[Triclinium] Verus - Runa - Ein Blick hinter die Fassade

  • Runa ging voraus, immer jedoch ein wachsames Auge auf den Centurio. Jetzt da er den Raum verlassen hatte wirkte er gar wie ein gebrochener Mann. Das gab Runa noch mehr Rätzel auf.
    Sie konnte sich sein Verhalten nicht erklären. Denn dieses stand im vollkommenen Widerspruch zu dem wie er sich auf dem Forum und bei der Kreuzigung präsentiert hatte. Dort war er der aufrechte treue Römer. Und hier vor ihr stand ein Mann, der sich ganz offensichtlich um die Germanin dort im Behandlungszimmer sorgte.
    Sie führte den Tiberius nun also in Triclinium.
    "Nimm Platz." Sagte sie kalt. Ja ihre Worte ihm gegenüber waren immer noch voller Kälte und Abneigung. Nur kurz verschwand sie um mit einem kühlen Bier wieder zu erscheinen. Sie stellte es vor dem Mann ab und blieb selbst stehen um den Mann zu betrachten.
    Immer wieder hörte sie die Stimme der Seherin in ihrem Geiste. 'Sieh genau hin. Betrachte nicht nur die Oberfläche. Nichts ist wie es scheint.' Ja seit sie Idun berührt hatte hörte sie diese Stimme in ihrem Inneren. Sie wehrte sich dagegen. Wollte lieber hassen als verstehen. Wieder meldet sich die Stimme. 'Du kannst es. Sieh hin. Was siehst du?' Nein die Stimme gab keine Antworten. Aber sie forderte, sie forderte Runa genau hinzusehen. Sie forderte, dass Runa nicht nur das sah was sie sehen wollte, sondern das sie genau hinsah um zu verstehen. 'Die Welt ist nicht schwarz oder weiß. Sieh hin.' Runa faste sich in einer müden Bewegung an die Stirn. Sie versuchte die Stimme zu verscheuchen und wusste doch, dass dies nur ein hilfloser, erfolgloser Versuch war. Schon früher hatte sie versucht derlei Dingen keine Beachtung zu schenken und war immer wieder gescheitert. Sie musste lernen zu akzeptieren.
    Sie setzte sich und betrachtet den Soldaten. "Was siehst du in ihr?" Fragte sie schließlich vollkommen unabhängig von ihren eigenen Gefühlen. Sie folgte der Stimme und wollte genau hinsehen. Wollte verstehen, wollte ergründen.

  • Kälte war die selige Umnachtung seiner feigen Macht, die ihm Allmacht im Kriege beschert hatte. Doch im Leben hatte ihm dieses mächtige Handwerk einsam gemacht. Verus war inzwischen ein geübter Soldat und sicherlich ein Krieger, wie es manche beschreiben würden aber in seinem Herz war jene einsame Seuche, welche Gift strahlte. Nur Idun konnte jenes Gift heilen, welches er seitdem Tag des Blutes und des Kampfes in sich trug. Fast zu Boden sinkend, hielt er sich mit Mühe aufrecht und folgte dankbar der kalten Anweisung der Frau. Er nahm Platz und ließ sich müde auf die Kline fallen, bevor er sich mit dem Angesicht zu Runa wandte. Die Augen waren umgeben von Trauer, die seine Iris leere machte. Seine Fingerspitzen zitterten in eifriger Sorge und sein Herz war längst entflogen, so dass sein Haut weiß wirkte. Sein Herz kümmerte sich um eine andere Seele, die unweit dieses Raum lag. Runa stellte eine für Verus schwierige Frage, da er keine Worte für Idun hatte. Sie war einfach da und half ihm. Denn sie war Hoffnung und ... mehr als das. Er liebte sie. Mehr konnte er nicht sagen oder beschreiben. Also sagte er schlicht mit einem Wort, was er fühlte. Denn in Wahrheit hatte er keinen Schutzschild mehr; keine Macht mehr, sondern war verloren in diesem Trubel. "Alles," war das Wort, welches mit fester Absicht aber auch Sentimentalität gesprochen wurde.

