• Bereits seit Wochen pfiffen eiskalte Winde durch die Wälder Germania Superiors und auch in den Straßen der Civitates zogen die Menschen die Schals enger um den Hals und die Kapuzen ihrer Mäntel tief in die Gesichter. Alle warteten auf ihn, der Kindern und Alten den tödlichen Husten in die Brust und das Fieber in den Kopf setzt. Alle warteten auf den Frost.


    Und eines Nachts kam er, zauberte Eismuster auf Glasscheiben und ließ die unbefestigten Wege gefrieren, wo er die steinernen Militärstraßen zu rutschigen Fallen werden ließ. Im Schutz der Dunkelheit überzog er die Provinz mit seinem eisigen Atem und ließ die Wälder zu weißen Panoramen erstarren. Es dauerte nur zwei Tage, da waren die Bäche und kleineren Flüsse gefroren, Teiche mit undurchdringbaren Eisflächen überzogen und es fiel reiner, weißer Schnee vom Himmel. Die Welt schien erstarrt unter der weißen Decke, die sich über das Land legte.


    Und während in Italia und Achaia Schlachten zwischen den Menschen ausgefochten wurden, kam es in den nördlichen Provinzen zu einem ganz eigenen Kampf. Jede Nacht schlich der Frost ins Land und machte es sich untertan, nur um am folgenden Morgen der schwächelnden Kraft der Sonne zu weichen, die seine Eroberungen zurückzugewinnen suchte. Und irgendwann schlug das Kräftegewicht dann endgültig um.


    Der Winter nahte. Und als die Tage immer kürzer wurden, fiel der Schnee und die Geister der kalten Jahreszeit nahmen Einzug ins Land.

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    Der Winter kam, er war hart und er dauerte lange an. Doch irgendwann verlor auch der kälteste Winter seine Kraft und musste weichen. Das geschah natürlich nicht innerhalb von Stunden oder Minuten. Im Gegenteil, die kalte Jahreszeit bäumte sich immer wieder auf, wenn die Sonne sie zu verdrängen suchte. Über Wochen hinweg wechselten sich bald Schneeregen, Nebel, Sonnenstrahlen und Regengüsse ab. Die Wiesen und Wege verwandelten sich in Sümpfe und Matschpisten. Die Äste der Bäume hörten gar nicht mehr auf zu tropfen vor lauter Schmelzwasser und wiederkehrenden Schneefällen. Dazu wirkte das Land an manchen Tagen schlichtweg gespenstisch, wenn die Nebelschwaden stundenlang die Sicht versperrten und ein schnelles Vorankommen selbst auf den befestigten Römerstraßen stark erschwerten.


    Und so wie der Schnee in den Tälern und auf den Hügeln entlang des Niederrheins und um Mogontiacum herum langsam schmolz, so erfasste der Temperaturanstieg auch in den Alpen die weißen Massen und leitete jenen Prozess ein, der entlang der Bäche und Flüsse Jahr für Jahr zu mal mehr, mal minder großen Verwüstungen sorgte. Kein plündernder und brandschatzender Heerwurm war dazu vonnöten, doch die Gefahr kam dennoch langsam und mehrte sich ständig und niemand konnte ihrer Herr werden. Im Laufe der Wochen würden die Pegel stetig steigen und alles in ihren Fängen mit sich reißen oder im Schlamm verschwinden lassen.


    Denn so war es und so würde es immer sein: Der Schnee schmolz und speiste sich über Gebirgsbäche in die Seen und Flüsse ein und gelangte so in die große Ströme Germania Superiors, die alsbald zu gigantischen Strömen wurden und ohne steinerne Römerbrücken unüberquerbar waren. Und der Wind würde wie jedes Jahr weitere Wolken mit sich bringen und es würde regnen, tagelang regnen, und die Flüsse mussten weiter anschwellen und über die Ufer treten und das Umland in Seen und Sümpfe verwandeln und die Menschen würden fliehen vor der gewaltigen Macht des Flussgottes Rhenus und der vielen anderen Flussgeister, die ihre ganze Kraft aufbrachten um Besitz von den Ufern zu ergreifen.


    Und die Menschen würden Opfer bringen und die Flussgötter und ihre Hauptgötter anflehen um Gnade und um milderes Wetter und irgendwann, ja irgendwann würde es endlich aufhören zu regnen und der Wasserstand würde stabil bleiben und dann würde irgendwann der Tag kommen, an dem der Pegel langsam wieder sank. Und dies war auch der Tag, an dem die Menschen mit dem Aufräumen und Instandsetzen begannen. Und irgendwann kam dann bald der Tag, an dem endlich Frühling wurde. Vielleicht schon an den Ludi Florales, vielleicht aber auch schon später. Das wussten nur die Nornen, oder Parzen wie die Römer sie nannten.

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