[Cubiculum] Krankenlager des Cossus Malleus

  • Gwyn bereitete soeben das große Gästezimmer vor, das vom Atrium abging. Hier würde sich in den nächsten Tages das Krankenlager von Cossus Malleus befinden, der bei dem Angriff auf Curio ebenfalls schwere Verletzungen davongetragen hatte.

  • Es gab Träume, die waren schwärzer als der Tod. Die ließen nichts zurück als nacktes Grausen. Dann gab es welche, die durchflammten den Geist wie ein erstarrter Blitz. Bis in die letzten Winkel. Sogar bis in Schluchten und Grotten hinein, die weit abseits von allem lagen, was man wusste oder kannte. Andere wiederum umspülten einen wie warmes duftendes Öl, wuschen den Frost aus den Knochen, die Narben vom Fleisch und die Verwerfungen von der Seele. Von denen gab es leider viel zu wenige. Die meisten bewegten sich einfach nur träge durch die Zeiten, ließen einen auf Menschen, Orte und Geschehnisse blicken, die man einmal gekannt, gesehen und erlebt hatte. Oder auf ein Leben, das man so nie gelebt hatte, aber hätte leben können, wenn man an dieser oder jener Kreuzung einen anderen Weg gegangen wäre. Manche führten Klage, manche spendeten Trost, manche zeigten die Dinge schlicht wie sie waren, kalt, scharf, blank. Ohne Zierrat, ohne Hülle, ohne Ausreden. Das waren die schlimmsten, fand Malleus. Die scheuerten wie Flusskiesel über den Grund seines Geistes und trieben dort noch lange weiter, bis in den nächsten und übernächsten Traum hinein. Aber auch die gingen, wie alle anderen Träume, irgendwann vorüber.


    Wie lange er sich in diesen vielgestaltigen Gespinsten verloren hatte, vermochte er nicht einmal annähernd einzuschätzen. Jahre? Tage? Stunden? Letztlich spielte es keine Rolle. Das wabernde Knäuel seiner Gedanken hatte sich entwirrt, seine Atemzüge gingen flach aber regelmäßig, das stechende Pochen seiner Wunde erschien ihm durchaus erträglich und sein Körper begann ihm allmählich wieder zu gehorchen. Mehr dufte er zu diesem Zeitpunkt und unter diesen Umständen wohl nicht erwarten. Trotzdem konnte er nicht einfach müßig hier rumliegen. Der Aedil ist in Sicherheit .. Helvetius Curio wird überleben, hatte er Alpina irgendwann sagen hören. Aber das war schon Stunden oder Tage her. Oder Jahre? Er wusste es nicht. Was hieß schon Sicherheit? Was hieß Überleben? Ein einzigen Augenblick vermochte das Unterste zuoberst zu kehren. Daran, was in seiner Abwesenheit alles passiert sein konnte, wollte er gar nicht denken. Musste er aber.


    Brummend fummelte der die schwere Decke beiseite und versuchte, sich aufzurichten. Keine gute Idee. Sofort schienen rotglühende Zangen an seiner Flanke zu zerren, was ihn auf eigentümliche Weise an die Verhörmethoden erinnerte, die er als junger Duplicarius einst gefangenen Dakern und Jazygen hatte angedeihen lassen. So fühlte sich das also an. Interessant. Immerhin – manche der Gefangenen hatten die Tortur überlebt, und was ein verfluchter Daker aushielt, konnte einen Mattiaker ja wohl erst recht nicht umhauen. Angestachelt von purem Trotz gelang es ihm schließlich, den Oberkörper empor zu wuchten und die Beine über die Bettkante zu schwingen. Als er dann aber schnaufend auf den Fußboden hinunter blickte, musste er feststellen, dass keiner da war. Wie Geißblattranken auf einer Klippe baumelten seine Beide über dem Abgrund hin und her. Das war eine Hürde, mit der nicht gerechnet hatte. Da ging es verdammt weit runter, und die plötzlich einsetzenden Sturmböen in seinem Kopf machten die Sache nicht angenehmer. „Scheiße.“ wehte es ihm von den Lippen. „Sachte, Mann, sachte. Wenn du da runterfällst, ist es aus. Und als Leiche nützt du niemandem mehr.“

  • Zitat

    Alpina versorgte die frisch vernähten Wunden mit einem Verband, dann begleitete sie Liam und Bolanus , die Malleus in das Gästezimmer brachten. Dort wollte sie ihm einen schmerzlindernden und schlaffördernden Trank aus Schlafmohntränen verabreichen, den sie zubereitet hatte. Sie hob sachte seinen Kopf und den Oberkörper an. Malleus erwachte und fragte atemlos nach dem Aedil.
    "Der Aedil ist in Sicherheit und ebenso wie du versorgt worden. Ihr beide braucht jetzt viel Ruhe um zu genesen. Schlaf jetzt, tapferer Malleus. Du hast getan was du konntest. Helvetius Curio wird überleben."


    Dann setzte sie ihm den Becher an die Lippen und ließ ihn trinken. Er würde jetzt lang und tief schlafen.


    Was dann passierte, erinnerte sie schwer an ihren Lebensgefährten Corvinus. Mussten eigentlich alle Männer so unvernünftig sein? Das war doch unfassbar. Schwer getroffen, angezählt und doch muss er wieder aufstehen!? Alpina konnte es nicht fassen. Da hatte der Chirurgicus eben noch Schwerstarbeit geleistet und nur einen Augenblick später muss dieser Dickschädel versuchen vom Krankenlager auszubüchsen! Malleus war von ähnlicher Statur wie Corvinus. Für die zarte und kleine Alpina war es also unmöglich ihn am Aufstehen zu hindern, auch wenn sie es nach Kräften versuchte.
    "Halt, Malleus! Du musst liegen bleiben! Hörst du nicht?"


