Vale Roma, salve Alexandria! Et vice versa...

  • Obschon die Umstände seiner Reise überaus misslich waren zu ponderieren, so hatte der junge Flavius dennoch nicht seine Elation zu verbergen vermocht, als am Horizont jenes wohlberühmte Glimmen war erschienen, welches nach Stunden des Segelns der Sonne gleich dem Meere war entstiegen, bis endlich der Leuchtturm auf den Pharos war zu identifizieren gewesen, der seit vielen Saecula den Seeleuten ihren Weg in den sicheren Hafen von Alexandreia wies. Indessen hatte sich die lange Dauer der Approximation letztendlich doch als überaus ennuyant erwiesen, da die große Leuchtkraft jenes Monumentes implizierte, dass die Zeit, die ein Schiff vom ersten Glimmen am Horizont bis zum Passieren der Hafeneinfahrt benötigte, mehr denn zwei Tage umfasste, in welchen das Ziel zum Greifen nahe und doch ob jenem beständig immutiert anmutenden Schein schier infinit entfernt erschien.


    Doch nachdem der arme Patrokolos mit unzähligen Nachfragen nach der Dauer ihrer Reise malträtiert worden war, erblickte Manius Minor endlich an einem klaren Morgen die Landmasse der Insel Pharos mit ihren Aufbauten, dann den Pharilion und endlich die Statuen des Ptolemaios I. und seiner Gattin, welche jedoch von einer Machart waren, die dem Jüngling recht hölzern und leblos erschien, so er sie mit der Bildhauerkunst seiner Heimat konfrontierte.
    "Es heißt, der Orient wäre die Wiege der Zivilisation. Wie mir scheint, sind die Skulpturen an jener Wiege verharrt."
    , bemühte er einen kleinen Scherz gegen seinen Diener, welcher höflich lächelte. Doch recht bald fand jenes Sentiment kultureller Superiorität eine Relativierung, als die Corbita in den Kibotos einfuhr, welcher vor Schiffen wimmelte und gar den imposanten Hafen zu Ostia beschämte. Dahinter erblickte er eine stadienlange Mauer mitten durch das Wasser, welche, wie er der Lektüre entnommen hatte, von Divus Iulius vor mehr als einem Jahrhundert war zerstört worden. Insonderheit bot indessen die Stadt selbst, welche sich rings um das gesamte, unermessliche Hafenbecken legte und somit jeden Digitus des Horizontes einnahm, eine bleibende Impression, die den Jüngling zum Schweigen nötigte.
    "Mehercle!"
    , entfleuchte es ebenso Patrokolos, denn Similäres war auch ihm zweifelsohne niemals vor Augen getreten.

  • Einige Zeit später vertäuten die Seeleute die Dido an einem der zahllosen Piers, woraufhin ihr nobler Passagier, obschon noch immer gänzlich von der Impression jener glanzvollen Stätte okkupiert, sich bereits anschickte, die Laufplanke zu betreten und damit auch den Boden jener Metropole unter den eigenen Füßen zu verspüren, als mit einem Male eine Schar römischer Soldaten sich ihm entgegenstellte.
    "State! Kli! Alles bleibt stehen!"
    brüllte der Centurio an ihrer Spitze und repetierte seine Anweisung in diversen Sprachen, derer der Jüngling keiner mächtig war (obschon er jene in gossenhaftem Hellenisch doch zu verstehen imstande, selbiges zu reproduzieren hingegen inkapabel war). Sofort erblickte der Kommandeur sodann den jungen Flavius und zeigte mit finsterem Blick auf ihn.
    "Du da! Mitkommen!"
    "Dies ist Manius Flavius Gracchus Minor, der Sohn eines-"
    , bemühte sogleich Patrokolos Unheil von seinem Herrn fernzuhalten, doch der Centurio musterte den Sklaven lediglich despektierlich und intervenierte, ehe dieser seinen Satz mochte vollenden, mit spöttischen Worten:
    "Das werden wir sehen! Du kommst auch gleich mit!"
    Eine gewisse Furcht verbreitete sich im Geiste Manius Minors, da er doch nimmermehr hatte geahnt, dass jene von Ferne so strahlende, kultiviert sich ausnehmende Stadt ihn auf derart unkultiverte und harsche Weise wollte empfangen, doch angesichts der Perspektive, hiesig römische Soldaten vor sich zu haben, gelang ihm doch sein Missbehagen hinabzuschlucken und sich widerstandslos in die Hände der Kontrolleure zu begeben.


