Stube stellte, die ihn argwöhnisch betrachteten und ihm leise zuraunten, er solle sich endlich ins Lazarett verpissen. Aber das kam für ihn garnicht in Frage.. auch wenn er zunehmend das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Und dann war da diese Übelkeit! Dabei hatte er nicht einmal etwas gefrühstückt, aus lauter Angst, es nicht bei sich behalten zu können.


    Sie nahmen Haltung an, er mehr schlecht als recht, und der Centurio brüllte etwas, das sich Lupus' Geist nicht erschloss. Ihm erschloss sich garnichts mehr, denn auf einmal drehte sich nurnoch alles, und als er spürte wie ihm die Galle hochkam, war schon alles zu spät: er kippte einfach nach vorn, nur kurz aufgehalten vom Rücken eines überraschten Kameraden, an dem er abrutschte und auf seine Knie versank, nur um in ein heiseres, leeres Röcheln auszubrechen als sein Magen versuchte die Leere nach oben abzuschieben. Einen bewussten Atemzug tat er noch, dann umfing ihn Schwärze und er fiel mit dem Gesicht voran in den Matsch vor der Barracke seiner Centurie.


    Von der Panik seiner Kameraden, die der Centurio nur mit dem Schlagstock unterdrücken konnte, bekam er schon garnichts mehr mit.


  • Schnell wie die Gerüchteküche einer Legion nun einmal war, sprach sich auch das Schicksal des Lupus herum. Die Vorgänge in der Stadt, die ausbleibenden Händler, die Ausgangssperre und jetzt noch solche Ausfälle. Die meisten Legionäre konnten weit genug denken, um ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Bald hingen Unheil abwehrende Glücksbringer an fast jeder Stubentür, jeder Husten eines Kameraden wurde panikartig beäugt und gemeldet und an jedem einzelnen Tag mehr Weihrauch verheizt als sonst in einer Woche.


    Für den Alltag, den Priscus als Optio zu organisieren hatte, stellten sich allerdings noch ganz andere Fragen. Führte er die Jungs raus auf den Exerzierplatz vor dem Lager, um möglichst wenig Kontakt zu anderen zu haben und die frische Luft genießen zu können, die hoffentlich gesund machte? Oder ließ er die Soldaten zum zehnten Mal in ihren Stuben ihre Rüstungen putzen in der Hoffnung, dass die Entspannung sie gesund hielt und die Winde an den geschlossenen Stubentüren vorbei strichen? Waren die, die über Husten und Kopfschmerzen klagten ein Risiko für die Truppe, oder Drückeberger, die keine Lust auf Wachdienst hatten? Und half das Wasser aus den Brunnen, die Krankheit fort zu spülen, oder waren die Ärzte alle dumm und es war gar nicht der Wind, sondern das Wasser, was die Leiden brachte? Bestenfalls auf die Hälfte dieser Fragen hatte Priscus eine Antwort und selbst da musste er sich erstmal mit seinem Centurio einig werden. Und der wiederum mit den anderen Centurionen ihrer Kohorte. Und alle zusammen mit dem Kommandostab. Und bis es soweit war, kippten wahrscheinlich noch mehr Jungs um. Und Priscus hoffte, dass es möglichst wenige in seiner Truppe waren.

  • Was hatte die Stadt leiden müssen in den vergangenen Monaten. Ganze Familien waren durch die Seuche ausgelöscht worden, die Ordnung war zusammengebrochen und den Menschen war ihre Ohnmacht gegenüber einer solchen Krise einmal mehr deutlich vor Augen geführt worden. Aber auch die Soldaten der Legion waren nicht verschont geblieben. Manche Centurien hatten große Löcher in ihren Reihen zu beklagen, und das, ohne dass auch nur ein Gladius oder Pilum gezogen wurde.
    Einige Stuben würden in den kommenden Wochen leer bleiben, viele Beförderungen waren vonnöten um die an der Seuche verreckten Offiziere und Unteroffiziere zu ersetzen. Und noch mehr Stein und Marmor würde gebraucht, wenn die Kameraden, die überlebt hatten ihren Toten die üblichen Erinnerungssteine setzen würden.