    Ihr vergeblicher Versuch ihn abzuhalten führte allenfalls dazu, dass der angeschlagene und mit Schlafmohntrank angezählte Malleus ins Schwanken geriet. Das fehlte ihr jetzt gerade noch. Wenn er zu Boden fiel würde sie Hilfe brauchen, ihn wieder ins Bett zu verfrachten, ganz abgesehen von den Verletzungen, die er sich zu der Stich- und Schnittwunde noch zufügen würde. Aber an seine Vernunft appellieren? War das nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt?
    "Leg dich sofort wieder hin!" Die Kräuterfrau versuchte es mit einem Befehl. "Sofort! In deinem Zustand hilfst du niemandem! Und wenn du nicht gleich Ruhe gibst, kannst du deinen Leibwächterposten gleich im Hades einnehmen!"
    Diese Unvernunft! Sanft, aber bestimmt, schob sie den großen Mann an den Schultern wieder zurück zum Bett. Die Wirkung des Schlafmohns setzte zwar nicht schlagartig ein, doch würden seine Bewegungen doch sehr bald unkoordiniert werden, da war sich Alpina sicher. Sie wollte sicherstellen, dass er dann dort zu liegen kam, wo sie ihn in Sicherheit wusste. Schon ärgerte sie sich, nicht mehr Schlafmohn genommen zu haben. Doch der hatte auch negative Auswirkungen auf das Luft holen, also musste sie gerade in Malleus Fall sorgfältig dosieren. In ihrem Kopf rotierte es. Zusätzlich noch Baldrian oder doch Mandragora?

  • Wie er da so saß, die Beine über der Kante, den Blick auf das gähnende Nichts unter seinen Füßen gerichtet, schnaufend und schwitzend, fühlte er sich wieder ganz schön mies. Mies und ernüchtert. Ganz so klar wie erhofft, war sein Geist wohl doch noch nicht. Irgendwas lief da nicht ganz rund in seinem wolkigen Schädel. Wie sonst war es zu erklären, dass er den rotbraunen Schopf am Rand seine Blickfeldes zwar registriert, dann aber sofort wieder verdrängt hatte? Zum heißen Pochen über den Rippen, dem schwindelerregenden Fallwind in seinem Kopf und den ohnehin bereits an ihm nagenden Selbstvorwürfen gesellte sich nun auch noch ein quälend schlechtes Gewissen Alpina gegenüber.


    Mit schuldbewusster Miene ließ er ihren Tadel über sich ergehen und wehrte sich auch nicht gegen ihre energischen kühlen Hände an seinen Schultern. Er war dieser Frau zu Dank verpflichtet. Allein schon dafür, dass sie hier war. „Bist du da sicher?“ keuchte er mit schwergängiger Zunge und fragte sich im selben Moment, was bei allen Göttern er damit eigentlich meinte. Abgesehen von dieser wirklich dämlichen Frage ließ er sich aber widerspruchslos zurück auf sein Lager drücken. Das winddurchtoste Haupt wieder in’s Kissen versenkt, fand er endlich Muße für ein schwaches Lächeln. „Saublöde Frage .. natürlich bist du sicher. Entschuldige. Es ist nur so ..“ Die Notwendigkeit, sich ein paar Augenblicke auf die höchst anspruchsvolle Aufgabe des Atmens zu konzentrieren, ließ sein Lächeln schnell wieder schwinden. „.. ich sollte hier nicht liegen .. das weißt du .. hier bin ich so nutzlos wie ein Pferdeapfel.“ Wobei, das stimmte nicht ganz. Mit trockenen Pferdeäpfeln konnte man zur Not die Hütte heizen, mit siechen Leibwächtern nicht. Die qualmten wahrscheinlich bloß und verpesteten die Luft.

  • Überraschenderweise ließ sich Malleus widerspruchslos auf das Bett zurückdrücken. Vermutlich wirkte der Schlafmohn doch schon ein wenig oder war ihm die Schwere der Verletzung bewußt geworden?
    Auf seine Frage ob sie sicher sei, dass Curio überleben würde, antwortete sie nicht. Wer konnte sich dessen schon sicher sein? Das hatten letztlich die Götter in der Hand und nicht sie.
    Die Kräuterfrau konnte sehen, wie schwer Malleus Luft bekam. Sie befürchtete, dass jegliche Anstrengung Gift für den Heilungsprozess war. Der eine Lungeflügel war verklebt, jedes Aufreißen der Gefäße, die das Pneuma im Körper aufnahmen und an die lebenswichtigen Organe weitergaben, minderte seine Überlebenschancen. Alpina war besorgt. Als sich der tapfere Leibwächter dann auch noch als "nutzlos wie einen Pferdeapfel" bezeichnete, musste die Raeterin an sich halten, ihn nicht wie ein Kind in den Arm zu nehmen und zu trösten. Stattdessen bemühte sie sich darum, seine Aussage mit Humor zu nehmen.


    "Ein Pferdeapfel hätte das Leben des Aedils wohl kaum gerettet, Malleus. Und wer weiß, welche Wandlung ein solcher "Rossboin" (*) noch durchmachen kann, wenn er Zeit zur Wandlung und Veredelung hat..."
    Sie versuchte beruhigend zu lächeln. "Nun schließe die Augen und überlass mir die Sorge um Helvetius Curio. Momentan kann ich mehr für ihn tun als du, glaub mir."


    Eine zarte Hand legte sich auf Malleus Augen. Alpina wartete, bis sie sicher war, dass er eingeschlafen war, dann deckte sie den großen Kerl zu und schlich sich aus dem Krankenzimmer.


    Sim-Off:

    (*) raetisch für Pferdeapfel

  • Während Malleus über Alpina’s Worte nachdachte, ebbten die Windböen in seinem Kopf allmählich ab und das Pochen der Wunde wurde zusehends schwächer. Stattdessen begann sich eine angenehme Schwere seines Körpers zu bemächtigen, kroch von den Beinen kommend den Rumpf empor, nistete sich warm in seinem Brustkorb ein und schickte sich an, langsam aber stetig die Kälte aus seinem leergeblasenen Schädel zu vertreiben. Das Leben des Aedilen habe er gerettet, sagte sie. Hatte er das? Ja, vermutlich hatte er das. Aber Curio’s Leben zu retten war ja auch verdammt nochmal das Allermindeste, was man erwarten durfte. Mochte er das Leben des Helvetiers gerettet haben – gut und schön – vor seiner schweren Verletzung hatte er den jungen Burschen nicht bewahren können. Das lag ihm auf der Seele wie Mehltau. Dennoch schien Alpina ihm – dem Leibwächter ihres Schwagers – keine Vorwürfe machen zu wollen, wirkte im Gegenteil beruhigend auf ihn ein und kümmerte sich in einer Weise um sein Befinden, die ihn fast schon anrührte. Susina Alpina, das wusste er, hatte einen guten Ruf. Sowohl in der Stadt als auch in der näheren und weiteren Umgebung. Die trächtigen Weiber vertrauten ihr, und bei denen ging es immerhin sogar um zwei Leben, die sie der kundigen Frau anvertrauen mussten. Malleus selbst tat sich da üblicherweise etwas schwerer. Das letzte weibliche Wesen, dem er sein Leben bedenkenlos anvertraut hatte, war eine Stute gewesen.


