Ein gemeinsamer Tag auf dem Markt - oder : Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

  • Die Vergangenheit entflieht nicht, sie bleibt und verharrt bewegungslos.


    Marcel Proust


    Eigentlich war es ein Tag, wie jeder andere in Rom. Seit dem Morgen schon strömten die Menschen zum Markt, um Lebensmittel für den Tag und sonstige Güter für ihren Bedarf zu kaufen. Wie immer war es ein hektisches Treiben zwischen den einzelnen Marktständen. Lautstark priesen die Kaufleute ihre Waren an. Waren aus allen Ecken des Imperiums und darüber hinaus: Feine Elfenbeinschnitzereien aus Africa, feinste Seidenstoffe aus dem Fernen Osten, strahlende Kleinodien aus Bernstein, Pelze aus dem freien Germanien, wollene Stoffe aus Britannien und vieles mehr. Besonders betörend war es, wann man sich dem Marktständen der Gewürzhändler näherte. Den Weg dorthin zu finden war ganz leicht. Einfach nur den exotischen Düften folgen und schon erschloss sich dem potentiellen Käufer eine Vielzahl von prall gefüllten Säcken mit bunten Pulvern, seltsam anmutenden Knollen, Schoten, Knospen und Nüssen.
    Doch der Markt hielt noch viel mehr Kostbarkeiten und Überraschungen bereit…


    Sibel hatte lange warten müssen, bis es endlich soweit war. Immer wieder hatte ihnen Avianus` Dienstplan einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann gab es Tage, an denen sie sich nicht recht wohlgefühlt hatte und lieber zu Hause geblieben war. Doch heute endlich war es so weit! Avianus und sie gingen gemeinsam zum Markt. Nicht nur, dass dies eine Premiere als solches war, es gab auch einen triftigen Grund dafür. Sibel übte sich nun täglich im Lesen und Schreiben und sie hatte tatsächlich schon gute Fortschritte gemacht. Nun war es endlich an der Zeit, sich nach geeignetem Lesestoff umzusehen. Hierbei ließ sie sich natürlich gerne von Avianus beraten.


    Für diesen besonderen Tag hatte sie sich in eine von ihren besseren Tuniken gekleidet. Auch trug sie heute die Bernsteinkette, die ihr Avianus geschenkt hatte. Ihr Haar hatte sie zu einem einfachen Dutt hochgesteckt. Wie immer, wenn sie unterwegs war, trug sie ihre Palla. Spätestens nach dem Verlassen der Castra wirkte sie dann auch wesentlich entspannter, so dass ihrer Vorfreude nun nichts mehr im Wege stand. Selbst heute, obwohl sie Avianus an ihrer Seite hatte, war das nicht anders.

  • Mit einem verstohlenen Lächeln hatte Avianus Sibels Hand ergriffen, sobald sie außer Sichtweite der Castra gewesen waren, und wie so oft, wenn sie sich hübsch gemacht hatte, wollte er auch jetzt kaum den Blick von ihr abwenden. Was aber noch viel wichtiger war: Sie schien glücklich, und was gab es schöneres, als dem Menschen, den man am meisten liebte, eine Freude zu machen? Vor allem, da auch ihm nicht ganz entgangen war, dass sie sich in den letzten Wochen manchmal ein wenig anders verhielt. Erst hatte er es als diese bestimmte Zeit abgetan, die Frauen jeden Monat durchmachten, von der er aber, wenig überraschend, im Grunde weniger als keine Ahnung hatte, sodass er sie nicht darauf angesprochen hatte. Inzwischen war aber mehr als ein paar Tage vergangen. Sibel redete allerdings nicht viel darüber, klagte auch nicht direkt und er wollte sie nicht bedrängen. Also bemühte er sich schlicht und ergreifend da zu sein – ebenfalls mit mäßigem Erfolg, da ja sein Dienst oft von morgens bis abends den ganzen Tag beanspruchte. Doch heute konnte er sich endlich einmal wieder die Zeit nehmen, ihr eine richtige Freude zu machen, und das würde er ausnutzen.
    Mit ihr an seiner Seite bummelte er durch die Marktstände und betrachtete all die Waren, denen er ansonsten kaum Achtung schenkte, wenn er sich eine neue Tunika, ein paar Lederriemen oder sonstigen Kleinkram besorgte, obwohl er auch heute nichts brauchte. Nicht direkt jedenfalls. Fein gearbeiteter Schmuck funkelte ihm entgegen, der Duft von Ölen und Gewürzen wehte ihm um die Nase, bunte Stoffe, Tücher, Essen, … Bücher.
    "Willst du dich gleich nach Büchern umsehen, dulcissima? Oder gibt es noch andere Dinge, die dir gefallen könnten?", fragte er sie lächelnd. "Sieh dich doch ein wenig um." Um zu wissen, dass die meisten Frauen gerne einkauften, musste man kein Genie sein, und er war ziemlich sicher, dass Sibel sein Geld nicht leichtfertig ausgab, wenn sie alleine unterwegs war. Er hatte eher die Sorge, dass sie zu sehr sparte und sich Dinge, die sie eigentlich gerne hätte, seinetwegen nicht gönnte, um ihm nicht zur Last zu fallen. Das würde nämlich, so fand er, sehr viel eher zu Sibel passen.

  • Spätestens nachdem er ihre Hand ergriffen hatte, zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht ab. Wenn ihr Geliebter bei ihr war, dann spielte alles andere um sie herum nur noch eine untergeordnete Rolle, denn dann war sie glücklich und hätte nichts anderes gebraucht. Heute aber war ein ganz besonderer Tag. Endlich hatten sie einmal Zeit für sich und konnten gemeinsam der Enge der Castra entfliehen. Das machte sogar die Übelkeit, die sie am Morgen noch vor dem Aufstehen befallen hatte, vergessen. Je öfter sich dieses unangenehme Phänomen morgens wiederholte, umso mehr festigte sich in Sibel die Überzeugung den Grund dafür zu kennen. Doch noch fürchtete sie sich davor, es auszusprechen, geschweige denn es Avianus gegenüber zu erwähnen. Stattdessen, versuchte sie lieber, es weit von sich zu schieben und ganz zu verdrängen.
    So wie heute. Heute wollte sie nichts von alldem wissen. Ihr ganzes Augenmerk warf sie deshalb auf die Marktstände, an denen sie gemütlich vorbeischlenderten. Manchmal blieben sie stehen, wenn eine der Waren ihr Interesse erregte.


    Avianus konnte eigentlich mal wieder eine neue Tunika gebrauchen. Oder da, die bequem anmutenden Sandalen. Da waren auch diese hübschen goldenen Ohrringe, die von Nomaden im fernen Bactria gefertigt worden waren und die durch ihre jeweils vier Türkissteinchen auffielen und damit auch Sibel in ihren Bann zogen. Doch anschauen genügte ihr schon. Sie musste diese Ohrringe nicht haben. Wahrscheinlich kosteten sie sowieso ein kleines Vermögen. Nein, sie löste wieder ihren Blick und ging bedächtig weiter. Außerdem ging es ja heute hauptsächlich um die Bücher, die sie sich anschauen wollte und vielleicht eines oder auch zwei davon kaufen wollte. Daher musste sie gar nicht lange über seine Frage nachdenken.
    „Och, von mir aus können wir sofort zu den Büchern gehen. Für andere Sachen haben wir sicher später noch Zeit.“ Mit den 'anderen Sachen' hatte sie die Lebensmittel gemeint, die sie später, bevor sie zurückgehen würden, einkaufen wollte, aus denen sie dann zum Abschluss dieses besonderen Tages, ein schmackhaftes Essen kochen wollte.