    Dieser Tag aber sollte den Lebenden gehören. Alles, was sich bei der Legion ohne weiteres aus den Aufgaben reißen ließ stand heute in Reih und Glied auf dem Campus außerhalb der Mauern des Castellums. Für jemanden, der in dieser Masse aus Blech und Fleisch stand war das immernoch ein beeindruckendes Gefühl von Zahl und Macht, aber den Soldaten war deutlich anzusehen, dass die vergangenen Wochen deutlich an Körper und Geist genagt hatten. Die einzigen, die sich unbeeindruckt zeigten waren die abgebrühten Veteranen der vergangenen Feldzüge, die sich höchstens darüber ärgerten, der Krise kaum etwas fühlbares entgegen gesetzt zu haben.
    Für jemanden, der einen Blick über die aufmarschierte Legion werfen konnte, offenbarte sich wie sehr die Mannstärke der Legion durch die Seuche gelitten hatte. Und doch konnte man die Hoffnung der Männer, das alles hinter sich zu haben, schon fast mit den Händen greifen.

  • Sein Hausstand war beinahe vollkommen krepiert oder geflüchtet. Das Domus des Tribunus Laticlavius war heuer nicht mehr als eine leere Hülle für das, was einmal voller Leben gewesen war. Den anderen Tribuni war es mit ihren Hausständen kaum anders ergangen, und so traf man sich dieser Tage oft um überhaupt einigermaßen standesgemäß dinieren zu können. Die Gespräche an diesen Abenden waren meist belangloser Natur, und wenn das Thema auf die Geschehnisse in Mantua kamen, dann waren es nur kurze Anekdoten nachdem jeder schwieg. Es konnte auch nicht die Rede von Heldentaten und großen Herausforderungen sein, die man mit seinen Männern gemeistert hatte. Die älteren Offiziere waren da kaltschnäuziger, aber die jüngeren zeigten sich mehr oder minder offen mitgenommen von dem Anblick ihrer Soldaten die von unsichtbarer Hand dahingerafft wurden.


    So war auch die Riege der Oberen der Legion von angespanntem Ernst erfüllt als man sich heute beim Truppenappell einfand. Der Anblick der versammelten Soldaten, ordentlich in Reih und Glied aufstellt hatte nach wie vor etwas, was Valas Blut in Wallung versetzen könnte. Wäre er nicht immernoch von einer Mattigkeit erfüllt, die nur entfernt an ein Lebensgefühl erinnerte. Es waren weniger, als noch vor fast zwei Jahren. Nicht viel weniger, aber merklich. Die Legion hatte nicht geblutet, sie war im Siechtum darnieder gelegen. Und dennoch hatte sie diese Prüfung bestanden, mal wieder. Wer wollte schon aufgeben, wenn man den parthischen Horden widerstanden hatte, oder die Ordnung der Res Publica gegen tyrannische Usurpatoren verteidigt?