    Wieder einmal musste sein Instinkt entscheiden, und der entschied sich eindeutig dafür, Alpina zu vertrauen und zu tun, was sie im Moment für das Ratsamste hielt. „Gut ..“ seufzte er mit schwacher Stimme auf, „In Ordnung .. Alpina .. du hast sicher recht.“ Dann legten sich eine Hand auf seine Augen. Behutsam, leicht und doch bestimmt. Nun merkte er auch, dass ihre Hände gar nicht so kühl waren, wie sie sich an seinen Schultern angefühlt hatten. Die Handfläche und die schlanken Finger über seinen Lidern fühlten sich vielmehr an, als würden sie von klarem reinem Willen durchströmt. Ob sie sich dessen wohl bewusst war? Malleus holte tief Luft, um ihr von seiner Entdeckung zu berichten, formte die Worte, öffnete die Lippen, glitt dann aber davon, ohne sich etwas sagen zu hören.

  • Bevor Alpina zu Bett gegangen war hatte sie noch einmal einen Kontrollbesuch bei Malleus gemacht. Er schlief tief und fest. Der Schlafmohn hatte seine volle Wirkung entfaltet.


    Als sie am Morgen wieder das Gästecubiculum betrat, lag Malleus unverändert auf dem Rücken. Die Raeterin konnte erkennen, dass er schwer atmete. Sie hob seinen Oberkörper ein wenig an, um ihm ein weiteres Kissen unterzuschieben. Die leicht erhöhte Postion sollte ihm das Atmen erleichtern. Die Kräuterfrau legte ihm das Ohr auf die Brust und hörte die pfeifenden Ein- und Ausatemgeräusche. Die rechte Seite schleppte nach, der untere Lungenflügel schien nicht mitzuatmen.
    Alpina seufzte. Sie setzte sich an die Bettkante und betrachtete den schlafenden Leibwächter. Neben dem Bett hatte sie einen Becher und eine Kanne mit einem speziellen Kräutertrank abgestellt. Lungenkraut war darin und Engelwurz. Beides sollte der Regeneration des Schwerverletzten dienen. Ob sie ihn wecken sollte, damit er den Trank zu sich nahm? Es widerstrebte ihr. Schlaf war ein wichtiger Helfer bei allen Arten von Krankheiten.

  • Alpina war gerade bei Curio.
    Runa war wirklich nur kurz bei ihrem Sohn gewesen, hatte ihn an sich gedrückt und ihm erklärt, dass es seinem Vater nicht gut ging und er sehr viel Ruhe brauchen würde. Leif hatte traurig geschaut und nur immer wieder „Dada.“ gerufen. „Runa blutete das Herz. Aber ihr Sohn war in guten Händen und – so hoffte sie zumindest – Curio würde es bald besser gehen, dann könnte Leif auch zu ihm.
    Nun klopfte sie leise an die Tür des Gästezimmers und schob diese vorsichtig auf.
    Malleus schlief. Runa trat einen Schritt näher, schließlich ließ sie sich neben dem Krankenlager nieder. Sie beobachtete seinen Brustkorb, der sich hob und senkte, doch die geräusche die der Leibwächter von sich gab, ließen darauf schließen, dass ihm das Atmen schwer fiel.
    Malleus hatte ihre Mann gerettet nun galt es wohl ihn zu retten. Medizinisch wurde alles für ihn getan. Runa konnte also nur ein tun – die Götter um Hilfe bitte.
    „Ich weiß dir altem Haudegen würde es gefallen mit der Waffe in der Hand in Wallhal Einzug zu halten, aber du wirst hier noch gebraucht.

    Ich bitte um Schutz
    die guten Götter
    der Erde unten,
    des Himmel oben,
    und die hohen Mächte,
    Oh ihr Götter ich rufe euch
    Umgürte heute Maellus
    mit großer Kraft,
    ich rufe die Götter von Himmel und Erde.
    Die Kraft der Asen,
    die Macht der Vanen.
    Asen, Vanen, gebt Stärke und Schutz!
    Donar heile und weihe den Spruch.“


    Leise sprach Runa ihr Gebte und hoffte auf die Hilfe der Götter.

  • Obgleich er noch an der Schwelle zwischen Wachen und Träumen entlang trieb und obwohl er sie nicht hatte kommen hören, wusste Malleus plötzlich, dass sie da war. Ihr Duft verriet sie; jenes erdige herbfrische Aroma von Kräutern und Mixturen, das ihr ebenso zur Natur geworden war wie ihre nachdenklichen Blicke und ihr besonnenes Wesen. Wahrscheinlich nahm sie selbst diese Düfte gar nicht mehr wahr. So wie er bald den Gestank kalten Schweißes und geronnenen Blutes nicht mehr wahrnehmen würde, der von ihm aufstieg. Er hasste es, untätig hier herum zu liegen, hatte mittlerweile aber einsehen müssen, dass ihm für’s erste gar nichts anderes übrig blieb. Die rechte Seite seines Brustkorbes fühlt sich an, als sei er unter ein Pferd geraten. Die bescheidene Ausbeute an Luft, die er der Kühle des Cubiculums abtrotzen konnte, reichte gerade so aus, um klebrigen Dreck auszuhusten und sein Hirn am Laufen zu halten. Ausgedehnte Leibesübungen waren da nicht drin.


    Alpina hatte schon recht. Momentan konnte sie mehr für Curio tun als er. Eine Einsicht, die Malleus ganz und gar nicht schmeckte, die aber nicht von der Hand zu weisen war. Dennoch – es war nicht recht, ihr das alles aufzubürden. Die Behandlung des Aedilen, die Pflege des nutzlosen Leibwächters, die Sorge um Duccia Silvana, die selbst noch nicht gänzlich genesen war. Verdammt viel auf einmal für eine noch junge Frau wie Alpina, mochte sie auch noch so erfahren und belastbar sein. Sie war ein Segen für dieses Haus. Kümmerte sich um alles und jeden. Und wer kümmerte sich um sie? Gewiss, Roderic war da, um sie zu beschützen, Kaeso, um ihr zur Hand zu gehen, die Verantwortung aber konnte ihr keiner abnehmen. Wenn er ihr helfen wollte, blieb Malleus also nur eine Wahl: Er musste tun, was sie sagte, und so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen. Für Stolz und Sturheit war hier kein Platz.