    Somit fand er sich nicht viel später in einer ausgedehnten Halle, erfüllt vom Geschnatter zahlloser Personen sämtlicher Herren Länder, welche augenscheinlich einer intensiven Kontrolle bedurften, ehe sie die Erlaubnis zum Betreten der Stadt erhielten. Zumindest gelang es indessen Patrokolos nach einigen Anläufen, die ebenso quiritischen Bedienten jener Behörde zu überzeugen, mit dem Sohn und Erben eines Senators (sofern dies noch der Fall war, wie der junge Flavius schwermütig im Stille bedachte, als er jene Beteuerungen vernahm) eine derart bedeutsame Persönlichkeit vor sich zu haben, dass sie außer der Reihe sogleich war zu inspizieren.


    Und somit nahm der Jüngling kurz darauf in einem winzigen Officium am Ende der Halle seinen Platz auf einem überaus unkomfortablen Hocker, ihm gegenüber einen säuerlich dreinblickenden Beamten mit einem negligablen Bart, welcher sogleich begann ihn zu interrogieren, ein:
    "Name?"
    "Dies ist Manius Flavius Gra-"
    , mühte erneut Patrokolos zu intervenieren, was diesmalig indessen neuerlich mit einem wegwerfenden Gestus und einer verächtlichen Replik des Beamten wurde gewürdigt:
    "Ich habe ihn gefragt! Also, junger Mann: Name, Herkunft!"
    "Mein Name ist Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des Senators Manius Flavius Gracchus, aus dem Tribus Velina."
    , ergriff nun Manius Minor selbst das Wort, dabei sich seiner Liberalia entsinnend, wo similäre Fragen, damalig seitens eines Scriba des Tabularium, an ihn waren gerichtet worden, wobei er sich diesmalig seines geschliffenen Hellenisch bediente, da Intonation und Akzent des Beamten vermuten ließen, dass das Hellenische ihm weitaus familiarer war denn das Lateinische, dessen er sich bemühte.
    "Also aus Rom."
    , fuhr der Beamte indessen unbeirrt in seinem minderen Latein fort, als beharre er auf seine sprachliche Potenz auch in dieser Zunge, was der Jüngling neuerlich auf Hellenisch aufgriff:
    "In der Tat."
    "Senatoren ist die Einreise in die Provinz nur mit schriftlicher Erlaubnis des Kaisers gestattet."
    , erwiderte nunmehr der Beamte und präsentierte ein dümmliches, triumphales Grinsen, welches wiederum den jungen Flavius ein wenig derangierte:
    "Ich bin kein Senator."
    "Manius Flavius Gracchus ist ein römischer Senator!"
    , lautete nunmehr das Widerwort des Beamter, der zur Konfirmation seiner These eine Rolle hervorholte, welche sämtliche römische Senatoren verzeichnete, und auf die Kapitale F deutete.
    "Aber das ist der Vat-"
    "Du bist nachher dran, Sklave!"
    , traversierte der Beamte neuerlich Patrokolos' Mund und gab einem im Abseits wartenden Soldaten ein Zeichen, woraufhin dieser unter dem entsetzten Blick des jungen Flavius den nunmehr zeternden Sklaven gewaltsam hinauskomplementierte. Allein verblieb Manius Minor zu Füßen jenes augenscheinlich in diesen Hallen omnipotenten Bürokraten zurück, welcher genüsslich sich an der Furcht des Jünglings weidete.
    "So, Bürschchen, bist du nun der Senator Manius Flavius Gracchus oder nicht?"
    Obschon die Hypermetropie dem junge Flavius ersparte, das lückenhafte Gebiss jenes Amtmannes, welches dessen Lächeln zu einer abscheulichen Fratze verzerrte, zu identifizieren, verspürte er recht deutlich die Intention, ihn einzuschüchtern, was wiederum, wie er genötigt war zu erkennen, aufs Vortrefflichste gelang. Nur stammelnd erfolgten so seine Repliken:
    "Ich... ich bin Manius Flavius Gracchus Minor. Mein Vater ist der Senator, ich bin nur... sein Sohn."
    "Ach, dann bist du also der Sohn deines Vaters, soso! Und was tust du hier in Aegyptus, der Provinz des Kaisers?"
    Selbstredend war dem Jüngling wohlbewusst, was der Grund für die Restriktionen hinsichtlich des Kaisers eigener Provinz war, zumal selbige erst kurz vor seinem Aufbruch aus Rom im Kreise der flavischen Familie waren disputiert worden, doch vermochte er nicht recht zu ergründen, wie es zu bewerkstelligen sei, seine Präsenz an diesem Orte zu plausibilisieren, da doch diese eben darin war begründet, dass er geradezu am weitestmöglichen Punkt entfernt von der Präparation einer Rebellion im Interesse seines senatorischen Vaters sich befand und Alexandria nichts anderes denn ein neuerliches Exil von seiner Vaterstadt, dem Schoße der Familie und den karrieristischen Optionen in der hohen Politik repräsentierte.