  • Licinus hatte seine centuria an diesem morgen inspiziert und selbst einige aufmunternde und lobende Worte an seine Männer verteilt.
    Während er sie dann auf den campus führte setzten sich zwei sich widersetzende Gefühle in seiner Brust fest. Zum einen war da der Stolz, den er für seine Männer empfand. Sie waren an den gefährlichsten Operationen beteiligt gewesen, hatten die meisten Patrouillen in der Stadt zu absolvieren gehabt und dennoch war nicht ein Mann seiner Abteilung desertiert.
    Und dann war da das Gefühl der Trauer. Denn die Männer, auf die er so unermesslich stolz war, sie waren nurnoch die Hälfte derer, die er noch vor einigen Wochen kommandiert hatte. Der Rest war zum großen Teil der Pest erlegen. Zwei Mann waren von den Plünderern getötet worden, einer direkt, sie hatten ihn anscheinend gefoltert, der andere war auf der Flucht aus dem brennenden Haus gestürzt und hatte sich die Lunge punktiert. Es war zu spät bemerkt worden und die Ärzte im Behelfslazarett hatten nichts mehr für ihn tun können. Einige weitere Männer waren bei Kämpfen mit Städtern verletzt worden, die in Weltuntergangsstimmung über die Strenge geschlagen hatten. Nicht, dass alle getötet worden waren, aber doch so schwer verletzt, dass sie ausgemustert werden mussten. Wieder andere hatten sich bei den Löscharbeiten Verbrennungen zugezogen, die sobald sie abheilten Narben bilden würden, die einen Dienst unmöglich machen würden. Heute waren sie jedoch nochmal dabei, ein letzter Tag in ihrer alten Familie und einige sollten vor ihrem Abschied noch ausgezeichnet werden.
    Zu den Verschwundenen gehörte auch fast sein gesamter Führungsstab, alle Positionen waren durch neue Gesichter ersetzt worden, oder würden dies am nächsten Tag werden. Sicher waren es fähige Männer, aber dennoch würde es eine Einarbeitungsphase geben müssen. Und dann würde man die Ränge auffüllen müssen. Die collega der übrigen centurien würde das auch nicht freuen.
    "centuria coooonsistite!" rief er mechanisch, als sie auf ihrem Platz direkt vor dem tribunal angekommen waren.
    "Acieeees dirigite!" Licinus trat an die Seite und beobachtete die Männer, in diesem Moment nahm der geradezu väterliche Stolz überhand, wie sie sich in schnurgeraden Reihen aufstellten. Auch rings um sie herum wurden diese Befehle ein ums andere mal gerufen und nachdem 59 verschiedene Stimmen verklungen waren, wartete alles darauf, dass die Offiziere erscheinen würden.
    Als erstes erschien der praefectus castrorum und stellte sich breitbeinig an den vorderen Rand des tribunals. Mit dröhnender Stimme befahl er:
    "Leeegioooo state!"


    Ad adventio legati cum tribunis! Oculus vostros aaaad sinistram" ~ Zur Ankunft des Legaten mit den Tribunen! Die Augen links!
    Ruckartig drehten sich alle Köpfe zur linken Seite hin, während der praefectus sich umpositionierte und nun der kleinen Seitentreppe des tribunals gegenüber stand.

  • Zusammen mit seiner Einheit marschierte Priscus aug den Platz und wie immer lief er als Optio dabei am Ende der Kolonne. Der Tritt der Männer war fest, die Blicke erhobenen Hauptes geradeaus. Aber die Kolonne war kürzer als sonst und die Centurie hatte wie jede andere unter der Seuche gelitten. Nicht jeder hatte überlebt, aber so war das eben bei der Legion. Man hatte sich auf einen Dienst verpflichtet, bei dem man eben auch sterben konnte. Daran führte kein Weg vorbei. Also Augen auf, Kopf nach oben, Blick geradeaus und durch. Oder auch die Augen links, wie jetzt befohlen, um die Ankunft des Kommandostabes zu verfolgen.

  • Mit keiner Pracht, keiner Paraderüstung und keinem noch so pompösen Aufmarsch ließ sich verdecken, dass die Seuche auch die Legion schwer erwischt hatte. Alle hatten sie Verluste zu beklagen, im Dienst als auch im Haushalt. Reatinus war verschont geblieben. Seine Zeit war nicht gekommen. Doch hier stand er nun als Lebender, blickte herab auf eine Legion, die nur einen Teil ihres ehemaligen Stolzes behalten hatte. Zu viele waren tot. Zu sehr war der ruhmreiche Aufmarsch durch diese Tatsache geschmälert. Noch vor der Seuche konnte er eine ganze Legion unter lautem Dröhnen tausender gleichmäßiger Schritte vor sich aufmarschieren sehen, immer wieder mit Ehrfurcht und Stolz erfüllt. Die Seuche hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Der Tod hatte mit eiserner Sichel durch Mantua gewütet und hatte einen großen Teil der Bevölkerung des Leben genommen, als würde er sie ernten, wie Getreide. Die wenigen Überlebenden in der Legio I standen nun hier unterhalb des Tribunals und der Anblick war für Reatinus tragisch. Der Anblick flöste nur halb so viel Ehrfurcht und Respekt ein, wie vorher. Die Straßen im Castellum boten im Gegenteil zu früher mehr Platz und der Campus war beiweitem nicht voll. Hier passte noch eine halbe Legion hinein. Man konnte während des sonst so lauten Aufmarsches, untermahlt vom Geschrei der Centuriones normalerweise nicht in normaler Lautstärke miteinander reden. Doch heute war alles anders.