  • Ihr Blick blieb an den verschiedensten Waren hängen, während sie an den Ständen entlangspazierten und Avianus beobachtete dabei vor allem Sibel. Die Waren interessierten ihn ja nur peripher. Doch obwohl sie schaute, wollte sie doch nichts, jedenfalls sagte sie nichts dergleichen, und seinen Vorschlag, sich noch anderweitig umzusehen schlug sie vorerst aus. Er nahm sich vor, sich dadurch nicht beirren zu lassen, schenkte ihr ein leichtes Lächeln und drückte ihre Hand.
    "Dann nehme ich dich beim Wort … also nachher", sagte er. In gemächlichem Tempo führte er sie weiter und in einen Laden hinein, wo sich in Regalen, Schränken und Körben Schriftrollen türmten. Der Lärm der Straße drang gedämpft nach innen, ebenso das Sonnenlicht, das durch die kleinen Fenster ins Innere des Ladens filterte. Der Duft von Papyrus und Staub lag in der Luft. Wann war er eigentlich das letzte Mal in einem Buchladen gewesen? Damals mit Torquata, erinnerte er sich, vor einer halben Ewigkeit auf dem Forum. Lange hatte er nichts mehr von dem Mädchen gehört. Was aus ihr wohl inzwischen geworden war …
    "Sucht ihr etwas Bestimmtes?", fragte ein älterer Mann, der im hinteren Teil des Ladens offenbar gerade selbst mit einer Abschrift beschäftigt war.
    "Nun ..." Fragend blickte er kurz Sibel an. " ... Phaedrus' Fabeln … du hast nicht zufällig eine Abschrift hier?"
    Der Mann legte seine Arbeit beiseite und sah auf. "Einen Augenblick …" Während der ältere Mann zielstrebig auf eines der Regale zuging, und die Rollen durchsuchte, schritt Avianus langsam die Regale entlang und besah sich hier und da die Etiketten an den Papyrusrollen, um zu sehen, was sonst noch angeboten wurde.
    "Weißt du, lesen lässt einen über Probleme des Alltags hinwegblicken, habe ich mal gehört", erzählte er ein wenig gedankenverloren, was Torquata ihm damals erklärt hatte. Vielleicht waren ein paar Bücher ja genau das, was Sibel jetzt gut tun würde. Vielleicht brauchte sie nur ein wenig Ablenkung, wovon auch immer.
    "Dir geht es doch gut oder? Ich meine … wenn es irgendetwas gibt, was ich für dich tun kann, oder wenn du etwas brauchst oder gerne hättest, lass es mich wissen, in Ordnung?", sagte er, versuchte dabei, nicht allzu besorgt zu klingen und behielt dabei sein Lächeln im Gesicht.

  • Die Marktstände hatten sie hinter sich gelassen und steuerten nun einen Laden an. Neben den unzähligen Schriftrollen, die sich dort fanden, war es wohl der ganz eigene Geruch des Gemischs von Papyrus und Tinte, den Sibel dort roch. Dieser Geruch kam ihr seltsam vertraut vor. Sie kannte ihn noch aus Misenum. Dort in der Villa der Aurii hatte es auch eine kleine Bibliothek gegeben. Gelegentlich hatte man sie dort hingeschickt, um die eine oder andere Schriftrolle zu holen. Die Aurii hatten es sich leisten können und eigens dafür einen griechischen Sklaven besessen, der sich um die kleine erlesene Schriftensammlung gekümmert hatte.


    Staunend sah sich Sibel im Laden um, dessen Regale über und über mit Schriftrollen gefüllt waren. Selbst mitten im Raum fanden sich noch körbeweise Schriftrollen. Gut, dass sie Avianus dabei hatte! nie im Leben hätte sie sich hier zurecht gefunden, geschweige denn überhaupt etwas gefunden, was ihrem Lesestand entsprach.


    Im hinteren Teil des Ladens über ein Stehpult gebeugt, tauchte plötzlich ein älterer Mann mit schütterem Haar und einem weißen gepflegten Bart auf. Sibels erstaunter Blick blieb schließlich an der rechten Hand des Mannes kleben, die einen Calamus hielt. Außerdem fiel ihr der schwarze Tintenfleck auf, der sich auf seinen Zeigefinger befand und der darauf schließen ließ, dass er gerade mit Schreiben beschäftigt gewesen war. Sie fragte sich still im Gedanken, ob er all diese Schriftrollen beschrieben hatte. Doch sie traute sich nicht, danach zu fragen.
    Einmal mehr war sie froh, Avianus bei sich zu haben, der dem Mann, ohne zu zögern, Antwort geben konnte. Sibel nickte lediglich nur, als er ihr einen fragenden Blick zuwarf und nach einer Abschrift mit Fabeln verlangte. Zu ihrem Erstaunen, schien der Alte gleich zu wissen, wo er danach suchen musste und verschwand kurz. Nun bot sich die Gelegenheit, sich noch etwas umzuschauen. Noch kam sich Sibel etwas fehl am Platz vor, da diese Masse an Schriftrollen sie regelrecht überrollten. Besser, sie fasste nichts an, denn man hatte ihr mehr als einmal eingebläut, wie wertvoll solch eine Schriftrolle war und wie leicht sie verschmutzt oder gar durch unsachgemäßen Gebrauch zerstört werden konnte.
    Nein, an diese „alten Zeiten“ wollte sie sich nicht mehr zurückerinnern. Diesmal ging es um eine Schriftrolle, die ihr gehören sollte. Die sie lesen durfte. Natürlich würde sie darauf achten, damit sie ihr auch ja lange erhalten blieb. Doch niemand würde sie diesmal zurechtweisen, wenn sie sie zur Hand nahm. Avianus würde sie stattdessen dazu ermuntern, noch viel häufiger zu lesen. Ob lesen nun wirklich von den Alltagsproblemen abzulenken vermochten, konnte sie nicht sagen. Dazu hatte sie einfach noch nicht genug gelesen. Auch verstand sie anfangs gar nicht, worauf Avianus hinaus wollte. Doch als er sie direkt darauf ansprach, ob es ihr gut ginge, lächelte sie nur verlegen. Ob er etwas von ihrem häufigen Unwohlsein gemerkt hatte? Ganz bestimmt hatte er das! Sonst hätte er nun nicht gefragt. „Nein…,“ antwortete sie zögerlich. „Es ist alles in Ordnung. Mir geht´s gut.“ Ewig konnte sie es ihm nicht verschweigen, denn wenn die Ursache genau die war, woran sie dachte, dann war ihr Zustand in einigen Wochen schon ganz offensichtlich.