    "Naaa?"
    , intensivierte der Beamte den Druck, nachdem der junge Flavius in ratloses Schweigen sich hüllte, während im Stillen er noch um Worte rang.
    "Ich... ich... bin auf Bildungsreise!"
    , hastete er endlich, sich der offiziösen Legitimation seiner Entsendung entsinnend, hervor, was indessen aufs Neue unvermittelt durch eine Gegenfrage wurde erwidert:
    "Eine Bildungsreise? Welchen Philosophen willst du denn hier hören?"
    Doch wie mochte man dies beantworten, wo der Jüngling doch primär in Trübsinn sich hatte gehüllt, nachdem seine Exilierung war verkündet worden, sodass er kaum die Potentiale seiner Reise in das Herz der Gelehrsamkeit hatte ergründet, ja keinen einzigen alexandrinischen Philosophen im Vorfeld studiert oder lediglich hatte ermittelt.
    "Nun... ich weiß nicht... am Museion würde ich mich inskribieren."
    "Wohl einer dieser Pro-Forma-Studenten, die die Freiheit der Wissenschaft genießen wollen und tatsächlich nur hübschen Knaben hinterhersteigen?"
    , entgegnete der Beamte mit einem spöttischen Timbre, dass selbst ein weniger hinsichtlich der Nuancen emotionaler Stimmeinfärbung Gebildeter den Hohn hätte exzerpieren können. Der junge Flavius indessen erblasste vor Scham, da eine derartig rüde Behandlung ihn bisherig nahezu niemals, insonderheit vonseiten der Behörden hatte getroffen.
    "Ich... ich..."
    , stammelte er so, inkapabel einer adäquaten Erwiderung, obwohl unter der Schale der Furcht bereits eine gewisse Empörung den Weg sich bahnte, da doch jenes winzige Rädchen im System des Staatskörpers es hier wagte, seine Willkür mit einem prädestinierten Lenker jenes Gebildes zu treiben, sodass der Vorsatz in dem Jüngling reifte, sich umgehend diesbezüglich an allerhöchster Stelle zu beschweren, sobald die Gefahren des Augenblicks waren gebannt. Sobald. Denn bis dahin verharrte Manius Minor in einem sichtlichen Ringen um Worte, welches der Beamte endlich mit einem Schulterzucken und einem erlösenden Kommentar bedachte:
    "Mit diesem Gestotter wirst du zumindest keine Verschwörung zustandebringen. Also weiter: Hat der kleine Bildungsreisende, der keine Lehrer hier kennt, wenigstens ein paar Schriftstücke dabei?"
    "Ja."
    "Und die wären?"
    "Nun... die Reden des Isokrates, Ciceros Orator und..."
    , mit leichter Panik gewahrte der Jüngling, dass ihm, welcher für gewöhnlich imstande war, seine gesamte private Bibliothek zu memorieren, in jener Situiertheit außerstande sich fühlte, selbst die Präsente seiner Anniversarien und sonstiger Festivitäten der letzten Jahre hervorzubringen.
    "Also Klassiker, die die Bibliothek des Museion sowieso schon hat."
    , ersparte der Beamte endlich weiteres Spintisieren und machte eine gewerfende Geste, wobei er den gleich einem Dolch gezückten Stylus fallen ließ.
    "Wie lange willst du hier bleiben für deine Bildungsreise?"
    Die Dauer jenes Aufenthaltes war, wie dem jungen Flavius schlagartig in den Sinn kam, niemals terminiert worden, da sie ja, wie er unterstellte, ein ewiges Exil sollte darstellen, was wiederum aber kaum jenen Bürokraten vor sich würde saturieren, sodass neuerlich lediglich ein befangenes Stottern aus seinem Munde sich wagte:
    "Ich... ich weiß nicht."
    Verächtliches Schnauben war die Replik des Beamten, doch noch ehe dieser ein weiteres Wort mochte formulieren, öffnete sich die Tür des Officiums und ein Centurio, gefolgt von einem triumphal lächelnden Patrokolos, betrat den Raum. Mit einem knappen Satz bedachte er den Beamten:
    "Der Junge ist sauber. Er is' ein Freund von Sulpicius Cornutus!"
    , sodann ergriff er die Schulter des Jünglings und drehte ihn auf dem Schemel zu sich, sodass Manius Minor nun in das verschwitzte Antlitz eines Soldaten in voller Montur blickte.
    "Hättest du das gleich gesagt, hättest du dir den ganzen Ärger erspart!"