    Reatinus hatte sich gemeinsam mit den anderen Tribunen zum Appell eingefunden. Es war vorbei und er hatte das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Seine Pflichten vernachlässigt zu haben. Denn er hatte nicht viel getan. Am liebsten wäre er gar nicht hier - was sollte er auch hier, als jemand, der kaum etwas geleistet, nur verloren hatte?

  • Am linken Flügel stand der decurio mit seiner turma. Es war einmal eine turma in ihrer vollen Sollstärke, nun waren es noch gerademal fünfzehn equites, die ihm geblieben waren.


    Die Ausrüstung war poliert, die Felle der Pferde spiegelten in der Sonne, aber die Mienen der equites waren ernst und ihre Blicke starrten in der befohlenen Richtung in die Ferne.


    Auch der decurio saß abwartend im Sattel. Was sie alle in Kürze zu hören bekommen würden, er konnte es sich denken. Seine Leute hatten daran glauben müssen. Zugegeben, sie waredn Soldaten und sie hatten zu gehorchen; wem, wann und wo auch immer. Aber daß sie nicht im Kampf gefallen waren, sondern nichts gegen den hintertückischen Feind tun konnten, das war schwer zu verdauen.

  • Wie erstaunlich still mehrere tausend Menschen sein konnten, erwies sich jetzt, als Ursus in Begleitung seiner Adjutanten den Campus betrat und zu den anderen Stabsoffizieren auf die Tribüne stieg. Der Praefectus Castrorum erhielt ein anerkennendes Nicken, als Ursus an ihm vorüberschritt und die Stufen der kleinen Treppe erklomm. Der Legat der Prima ließ seinen Blick langsam über die versammelten Truppen schweifen. Einige Einheiten waren stark dezimiert, doch zum Glück dafür andere nahezu komplett. Eine Turma war kaum mehr zur Hälfte vorhanden, die erste Centurie der ersten Kohorte ebenfalls extrem geschrumpft. Doch trotz aller Verluste sah Ursus in den Augen der Männer keine Hoffnungslosigkeit, sondern Stolz und Zuversicht.


    Auch Ursus war stolz. Auf diese Männer, die diese Gefahr, die man mit dem Schwert nicht bekämpfen konnte, dennoch so großartig gemeistert hatten. Wären sie nicht gewesen, vielleicht wäre Mantua nun verlassen und leer. "OCULOS PROSAM! MOVEMINI!", befahl er, denn das hier würde nun ein wenig länger dauern.


    Wieder schweifte sein Blick über die gesamte Truppe. Er hatte keine Rede vorbereitet, denn er hatte schon öfter bemerkt, daß Soldaten für spontane Worte, die dafür von Herzen kamen, viel empfänglicher waren als für eine ausgefeilte, sorgfältig ausformulierte Rede. Bei den Offizieren mochte das anders sein, doch heute wollte Ursus vor allem die einfachen Soldaten erreichen mit seinen Worten. "Männer! Für mich gibt es nicht den geringsten Zweifel daran, daß dies hier die großartigste Truppe des gesamten römischen Imperiums ist. Daß IHR die großartigste Truppe des gesamten römischen Imperiums seid! Jeder Soldat Roms ist in der Lage, sein Schwert zu ziehen und gegen anstürmende Gegner zu kämpfen. Dafür wurde jeder von ihnen ausgebildet. Doch ihr! Ihr habt gegen einen unsichtbaren, hinterhältigen Feind gekämpft! Gegen einen, dem kein Schwert etwas anhaben kann! Einen, gegen den kein Schild, keine Rüstung auch nur den geringsten Nutzen hat. Mutig und tapfer habt ihr euch ihm entgegengestellt! Und EUCH, ja, EUCH allen ist es zu verdanken, daß die Zahl der Opfer, so groß sie auch sein mag, doch so begrenzt ausgefallen ist. Denn ohne euch hätte es weit mehr Opfer gegeben!" Er mußte nicht einmal übertreiben, nicht einmal lügen.