  • Runas Blick lag auf dem Mann. Sie versuchte wirklich ihre eigenen Gefühle auszublenden und nur das zu sehen, was sich ihr darbot. Und was sie sah passte nicht zu eben jenem Bild welches sie sich über den Centurio gemacht hatte. Dieser Mann hier wirkte alles andere als grausam und brutal. Es war als wäre dies hier gar nicht der Mann, welcher noch vor wenigen Tagen für alle sichtbar die Macht, die Grausamkeit Roms repräsentiert hatte. Doch was war geschehen? Er konnte sich doch nicht in ein paar Tagen so verändert haben. Runa rief sich den tag auf dem Forum zurück ins Gedächtnis. Ihre Aufmerksamkeit galt an jenem Tag Idun. Hatte sie wirklich etwas übersehen? Sie schloss die Augen und versuchte sich die Bilder - welche sie wohl lieber vergessen würde - wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sie hörte die Worte des Centurios, die Geräusche welche die Peitschen machte, wenn sie auf den Körper traf. Doch diese Mal hob sie den Blick und sah den Mann der die Frau folterte an. War das Kummer in seinem Blick? War das Bedauern? War es Leid?
    Sie öffnete ihre Augen und sah den Centurio aus ihren tiefblauen Augen an.
    "Du hast nur auf Befehl hin gehandelt." Dies war keine Frage sondern eine Feststellung. Jede Frage nach dem warum verbot sich, denn jeder wusste was mit einem Soldaten geschah, der Befehle missachtete.
    Und doch konnte sie nicht ganz aus ihrer Haut und machte dem Römer Vorwürfe. "Du weißt was sie ist? Du hättest sie nicht herbringen dürfen. Sie gehört nicht in die römische Welt."
    Runa erhob sich und ging auf den Mann zu. Sie hatte sehr wohl bemerkt, dass er das eine Bein weniger als das andere belastete. "Zeig mir dein Bein." Noch immer war in ihrer Stimme nichts von Verständnis oder gar Mitgefühl für den Mann zu hören. Während sie warte, dass er sein Bein freilegte, fiel ihr Blick auf den Anhänger. Warum trug der Mann das Zeichen des Donars? Langsam hab sie ihre Hand und nahm den Anhänger in die Hand. Sie strich sanft darüber. "Hast du ihn von ihr?" Fragte sie, als sie ihre Hand zurückzog. "Du sagst du siehst alles in ihr. Aber was genau? Sie hat dir das Leben gerettet. Was hast du für sie getan?"
    Ja sie wusste wohl genau, dass sie gerade Wunden aufriss. Aber sie wollte Antworten. Sie musste Antworten haben. Er sollte ihr nicht ausweichen, er sollte ihr Rede und Antwort stehen.