    Einen Augenschlag später fand der junge Flavius sich gemeinsam mit Patrokolos in einer Sänfte, flankiert von einer Eskorte von Soldaten wieder, die auf raschestem Wege ihm einen Weg durch die überfüllten Straßen Alexandrias bahnten...

  • Die Sonne hatte noch nicht den Horizont erklommen, als eine kuriose Karawane die Xenai Agorai durchzog und auf die Hafenanlage zuhielt, wo die Schiffe sich zum morgendlichen Auslaufen parat machten. Die Vorhut konstituierte Diogenes, der Ianitor und multifunktionelle Funktionär des sulpicischen Gesindes, in Händen ein gesiegeltes Schreiben seines Herrn, sodann folgten Manius Minor und Patrokolos, noch schlaftrunken und nebulös ob der in der Nacht annihilierten Opium-Vorräte, ihnen wiederum weitere Sklaven, welche die Habseligkeiten des jungen Flavius transportierten. Nachdem sie kurze Zeit zuvor waren aus dem Delirium gerissen worden, hatte Diogenes sie zum Aufbruch genötigt, ohne dass Sulpicius Cornutus den beiden nochmalig die Ehre eines Zusammentreffens hatte gewährt, was indessen dem brenolen Jüngling nicht unwillkommen war gewesen, da doch ein wenig Blümeranz seine psychisch bedingte ohnehin mäßige Konstitution trübte.