    "Für mich ist es eine große Ehre, euer Kommandant sein zu dürfen. Und eine noch größere, heute ein paar Belohnungen aussprechen zu dürfen für die unglaublichen Leistungen, die vollbracht wurden. Doch bevor ich damit beginne, bitte ich unseren tribunus laticlavius Duccius hierher, um auch ein paar Worte an euch zu richten." Er winkte Vala zu sich, um das Wort an ihn abzugeben.

  • Er hatte den Legaten aufmerksam beobachtet, sich jedes kleine Charakteristikum seines Auftretens eingeprägt als er sich zur aufgebauten Tribüne begab, gefolgt von seinem Stab und eben Vala selbst. Dies waren seine letzten Tage in der Legion, und er wollte noch an Eindrücken und Inhalten mitnehmen was er konnte. Und dazu gehörte auch die Art des Kommandeurs einer riesigen Einheit, die gerade nicht durch Blut und Eingeweide gestapft war, sondern knietief durch schlimmeres als nur erbrochenes. Natürlich hatte er sich gefragt, wie der Legat diese Zeit verkaufen würde, gerade wenn es darum ging einen Sieg zu proklamieren wo kein Feind geschlagen war und der Sieg sich nur dadurch äußerte überlebt zu haben.
    Als der Legat an den Offizieren vorüberschritt, um als erster die Tribüne zu betreten reihte Vala sich als sein Stellvertreter direkt hinter ihm ein und stapfte über die Bühne, was nur Sekunden dauerte und doch beinahe augenblicklich für Ruhe sorgte.
    Was folgte waren Worte wie aus einem Rhetorikkurs. Prägnant, zielsicher und nicht allzu anspruchsvoll, und Vala konnte es ihm nicht einmal verdenken. Es waren Soldaten zu denen man hier sprach, keine Senatoren die sich gegenseitig in ihren Redekünsten zu überbieten gedachten. Zimmermannssöhne, Bauernsöhne, ehemalige Tagelöhner. Die zu erreichen, zu motivieren und mit ihrem Schicksal zu versöhnen war das Ziel, eine Lektion, die Vala sich ganz oben auf die Liste der Lehren in der Legion setzte.
    Natürlich sollte auch er ein paar Worte an die Männer richten. Es war zwar nicht explizit abgesprochen worden, jedoch mehr als selbstverständlich, gerade wenn es um seinen Abschied von der Legion ging. Mit ernster Dankbarkeit nickte Vala dem Legaten zu und trat mit bedacht würdevollem Schritt vor die versammelte Legion, die er wenige Sekunden lang mit stillem Respekt betrachtete, bevor er das Wort erhob:


