[canabae] Casa Tintilla - Hinterhaus

  • Zum dritten Mal seit seiner Rückkehr hatte Malleus all seine Habseligkeiten durch die Gassen von Mogontiacum geschleppt, und wieder einmal erfüllte es ihn mit Genugtuung, im Laufe von fast fünfzig Jahren gerade einmal so viel Ballast angesammelt zu haben, wie in einen großen Getreidesack passte. Die Pferde natürlich ausgenommen. Für die meisten Bürger war so ein Umzug eine große Sache, die geplant werden musste und sich über Tage hinziehen konnte. Er dagegen brauchte nur seinen Sack zu schultern und sich auf den Weg zu machen. Nach dem Haus seines Bruders im nördlichen Vicus, Bulbus’ Koben am südöstlichen Mauerbogen und dem Gästezimmer beim Apollo-Tempel hatte ihn dieser Weg nun zum östlichen Rand der Canabae geführt. In einen rückwärtigen Anbau der Casa des Goldschmieds Tintillus Eburnus.
    Thilo, Bulbus’ Stallbursche und zugleich Malleus’ heimlicher Kundschafter, hatte herausgefunden, dass Tintilla Cynane, die Gemahlin des seit Monaten siech darniederliegenden Goldschmiedes einen neuen Untermieter suchte. Nicht irgendeinen windigen Durchreisenden, wie Cynane bei ihrem ersten Gespräch klargestellt hatte, sondern ein gestandenes Mannsbild, dessen Präsenz eine abschreckende Wirkung auf nächtliche Besucher ausüben sollte. Malleus’ Einwurf, er stehe bereits in einem Dienstverhältnis und gedenke nicht, sich eine zusätzliche Tätigkeit als Nachtwächter aufzuhalsen, war mit einem sanften Lächeln abgetan worden. Es reiche ihr völlig, hatte Cynane ihn beruhigt, wenn sich herumspräche, dass der bescheidene Verschlag nun von einem baumhohen Veteranen – noch dazu dem Custos Corporis des Aedilen Helvetius – bewohnt werde. Da sich die Miete in einem durchaus angenehmen Rahmen bewegte, und das Gästezimmer des Cultus nur eine zeitlich begrenzte Übergangslösung darstellte, hatte Malleus die Gelegenheit sofort beim Schopf gepackt und sich noch vor Inspektion des Objektes als neuer Mieter empfohlen. So lange es nicht durch’s Dach regnete und sich die Tür absperren ließ, war ihm auch die windschiefste Bruchbude recht.


    Was er dann noch am selben Abend bezog, war allerdings weder eine Bruchbude noch ein bescheidener Verschlag sondern ein solide aus Lehm und Balken gebautes einräumiges Hinterhaus. Die ehemalige Werkstatt von Tintillus Eburnus. Hier waren dessen erste Preziosen entstanden, ehe er den Betrieb vergrößert und in ein weiträumigeres Gebäude unweit des Forums verlagert hatte. Trotz dieser unerwartet positiven Entwicklung war Malleus nicht ganz wohl bei der Sache. Hatte er einfach nur verdammtes Glück oder war ihm ein essentieller Makel entgangen? Brummend warf er seinen Sack auf das knarzende Ledergeflecht der Holzpritsche und sah sich um. „Das Dach ist dicht, oder?“
    Tintilla Cynane stand in eine dicke Palla gehüllt an der Tür und betrachtete ihren künftigen Mieter mit undeutbarer Miene. „Das Dach? Aber ja. Selbstverständlich.“ Gut. Das Dach war es also nicht. Was war es dann? Für diesen großzügigen Wohnraum war die vereinbarte Miete geradezu lächerlich. Wo war der Haken? Mit nur mühsam verhohlenem Misstrauen im Blick ging Malleus in seiner neuen Wohnstatt auf und ab, betastete die Lehmwände – trocken, öffnete die Fensterläden – leichtgängig, klopfte die Deckenbalken ab – betagt aber noch immer massiv. Natürlich war es nicht allzu klug, noch einmal nachzufragen, er tat es trotzdem. „Und du bist dir mit der Miete wirklich sicher? Halt’ mich für einen Narren, aber du könntest hierfür gut und gerne auch das Doppelte verlangen. Ich meine .. sicher, es sagt mir zu, zweifellos .. aber ich möchte nicht in den Verdacht geraten, dich über den Tisch ziehen zu wollen.“
    Diese Bemerkung erheiterte die bislang eher ernst wirkende Frau sichtlich. „Mich über den Tisch ziehen?“, schmunzelte sie mit leichtem Spott in der tiefen Stimme. „Sicher nicht.“ Malleus nickte zögernd. Letztlich war es ihre Sache. Wenn hier ein Aussätziger gehaust hatte oder das Häuschen über dem Grab eines Verfluchten errichtet worden war, musste sie ihm das ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Cynane schien seine Gedanken erahnen zu können und setzte amüsiert zu einer Erklärung an. „Die Mieteinnahmen sind zweitrangig. Das Geschäft floriert. Sogar ohne meinen Mann. Derzeit arbeiten fünf Gesellen und drei Lehrjungen in unserem Betrieb. Ich muss also nicht vermieten, um über die Runden zu kommen. Dass ich es doch tue, geschieht aus Gründen, die ich bereits erläutert habe.“ Gewiss, das hatte sie. Neben ihrem kranken Gatten, zwei Töchtern und einer Dienstmagd wollte sie einen richtigen Kerl im Haus haben, da hatte Malleus sie schon richtig verstanden. Die Frage war, ob sie ihn ebenfalls verstanden hatte. „Wie ich schon sagte, Tintilla Cynane, ich suche eine Bleibe, keine Anstellung.“ Ihr Schmunzeln wurde noch breiter. Zwischen ihren anmutig geschwungen Lippen blitzten zwei ebenmäßige Zahnreihen hervor. „Das trifft sich, Cossus Malleus, ich biete auch keine Anstellung.“ Mit einem tonlosen Lachen zog sie sich die Palla enger um die Schultern und schritt durch die Tür nach draußen. „Möbel werden sich sicher nach und nach auch noch auftreiben lassen. Richte dich erst eimal notdürftig ein. Gute Nacht.“ Dann war sie weg. Seltsames Weib, ging es Malleus durch den Kopf. Bei Tintilla Cynane versagte sogar seine an sich sehr verlässliche Menschenkenntnis. Er hätte nicht einmal sagen können, wie alt die Dame des Hauses tatsächlich war. Einerseits war ihr anzusehen, dass sie schon einiges durchgemacht haben musste, andererseits wirkte sie in manchen Augenblicken wie ein lebenshungriges junges Ding, das sich gerade erst anschickte, die Welt für sich zu entdecken. Wirklich sehr seltsam, das alles.

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