    Augenscheinlich hatte Diogenes bereits im Vorfeld sämtliche Formalitäten klarifiziert, denn anstatt auf die Hafenkommandantur zuzuhalten, führte er zügigen Schrittes die neuerlichen Exilanten (diesmalig in die konträre Direktion) zu einem der Piers, wo eine bauchige Cybaea soeben augenscheinlich die finale Ladung aufnahm.
    "Wo ist der Kapitän?"
    , befragte Diogenes einen der Matrosen, welcher stumm auf die Planke deutete, auf der die Arbeiter in langen Reihen Säcke hinauftransferierten, was der Sklave wiederum zum Anlass nahm, sich dem Jüngling und seinem Diener zuzuwenden.
    "Kommt gleich mit!"
    Im Gänsemarsch schob das Triumvirat sich an den Werktätigen vorbei nach oben, um endlich die Reling zu übersteigen und sich auf dem Deck des großen Transportschiffes wiederzufinden. Unschwer war zu deduzieren, dass jene schmale Gestalt, welche achtern über einen Plan gebeugt mit einem kräftigen Ägypter debattierte, zum leitenden Personal jenes Fahrzeuges war zu zählen, sodass man auf diesen zuhielt.
    "Chaire, Kapitän! Ich bringe dir die vereinbarte Fracht"
    , salutierte Diogenes den schmalen Seemann, während Manius Minor und Patrokolos ob der irritierenden Titulatur ihrer selbst als Frachtstücke vorerst lauernd schwiegen, zumal der vorgebliche Kapitän sie seinerseits nicht eines Wortes würdigte, sondern lediglich vorwitzig begaffte (zumindest vermeinte der junge Flavius einen derart qualifizierbaren Blick auf sich zu spüren, da das Antlitz seines Gegenübers aus jener Distanz lediglich ein Scheme war, dessen Interpretation lediglich auf Spekulation beruhen konnte) und endlich in disrespektierlicher Manier begrüßte:
    "Have, me'n Jung'!"
    Ehe ein Dialog zwischen Passagier und Kapitän sich zu evolvieren possibel wurde, mühte sich indessen Diogenes, seinen Auftrag zu vollziehen, indem er den gesiegelten Brief vorstreckte:
    "Hier ist der Brief. Du darfst ihn nur persönlich an Consular Manius Flavius Gracchus überreichen. Auf keinen Fall darf er in die Hände deiner beiden Passagiere geraten!"
    "Ajo, ke'n Problem, Mann!"
    , replizierte der Kapitän in leutseligem Singsang, was augenscheinlich Diogenes zu eindringlicheren Worten motivierte:
    "Mein Herr schickt diesen Brief zusätzlich auf anderem Wege! Wenn dieser Brief Consular Flavius nicht erreicht oder nicht mit dem übereinstimmt, was mein Herr geschrieben hat, wird dies bekannt werden. In diesem Fall wird mein Herr dir die vereinbarte Prämie nicht auszahlen!"
    Die raschen Blicke, welche Diogenes bei diesen Worten auch ihm zuwandte, ließ Manius Minor vermuten, dass selbige nicht lediglich an die Adresse des Kapitäns, sondern ebenso an ihn selbst gerichtet waren, um ihm jedwede Hoffnung zu rauben, vor Manius Maior den zweifelsohne wenig charmanten Inhalt jenes Schreibens in Erfahrung zu bringen oder gar zu manipulieren. Indessen verspürte der Jüngling zu jenem Zeitpunkt ohnehin keine Motivation, durch Betrügereien um das eigene Schicksal zu feilschen, weshalb er gleichmütig den Blick zu Boden senkte.
    "Jou, jou, is' klar!"
    , konfirmierte der Kapitän ein finales Mal, ehe Diogenes augenscheinlich saturiert sich verabschiedete und das Schiff ohne ein einziges Wort des Abschieds an den jungen Flavius oder seinen temporären Gesindegenossen Patrokolos verließ. Zurück blieben selbige, betreten sich anblickend und dabei von einem unerquicklichen Gefühl der Desillusion bewegt, da doch augenscheinlich die Freundlichkeit und Cordialität jenes Sklaven, welcher Tag um Tag sie in die Domus Sulpicia hatte eingelassen, bisweilen gar ein vergnüglichen Scherzlein hatte gerissen, auf keinerlei personaler Zuneigung, sondern vielmehr in nackten Pflichtgefühl hatte bestanden, sodass nun, da sein Herr den Gästen die Gunst hatte entzogen, lediglich geschäftsmäßige Ignoranz verblieb.