    "Männer der ersten Legion.", brummte seine Stimme über den Campus, "Als ich nach Mantua kam um meinen Dienst in dieser Legion anzutreten war ich ein einfältiger Narr. Ein Narr geblendet von den Geschichten die man sich über die sagenhafte erste Legion erzählt, betört von der Ehre, die man mir in Rom andachte in der Heimatlegion meinen Dienst als Tribun zu verrichten, verwirrt von der Pflicht mich zu beweisen um meinen Weg erfolgreich fortsetzen zu können. In einer Woche werde ich euch verlassen, um meinen Weg in Rom fortzuführen. Ich werde euch als Mann verlassen, dessen Kopf von den Eindrücken der vergangenen Woche dröhnt, dessen naive Ideen hinfortgespült wurden von dem Sturm der schweren Prüfung die uns in den letzten Wochen von den Göttern auserlegt worden ist. Und vor allem geläutert und bereichert von der Arbeit mit dem Legaten, den Offizieren und vor allem mit euch, Männern."
    Ein kurzer Moment des Innehaltens verschaffte Vala die Möglichkeit Luft zu holen und den Männern die Möglichkeit die Selbstanklage des Duccius' sacken zu lassen.
    "Wenn ich nach Rom zurückkehre werde ich eine andere Geschichte von der sagenhaften ersten Legion erzählen. Die Geschichte einer Legion, die Usurpatoren schlug und barbarische Könige aus dem Osten weil sie die Gelegenheit dazu bekam wird neu geschrieben werden müssen. Es wird eine neue Geschichte geben, die Geschichte einer Legion, die nicht zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort geführt wurde. Sondern die Geschichte einer Legion die ALS EINZIGE in der Lage war diese Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen. DAS NÄMLICH SEID IHR! Ihr habt in einer Zeit der größten Not für Stadt und Land unermüdlich die euch vom Kaiser übertragenen Aufgaben versehen, habt standgehalten wo andere sich ängstlich verkrochen und ihren Verlust beweinten, und ihr habt eure toten Kameraden gerade dadurch geehrt, dass ihr nicht verzagt habt! Wer würde nicht von diesem Beispiel berührt werden? Wer würde nicht euren Tatenmut besingen ob eines Gegners der sich nicht mit Gladius und Pilum bezwingen ließ? Die Eins in eurem Namen ist mehr als nur eine Zahl zur Ordnung, es ist ein Symbol für euren Rang. IHR SEID DIE ERSTEN SOLDATEN ROMS! Die ersten die bluten, die ersten die leiden, aber auch die ersten deren ruhmvolle Taten ein Vorbild für all jene sind, die sich der Verteidigung und Erhaltung Roms verschworen haben. Und damit auch für mich.."
    Eine weitere Pause, in der Vala mit gekonnter Bewunderung auf die Männer herabblickte..
    "Ich werde als ein anderer Mensch nach Rom zurückkehren. Ich habe viel von eurem Kommandeur gelernt, und was war mir eine Ehre unter dem Legaten Titus Aurelius Ursus gedient zu haben. Es war mir eine unvergleichliche Ehre mit euch gearbeitet aber auch mit euch gelitten zu haben. Ich kam als Mann, der es als Ehre betrachtete zu der Legion geschickt zu werden um die sich so viele Geschichten bahnten... ich werde als Mann gehen, der es als Ehre betrachtet in einer Legion gedient zu haben, die sich all jenen Ruhm und alle Ehre die ihr zugeschrieben werden ohne zu zögern oder zu straucheln immer wieder auf's neue verdient. Und dafür bin ich euch dankbar, erste Männer Roms. Dafür bin ich euch dankbar."


    Es folgte kein pompöser Aufrug, keine geschrieenen Kampfrufe, kein garnichts. Vala beendete seine Rede so wie er sie begonnen hatte, ganz still, ganz demütig, nickte den Männer noch einmal zu und kehrte dann zu seinem Platz hinter dem Legaten zurück.


  • Licinus konnte nicht umhin, die beiden Reden miteinander zu vergleichen. Und er war selbst auch ein bisschen stolz.
    Der legatus hatte sich gemacht, diese Rede war etwas, was die Soldaten ansprach. Sie war knapp, ein unschätzbarer Vorteil, und die Leistungen der Soldaten wurden entsprechend überwürdigt. Die Soldatenseele brauchte es, ab und an zu hören, dass niemand ihr das Wasser reichen konnte. Wenn man dann, wie Licinus es aus unerfindlichen Gründen gerade tat, daran dachte, dass der legatus, damals noch als tribunus, auf einem Übungsmarsch bei einem allgemeinen Alarm nicht aufgetaucht war, sondern weitergeschlafen hatte. Nun, die Zeiten waren vorbei.
    Auch die Rede des tribunus wr nicht schlecht, wenn auch vielleicht etwas zu lang. Dafür spielte er schön auf die Geschichte der prima als erste legio des Reiches und als persönliche legio des verstorbenen Iulianus und nach der Auffassung der Soldaten auch des jetzigen Imperators an.
    Auch, dass der tribunus offen bekannte, dass er ein Grünschnabel war. Das waren eh alle, aber die wenigsten sahen das selbst auch so.
    Nur eines fehlte. Ein paar donnernde Rufe, die die Stimmung heben würden, aber noch war die Parade nicht vorbei.

  • Der decurio hatte die beiden Reden über sich ergehen lassen. Das war nun mal bei Appellen so und dem war nicht auszukommen. Im Prinzip hatte nichts gegen einen Appell, im Gegenteil, der förderte nicht nur die Disziplin, wenn nur die Reden nicht wären.