    Der Duft wurde noch intensiver. Malleus konnte spüren, wie sich eine Ohrmuschel auf seine Brust senkte. Warm, weich, gesäumt von widerspenstigen Locken. Einen Augenblick lang war er versucht, seine grobe Pranke auf Alpina’s Schulter zu legen, um ihr anzudeuten, dass sie ihren Kopf noch eine Weile dort lassen und sich etwas ausruhen sollte. So wie er sie einschätzte, hatte sie nicht viel geschlafen in den letzten Stunden. Aber er ließ sein Hand wo sie war. Schon um Alpina nicht zu erschrecken. Schließlich richtete sie sich wieder auf und schwieg irgendwo jenseits seiner geschlossenen Augen vor sich hin. Malleus konnte nicht einschätzen, ob ihr gefiel, was sie gehört hatte. Ihm gefiel es jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil, es ging ihm extrem auf den Geist. Dieses permanente Rasseln und Quietschen in seiner Brust war ihm inzwischen fast lästiger geworden als die Mühsal des Atmens selbst. Zumal in der lähmenden Stille des Raumes.


    Noch immer gab Alpina nicht das leiseste Geräusch von sich. Sie wollte ihn offenkundig nicht wecken, und er wiederum wollte sie glauben machen, dass er schlief. Im Grunde war das dämlich. Aber wenn es sie beruhigte, ihn schlafen zu sehen, wollte er ihr den Gefallen gerne tun. Schwer zu sagen, wieviel Zeit verging, bis sich der Duft von Wald und Kräutern wieder verflüchtigte. Irgendwann roch Malleus nur noch seinen eigenen Schweiß und gab sich mit leisem Bedauern wieder den bizarren Träumen hin, die im Dunkel auf ihn warteten.

  • Untermalt vom unaufhörlichen Knistern seines Atems zogen Bilder ohne Zahl durch Malleus’s nachtdunklen Schädel. Orte, Menschen, Gesichter. Lebende, Tote, Freunde, Feinde und immer wieder – wie auf einem Kinderkreisel verewigt – die grimmigen Züge dieses einstigen Soldaten. Erstarrt in der Bewegung. Das schwere Bleirohr in der Faust. Keiner der Männer, die Malleus in seinem langen Leben getötet hatte, war in seinem Gemüt haften geblieben, keine der erloschenen Gestalten hatte ihn je länger als ein paar Stunden verfolgt. Soldaten dachten über den Tod nicht nach. Sie redeten auch nicht über ihn, weder über den eigenen noch über den ihrer Kameraden. Schon gar nicht riefen sie sich die Gesichter derer in Erinnerung, die durch ihre Hand gestorben waren. Derlei unnütze Gedanken machten nur mürbe und schlugen dem Tod eine Bresche in’s eigene Leben. Was nicht mehr war, durfte verblassen. Je schneller desto besser. Der getötete Angreifer jedoch weigerte sich standhaft, zu verblassen. Mehr noch. Jedesmal, wenn er an Malleus Geist vorbei trieb, waren seine Züge deutlicher und sein Blick spöttischer. Dieser Blick – daran gab es nicht den geringsten Zweifel – würde Malleus noch geraume Zeit erhalten bleiben. So lange nämlich, bis es ihm gelang, herauszufinden, für wen der Kerl letztlich gestorben war. Seine Arbeit war längst noch nicht getan, in gewisser Weise hatte sie eben erst begonnen. Mit nur einem Lungenflügel indes, würde es schwierig werden, die Wahrheit an’s Licht zu zerren. Deshalb musste er die zahllosen Bilder einfach weiterziehen lassen, und sich damit begnügen, zu atmen. Immer weiter und weiter. Immer ein klein wenig langsamer und klein wenig tiefer.


    So verstrich die Zeit. Unendlich langsam und unsäglich monoton. Das allgegenwärtige Knistern wurde allmählich zu einem Flüstern, das Flüstern zum Raunen, das Raunen zu leisen eindringlich gesprochenen Worten. Malleus atmete und lauschte. Weder stammten diese kurzen Sätze aus seinem eigenen Mund noch waren sie an ihn gerichtet. Die Götter waren es, die angerufen wurden – die Asen, die Vanen, schließlich der Schirmer der Welten selbst. Malleus erkannte die gesprochenen Formeln, und auch die Stimme, die ihnen Klang verlieh. Duccia Silvana, die junge Frau des Aedilen, hatte sich neben seinem Lager niedergelassen. Ihr hatte er einen halbtoten Ehemann nachhause gebracht. Sie, die selbst noch geschwächt war von der Geburt ihres Sohnes und nun auch noch um Curio’s Leben bangen musste, hatte sich her begeben, um Kraft für den niedergestreckten Custos zu erbitten.


    Malleus fühlte sich, als dränge der Gladius noch einmal zwischen seine Rippen. Er wollte ihr danken, ihr Trost zusprechen. Gleichzeitig überkam ihn das quälende Bedürfnis, sie um Vergebung zu bitten. Gesund und munter hätte er Curio zu ihr zurückbringen müssen. Unversehrt und voller Tatendrang, so wie er sie am Morgen verlassen hatte. Dass er nicht mehr hatte tun können als er getan hatte, spielte dabei keine Rolle. So lange der wirklich Schuldige nicht ausgemacht war, lag die Schuld bei ihm. Das war nun mal seine Sicht der Dinge. Duccia Silvana’s Fürbitten nahm er mit tiefer Dankbarkeit hin. Die Hilfe der Götter würde er noch verdammt nötig haben.

  • Runa lauschte noch eine Weile den Atemzügen des Leibwächters. Bevor sie das Zimmer verließ beugte sie sich über ihn und gab ihn einen Kuss auf die Stirn, so wie man es bei Kindern gern tat. „Ich werden dir auf ewig dankbar sein. Du hast mir meine Mann lebend nach Hause gebracht. Wer weiß wo er ohne dich wäre. Danke. Werd ja wieder gesund hörst du.“ Sanft strich sie ihm über den Kopf, dann verließ sie auf leisen Sohlen wieder das Zimmer.