  • Ein Befehl, war ein Befehl und doch befreite er nicht von Verantwortung. Nicht der Befehl hatte es getan, sondern seine Hand. Sein Wille war es, den fernsteuern ließ. Es war seine Entscheidung, dem Befehl zu folgen. Es gab keine Flucht vor der Erkenntnis, dass es seine Hand war, die Idun zugerichtet hatte. Verus verlor seinen Blick und seine Augen wurden leer. Sein Herzschlag flachte ab und dieser kalte Schauer kehrte zurück, der über seine Lungen kratzte und in die Muskeln ausstrahlte. Seine Fingerspitzen zitterten und auch seine Lippen wogten leicht auf. "Es war ihre Entscheidung," antwortete der gebrochene Römer ohne Runa erneut anzublicken. "Es war unsere Entscheidung," erweiterte Verus seine Antwort und konnte selbst nicht ganz glauben, wie es soweit kommen konnte. Doch es gab keine Entschuldigung und keine Flucht mehr. Nur diesen Schmerz, der wie ein Samen von böser Pestilenz wuchs. Sie verlangte, dass er sein Bein zeigte und Verus tat unbeholfen, was sie befahl. Immerhin war er ein guter Soldat und hatte viel freien Geist zu Gunsten einer Karriere aufgegeben. Doch diese freie Geist kehrte, wie eine Heimsuchung zurück und verlangte eine stille Rache. Nicht an Rom oder der Welt, sondern an Verus selbst. Verus selbst hatte seine Seele verstümmelt. Das Bein pochte aber schien ruhig. Die Wunde war bereits vernarbt und nur ein tiefer roter Strich, welcher in der Haut lag, wies noch eine Verletzung aus. "Ja," antwortete er auf die Frage nach dem Anhänger. Es war ihr Geschenk an ihn gewesen. Verus trug es nicht aus Glauben oder Überzeugung, sondern allein, weil es ihn an seine Idun erinnerte. Es war ein Liebesbeweis. "Ich gab ihr Hoffnung in der Einsamkeit," versuchte er Worte zu finden und meinte wohl eher sich selbst als jene Luna damit. "Wir geben uns gegenseitig Hoffnung. Mit ihr, wenn wir zusammen sind, ist die Zeit endlos," erklärte der Tiberius unbeholfen.

  • Runa versuchte wirklich zu verstehen. Zumindest legte sich ihr Hass auf den Tiberius etwas. Denn es waren seine Augen, die ihr sagten, dass er wohl mindestens genau so litt wie Idun, wenn vielleicht auch nicht körperlich so aber seelisch. Runa hatte das Gefühl, dass den Centurio etwas von innen heraus auffraß. Sie nickte. „Hatte sie denn ohne dich keine Hoffnung?“ Fragte sie dennoch erstaunt nach. „Welche Hoffnung gibt sie dir?“ Ja Runa wollte es tatsächlich verstehen. Sie wollte verstehen, warum Idun das alles auf sich nahm. Warum sie es schweigend hingenommen und ertragen hat. Warum Idun den Mann, der ihr das angetan hatte immer noch liebte, dass sie das tat hatte Runa eindeutig erkennen können. Und sie verstand es eben nicht.

  • Verus überlegte kurz. Doch seine Gedanken tanzten um diese Liebe, welche er spürte und die weltfremd und entrückt war. Die Fragen dieser Frau durchbrachen jenen Schild, welchen er sich mit letzter Allmacht seines Roms gegeben hatte. Stolz und Arroganz zerfielen, wie Staub und es blieb nur diese eisige Trauer und leidsuchende Sehnsucht in seinen Augen. "Sie war allein und einsam," erklärte er, während er an die Hütte dachte, in der Idun lieben gelernt hatte. Dort hatte er die einsame Seele gefunden, die sich nach mehr sehnte, als bloßer Existenz. Sie war ihm gleich geworden oder gleich gemacht. "Wir fanden uns durch Schicksalsmacht und sie ließ mich nicht gehen," setzte er fort und versuchte eine Erklärung für die Ereignisse zu konstruieren. Doch es fiel dem Offizier schwer, der sein ganzes Leben kalter Vernunft gefolgt war. "Wir haben uns und diese kalte Nacht, die dort war, im satten Mondenschein, konnte uns nicht frieren," drückte er sich verschwommen aus, da nun sein Herz sprach und sein Verstand Abstand nahm. Er akzeptierte jenes Wunder heimlich, trotz Unwillen des Krieges in ihm. "Sie gibt mir ...," brach er ab und blickte Runa mit Mondglanz strahlenden Augen an. "... Leben," war die Antwort, die er versuchte und schließlich auch gab.