    Der legatus hatte, so wie er es von ihm erwartete, zwar nur kurz gesprochen, aber seine Rede ließ wie immer einen hohen Bedeutungsgehalt nicht verkennen.


    So hoffte er darauf, daß sich der tribunus an die Bitte des legatus hielt, an paar Worte an die Truppe zu richten. Doch es kam anders. Statt der paar Worte wollte dessen Rede nicht enden. Der tribunus redete viel und als schließlich erkennbar war, daß das meiste Gesagte nichts Unbekanntes war, hörte er nicht mehr hin.


    Sein Blick ging ins Leere und er wartete auf die Belohnungen, die der legatus noch aussprechen wollte und auf das Ende des Appells.


    Er hatte sich viel vorgenommen ... und es gab viel zu tun!

  • Reatinus verfolgte die Reden unberührt mit, stand da mit neutraler Miene, während die Worte über den Platz ertönten, der trotz der versammelten Reste der Legion ruhig war. Man konnte die Vögel singen hören, so ruhig war es. Diese Reden, dachte sich Reatinus, konnten über die traurige Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass sie gegenüber dem Willen der Götter letzten Endes keine Chance hatten. Sie waren hilflos gewesen, hatten zu viel verloren, weil sie die Götter missachtet hatten.
    Vala hatte seine Rede gerade beendet, da trat er auch schon zurück und überließ das Wort wieder dem Legaten.

  • Nachdem Vala gesprochen hatte, trat Ursus wieder vor, den Blick ernst auf die Männer dort unten gerichtet. „Heute ist alles anders als sonst, das ist euch nicht entgangen, wie ich in euren Gesichtern lesen kann. Aber was hier geschehen ist, ist ja auch nicht wie sonst. Ich habe euch erlebt, wie ihr mit dieser schier unmöglichen Aufgabe umgegangen seid. Wie furchtlos ihr euch dem unsichtbaren Feind gestellt habt. Und ich möchte, daß jeder da draußen erfährt, was ihr geleistet habt. Männer, viele von euch werden heute belohnt. Beginnen wir mit dem Mann, der bis zu seiner eigenen Erkrankung die Leitung in der Stadt inne hatte. Tribunus Laticlavius Titus Duccius Vala wird für seine Leistungen bei der Organisation der Eindämmung und Bekämpfung der Seuche mit einer Phalera ausgezeichnet.“ Einer der Assistenten reichte Ursus die reich verzierte Ehrenplakette, der wandte sich dann zu dem Duccier um und übergab sie feierlich an ihn.

  • "Danke, Legatus. Eine große Ehre...", log Vala dem Legaten glatt ins Gesicht, als er die Phalera mit würdevollem Ernst entgegennahm. Eine Phalera, Auszeichnung für die Soldaten der Ränge.. nicht für Stabsoffiziere. Was sollte Vala dies sagen? Während der halben Sekunde, die der Legat ihm gegenüberstand suchte er nach dem leisesten Anzeichen von Spott, Hohn, Missachtung. Aber da war nichts zu erkennen.. eine perfekte Maske, die all das, was Vala nicht einmal erahnen konnte hinter sich einschloss. Als der Legat sich wieder umwandte, senkte Valas Blick sich elend langsam auf die Metallscheibe in seinen Händen. Eine Phalera. So etwas wie die Trostpflaster-Urkunde bei den Bundesjugendspielen für all jene, die es zu nichts gebracht hatten. Und genau das teilte die in Silber gefasste Scheibe ihm mit, was man ihm im Leben niemals ins Gesicht sagen würde: Du gehörst nicht zu uns. Du bist anders. Wir mögen das nicht. Seine Finger glitten über das kalte Metall, spürten das stilisierte Gesicht das jeden einfachen Soldaten vor Stolz hätte explodieren lassen und schlagartig wurde ihm bewusst, dass das wohl alles war, was er überhaupt zu erwarten hatte. Es würde sicherlich nicht die letzte bittere Enttäuschung in seinem Leben werden.