    "Na denn woll'nwer mal euer Gepäck verstau'n, nich' wahr?"
    , riss endlich der Kapitän Manius Minor aus der Lethargie.
    "'Ne Kajüte ha'm wir nich' so richtig hier an Bord, muss ich sag'n. Aber ich sach' ma', wir stell'n euch zwei Landraddn 'n kleenen Unterstand auf Deck, nich' wahr?"
    Jene Cybaea, welche sie nach Italia würde transferieren, war offenbar keineswegs für den Transport von Passagieren präpariert, was nahe legte, dass in der Tat es sich um das erstbeste Schiff mit der passenden Destination handelte, zugleich jedoch implizierte, dass es keinerlei Annehmlichkeiten für die Passage würde bieten.
    Manius Minor ließ einen langgezogenen Seufzer vernehmen.

  • Als der junge Flavius das ärmliche Zelt vor sich erblickte, welches für die fünfzehn bis zwanzig Tage sein Heim sollte repräsentieren, fühlte er sich genötigt, sämtliche Hoffnungen auf eine lediglich halbwegs komfortable Fahrt fahren zu lassen, denn in seinen Maßen wie seinem Interieur differenzierte es sich nicht im geringsten von jenen Zelten, mit welchen er auf seiner Flucht aus der Flucht hatte Bekanntschaft gemacht. Obschon in seinem Falle lediglich Patrokolos und er statt einem ganzen Contubernium ihr Nachtlager darin würden verbringen, so fehlte es doch bereits an basalen Annehmlichkeiten wie Kissen, Polstern oder gefütterter Decken, sodass sie mit abgewetzten Decken degoutierlichen Odeurs würden Vorlieb nehmen müssen. Schon jetzt vermochte er zu antizipieren, welch displaisierliche Posituren dies im Schlafe würde evozieren, was wiederum am folgenden Tage ihm zweifelsohne hier und da Missbefinden würde bereiten.