  • Etwas später erschien Alpina erneut in Malleus Krankenzimmer. Dass er sich nur schlafend gestellt hatte, als sie zuvor bei ihm gewesen war, ahnte sie nicht. Sie ging aber davon aus, dass die Wirkung des Schlafmohns langsam nachließ. Vermutlich würde er bald wieder Schmerzen haben. Der Trank war inzwischen kalt geworden.
    Erneut überprüfte Alpina die Atemgeräusche und Atembewegungen. Sie tastete den Puls. Der Blutverlust hatte Malleus stark geschwächt. Es würde ein weiter Weg werden bis der Leibwächter ihres Schwagers wieder zu alter Stärke zurückfand. Wenn überhaupt. Alpina zwang sich, positiv zu denken.


    Die Raeterin holte eine Schüssel mit lauwarmem Wasser und Handtücher. Sie begann Malleus von den Resten seiner zerfetzten Tunika zu befreien und ihn zu waschen. Sorgfältig reinigte sie seine Haut von Blut und Schweiß. Dann rieb sie seine Haut trocken. Zuletzt wollte sie ihm eine neue Tunika überstreifen. Ein wenig hilflos sah sie auf den kräftig gebauten Mann. Wie sollte sie das bewerkstelligen ohne ihn zu wecken? Doch den Trank sollte er auch noch zu sich nehmen. Irgendwie musste sie ihn wohl aufwecken...


    In diesem Moment hörte sie das scheppernde Lachen des Chirurgicus vor der Cubiculumtür.
    "Lebt er noch, der Leibwächter des Aedils?" Die Tür flog auf und Publius Gavius Balbus trat ohne einen Gruß ein. Alpina sah ihn ärgerlich an. Konnte er nicht Rücksicht auf den Kranken nehmen?



    Publius Gavius Balbus


    Mit wenigen Schritten war der Chirurgicus am Krankenbett. Er hielt die Nase über den Becher mit dem Kräutertrank. "Puh!" angewidert verzog der hagere Wundarzt das Gesicht. "Ekelhaft! Und davon soll er gesund werden? An deiner Stelle würde ich mir gut überlegen ob du das wirklich trinken willst, Mann!"
    Er ließ seine Hand auf die Schulter des Verletzten fallen. Durch Malleus nackte Haut vernahm man es als lautes Klatschen. Balbus schob die Hebamme beiseite. "Lass mich mal her, Frau!"


    Ehe Alpina protestieren konnte hatte er sie von der Bettkante geschubst und begann den Verband am Brustkorb zu lösen.

  • Ob es nun Duccia Silvana’s Anrufung der Götter zu verdanken war, Alpina’s Fürsorge oder dem schlichten Umstand, dass er sich bis an die Schwelle zur totalen Erschöpfung gegrübelt hatte – letztlich war es unerheblich. So oder so fühlte Malleus das erste mal, seit er hier lag, wieder eine leise Ahnung von Kraft durch seine Adern geistern, die mit wirklicher Stärke freilich noch nicht viel gemein hatte. Irgendwann, nachdem Silvana das Cubiculum verlassen hatte, war er endlich in einen tiefen traumlosen Schlaf gesunken und wider Erwarten hatte ihm das gut getan. Männer seiner Profession schliefen üblicherweise weder tief noch lange, dafür aber in Situationen und Körperhaltungen, die einem braven Civis nicht das kleinste Quentchen Entspannung ermöglicht hätten. Sich einfach fallen zu lassen, deckungslos ausgestreckt auf einem weich gepolsterten Lectus, dazu noch in einem im Grunde unbekannten Haus, das grenzte für Malleus fast schon an Selbstaufgabe. Aber es konnte tatsächlich helfen. Allerdings machte es die Birne weich.


    Eingelullt von wohliger Wärme und sanftem Frieden nahm er Alpina’s aromatischen Kräuterduft zwar wahr, brachte es aber nicht fertig, die lähmende Trägheit aus Hirn und Muskeln zu vertreiben. Selbst als Alpina sich an seiner Kleidung zu schaffen machte und schließlich sogar mit einem nassen Etwas an ihm herum rieb, kostete es ihn erhebliche Mühe, sich nicht wieder davon treiben zu lassen. Das lag natürlich größtenteils an Alpina selbst. Die einfühlsame Kräuterfrau war in seinem Bewusstsein nicht als Bedrohung abgespeichert, sondern als das genaue Gegenteil davon. Sie weckte zwar seine Sinne, forderte sie aber nicht heraus. So blieb er unter ihren Händen zunächst nur ein Stück schlaffer Sehen und Muskeln, höchst nachlässig kontrolliert von seinem halbwachen Geist. Als aber eine polternde Stimme die Stille durchschnitt und eine fürwitzige Pratze auf Malleus’ Schulter klatschte, änderte sich das. Schlagartig.


    Er hob die Lider, und noch ehe sein Blick sich gänzlich geklärt hatte, fuhr sein Hand nach oben und schloss sich um einen behaarten Männerarm. Vor seinen kalt funkelnden Augen begann sich die selbstgefällige Fratze eines glattrasierten Römers abzuzeichnen. Malleus verstärkte den Druck. So gut es eben ging, mit nahezu tauben Handflächen und zitterndem Arm. „Was soll das werden?“ Keine Antwort. Ohne den Römer auch nur einen Atemzug lang aus den Augen zu lassen, suchte er Alpina’s vertrautes Gesicht am Rand seines Sichtfeldes. „Alpina .. wer ist der Kerl?“

  • Natürlich war es um die von Alpina so wertgeschätze Ruhe geschehen. Ehe sich der Chirurgicus versah, hatte Malleus ihn an der Hand gepackt. Zornig blitze er ihn an. Seine Frage offenbarte, wie schwerwiegend die Verletzung doch gewesen war - Malleus hatte keine Erinnerung an die Behandlung durch den Chirurgicus.
    Sanft und beruhigend versicherte die Raeterin, dass alles in Ordnung sei. "Das ist Publius Gavius Balbus, der Chirurgicus, der dich gestern zusammengeflickt hat, Malleus. Du verdankst ihm dein Leben."


    Sie ahnte, dass es dem tapferen Leibwächter gar nicht schmeckte, was sie ihm gerade offenbarte. Doch Ehre wem Ehre gebührt.




    Publius Gavius Balbus


    Gavius Balbus nickte selbstgefällig. "So ist es, Germane. Du darst froh sein, dass ich die Rippe, die deine Lunge durchborte dahin zurückgebracht habe wo sie hingehört und das Loch in deinem Brustkorb vernäht habe. Ohne mich wärst du jetzt faulendes Fleisch oder ein Häufchen Asche, wenn du der jungen Nymphe hier eine Feuerbestattung wert gewesen wärst."