  • Das war es allerdings. Eine große Ehre. Etwas, worauf jeder Mann stolz sein konnte. Ursus hielt sich nicht lange auf, denn es gab noch viele Auszeichnungen zu vergeben. Viele hatten sich hervorgetan. Einer der Tribune kam an die Reihe. Dann war Ursus bei einem Mann angelangt, den auszuzeichnen ihm eine ganz besondere Ehre war. "Primus Pilus Marcus Iulius Licinus. Würde ich all das aufzählen wollen, was Du geleistet hast in dieser Zeit, dann müßte ich schon mal Männer losschicken, um Fackeln zu holen, denn darüber würde die Sonne untergehen. Iulius Licinus, für Deine Verdienste verleihe ich Dir Armillae in Gold. Trage sie mit Stolz!" Bronze und Silber hatte der Centurio bereits erhalten, wie Ursus sehr wohl wußte. Und verdient hatte er diese Auszeichnung schon lange. Eigentlich weit mehr als das. Auch dem Iulier wurde seine Auszeichnung feierlich übergeben.

  • Die Soldaten jubelten für die Ausgezeichneten


    Dann war die Reihe an ihm und Licinus selbst fand, dass sein patronus übertrieb. Auch wenn es für die Soldaten so wohl motivierender war, wenn sie etwas zu bewundern hatten. Darin lag wohl auch der Sinn dieser Ordensvergabezeremonien, wie er vermutete, während er strammen Schrittes und in sehr gerader Haltung auf das Tribunal marschierte.
    Dort salutierte er vor dem legatus, bevor er seine Hände vorstreckte, damit sein Vorgesetzter ihm die armillae überziehen kann.
    "Danke legatus!", waren die einzigen Worte, die er sprach.

  • Priscus verfolgte die Reden schweigend, solange kein Offizier das Zeichen zum Jubeln gab. Auch wenn es hier etwas zu feiern gab, waren solche Zeremonien doch eine ernste Sache und niemand wollte an der falschen Stelle als Zwischenrufer auffallen. Nach den Reden kamen die Auszeichnungen, was das Jubeln einfacher machte. Der Name wurde genannt, die Auszeichnung wurde genannt, die Auszeichnung wurde überreicht und es durfte gejubelt werden. Auch wenn eine Phalera für einen Tribun ziemlich ungewöhnlich war. Da hätte der Optio wohl eher eine Hasta Pura oder einen Clipeus erwartet, was die Männer aber nicht am Jubel hinderte. Armillae für einen Centurio wiederum waren überhaupt nicht verwunderlich, zumal so ein Primus Pilus wohl ohnehin schon einen ganze Schrank voll Auszeichnungen hatte. Und das Priscus selber einmal unter dem Kommando dieses Mannes gestanden hatte, jubelte er hier besonders gerne mit.

  • Die Überreichung der Phalera an den Duccier verfolgte Reatinus ebenso schweigsam mit und legte dabei eine steinerne Miene auf. Der senatorische Tribun nahm seine Phalera entgegen und strich zögerlich über das Metall. Als wäre er nicht froh, ausgezeichnet worden zu sein. Als wäre er nicht froh, eine Auszeichnung zu erhalten, an die andere senatorische Tribunen nicht einmal während ihrer kurzen Amtszeit kamen, weil sie nicht viel mehr geleistet hatten, als in ihren Stuhl zu pupsen. Der Duccier hatte etwas erreicht. Doch ging es ihm mehr um die Auszeichnung oder den Verdienst dahinter? Dann war der Primus Pilus dran und wurde hervorgerufen, der sich für die ausgezeichnete Truppenführung eine Armilla in Gold verdient hatte.


    Reatinus würde keine Auszeichnung bekommen - er war auch froh darüber, denn geleistet hatte er nichts. Im Grunde war er froh, zu leben. Und dass ein Großteil seines Haushaltes überlebt hatte. Mit einer umso traurigeren Ausnahme, die ihn immer noch verfolgte. Da es keinen Jubel gab, keine lauten Rufe quer über den Platz, verfiel der Artorier schon in seine Gedanken, während er dreinsah, als wäre er voll dabei.

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