Ein Opfer für den Ungebändigten

  • Es war ein ruhiger Abend und ein angenehm frischer Wind wehte vom Meer aus in die Stadt, als ich die Stufen des Serapeions erklomm. Ich war bereits einmal hier gewesen, wenige Tage nachdem ich in die Stadt gekommen war, und sah daher nicht aus wie viele der anderen Anwesenden, die offenbar aus touristischen Gründen hier waren.
    Gezielt ging ich auf das eigentliche Heiligtum des Serapis zu, denn wegen ihm war ich hier. Oder besser gesagt wegen eines Teils dieses doch recht vielfältigen Gottes. Ich hatte vor an diesem Abend jenem Gott ein Opfer zu bringen, dem ich auch in meiner olympischen Heimat stets opferte und dem mein Vater über sehr lange Jahre hinweg als Priester gedient hatte.
    Das es Alexandria an einem eigenen Tempel für den Herrn der Unterwelt fehlte machte diese wundersame Stadt damit wett, dass Serapis, der zu den wichtigsten Göttern hier zählte, zu einem Teil auch Hades war.
    Bereits einige Tage zuvor hatte ich mich mit einem der Priester des Serapeions getroffen um alles für mein kleines Opfer vorzubereiten und so konnte ich, nachdem ich einige Worte mit dem Priester gewechselt hatte, dann auch direkt ans Werk gehen. Ich setzte mir einen, mir von dem Priester gereichten, Kranz aus Zypressenzweigen auf den Kopf und warf etwas Weihrauch auf ein bereitstehendes Kohlebecken, wo er sich schnell in Rauch auflöste. Während ich die kleine Rauchfahne beobachtete, atmete ich leicht durch, ehe ich dann mit einem Trankopfer fortfuhr. Ich hatte recht teuren Wein besorgt und vergoss diesen nun grosszügig zu Ehren des Gottes.
    "Oh grosser Hades, mächtiger Herr der Unterwelt, Bewacher der Verdammten, Spender der Ernten, höre die Worte deines bescheidenen Dieners." sagte ich, während ich den Wein auf seinem Weg beobachtete.
    "Du bist es, dunkler Herr, der die Macht über die Toten sein eigen nennt, du bandest deine Gemahlin und sorgtest so für den ewigen Zyklus der Wiedergeburt der Welt und spendest dem Saatgut das Leben. Herr der Unterwelt, vernehme meine Lobpreisung, so wie ich dich stets verehrte, dort in der Heimat, in der du in deiner reinsten Form verehrt wirst."
    Der Priester führte mein kleines Opfertier zu mir, eine junge Ziege mit fast schon unnatürlich schwarzem Fell. Kurz hatte ich ja überlegt Hades die schwarze Katze zu opfern, die mich morgens immer aus dem Schlaf riss, doch hatte ich davon Abstand genommen, da mir klar war, dass ich damit vermutlich den Zorn der Ägypter auf mich ziehen würde.
    Das Tier wurde mir vorgeführt und der Priester reichte mir das Opfermesser, mit dem ich dann über den Rücken des Tieres strich. Nun kam der Teil, den ich schon immer am liebsten selbst gemacht hatte, da meiner Meinung nach nur ein Opfer, das man selbst getötet hatte, wirklich ein Opfer war. Mit einer schnellen, präzisen Bewegung stach ich das Messer in den Hals des Tieres und schnitt ihm die Kehle auf. Sofort war ein Opferhelfer zur Stelle um das Blut aufzufangen.
    "Hades, Herr der Toten, ich bitte dich auch hier in dieser fernen Stadt deine Hand schützend über mich zu halten und mein Leben in die Bahnen zu lenken, in denen du es schon immer gehalten hast."
    Schon seit frühester Jugend hatte mein Vater dafür gesorgt, dass ich dem Gott, dem er diente, mit Respekt und Ehrfurcht begegnete und mein Leben nach dem ausrichtete, was der Gott für mich bereithielt.
    Der Rest des Opferablaufs ging ohne mein direktes Zutun vonstatten, da ich die restlichen Handlungen den Opferhelfern und dem Priester überliess. Das tote Tier wurde weggebracht und würde im Ganzen verbrannt werden, während ich murmelnd noch einige abschliessende Worte an den Gott richtete.
    Das ganze war sicherlich kein besonders glorreiches Opfer oder gar mein bestes, aber ich war mir auch noch nicht ganz sicher, ob ich hier in Alexandria Hades wirklich erreichen würde.

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