    Des Chirurgicus´ beißender Zynismus ließ Alpina zusammenzucken. Wollte sie so einem Verbalgrobian wirklich die zarte Seele ihres Gehilfen Kaeso anvertrauen?


    Der Wundarzt sah den Schwerverletzten mit zusammengekniffenen Augen an. "Soll ich jetzt nachsehen, ob du noch davon träumen darfst wieder in die Senkrechte zu kommen oder nicht? Wobei ich mir auch vorstellen kann, dass es sich so nackt wie du bist auch in der Horrizontalen mit einer charmanten Pflegerin aushalten lässt."


    Sein anzügliches Grinsen trieb Alpina die Zornesröte ins Gesicht. "Brauchst du mich noch?", fragte sie den Chirurgicus und wollte sich entfernen.


    "Aber sicher!" war seine promte Antwort. "Die weitere Pflege werde ich schließlich dir überlassen. Wir wollen den Aedil ja nicht zum armen Mann machen, oder?"
    Balbus entfernte die Verbände und drückte an den Wunden herum. Mit einer Sonde aus seinem Instrumentenfuteral untersuchte er die frisch genähte Wunde in der Brust. Zufrieden nickte er. Nun folgte ein Kontrollgriff an den Brustkorb rechts und links, die Pulskontrolle und sein lauschendes Ohr oberhalb der Lunge im Vergleich beider Seiten. Der Chirurgicus richtete sich auf.
    "Nun, Homers Ilias musst du ihm vielleicht nicht mehr vorlesen, aber mit etwas Glück wird er zumindest das Krankenlager wieder verlassen und als Ianitor Dienst tun können. Doch dafür muss seine rechte Lunge erstmal wieder ihren Dienst aufnehmen. Du musst atmen üben, Kerl! Auch wenn´s schmerzt! Du bist doch ein ganzer Kerl, was?"
    Balbus schob Malleus unvermittelt seine Pranke in den Bauch worauf der German zunächst die Luft anhielt um dann tief einzuatmen. Das schmerzverzerrte Gesicht ließ Alpina zusammenzucken. Der Chirurgicus drehte sich zu der Kräuterfrau um.
    "Statt solches Gebräus solltest du lieber Atemübungen mit ihm machen. Wie du es anstellst, dass er tief ein- und ausatmet überlasse ich dir." Wieder grinste er anzüglich und musterte die Figur der Hebamme von oben bis unten. "Es soll ja sehr wirkungsvolle Übungen in der Horrizontalen geben, die zudem nicht allzu unangenehm sind." Schepperndes Lachen begleitete seine Anweisung. "Täglich frische Wundverbände und nur wenn sich die Wunde entzünden sollte, lass nach mir schicken. Kannst du am dies X die Fäden ziehen?"


    Alpina nickte. Der Chirurgicus stand auf. "Dann will ich mal nach dem Aedil sehen."
    Mit einem weiteren Blick von Alpina zu Malleus fügte er noch hinzu. "Du hast enormes Glück gehabt, Germane, und fast möchte ich mit dir tauschen... "
    Mit einem kumpelhaften Schulterklopfen verabschiedete sich der Chirurgicus grußlos von seinem Patienten, packte seine Instrumente und verließ das Cubiculum. Alpina atmete hörbar erleichtert aus. Sie nahm ihren Platz an Malleus Seite wieder ein.
    "Hat er dir weh getan?", fragte sie besorgt.

  • So. Ein Chirurgicus. Malleus fixierte den Römer abschätzend und ließ dann brummend dessen Arm los. Nun gut. Wenn es sich so verhielt wie Alpina sagte, hatte er dem großspurigen Knochenflicker wohl dankbar zu sein. Sei’s drum. Man konnte sich seine vermeintlichen Retter eben nicht immer aussuchen. Als Geste grenzenloser Dankbarkeit schenkte Malleus dem Chirurgicus ein knappes Nicken. Das musste erstmal reichen. Schließlich war noch nicht einmal erwiesen, ob die Wundnaht hielt, geschweige denn, ob darunter wirklich alles war wo es hingehörte. Er hatte in Moesia schon Wundärzte gesehen, die einen Anus nicht von einem Loch im Boden unterscheiden konnten. Dementsprechend begrenzt war sein Vertrauen in diese Zunft. Zugegeben, er selbst hatte mit den Medici bislang immer Glück gehabt, aber das musste ja nicht zwangsläufig so bleiben. Von welchem Schlag dieser Römer war, würde sich erst noch zeigen.


    Dem leutseligen Chirurgicus schienen Selbstzweifel gänzlich unbekannt zu sein. Dem genügte es nicht, seine Kunstfertigkeit unter Beweis zu stellen, nein, dieser Zeitgenosse hielt sich auch noch für einen begnadeten Comicus. Malleus, derben Zoten ansonsten alles andere als abgeneigt, hätte nicht sagen können, was ihm lästiger war – das stechende Gefummel an seiner Wunde oder die abgeschmackten Sprüche des Cinciers. Trotzdem biss er die Zähne zusammen und ließ den selbsternannten Spaßvogel schwafeln. Je ungestörter der seine Arbeit verrichten konnte, desto schneller würde er wieder verschwinden. Ohnehin hatte Malleus, was Zweideutigkeiten, Sticheleien und Schmähungen betraf, ein enorm dickes Fell. Zumindest wenn es um ihn selbst ging. Dass der Chirurgicus seinen Spott auch auf Alpina ausdehnte, nahm er ihm dagegen ausgesprochen übel. Fast noch übler nahm er ihm aber, dass er die Behandlung damit beendete, seinem Patienten die Hand so tief in den Bauchraum zu rammen, als wolle er dessen Rückenwirbel zählen. Ein heißer Druck schoss Malleus vom Bauch an den Rippen empor in die Brust. Seine Lungen entleerten sich mit einem langgezogenen Pfeifen. Vor seinen Auge tanzten Funken. Was für ein Rindvieh! Hatte ihm der Kerl nicht gerade noch an’s Herz gelegt, zu atmen? Wie bitte sollte er atmen, mit fünf knochigen Fingern in der Bauchhöhle? Und überhaupt - er atmete nun schon seit fast fünf Decennia! Er war verdammt geübt darin! Atmen war für ihn keine unlösbare Aufgabe! Das schaffte er im Schlaf!