  • Voll und ganz überzeugend hörte Sibels Antwort sich nicht an, außerdem sprach sie so seltsam wenig, sodass Avianus einen Augenblick lang forschend ihren Gesichtsausdruck musterte, es dann aber dabei beließ, nickte und ihr ein Lächeln schenkte. Er konnte sie schließlich zu nichts zwingen und glaubte fest daran, wenn es wirklich ein ernsthaftes Problem gab, würde sie damit zu ihm kommen.
    "Gut. Ich möchte einfach nur, dass es dir an nichts fehlt", sprach er weiter und setzte sein Durchstöbern des Buchregals mit Sibel an seiner Seite fort. Wenn sie täglich las, wäre ein Buch mit ein paar Fabeln womöglich etwas wenig. Außerdem könnte er es sich problemlos leisten, noch ein oder zwei mehr mitzunehmen. Was könnte es also schaden sich noch ein paar Bücher mehr anzusehen? "Was würdest du sonst noch lesen wollen? Für den Anfang lieber Gedichte? Oder doch eher Theaterstücke? Epen? Was auch immer du möchtest." Sextus Aurelius Propertius, las er auf einem der Etiketten, ließ Sibels Hand für den Augenblick los und zog die Rolle hervor. Vorsichtig öffnete er sie um ein auf ein paar Sätze einen Blick werfen zu können.
    "Cynthia prima suis miserum me cepit ocellis, contactum nullis ante cupidinibus. Tum mihi constantis deiecit lumina fastus, et caput impositis pressit Amor pedibus * …", las er mit einem leichten Stirnrunzeln laut genug vor, damit Sibel neben ihm es hören konnte, und sah seine heute recht wortkarge und etwas verloren zwischen den Regalen stehende Geliebte erneut fragend an. Es ging hier um ihre Bücher, also sollte sie definitiv das letzte Wort haben. Was sie las, musste in erster Linie ihr gefallen.
    Der Alte, der offenbar den Laden führte, trat unterdessen zu ihnen, blickte leicht skeptisch auf die Rolle in der Hand des Iuniers - Kunden, die unvorsichtig die Bücher befingerten waren nicht gerne gesehen, aber die Abschrift der Elegien des Propertius schienen noch heil zu sein - und reichte schließlich Sibel die gewünschten Fabeln, nach denen er wohl eine ganze Weile hatte suchen müssen.
    "12 Sesterzen wären das", sagte der alte Mann und wartete darauf, dass Avianus ihm die Münzen reichte. Der ließ vorerst ein Ende der Rolle los, kramte das Geld hervor und reichte es dem Alten.
    "Wir sehen uns noch etwas um."
    "Jaja, schaut nur", meinte der Alte mit einer wegwerfenden Handbewegung und zog sich wieder hinter sein Pult zurück, "Was die jungen Leute heutzutage lesen ... Phaedrus ..."



    Sim-Off:

    * Als erste hat Cynthia mich armseligen mit ihren Augen ergriffen, der nie zuvor vom Verlangen berührt worden war. Da senkte Amor mir meine stolzen Blicke und mit auferlegten Füßen drückte er mein Haupt nieder. (Alle Angaben ohne Gewähr ;) )

  • Was hielt Sibel eigentlich davon ab, Avianus endlich reinen Wein einzuschenken? War es ihre übertriebene Angst, er könne sich vielleicht ganz anders verhalten, als sie es sich vorgestellt hatte? Oder etwa dass er ihr Vorwürfe machen würde? Ganz gleich was es auch war, Sibel wusste, dass das, was da gerade mit ihr geschah, große Veränderungen in ihrem Leben herbeiführen würde. Es würde alles auf einmal umkrempeln. Nichts wäre mehr so, wie es einmal war. Je länger sie damit wartete, ihn mit einzubeziehen, umso unaufschiebbarer wurde es.
    Es war auch töricht zu glauben, er hätte von alldem nichts bemerkt. Natürlich hatte er das! Wahrscheinlich ahnte er sogar schon etwas. Doch bisher hatte er nur noch nicht seine Vermutungen ausgesprochen. Je mehr sie aber seine Erkundigungen über ihren Zustand abblockte und als unwichtig abtat, umso mehr erregte sie sein Interesse danmit. Doch dass er ständig um ihr Wohl besorgt war, zeigte ihr auch, wie wichtig sie für ihn war.
    „Solange du bei mir bist fehlt es mir an nichts, Liebster,“ antwortete sie ihm lächelnd und drückte ihm verstohlen einen Kuss auf seine Backe.


    Die Frage, was ihr denn noch gefallen könnte, war schwierig zu beantworten. Denn sie hatte ja keine Ahnung, was die Welt der Literatur noch alles für sie bereithielt. Nicht einmal mit den einzelnen Gattungen kannte sie sich gut genug aus und insgeheim schämte sie sich für ihre Unwissenheit. Wieder tauchten ihre Zweifel am Horizont auf, doch nicht gut genug für ihn zu sein. Einer anderen Frau, einer Römerin, hatte er nicht erst noch das Lesen beibringen müssen. Mit ihr hätte er sich gleich über Literatur unterhalten können.
    „Ja, Gedichte vielleicht,“ sagte sie endlich, um wenigstens etwas gesagt zu haben. Er hatte sie heute extra hierher begleitet und sie glänzte mit ihrem Unvermögen.


    Dann endlich fasste sie den Mut und griff mit äußerster Vorsicht auch nach einer der Schriftrollen, die in den Körben aufbewahrt wurden. Während sie noch nach einer Beschriftung oder einem Etikett suchte, auf dem zu lesen war, was diese Rolle beinhaltete, begann Avianus laut vorzulesen. Sie scha zu ihm auf und ließ die Rolle in ihrer Hand sinken.
    „Das ist schön!“, meinte sie. „Wer ist diese Cynthia und was hat sie gemacht?“


    Als die schlürfenden Schritte des alten Buchhändlers dessen Rückkehr ankündigten und er schließlich schon in Sichtweite war, legte sie peinlich berührt wieder die Schriftrolle zurück, ohne erfahren zu haben, was sie nun beinhaltet hatte. Der Alte reichte ihr eine andere Rolle. Zweifellos mussten das Phaedrus‘ Fabeln sein. Er nannte den Preis – zwölf Sesterzen. Das war viel Geld, zumindest für denjenigen, der nicht in Geld schwamm. Ohne zu zögern zahlte Avianus den Betrag und bat darum, sich noch weiter umsehen zu können. Sibel indes wagte es nun, einen Blick in ihr neues Buch zu werfen.

  • Sibel und ihr seltsames Verhalten drängte er wieder beiseite. Was auch immer ihr durch den Kopf ging, was könnte schon so schlimm sein, dass er es hier und jetzt mit ihr klären musste. Das war einer der Vorteile, seit sie bei ihm lebte. Er wusste, sie hatte im Grunde alles was sie brauchte, sie war sicher und sie war nicht allein. Alles war in Ordnung. Also widmete er sich wieder voll und ganz den Büchern.
    Fabeln und Gedichte wären für den Anfang genau das richtige, fand Avianus. Knappe Texte und keine komplizierten Handlungsstränge. Noch dazu schien sie an dem Text, den er ihr gerade vorgelesen hatte, Gefallen zu finden.
    "Man sagt, hinter Cynthia verbirgt sich eine gewisse Hostia, eine Hetäre und Geliebte des Aurelius Propertius. Zu Beginn mochte er sie nicht, dennoch hat er sich später so sehr in sie verliebt, dass er ihr diese Gedichte widmete. Es gibt sogar noch mehr Bücher davon", erklärte er, als der Alte sich zurückgezogen hatte und sie wieder mehr oder weniger unter sich waren, und musste unweigerlich lächeln wegen der Parallelen zu ihrer Beziehung. Er rollte das Buch wieder zusammen, legte es jedoch nicht zurück ins Regal, sondern behielt es in der Hand. Wenn es Sibel gefiel, sollte es ihr gehören. Zwei Bücher. Damit ließe sich schonmal was anfangen. Vermutlich würde er noch ein Dutzend Bücher mehr finden, wenn er sich lange genug umsah, dachte er amüsiert. Aber eines interessierte ihn dann doch noch:
    "Was hattest du da vorhin in der Hand?", fragte Avianus neugierig und machte den Schritt hinüber zu dem Regal, in welchem die Schriftrolle lag, die sie eben erst zurückgelegt hatte. In seinen Zügen zeichnete sich ein breites Lächeln ab, nachdem er das Etikett gelesen hatte.
    "Ein Buch von Valerius Flaccus' Argonautica", stellte er fest, "Diese Version kenne ich noch nicht, aber Apollonius' Argonautika mussten Regulus und ich als Kinder für den Unterricht lesen. Vielleicht hast du schon einmal von der Geschichte von Iason und den Argonauten gehört, die sich auf den Weg machten, das Goldene Vlies zu finden …" Ein spannendes, abenteuerliches Epos, wenn auch etwas lang, aber wer wusste schon wie groß Sibels Fortschritte wären, wenn sie erst einmal die Fabeln und Propertius' Elegien gelesen hätte. Und vielleicht sollte auch er selbst wieder etwas mehr lesen, eine Tätigkeit die er vollkommen vernachlässigte, seit er in Rom war, dachte er außerdem, sowie er an seinen früheren Unterricht zurückdachte. Da wäre die Argonautica vielleicht genau das richtige. Die komplette Argonautica und dazu die zwei anderen Bücher - zusammen ein gutes Dutzend Schriftrollen - nach Hause zu schleppen, war heute allerdings nicht drin, sodass auch er die Schriftrolle zurücklegte. Eventuell könnte er ja einen Sklaven vorbeischicken, um die Bücher zu kaufen, so auch Sibel Interesse daran zeigte.

