cubiculum LA | Nichts als Ärger

  • Stirnrunzelnd beugte Nigrina sich über ihren Sohn. „Und du bist SICHER, dass das normal ist?“
    „Sicher, Herrin.“ Nigrina warf der Amme einen scharfen Blick zu, um zu prüfen, ob die sich etwa über sie lustig machte. Der Tonfall klang ein wenig zu glatt für ihren Geschmack, aber die Amme begegnete ihrem Blick nur mit einem sanften Lächeln und schlug brav dann ihre Augen nieder, um sich wieder dem Objekt des Zweifels zuzuwenden: dem Winzling. Wahlweise Wurm. Wahlweise Schreihals. Und gelegentlich auch Lucius, seines Zeichens ihr Sohn und Erstgeborener. Die Flavia musterte das nackte Kind noch einmal kritisch und verzog ganz leicht die Lippen. „Ich finde trotzdem, dass das komisch ist“, verkündete sie. Diese Delle im Kopf ihres Sohnes war ihr einfach nicht ganz geheuer. Aber sowohl die Hebamme als auch die Amme hatten ihr mehrfach versichert, dass jedes Kind das hatte.
    „Sicher, Herrin“, erwiderte die Amme, und erneut warf Nigrina ihr einen Blick zu, diesmal so scharf wie genervt, weil sie exakt die gleiche Wortwahl verwendete – aber bevor sie etwas sagen konnte, sprach die Frau hastig weiter, führte genauer aus, was sie diesmal hatte sagen wollen: „Sicher sieht es komisch aus, Herrin, da hast du Recht. Aber es ist wirklich normal.“ Noch ein Blick. Ein langer Blick. Dann deutete die Flavia ein Achselzucken an. „Wie lang braucht das, bis es weg ist?“
    „Nun...“ Die Amme zögerte kurz. „Ein bis zwei Jahre, ungefähr.“
    „SO LANGE?!?“ entfuhr es Nigrina, und diesmal zuckte die Frau dann doch ein wenig zusammen, nickte aber trotzdem. „Ja. Aber das ist“ „normal“ „normal“, beendeten sie den Satz gemeinsam. „Ich weiß“, fügte Nigrina noch düster an. Das hieß allerdings nicht, dass ihr das gefallen musste. Genauso wenig wie ihr gefiel, dass der Winzling irgendwie seltsame Proportionen hatte. Aber immerhin waren die Reste der Nabelschnur abgefallen, die so ein hässliches Anhängsel gewesen waren, und der Bauchnabel verheilte gut. Und die Amme meinte, auch sonst entwickle er sich prächtig, also ging Nigrina einfach mal davon aus, dass sie zufrieden sein konnte. Sie hob die Hand und strich sacht mit ihren Fingern über den kleinen Kopf, spürte unter ihren Kuppen die flaumigen Haare und die Delle, die sie nach wie vor störte, während die Amme darauf wartete, den Kleinen wieder anziehen zu können, nachdem sie ihn gewaschen hatte.
    „Und das-“ Weiter kam Nigrina nicht, denn just in diesem Moment stieg ein winziger Strahl an Flüssigkeit von dem Balg hoch. Der sie mitten auf der Brust traf. „Was zum...“ Mehr aus Reflex machte sie einen Satz zur Seite, während die Amme beinahe gleichzeitig ihren Platz einnahm und ein Tuch auf den Jungen legte. Dann dämmerte ihr, was da gerade passiert war. Ihr Mund klappte auf, aber im ersten Moment kam noch nichts heraus, erst nach einigen weiteren. „Der...“ Sie deutete anklagend auf den Wurm, der sich ihr Sohn schimpfte. „Bei allen Göttern der Unterwelt, hat der mich gerade angePINKELT? Der kleine MISTKERL!“ empörte sie sich, während die Amme die Hände rang. „Bitte, Herrin, der Junge kann nichts dafür, das ist-“ Die Frau verschluckte das nächste Wort, das ihr auf den Lippen lag, als Nigrinas Gesichtsausdruck sah, der nun so rasant von empört zu wutentbrannt wechselte, wie eine heraufziehende Frühlingsgewitterfront den Himmel verdüsterte. Und das war auch gut so, denn wenn sie noch mal: das ist normal gesagt hätte, hätte Nigrina vermutlich getestet, wie gut sie diesen Satz noch sagen konnte, wenn ihr die Zunge fehlte. Und sich danach eine andere Amme gesucht, die noch sprechen konnte, um von den Fortschritten ihres Kindes zu berichten. „DAS IST MIR EGAL, WAS DAS IST!“ zürnte die Flavia. „SIEH GEFÄLLIGST ZU, DASS DU IHM BENEHMEN BEIBRINGST!“
    „Aber... aber Herrin, er ist noch ein Baby, er-“
    „UND WEIL ER DAS IST, BIST DU VERANTWORTLICH! ICH LASS MICH DOCH NICHT VON MEINEM EIGENEN SOHN ANPINKELN!“ Wieder so eine Sache, die er von seinem Vater haben musste, MUSSTE, so wie das Treten, als er noch in ihrem Bauch gewesen war – nicht dass Sextus irgendwas davon tat, aber es war dieser mangelnde Respekt ihr gegenüber, den der Vater auch so manches Mal an den Tag legte, den Nigrina in dem Sohn zu erkennen glaubte. Nun, Sextus war ihr Mann, der konnte sich das erlauben, mit ihr auch mal anders umzuspringen, einfach weil sie seine Frau war, und auch wenn Nigrina das nicht passte und sie sich für gewöhnlich revanchierte, respektierte sie das zugleich doch auch. Aber das hier, das war ihr Sohn. Ihr Sohn. Und der würde von Anfang an lernen, dass er es seiner Mutter gegenüber besser nicht an Respekt mangeln ließ. „Zehn Hiebe auf den nackten Hintern für sie“, wies Nigrina die Sklaven an. Da sie ihren Sohn, klein und zerbrechlich und dumm wie er im Moment noch war, schlecht eine Strafe aufbrummen konnte, musste die Amme eben dafür herhalten, denn irgendjemand musste bestraft werden. „Du wirst dafür sorgen, dass er sich derlei Unarten bei seinen Eltern gar nicht erst angewöhnt!“, fauchte die Flavia die Frau noch an, die sie mittlerweile anstarrte wie ein Kaninchen die Schlage – und dann stürmte Nigrina, immer noch wütend, aus dem Zimmer, um sich im Balneum ausgiebig zu waschen.

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