    Malleus spürte seine Laune in’s Bodenlose sacken und als der große Meister sich zum krönenden Abschluss erneut an einem schalen Scherz auf Alpina’s Kosten versuchte, war der schnaufende Veteran drauf und dran, sich doch noch von seiner undankbaren Seite zu zeigen. Bevor er jedoch einen adäquates Fluch hervorgekramt hatte, war der polternde Chirurgicus verschwunden. Keinen Wimpernschlag zu früh. Malleus glotze noch ein paar Augenblicke wütend auf die geschlossene Tür, nahm dann Alpina neben sich wahr und begann sich zu entspannen. Ihre Frage vertrieb ihm den Zorn augenblicklich. Ob dieser verhinderte Grobschmied ihm weh getan hatte? Sie hatte wirklich Humor, das musste man ihr lassen.
    „Er hat sich jedenfalls .. aufrichtig darum bemüht.“, keuchte er mit einem heißeren Lachen hervor. Noch einmal warf er einen Blick zur Tür, diesmal eher amüsiert als erbost. „Reizender Bengel. Muss ich schon sagen.“ Dann wandte er sich wieder Alpina zu und sah sie lange nachdenklich an. Sie hatte schon so viel getan, weit mehr als er von ihr verlangen durfte, und zum Dank musste sie sich seinetwegen auch noch anzügliche Äußerungen anhören. „Du .. nimmst dir dieses dumme Geschwätz .. doch nicht etwa zu Herzen?“ Wieder zuckte seine Hand unwillkürlich, wieder hielt er sie zurück. „Dieser Cincius .. mag ja ein ganz passabler .. Chirurgicus sein .. aber darüber hinaus .. weiß er gar nichts. Er sieht nicht ..“ Ein trockener Hustenanfall schüttelte ihn kurz durch, legte sich aber schnell wieder. Atmen. So war es doch, richtig? Atmen. Vollidiot! „Er sieht nicht, wer du bist. Der sieht nur .. wer er selbst ist .. verstehst du?“ Diesmal ließ er seine Hand gewähren und strich Alpina tröstend über den Arm. „Andere sehen das aber .. sehr wohl.“

  • Da wollte doch eigenetlich Alpina den schwer verletzten Leibwächter trösten und von ihm wissen, ob die grobe Behandlung durch den Chirurgicus ihm zugesetzt hatte und dann war es Malleus, der sie tröstete. Die Raeterin lächelte bitter.
    "Ich bin es gewöhnt, dass man zotige Witze über mich reißt." Sie dachte an die Freigelassene Phryne, die keine Gelegenheit ausließ über sie herzuziehen. "Es ist ja schon ungewöhnlich, dass eine Frau einem Beruf nachgeht und die Profession der Hebamme und Kräuterkundigen wird besonders skeptisch beäugt. Denn wer weiß, welche Pflanzen einen Menschen gesund machen, weiß in der Regel auch, welche einen ins Schattenreich befördern. Dazu kommt, dass ich die meiste Zeit alleine bin. Das reizt die Leute, Gerüchte in die Welt zu setzen und mir ständig irgendwelche Affären anzuhängen. Dass so ein Raubein, wie dieser Chirurgicus da Witze auf meine Kosten macht, ist noch das Wenigste. Und ja, du hast recht. Er sieht nur sich selbst."


    Der Hustenanfall ließ Alpina zusammenzucken. "Du sollst dich nicht so anstrengen, Malleus. Wenn du etwas brauchst, dann vor allem Ruhe. Ich habe dir hier einen Trank gemacht, der dich und deine Lunge stärken soll. Trink ihn bitte. Wie ist es mit Schmerzen? Ich kann dir nocheinmal eine Dosis des Schlafmohns geben. Er wirkt zuverlässig gegen die Schmerzen und lässt dich tief schlafen. Das ist kein Heilmittel, das man dauerhaft anwenden darf, aber in den ersten Tagen nach so einer Verletzung ist es durchaus angebracht."


    Und mit einem hatte der Grobian von Chirurgicus sicher recht. Malleus würde Atemübungen machen müssen, damit sich der verklebte Lungenflügel wieder öffnete. Doch die Methode sollte eine sanfte sein. Alpina verband die Wunden des Germanen. Dann legte sie ihre warmen Hände seitlich an Malleus Brustkorb.
    "Versuch dich mal auf meine Hände zu konzentrieren. Kannst du versuchen so zu atmen, dass sich meine Hände auf und ab bewegen?", fragte sie. Die Kräuterfrau wollte mit ihrem Handkontakt seine Atembewegungen lenken und erreichen, dass er wieder alle Bereiche seiner Lunge mit Luft füllte, soweit es die Verletzung zuließ.

  • Auf dem Weg zu Alpina, stand ich an Türe und lauschte ihren einfühlsamen Worten, mit denen sie zu Malleus sprach. Sah wie behutsam, man konnte sagen fast liebevoll, sie mit dem Verletzten umging.
    Ich hatte aber auch gehört, was sie Malleus sonst noch geantwortet hatte, demnach schien er er Alpina dieses mal schien herablassen behandelt zu haben. Wütend ballte ich die Fäuste, auch wenn ich von ihm etwas lernen wollte, eines Tages würde er dafür bezahlen müssen.
    Sollte ich es je nötig haben wollte ich nur von Alpina oder Menschen, die ähnlich mit pflegebedürftigen umgingen, umsorgt werden.


    Aufmerksam beobachtete ich wie sie Atemübungen mit Malleus machte. Nach einiger Zeit trat ich näher heran, es tat mir fast leid sie dort weg zu holen, doch auch der Helvetier brauchte ihre Hilfe.
    „Alpina, der Chirogius bittet dich zu ihm zu kommen, er hat noch Anweisungen zur Pflege des Aedils. Ich kann ja so lange hier bleiben,“ bot ich ihr an.

  • Malleus hörte ihr zu und nahm dabei erleichtert zur Kenntnis, dass der Spott des Chirurgicus sie nicht wirklich getroffen hatte. Zufrieden lächelnd ließ er seine Hand wieder sinken. Gutes Mädchen. Tapfere Frau. Mochten die Götter sich ihrer besinnen und den Bruder des Aedilen wohlbehalten zu ihr zurückschicken. Alles, was er selbst für sie tun konnte, würde er tun. Im Moment war das freilich nich gerade viel. Die einzige Möglichkeit, Alpina zu entlasten, bestand darin, ihren Ratschlägen und Anweisungen zu folgen und so schnell es nur ging wieder auf die Beine zu kommen. Ob sich beides immer in Einklang würde bringen lassen, stand allerdings auf einem anderen Blatt. Mit einem gutmütigen Brummen griff er nach dem dampfenden Becher und trank ihn in kleinen Schlucken leer. Schmeckte schauderhaft. Wenn es stimmte, dass sich die Heilkraft einer Arznei an deren Bitterkeit ermessen ließ, war Alpines Trank das reinste Wundermittel. Schmackhaft oder nicht, er würde jedenfalls alles hinuntergießen, was sie ihm vorsetzte.