  • Diesmal hatte ihr Beschwichtigungsversuch und der Kuss sein Ziel nicht verfehlt. Avianus gab es vorerst auf, sie auszuquetschen. Was allerdings nicht bedeutete, dass das Thema damit beendet war. Sibel aber würde nicht umhinkommen, mit Avianus darüber zu sprechen. Zunächst aber schob sie das Unabwendbare weit von sich und konzentrierte sich auf das, was ihr Avianus über diese mysteriöse Cynthia sagen konnte, nachdem der Buchhändler sie wieder sich selbst überlassen hatte.
    Zu ihrer Überraschung taten sich einige Parallelen zwischen Sibel und ihr auf. Eine Hetäre und ein Angehöriger einer patrizischen Gens. Wenn das nicht skandalös war in den Augen derer, die auch sie verurteilen würden. Doch es schuf auch Genugtuung und bestärkte sie, nicht weiter zu zweifeln, denn sie beide waren also nicht die einzigen, die eine solch abenteuerliche Beziehung eingegangen waren. „Er hat noch mehr über sie geschrieben? Dann muss er sie sehr geliebt haben,“ sinnierte sie laut. Jedoch drängte sich ihr aber auch eine Frage auf, die sie ihm aber nicht stellte. Sie hoffte, es im Text zu erfahren, was aus ihrer Liebe geworden war. Ob sie glücklich bis an ihr Ende gelebt hatten oder er sie hatte fallen lassen, zugunsten einer anderen Frau vielleicht? Sibels Gedanken schweiften wieder einmal ab. So bemerkte sie, scheinbar gerade noch rechtzeitig, wie Avianus das Buch wieder zusammenrollte. Sie musste ihn daran hindern, dass er es nicht wieder an seinen Platz im Regal zurücklegte. „Bitte leg es nicht zurück,“ rief sie. „Ich würde es gerne lesen.“ Ob diese Bekundung ihres Willens endlich ein erster Schritt in die richtige Richtung war, um mehr Selbstvertrauen zu erlangen? Womöglich. Doch im nächsten Moment schien sie alles wieder zunichte zu machen. „Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.“ Aber er behielt die Schriftrolle weiter in seiner Hand.


    Als Avianus auf die Schriftrolle zu sprechen kam, die sie zuvor noch in der Hand gehabt hatte, konnte sie nur ahnungslos mit den Schultern zucken. Um den Buchhändler nicht zu vergraulen, hatte sie sie schnell wieder zurückgelegt. Avianus aber griff nach ihr und begann zu schmunzeln.
    Iason und die Fahrt der Argo, darüber hatte ihr Vater ihr manchmal Geschichten erzählt. Seine unzähligen Handelsfahrten hatten ihn gelegentlich auch ins Schwarze Meer geführt. Jedes Mal wenn er dann wieder zurück von seinen Reisen war, setzte er sich seine geliebte kleine Tochter auf sein Knie und begann ihr von den fremden Ländern zu erzählen, die er gesehen hatte. Er hatte in ihr stets eine begeisterte Zuhörerin gefunden. Ihr Vater hatte ihr auch von Iasons Schiff, der Argo erzählt und geflunkert, dass sein eigenes mindestens genauso schnell war, was sie ihm aber niemals wirklich abgenommen hatte. Und er hatte noch mehr berichtet, über Kolchis, Medea und vom Raub des goldenen Vlieses. Sie hatte diese vertrauten Momente geliebt, wenn sich ihr Vater etwas Zeit für sie genommen hatte und er für diese kurze Zeit nur ihr gehörte. Doch das war schon lange vorbei. Doch immer noch empfand sie etwas dabei, wenn sie daran zurückdachte. „Ich kenne diese Geschichte. Mein Vater hat mir davon erzählt,“sagte sie und klang dabei etwas wehmütig.
    Ihr war aber auch aufgefallen, dass er einen Namen erwähnt hatte, der ihm bisher kaum über die Lippen gekommen war. Ein gewisser Regulus, mit dem er als Kind gelernt hatte. Überhaupt sprach er mit ihr kaum über seine Familie in Misenum. Vielleicht wollte er ihr so die Erinnerungen ersparen, die sie mit diesem Ort verband. „Regulus? Ist das dein Bruder?“, fragte sie schließlich.

  • Oh, und wie er sie geliebt hatte. Sie soll ja seine erste große Liebe gewesen sein. Bis sie sich ein paar Jahre später zerstritten haben, behielt er dabei einfach mal für sich. Darum ging es in den Büchern ja auch gar nicht, sondern nur um die schöne gemeinsame Zeit der beiden. Nicht um das Ende. So wie bei Sibel und ihm eben auch.
    Avianus hatte den richtigen Riecher gehabt, wie es sich herausstellte, denn kaum rollte er das Buch zusammen, wollte ihn Sibel bereits daran hindern, es wieder wegzulegen, was er ja ohnehin nicht vorgehabt hatte. "Ich wollte es auch gar nicht zurückzulegen", sagte er leicht belustigt, "Und ich sagte, wenn du etwas möchtest, sollst du es einfach sagen." Was dachte sie also, würde er jetzt tun? Sie glaubte doch nicht ernsthaft, er würde ihr ihren Wunsch ausschlagen, ausgerechnet nachdem er klargestellt hatte, dass sie haben könnte, was auch immer sie wollte.