  • Runa hörte aufmerksam zu. Sie versuchte zu verstehen. Sie versuchte zu begreifen und sie nickte abwesend. Idun war einsam und allein gewesen? Wie konnte das sein. Und doch wusste sie intuitiv das der Tiberius die Wahrheit sprach. Konnte es wirklich sein, dass diese Frau, die im Nebenzimmer mit ihrem Leben rang, die von so viele geachtet war, deren rat so viele suchten einsam gewesen war? Idun hatte ihr gesagt sie sollte genau hinsehen und Runa tat dies und sie sah den Mondglanz in den Augen des Römers. Sie sah was sie sehen musste und ihr Hass, den sie verspürt hatte, als er die Frau auf dem Forum ausgepeitscht und gebrandmarkt hatte verflog. Es war nichts mehr übrig von dem Hass den sie noch verspürt hatte, als er heute ihr Haus betreten hatte. Sie blickte dem Mann tief in die Augen und konnte bis tief in seine Seele sehen. Kurz musste sie ihre Augen schließen. Sie sah so viel Schmerz, Hass und Selbstzweifel, dass es sie fast übermannte. Aber sie sah auch die Liebe die er empfand. Sie legte dem Mann ihre Hand auf die Schulter, auch um ihn einen Halt zu geben. Sie hörte wie sich die Tür zum Behandlungszimmer öffnete und der Arzt und Kaeso das haus verließen. „Geh zu ihr. Sie braucht dich.“ Runa nahm die Hand von der Schulter des Mannes und drehte sich um. Doch sie hielt in der Drehung inne und sah den Mann eindringlich an. „Halte sie, gibt ihr den Halt den sie jetzt braucht. Sie hat sich für dich dem Urteil der Götter gestellt. Noch haben die Götter nicht entschieden...“ Der Blick mit welchem sie ihn ansah war unwirklich, es schien fast so, als wäre Runa dieser Welt entrückt, als wäre ihr Geist gar nicht hier. Dann wurde ihr Blick wieder klarer. "So lange sie hier ist, kannst du das Haus zu jederzeit betreten.“ Runa warf dem Mann noch einen eindringlichen Blick zu. „Achte immer gut auf sie Römer. Sie ist etwas ganz Besonderes."

  • Sie hörte ihm ehrlich zu. Eine Geste, die Verus schätzte und ihr sogleich eine schnelle Träne schenkte, welche sich gegen jede Macht davon machte und am Boden zerschellte. Runa sah, was er wirklich war, hinter all dem römischen Stahl und der vergänglichen Disziplin seiner Selbst; alles, was er war, lag nun vor ihr und sie konnte mit dem Herzen fühlen, was er war, denn er verbarg nichts mehr. Seine Fassade war ein Trümmerfeld, welches einem Leben Atemzug geben konnte. Verus atmete Leben und fühlte eine sanfte Erleichterung seiner Schuld, die er sich selbst niemals ganz vergeben konnte. Die Hand dieser Frau gab ihm Zuversicht, dass jene Hoffnung bei und mit Idun wahrhaftig war. Etwas, was ganz und wirklich war, gegen jede Realität. So selten und schön, war diese Erfahrung und doch so fragil. "Ja," antwortete Verus, bevor er sich erhob. Runa nahm die Hand bereits zurück und entfernte sich. Doch sah ihn noch einmal eindringlich an. Verus Augen fixierten die Augen der Duccia ernstlich. "Ich werde sie halten und auf sie achten, wie sie auf mich achtet. Unsere Leben sind verwoben durch Liebe," erklärte Verus ganz und wahrhaftig. Seine Stimme war nicht mehr gebrochen oder schwach, sondern fest und überzeugt, trotz der Traurigkeit in seinen Augen. Runa hatte nun etwas an sich, was den Römer seltsam und bewundernswert erschien. Es war etwas, was er nicht kannte aber bei Idun gesehen hatte. Etwas, was nicht in diese Welt gehörte aber in dieser Welt stattfand. "Ich gehe zu ihr," sagte er und ging zusammen mit Runa aus dem Raum. Verus hatte nun seine Aufgabe, die nicht Last, sondern Hingabe war.

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