    Nur bei der Frage des Schlafmohns winkte er ab. Die Schmerzen waren zwar kaum zu ignorieren, würden aber von selbst langsam nachlassen, zudem wollte er spüren, was mit seinem Körper vor sich ging. Nur so konnte er seinen Zustand realistisch einschätzen, und diese Einschätzung fiel alles in allem gar nicht mal so pessimistisch aus. Wenn er dem Schmerz bewusst nachspürte – ohne sich von den diffusen Wolken, die er ausstrahle, narren zu lassen –, dann fand er ihn auf verhältnismäßig kleinem Raum um die Stichwunde konzentriert. Ein ramponierter Knochen. Wucherndes Fleisch. Revoltierende Nervenenden. Nicht weniger aber auch nicht mehr. Gewiss, er war kein Zwanzigjähriger mehr und ein abgenutzter Leib war nachtragender als ein unverbrauchter, das führten ihm seine Vernarbungen regelmäßig vor Augen, aber so lange die Wunde sauber blieb und das Blut zirkulierte, würde schon alles irgendwie wieder zusammenwachen. Immerhin war er noch an einem Stück. Arme und Beine waren intakt, der Rest seiner Glieder den Göttern sei Dank ebenfalls. Der Blutverlust machte ihm noch zu schaffen, auch deshalb hielt er eine weitere Gabe von Schlafmohn für überflüssig, aber auch das würde mit ein klein wenig Geduld wieder in’s Lot kommen. Blieb die ärgerliche Sache mit seinem rechten Lungenflügel. Das war das wirkliche Problem. Daran musste er tatsächlich arbeiten. Alles andere konnte er nur abwarten.


    So tat er also, was Alpina sich von ihm wünschte, bündelte seine Sinne unter dem sanften Druck ihrer Handfläche und atmete langsam und konzentriert gegen den Widerstand an. Am Ende eines jeden Atemzuges konnte er ein leises flatschendes Geräusch vernehmen, als schlüge irgendwo tief unter seinem Brustbein ein nasses Segel gegen einen Mastbaum; und jedes Mal, wenn das Flatschen hörbar wurde, hob sich Alpina’s Hand ein klein wenig. Sonderlich schmerzhaft war das Ganze nicht, allerdings begann ihm nach einiger Zeit der Schädel zu prickeln. Außerdem machte sich das ganze Herumgedrücke auf seinem Rumpf langsam auch anderweitig bemerkbar. Als Kaeso plötzlich in’s Cubiculum wuselte, um Alpina zu diesem unmanierlichen Cincius zu beordern, kam das Malleus nicht gerade ungelegen.


    „Für’s erste sollten wir es .. sowieso .. gut sein lassen, Alpina. Meine Blase fühlt sich an .. wie ein Kuheuter.“ Fürwahr, schon der brachiale Griff des Chirurgicus hatte Wirkung hinterlassen und Alpina’s Heiltränke trugen fraglos das ihre dazu bei. „Du weißt hoffentlich .. dass ich dir überaus .. dankbar bin. Aber es gibt Dinge ..“ Mit einem verschmitzten Lächeln deutete er auf den irdenen Nachttopf unter dem Lectus, „.. die muss ich selbst erledigen.“ Kaeso würde ihm aufhelfen. Der Junge war kräftig und wenn es sein musste auch äußerst diskret. Alpina musste ja nicht erfahren, dass Malleus sich aufrecht erleichtert hatte. „Dann werd’ ich versuchen zu schlafen.“ Würde er nicht, zumindest nicht sofort. Aber auch damit sollte sich Alpina nicht belasten.

  • Malleus bemühte sich, ihren Anweisungen zu den Atemübungen zu folgen. Alpina stellte fest, wie schwer er sich damit tat, aber auch, dass sich erste kleine Verbesserungen einstellten. Sie würde diese Übungen häufiger mit ihm machen müssen. Irgendwann teilte Malleus ihr jedoch mit, dass ihn ein sehr menschliches Bedürfnis plagte. Die Kräuterfrau errötete. Dass sie daran nicht gedacht hatte. Sie überfiel den armen Mann mit ihren Übungen und dabei musste er sich dringed erleichtern.


    Eigentlich hatte sie das Aufstehen überwachen wollen. War sich Alpina doch schließlich nicht sicher, inwieweit er diese Anstrengung nach der schweren Verletzung mit nur einem vollfunktionsfähigen Lungenflügel schaffen sollte. Doch diese Sorge wurde ihr sogleich abgenommen. Kaeso kam und rief zu zu dem Chirurgicus, der ihren Schwager untersuchte. Zum Glück erbot sich der Junge, bei Malleus zu bleiben.
    "Das trifft sich gut, dass du da bist, Kaeso. Hilfst du bitte Malleus beim Austehen?" Und im Hinauseilen rief sie noch zurück. "Ich sorge noch dafür, dass du ein Frühstück erhältst, Malleus."

  • „Selbstverständlich helfe ich ihn“,antwortet ich Alpina, während ich den Berg da im Bett betrachtete und gleichzeitig befürchtete Alpina würde die Frage hinter meiner Stirn sehen. Wie soll ich einen Berg bewegen?
    Als Alpina den Raum verlassen hatte, ging tatkräftig zu Malleus und meinte, "so dann wollen wir mal. Zuerst versuchen wir vorsichtig deine Beine über den Bettrand zu bewegen, danach helfe ich dir beim hinsetzen. Haben wir das geschafft müssen wir dich nur noch hinstellen und du hältst dich dabei an mir fest. Keine Angst ich schon kräftiger als ich aussehe. Stehst du dann sich halte ich dir den Nachttopf und du darfst dich endlich erleichtern“, fügte ich hinzu nach dem ich die Decke weg geschoben hatte.
    Ich bewunderte mich gerade ein wenig selber, nur so zu meiner eigenen Beruhigung, nach meiner Beschreibung wie wir es erledigen würden.

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