    Kurz überlegte er, wie viel er von seinem Bruder erzählen sollte, sowie sie nach Regulus fragte. Sie sollte sich keine Sorgen machen. Das logischste wäre natürlich einfach zu erzählen, was da auch immer zu wissen war oder sie wissen wollte, um zu signalisieren, dass er darüber hinweg war. Immerhin war sein Bruder schon ein gutes Jahrzehnt tot. Er hatte schon lange damit aufgehört, sich darüber allzu viele Gedanken zu machen.
    "Ja … wir sind zusammen in Misenum aufgewachsen", antwortete er also bereitwillig, "Er ist ein paar Jahre vor mir den Cohortes Urbanae beigetreten, aber während der Grundausbildung an einer Krankheit gestorben." Und das obwohl er immer das Gefühl gehabt hatte, Regulus wäre von ihnen beiden mehr Soldat. Dennoch hatte er sich nicht gegen die Tradition seiner Familie wehren können. Der Vater bei der Legion, der Bruder bei den Urbanern, da war ihm kaum etwas anderes übriggeblieben, auch wenn es seiner Mutter vermutlich anders lieber gewesen wäre, nachdem sie schon zwei Männer an den Exercitus verloren hatte.
    Währenddessen ging er wieder auf den Alten zu.
    "Das hier nehmen wir auch noch mit", sagte er und hielt dem Mann die Schriftrolle hin, der sich kurz das Etikett besah. Die Züge des Alten erhellten sich.
    "Ah, Propertius und eine sehr hübsche Abschrift noch dazu … 16 Sesterze."
    Avianus zählte die Münzen aus seinem Beutel und warf noch einmal einen Blick über die Schulter, hinüber zu dem Regal mit der Argonautica. Glücklicherweise schleppte er gar nicht seine halben Ersparnisse mit sich herum, sodass er gar nicht erst in Versuchung geriet. Nicht direkt jedenfalls.
    "Was meinst du, Sibel? Die Argonautica des Valerius da hinten … die könnten wir später abholen lassen", meinte er, als er dem Mann eine Handvoll Münzen reichte.
    "Ihr zwei habt ja doch ein wenig Geschmack. Ich kann sie bis heute Abend zur Seite legen und dir einen guten Preis machen, wenn du willst."
    "Tatsächlich?", kommentierte Avianus, sah amüsiert zu Sibel und wartete ab, was sie davon hielt. Dass er die Bücher ebenso gerne lesen würde, ließ er erst einmal außen vor. Ein derartiges Epos wäre kein Schnäppchen, und für sich allein würde er es ganz bestimmt nicht kaufen.

  • „Achso,… ja, ich weiß,“ meinte sie etwas verlegen. Natürlich wusste sie, dass sie es sagen sollte, wenn sie etwas wollte. Sie hatte es ja diesmal auch gesagt. Trotzdem hatte es nicht besonders selbstbewusst geklungen! Sibel konnte eben nicht so einfach über ihren eigenen Schatten springen. Selbstbewusst sein konnte man nicht einfach so lernen, wie lesen und schreiben. So etwas brauchte einfach Zeit und viel Geduld. Letztendlich aber freute sie sich jetzt schon auf die Lektüre. Am Abend vielleicht fand sich noch etwas Zeit, um zu lesen. Es war schon interessant, wie sie sich seit neuestem versuchte, Freiräume zu schaffen, um ihre „Studien“ voranzubringen. Dabei legte sie recht viel Ehrgeiz an den Tag. Ein Grund dafür war mit Sicherheit der Wunsch, endlich mit ihrer Vergangenheit abzuschließen, die noch immer so schwer auf ihr lastete. Allerdings gehörten zu dieser Vergangenheit nicht nur die Jahre in Misenum. Auch ihre Kindheitserinnerungen, die langsam verblassten, gehörten dazu. Sie wollte nur noch nach vorne schauen und dazu gehörte es eben auch, alles was ihr verwehrt geblieben war, nachholen zu wollen.


    Nun aber war es zur Abwechslung einmal Avianus, der einen Aspekt aus seiner Vergangenheit preisgab, nachdem Sibel seinen Bruder erwähn hatte. Ähnlich wie er selbst hatte sein Bruder einige Jahre zuvor die gleiche Karriere anstreben wollen, war aber dann verstorben. Er erzählte das so freimütig, als habe sich damit längst abgefunden. Sie aber konnte es nicht verbergen, wie betroffen sie darüber war. Womöglich lag es vielleicht auch an ihrem Zustand, dass sie so emotional überreagierte. „Wie schrecklich! Das tut mir so leid für dich,“ entgegnete sie ihm. Sie wollte gar nicht daran denken, wie schnell sich das Schicksal gegen sie stellen konnte. Doch so war nun mal das Leben! Im Grunde musste man dankbar sein, für jeden Tag, den man erleben durfte.


    Währendessen reicht Avianus dem Buchhändler auch die zweite Schriftrolle, um die sie wahrhaft „gekämpft“ hatte. Wie es schien, war der Alte mit ihrer Wahl zufrieden und nannte wieder einen Preis, der auch sogleich beglichen wurde. Doch damit wollte es der Iunier noch nicht belassen. Offenbar plante er heute noch einen Großeinkauf! Die Argonautica von Valerius… Sibel sah sich noch einmal zu den betreffenden Schriftrollen um. Die waren bestimmt nicht billig! „Wenn du meinst, Liebster.“ Sie zuckte anfangs etwas zögernd mit den Schultern. „Warum nicht? Wer weiß, wann es mich wieder einmal hierher verschlägt.“ Tja, der Kluge Mann baut vor. Mit der Masse an Büchern war ihr Kontingent vorerst einmal gedeckt. Natürlich fand der Buchhändler diese Idee auch ganz famos, schließlich war er ja ein geschäftstüchtiger Mann. Als er sich jedoch wieder von ihnen entfernte, trat sie an Avianus heran. „Meinst du wirklich? Was das alles kostet! Die zwei Bücher hier reichen doch auch schon,“ flüsterte sie ihn zu.

  • Sibel reagierte exakt so wie Avianus es erwartet hatte, nein, sogar noch etwas heftiger. Dabei hatte er gar nicht gewollt, dass sie sich deswegen schlecht fühlte. Selbst er fühlte sich schon lange nicht mehr schlecht wegen seines Bruders. Es war ja nicht so als ob irgendjemand etwas dafür konnte oder man es hätte verhindern können. Es war eben einfach passiert, wie so vieles in seinem oder auch ihrem Leben.
    "Das braucht dir nicht Leid zu tun. Es ist in Ordnung, Sibel", entgegnete er und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.


    So recht wusste er dann nicht, ob Sibel von der Idee, mehr als ihre beiden Bücher mitzunehmen wirklich begeistert war. Vor dem Händler hatte sie zwar keine Einwände, als der aber abgezogen war sehr wohl.
    "Mach dir nur einmal keine Sorgen ums Geld, Sibel", fiel Avianus ihr beinahe ins Wort, keinesfalls schroff sondern eher schmunzelnd, "Wir sparen doch ständig ..." Er kaufte praktisch nie etwas teures, sie erst recht nicht und sein Sold verstaubte folglich in einer Truhe. Es sprach also wirklich nichts dagegen, es sich heute gut gehen zu lassen. "... Von dem Geld, das ich zur Seite gelegt habe, nur um dich zu kaufen, ist immer noch einiges übrig." Er legte ihr den Arm um die Taille, schob sie auf die Tür zu und redete derweil weiter:
    "Wir können es uns ja noch überlegen bis zum Abend. Außerdem wäre es eine gute Investition. Man kann nie genügend Bücher haben, musst du wissen. Erst recht nicht wenn man gerne liest. Und wer weiß, vielleicht les' ich selbst ja auch mal wieder was." Konnte sie da noch nein sagen? Hoffentlich nicht, denn ansonsten gingen ihm die Argumente aus. Doch selbst dann könnte er sie mit den Büchern immer noch überraschen. Inzwischen hatte er ohnehin das Gefühl, wenn er ihr eine Freude machen wollte, musste er sie fast überraschen. Mit dem völlig offenen Äußern von Wünschen hatte sie es bekanntermaßen nicht so.
    Draußen wurde er im ersten Moment wieder durch das im Gegensatz zum eher dämmrigen Buchladen helle Sonnenlicht geblendet. Ein wirklich schöner Tag. Einfach perfekt, dachte er. Wie gut, dass Sibel vorgeschlagen hatte, dass sie gemeinsam etwas unternahmen. Denn was gab es schöneres, als einen sonnigen Nachmittag mit ihr gemeinsam zu verbringen und später den Abend ebenfalls mit ihr ausklingen zu lassen, nach einem guten Essen und vielleicht nachdem sie einen Blick in die eben gekauften Schriftrollen geworfen hätten.
    "Also gut, wo möchtest du hin? Hast du Hunger? Durst? Sehen wir uns noch ein wenig um. Und am besten führst du uns an", meinte er fröhlich, "Ich bin sicher, du kennst dich hier inzwischen sehr viel besser aus als ich."