    Manius Minor seufzte somit herzlich und wandte sich von jenem Trübsal ab, um nun, da das Schiff Fahrt aufnahm, zumindest einen letzten, melancholischen Blick auf die imposante Silhouette Alexandrias zu werfen; jener Stadt, die so viel ihn gelehrt hatte und der doch den Rücken zu kehren sein nunmehr unumstößliches Schicksal war. Mit zunehmender Distanz von den Anlegestellen kamen immer mehr Orte vor sein Angesicht, welchen er sich affektiv zutiefst verbunden fühlte: Vor ihm lagen die Xenai Agorai, welche soeben er ein wohl letztes Male überhaupt, zugleich aber das erste Male vor Öffnung der zahllosen Stände und Buden hatte durchquert, obschon unzählige Male er dort mit den Myrmidonen war flaniert, um dekorative Pretiosen oder exquisite Köstlichkeiten zu erwerben. Sodann erblickte er zur Linken das Basileia-Viertel, welches nur ein einziges Mal er hatte visitiert, um dem großen Alexander seine Referenz zu erweisen, indessen lediglich um zu erkennen, dass selbst der Ruhm jenes Heroen so brüchig war wie die Nase seiner Mumie. Über den Dächern der uniformen Wohnhäusern ragte ebenso das Paneion hervor, in dessen immediater Nachbarschaft die Domus Sulpicia sich befand, jener Oikos, welcher ihm nicht viel mehr an Diensten hatte erwiesen als die kostenfreie Logis eines Gasthauses, da doch niemals er einen Draht zu dessen Hausherrn hatte spinnen können, sodass endlich jener gestrige Eklat womöglich inevitabel war gewesen. Mit größerer Distanz vermochte er sodann auch am Antirhodos vorbei auf das politisch-kulturelle Zentrum der Polis zu blicken, wo vornehmlich er seinen Aufenthalt hatte gepflogen, sei es im Museion, welches ihm den weisesten aller Philosophen hatte bekannt gemacht, sei es im Theater, wo er neben dramatischer Kurzweil in die Mysterien politischer Fassaden war investiert worden, sei es das Gymnasion, welches ihm kein Glück hatte geboten. Unweit, wenn auch invisibel hinter den schmucken Fassaden der hafennahen Bauten, lag auch irgendwo das Haus des Dionysios, welches ihm zu einem Heim geworden war, wie es ihm die Villa Flavia Felix nie geworden zu sein schien, da er hiesig doch zu jeder Zeit in sämtlicher Unzulänglichkeit, aller Missstimmung und jeder noch so kleinen Freude, die das Leben hier ihm hatte offeriert, war akzeptiert gewesen, selbst wenn manche Vorgänge jenes verschworenen Männerbundes, seiner Myrmidonen, mitnichten sein unlimitiertes Placet hatte gefunden. Dort schlummerte Dionysios zweifelsohne noch im Schlaf der Gerechten, womöglich auch Anaximander, Epimenides und all die anderen, die im Rausche des vorigen Abends bei der alltäglichen Mission, ihren Weg ins heimische Bett zu finden, wieder einmal nicht reussiert hatten.


    All dies würde Manius Minor fortan verwehrt bleiben, ja er würde all jene wundervollen Kommilitonen, seine wackeren Mitpatienten des vierfachen Heilmittels Epikurs, wohl niemals wiedersehen, so eine gnädige Laune der Tyche, der wohl einzig wahrlich wirksamen Göttin des Pantheon (so man den unbestechlichen Zufall wollte personifizieren), sie nicht würde an einem anderen Orte vereinen. Obschon er seine Myrmidonen wie nahezu jeden Menschen seit seiner Kindheit niemals in sämtlichen Konturen aus der Nähe hatte in voller Konturiertheit erfassen können, so standen ihre Antlitze ihm nun doch imaginär mit größter Schärfe vor Augen, vom tumben Lachen Dionysios' bis hin zum altklug rezitierenden Epimenides.
    Während er so all dieser Recken gedachte, detektierte er mit einem Male eine neue, reale visuelle Inkapazität, denn die Silhouette des immer kleiner werdenden Alexandreias verschwamm vor seinen Augen, als bewege er sich auf die Stadt zu, anstatt von ihr weg.
    Erst Patrokolos' stupende Interjektion:
    "Du weinst ja!"
    , ließ ihn die Ursache jener Dysfunktion erkennen und rasch wischte er sich einige Tränen aus den Augen, um doch zumindest den letzten Blick auf diesen Hort seines Lebensglücks so lange als möglich in bester Qualität zu degustieren. Deplorablerweise nahmen jedoch sogleich neue Tränen den Platz ihrer Präzedessoren ein, vermehrten gar ihre Zahl und traten endlich von selbst aus den glasigen Augen des jungen Flavius ihren Weg über die feisten Wangen und das Kinn hinab zur Erde an.
    "Wir werden sie niemals wieder sehen!"
    , lamentierte der Jüngling mit miserablem Timbre, tremorierte erschüttert von jenen heftigen Emotionen und warf sich endlich an die Schulter seines Freundes und Dieners, um seinen Schmerz zumindest vor den emsig die Segel setzenden Matrosen zu verbergen.

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