  • Vielleicht machte sich Sibel auch einfach zu viele Gedanken. Sie sah, wie er täglich versuchte, sie in irgendeiner Weise glücklich zu machen, sie mit Dingen zu überraschen, die ihr Freude machen sollten. Und wenn es nur Kleinigkeiten waren, die niemand sonst aufgefallen wären, weil sie für andere selbstverständlich waren. Sibel aber erfasste das alles, jede einzelne seiner Gesten und Liebesbekundungen. Und er betonte es ja auch immer wieder: Es sollte ihr an nichts fehlen. Jeden Wunsch wollte er ihr von den Lippen ablesen. Und genau da lag das Problem. Sibel war das einfach nicht gewohnt. Natürlich hatte Avianus in all den Jahren, seit sie sich nun schon kannten, immer wieder versucht zu helfen, wo es nur ging. Doch seit sie nun bei ihm lebte überschüttete er sie förmlich. Sibel wusste gar nicht, wie sie ihm das noch ausgleichen sollte. Sie hatte doch nichts, außer sich selbst und ihre Liebe, die sie ihm aber doch schon schenkte. Auch wenn es sich sehr gut anfühlte, so umsorgt zu werden, dies als Gegeben anzusehen, war doch noch immer etwas, dass sie sich erst noch zu Eigen musste.
    Letztendlich aber half der kleine Hinweis, dass Avianus selbst vielleicht in diesen Büchern lesen wollte. Was die Situation in ihren Augen natürlich völlig veränderte. „Achso, ich wusste ja nicht… Bitte entschuldige, ich habe wieder nur an mich gedacht. Und ich wollte dich auch nicht kritisieren, aber du brauchst wirklich nicht so viel Geld für mich ausgeben,“ meinte sie mit gedämpfter Stimme, als er sie bereits aus dem Landen hinausschob. Auch sie musste erst mehrmals blinzeln, als sie wieder vor dem Laden standen, da der Unterschied zum Tageslicht auch für ihre Augen recht groß war.


    [wrapIMG=left]http://fs1.directupload.net/images/150712/2ldwuu2x.jpg[/wrapIMG] Die Frage nach dem Wohin beantwortete sie zuerst mit einem Schulterzucken. Jedoch spürte sie bei der Erwähnung von Essen den aufkommenden Hunger in ihr. Ihre Erfahrungen, die sie in den letzten Wochen gewonnen hatte, hatten sie gelehrt, diesem Gefühl unbedingt nachzukommen, sonst konnte sich die Übelkeit wieder einstellen. Und dass wollte sie heute ganz bestimmt nicht! „Könnten wir zuerst etwas essen? Ich habe einen riesen Hunger!“ Es musste nichts Großes oder Besonderes sein. Es sollte nur den Hunger stillen. Außerdem konnte etwas Ruhe auch nicht schaden, denn neben dem Hunger spürte sie auch so etwas wie Erschöpfung. Und das, obwohl sie doch gar nicht viel gemacht hatte! Später dann, so hoffte sie, blieb ihnen noch genug Zeit, sich weiter umzuschauen.


    Etwas Essbares zu finden, war hier auf dem Markt sicherlich das geringste Problem. Unzählige Cauponae, einfache Garküchen, deren langgezogene Theken, in denen Gefäße mit den jeweiligen Speisen eingelassen waren und die mittels eines Holzdeckeln verschlossen wurden, zur Straße hin offen waren und die im hinteren Teil noch Platz für ihre Gäste boten, reihten sich nahezu aneinander. Ihre Angebote reichten vom einfachen Puls, mit Hülsenfrüchten oder Fleischeinlage, über luftgetrocknete Würstchen und gallischem Schinken, verschiedenste Backwaren bis hin zum Moretum, einer Käsepaste aus Schafskäse,Olivenöl und verschiedene Kräutern und Gewürzen, oder Epityrum, einer Olivenpaste. Beides schmeckte auf frischgebackenem Brot einfach nur lecker!
    Natürlich gab es aber auch noch eine Vielzahl anderer Gerichte, teils aus anderen Gegenden des Imperiums, die für den römischen Gaumen noch Neuland darstellten, wie etwa in Fett ausgebackene Kichererbsenbällchen, die zusammen mit etwas Gemüse und Brot angeboten wurden. Rom war eben ein Schmelztiegel, der die Menschen aus aller Herren Ländern zusammenbrachte...

  • "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", sagte Avianus knapp und mit unverändert guter Laune. Wie hätte sie auch wissen sollen, wovon er ihr nichts erzählte. Und in erster Linie waren sie für Sibel in den Laden gegangen. Nein, ohne Sibel wäre er gar nicht erst auf den Markt gegangen. Deshalb hatte er auch nach ihrer Meinung gefragt und nur für sich allein würde er die Bücher bestimmt nicht kaufen. Auch wenn er glaubte, dass Sibel jetzt, da er es ausgesprochen hatte, schon allein ihm zuliebe entweder gar nichts mehr sagen würde oder ihm raten würde, sie abholen zu lassen. Ein Lächeln auf den Lippen und gleichzeitig leise seufzend schlenderte er mit ihr die Straße entlang. Er wusste, sie meinte es nur gut und wollte ihm bloß nicht zur Last fallen, und irgendwie war es lieb von ihr, mit ihr einkaufen zu gehen machte es aber ein wenig anstrengend. Doch sie machte ja Fortschritte, hatte er glücklich festgestellt, nachdem sie zuvor im Laden um ihre Elegien gekämpft hatte.


    Essen also. Er könnte ebenfalls einen kleinen Imbiss vertragen, warum also nicht. "Klar, ganz wie du möchtest."
    Suchend blickte er sich um, und natürlich, die Auswahl an Garküchen und Gaststätten war erwartungsgemäß enorm, und von allen Seiten roch man die angebotenen Köstlichkeiten. Da Sibel aber keine Anstalten gemacht hatte, auf einen bestimmten Laden zuzugehen, nahm Avianus ihr die Entscheidung ab. Ganz so unterschiedlich war das Angebot ohnehin nicht. Wichtig war nur, dass das Essen in Ordnung und ein Platz für sie frei war, falls Sibel sich setzen wollte.
    Er trat seiner Liebsten in eine der zur Straße hin offenen Garküchen, hinter deren Tresen ihnen eine kräftige Wirtin freundlich entgegenblickte.
    "Für euch zwei? Alles hausgemacht vom Brot bis zum Eintopf", sprach die Wirtin sie an. Einladend hob sie dabei einen der Holzdeckel von der Theke. Ein Schwall nach Gemüse, Speck und Gewürzen duftenden Dampfs stieg ihnen aus dem Kessel darunter entgegen. Avianus lächelte freundlich zurück, würde aber ablehnen. Es war angenehm warm, nicht unbedingt das richtige Wetter für einen heißen Eintopf, und so gewaltig war sein Appetit nun doch nicht. Da konnte das Essen noch so appetitlich duften.
    "Für mich nur etwas Wurst und Brot", bestellte er für sich, "Du Sibel? Wir können uns auch gerne reinsetzen."

  • Sibel folgte einfach Avianus. Ihr war es gleich, zu welcher Garküche sie gingen. Auch war sie sich noch gar nicht so sicher, wozu sie heute Appetit haben würde. Denn neuerdings entwickelte sie zu manchen Speisen eine Abneigung. Besonders konnten so manche Gerüche Übelkeit bei ihr hervorrufen. Natürlich hoffte sie, dass dies heute nicht der Fall sein würde.
    So näherten sie sich einer der Garküchen, die zur Straße hin offen waren. Die Malereien auf den Wänden im Inneren kündeten bereits vom Angebot. Aber auch der Duft der warmen Speisen sorgten dafür, potentielle Kunden anzulocken.


    Die korpulente Frau hinter der Theke sprach sie an. Sie hob einen der Deckel an, der die in die Theke eingelassenen Gefäße bedeckte, so dass der Duft des darin befindlichen Essens herausströmen konnte. Ein deftiger Geruch, dem Sibel wohl unter normalen Umstanden hätte kaum widerstehen können. Doch diesmal schreckte er sie aber ab. Nein, lieber kein Gemüse mit Speck heute, befand sie im Stillen. „Ich hätte gerne etwas Moretum mit Brot, bitte,“ entgegnete sie fast schon zurückhaltend der Frau, die dann nur mit den Schultern zuckte und für ihre beiden Gäste die bestellten Speisen richtete. „So, einmal Wurst mit Brot und Moretum mit Brot. Wollt ihr auch etwas trinken?“, fragte sie schließlich noch, geschäftstüchtig wie sie war. Wenn sich die beiden nur mit Kleinigkeiten zufrieden gaben, vielleicht wollten sie dann wenigstens noch ein Getränk.


    Sibels Blick ging schon automatisch zu Avianus, doch dann äußerte sie trotzdem ihren Wunsch, denn durstig war sie auch. „Für mich bitte etwas Posca,“ antwortete sie der Bedienung, die auch sofort damit begann einen Becher zu füllen.
    Avianus Vorschlag, sich setzten zu wollen, kam ihr sehr entgegen. Im hinteren Teil der Garküche gab es um diese Uhrzeit doch tatsächlich auch noch einige wenige Plätze. „Oh ja, lass uns kurz setzen. Ich mag nicht im Stehen essen.“ Das war doch ein guter Vorwand, um zu verbergen, wie erschöpft sie gerade war.


    Wenig später saßen beide an einem kleinen Tisch. Vor ihnen stand ihr Essen und Sibel genoss die Ruhe. Sie lächelte Avianus zufrieden zu. Solche Tage, an denen sie gemeinsam etwas unternehmen konnten, gab es einfach viel zu selten. „Ich bin so froh, dass du jetzt bei mir bist.“ Sie riss ein Stück ihres Brotes ab, tunkte es in ihr Moretum und biss herzhaft zu.

  • Avianus lächelte nur, als sie ihren Blick zu ihm wandte, nur weil die Wirtin nach Getränken fragte. Dabei wäre doch vollkommen klar, was er sagen würde. Dessen musste sich auch Sibel bewusst sein, da sie ja gleich darauf einen Becher Posca bestellte. Anschließend nahm er sich selbst ebenfalls noch etwas Posca, erst recht, da Sibel sich ohnehin setzen wollte.
    "Mir geht es nicht anders", stimmte er glücklich zu, trank einen Schluck und steckte sich ein Stück Brot in den Mund. Aber da gab es ja noch etwas, das er sie fragen wollte. Er war allerdings nicht sicher, wie Sibel darauf reagieren würde, ob sie sich freuen oder ablehnen würde. Bei ihr wusste er oftmals nicht so recht, was er zu erwarten hatte. Er ließ das restliche Brot, das er noch in der Hand hatte sinken und lächelte über den Tisch hinweg zurück.
    "Du … Sibel, ich werde demnächst zu Senecas Hochzeit eine kleine Reise in die Albaner Berge machen", begann er einfach direkt zu erzählen. Im Grunde konnte ja nichts schief gehen. Das schlimmste, was passieren konnte, war, dass sie ablehnte und er eben nur einen Tag weg war. Allerdings würde er verflucht gerne länger in den Bergen bleiben, auch weil er Seneca anschließend vielleicht sehr lange nicht mehr sehen würde.
    "Ich werde also zumindest einen Tag nicht in Rom sein. Er und seine Verlobte haben angeboten, dass ich auch ein paar Tage länger auf dem Landgut dort bleiben könnte. Aber ich möchte dich nicht länger als nötig in der Castra allein lassen. Deshalb wollte ich fragen, ob du mich begleiten möchtest." Abwartend saß er da. Klar, ein paar Tage außerhalb Roms, etwas frische Luft, aber eben auch fremde Leute und Rummel, je nachdem wie groß oder klein die Hochzeit schlussendlich ausfiel, wobei für Avianus die positiven Aspekte deutlich überwogen.

  • Nach ein paar Bissen fühlte Sibel sich schon viel besser. Der leichte Anflug von Übelkeit, den sie zuvor zu spüren geglaubt hatte, war wie weggeblasen. Außerdem war das Moretum mit dem frischgebackenen Brot eine wirklich gute Wahl gewesen. Einfach aber lecker!
    Auch empfand sie es als angenehm, für eine Zeit lang sitzen zu können. Nie hätte sie gedacht, dass über den Markt schlendern und Bücher kaufen so anstrengend sein konnte! Im hinteren Teil der Garküche hatte es für sie beide tatsächlich noch einen netten Platz gegeben. Dort war es angenehm kühl, da ständig ein leichter Luftzug ging.


    Zufrieden lächelnd nahm sie ihren Becher und trank einen Schluck, als Avianus scheinbar etwas loswerden wollte. Er druckste nicht lang herum, sondern kam direkt auf das, was er ihr sagen wollte. Sibel stellte ihren Becher ab, hörte zu und sah ihn dabei an. Er begann von einer Einladung zur Hochzeit seines Cousins Seneca zu sprechen und einer kleinen Reise in die Albaner Berge. Sibel hatte schon einiges über die Albaner Berge und den Albaner See gehört. Es war ein Refugium reicher Römer, die im Sommer der Hitze, dem Dreck und der Enge der Stadt entkommen wollten. Unerreichbar für sie. Obwohl ihr der Gedanke gefallen hätte, wenigstens für ein paar Tage der Stadt entfliehen zu können. Wie schön musste dagegen doch das Landleben sein! Im Grunde hatte sie schon lange einen solchen Wunsch gehegt, ihn aber natürlich nie ausgesprochen. Doch nun begann sich ein zartes Lächeln um ihren Mund zu bilden. Doch der nächste Satz schien all ihre Gedanken und Wünsche zunichtemachen zu wollen. Er hatte das kleine Wörtchen wir kein einziges Mal erwähnt. Stattdessen wollte er mindestens ein Tag nicht in Rom sein. Und auch sein nächster Satz zerstreute all ihre Hoffnung auf ein paar Tage außerhalb Roms. Ein wenig enttäuscht ließ sie ihren Blick sinken. Natürlich würde sie es akzeptieren und zurück in Rom bleiben, allein in der Habitatio, wenn er das so wollte. Doch der darauffolgende Satz krempelte mit einem Mal alles wieder um! Sie sah wie er auf und konnte es noch kaum fassen. „Du willst mich doch mitnehmen? Ja, wirklich?“ Ihre Augen begannen zu glänzen und sie strahlte über ihr ganzes Gesicht. „Natürlich möchte ich dich begleiten! Und wie ich das möchte! Davon habe ich schon immer geträumt. Du und ich – wir beide, für ein paar Tage raus aus der Stadt.“

  • Was für ein Glück, dass sich Sibels Miene wieder aufhellte, als er auf seinen eigentlichen Vorschlag zu sprechen kam.
    "Ja, wirklich", bestätigte Avianus und lächelte breit, glücklich darüber, ihr diesen Wunsch erfüllen zu können. "Wenn die Hochzeitsfeier vorbei ist, können wir die restliche Zeit ein wenig für uns nutzen. Ich könnte etwas Urlaub ganz gut vertragen. Und vielleicht könnt ihr zwei, also du und Seneca, euch dann auch endlich etwas besser kennenlernen."
    Sibel, er und die Ruhe der Albaner Berge. Er hätte endlich einmal etwas Abstand von der Arbeit und würde rauskommen aus der Stadt, außerhalb des Dienstes. Denn wenn er sonst für ein paar Tage aus der Stadt hinausgekommen war, dann meist, weil er irgendwo als Soldat gebraucht wurde. Un den Albaner Bergen, wäre Sibel das einzige, was ihm fehlen würde und worum er sich hätte Sorgen machen müssen, und die würde er jetzt ganz einfach mitnehmen. Besser hätte es gar nicht laufen können. Erstaunlich, wie einfach das meiste war, seit er sie gekauft hatte. Er aß weiter und trank noch einen Schluck. Klar lag ihm die Frage auf der Zunge, weshalb sie nicht schon früher etwas gesagt hatte, aber er ahnte schon, wie ihre Antwort ausfallen würde. Hätte er außerdem einige Tage Urlaub angefordert, nur um mit seiner Sklavin aufs Land zu fahren, wie hätte das wohl ausgesehen? Dass sich ihm dennoch eine geeignete Möglichkeit bieten würde, damit hatte Sibel gar nicht rechnen können und er hatte es auch nicht erwartet.
    "Da wir schon hier sind, sollten wir uns also auch noch deswegen umsehen ...", schlug er vor, "Ich habe noch nicht einmal ein Geschenk für die beiden." Und das hatte auch seinen Grund. Bei Seneca wüsste er nicht, was der überhaupt gebrauchen könnte, denn wenn er bei Seneca an ein Geschenk dachte, hatte er als erstes irgendetwas Nützliches im Kopf, und Seiana kannte er kaum, ganz abgesehen davon, dass die sicherlich schon so ziemlich alles hatte, was er kaufen könnte. Nachdenklich kaute er auf einem Stück Wurst. Vielleicht etwas, das an Rom erinnerte, für ihren eventuellen Umzug nach Germania in näherer Zukunft? Frauen kannten sich mit sowas bekanntermaßen besser aus, zu gerne würde er sich also von Sibel beraten lassen.

  • Sibels Freude war groß über diese Neuigkeiten. Ihre Augen strahlten, als Avianus weiter sprach. Endlich gab es wieder etwas, worüber sie sich freuen konnte und ihre Sorgen wenigstens für ein paar Tage ausblenden konnte. Und tatsächlich schien es möglich zu sein, dass es gleich ein paar Tage wurden, denn Avianus dachte darüber nach, sich dafür ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Natürlich lag es ihm auch am Herzen, dass sie seinen Cousin noch besser kennenlernte. Ihr letztes Zusammentreffen war alles andere als glücklich gewesen und hatte dazu auch noch ein doch recht peinliches Ende genommen. Auch Sibel war daran gelegen, den Eindruck, den sie bei ihm hinterlassen hatte, zurechtzurücken.
    Vor ihrem geistigen Auge stellte sie sich vor, wie es werden würde… ihre gemeinsamen Tage in den Albaner Bergen. Avianus und Sibel vor einer idyllischen Landschaft. Freilich verschwendete sie keinen Augenblick daran, welche Rolle sie während der offiziellen Feierlichkeiten spielen sollte. Aber das war im Augenblick auch mehr als nebensächlich, da ihre Freude eindeutig überwog.
    Als Avianus dann auch noch andeutete, man müsse sich Gedanken um ein passendes Hochzeitsgeschenk machen, beeilte sie sich mit dem Essen. Schnell tunkte sie den letzten Rest Moretum mit ihrem Brot und biss ein Stück ab. Mit dem Rest Posca in ihrem Becher spülte sie alles hinunter. Wenn Avianus auch aufgegessen hatte, konnten sie gehen. Von ihrer Müdigkeit war nichts mehr zu spüren. Sie freute sich darauf, nun weiter über den Markt zu schlendern.
    „An was hattest du denn gedacht? Was mögen denn die beiden?“, fragte sie, um sich ein paar Gedanken machen zu können. Im Prinzip war ihr noch nicht ganz klar, was man zu einem solchen Anlass verschenkte, zumal sie die Braut ja noch gar nicht kannte. Vielleicht etwas für den gemeinsamen Hausstand?

  • Zügig aß Avianus weiter, trank noch einmal, und sah zu, dass er seinen Teller leerte, vor allem, da Sibel es plötzlich eilig hatte. Als sie wieder aus der Caupona hinaus traten, stellte Sibel auch schon die offensichtlichsten Fragen, wenn es darum ging, für jemanden ein Geschenk aufzutreiben, und die er sich natürlich selbst schon gestellt hatte.
    "Das ist eine echt gute Frage", stellte er zunächst fest, "Ich kenne die Braut leider selbst kaum, und bei Seneca weiß ich nicht recht, obwohl ich ihn kenne. Ich weiß jedenfalls, dass Seiana, also Senecas Zukünftige, auch liest, wenn ich ihnen aber nicht gerade ein Buch schenken will, hilft mir das vermutlich nicht weiter."
    Er hatte nicht einmal das Gefühl, dass Seneca wirkliche Freizeitbeschäftigungen hatte. Wenn Seneca nicht gerade arbeitete, verbrachte er seine Zeit entweder damit, mit ihm etwas zu trinken, sich mit dem Rest der Familie zu streiten oder mit seiner jetzigen Verlobten, hatte Avianus das Gefühl. Gar nicht so anders als selbst eben. Würde man ihn fragen, was man ihm schenken könnte, Avianus würde nur mit den Schultern zucken.
    Was konnte man alles verschenken? Geld war ihm zu unpersönlich. Und einen Sklaven würde er mit Sibel sicher nicht kaufen. Ein besonders stattliches Pferd, das Wappentier der Decima? Aber fehlte dann nicht noch ein Zeichen für die Iunii? Mit einem hübschen Wandteppich, einer Statue, Möbeln oder einem Mosaik für das gemeinsame Haus, das die beiden sich bestimmt leisten würden, machte man zwar nichts falsch, besonders originell konnte man solche Geschenke aber auch nicht nennen.
    "Ich dachte, vielleicht irgendein Erinnerungsstück an Rom. Er meinte letztens, dass er wahrscheinlich nach Germania geht, und selbst wenn nicht, wird er in Mantua bleiben", erklärte er, während sie weiterschlenderten, "Nur was … da bin ich nicht sicher. Soll ich einen schön gearbeiteten Schrank in Auftrag geben? Oder Dekoration für ihr gemeinsames Haus? Ich dachte auch schon an ein Pferd, aber so richtig überzeugt bin ich von der Idee nicht."

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