Auf dem Heimweg in die Casa Furia oder Lehrstunde

  • Tiberios hatte beim Schreiner weitere weißgetünchte Buchentafeln für den Codex besorgt, den er für die Furische Bibliothek anfertigte. Seit die domina Furia Stella ihn so freundlich gelobt hatte, war sein Ehrgeiz, alles perfekt zu herzurichten, noch stärker geworden.
    So hatte er gerade zwei Buchentafeln zurückgewiesen, weil sie die Lochung nicht akkurat an den Stellen hatte, die er aufgetragen hatte.
    Aber was sollte es, er würde später nochmal wieder kommen .


    Tiberios trug die neuen Platten unterm Arm in einem Beutel und ging nun durch die Subura Richtung Casa.
    Er war ziemlich gut gelaunt, das Wetter war schön, er war weder durstig noch hungrig , und er trug eine neue Tunika aus dünnem Wollstoff und diesmal keine chlamys, keinen griechischen Mantel, denn beim Laufen war es ihm warm geworden.
    Mittlerweile kleidete sich Tiberios seiner Stellung als Bibliothekar angemessen gut, und nur die Bronzetafel mit dem Namen seines dominus , die er um den Hals trug, war ein Zeichen seines Standes.


    In der Luft lag immer noch ein scharfer Brandgeruch.
    Der furische Sklave blieb stehen und schaute sich um.
    Ganz in der Nähe musste es kürzlicheinen größeren Brand gegeben haben.
    Aber wo?

  • << Anis von Alexandria , Wahrsager und Astrologe


    Nach seinem Abschied von dem Wahrsager war Terpander nach Hause ins noch namenlose Atriumhaus zurückgekehrt. Dort verwahrte er die wertvollen Schriftrollen und verbrachte die Nacht auf einer der Klinen. Am nächsten Tag beschloss er, an der Brandstelle vorbeizusehen. Man war ja nicht neugierig, aber gucken war erlaubt. Abends würde er versuchen, seinen Herrn vor der Castra abzufangen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, dass die Schriftrollen - oh, Wunder - nicht verflucht waren.


    In der Subura stapelten sich Müllberge an den Hauswänden. Darin zu wühlen, hatte er für gewöhnlich nicht nötig, aber etwas weckte seine Aufmerksamkeit. Irgendwer hatte ein Set faustgroßer Mini-Amphporen entsorgt, die unanständig bemalt waren. Vermutlich die Frau des Besitzers. Vielleicht hatten die winzigen Gefäße als Dekoration gedient. Terpander fand sie lustig. Die meisten waren kaputt, aber es waren auch noch genügend davon intakt. Terpander suchte sich die Schönsten heraus und packte sie in eine Tragenetz, das er ebenfalls im Müllberg fand. Von einer, die zerbrochen war, nahm er die größte Scherbe mit, da auf dieser ein recht ansprechendes Motiv zu sehen war. Damit die Scherbe nicht das Netz beschädigte, legte er sie ganz oben drauf. Mit seiner Beute spazierte er weiter, immer dem Brandgeruch nach.


    Als er sich auf die Stelle des Brandes zubewegte - der Rauch war noch deutlich zu riechen - entdeckte er, in einem blütenweißen Gewand, einen Jüngling, der hier nicht hergehörte. Das durfte doch nicht wahr sein. Was machte Tiberios allein in einem Viertel wie diesem? Offenbar hatte er nichts gelernt. Terpander würde die Gelegenheit nutzen, ihm zu zeigen, wie gefährlich das für ihn war.


    ... und vielleicht konnte er dabei sogar das Blut für den Zauber organisieren.


    Seine Augen hefteten sich auf Tiberios und der Jüngling wurde in seinen Gedanken zur Beute. Terpander bewegte sich instinktiv so, dass dieser ihn nicht sehen konnte, er hielt sich immer außerhalb der Blickachse, während er sich in aller Ruhe von hinten auf ihn zubewegte. Kein Rennen, kein Hektik. Nur Ruhe und Geduld.

  • Tiberios sprach einen Mann an , der gerade aus einem Hauseingang trat:
    „Salve, dominus, hat es hier gebrannt?“
    Der Mann sagte zwar gleich, er sei kein dominus, aber es schmeichelte ihm.
    Er deutete die Straße runter und gab freundlicher als er sonst gegenüber Fremden war, Auskunft :
    „Dort - ein recht hübsches Lupanar. Jetzt vollkommen futsch.“


    Tiberios sah sich die Brandstelle genauer an. Die umliegenden Häuser waren nicht betroffen, hier hatten die vigiles ganze Arbeit geleistet. Aber am Platz standen nur einige geschwärzte Mauernreste, alles andere war Schutt und Asche. Trotz der strengen Auflagen zum Brandschutz musste hier wohl etwas fürchterlich schief gegangen sein.


    War das das Magnum Momentum?“, fragte er, denn er erinnerte sich noch an die Lupercalia, als die domini Scato und Lurco ihn dorthin mitnehmen wollten.


    Der Mann schüttelte den Kopf: „Ne, das war das Ganymed, das war mit jungen Burschen. Also – wenn du dort um Arbeit fragen wolltest, kommst du zu spät.“
    Der Mann sprach ohne jede Anzüglichkeit. In seiner Welt musste jeder sehen, wo er blieb.
    „Nein danke, ich suche keine Arbeit“, erwiderte Tiberios höflich.


    Im gleichen Augenblick war der furische Sklave dankbar für das Leben, das ihm Fortuna geschenkt hatte.. Er wohnte in einem guten Haushalt, hatte genug zu essen und jetzt sogar neue Kleidung und durfte den ganzen Tag mit Schriftrollen arbeiten.


    Tiberios packte sein Bündel fester und wollte den Weg wieder zurückgehen, den er gekommen war. In der Casa Furia wartete seine geliebte Bibliothek auf ihn.

  • Er hatte einen Zeitpunkt abgewartet, an dem Tiberios so stand, dass weder die Sonne seinen Schatten, noch der Wind seinen Geruch in die Richtung des Arglosen trugen. Wie ein Hai, der plötzlich aus den dunklen Tiefen erschien, um sein blutiges Werk zu verrichten, tauchte Terpander scheinbar aus dem Nichts auf, als er Tiberios genau so packte, wie er es schon einmal getan hatte und ihn an eine Hauswand presste. Um die Passanten machte Terpander sich keine Sorgen. Je mehr Menschen anwesend waren, umso geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass jemand half. In Sparta war das freilich anders, dort war man Teil einer Kameradschaft mit engem Zusammenhalt, aber in Sparta war sowieso alles besser. In der Subura der Urbs aeterna war man auf der Straße verloren, wenn man die Regeln nicht kannte und Tiberios kannte sie offenbar nicht.


    So wurden ihm nun Wange und Brust gegen den bröckelnden Putz geprest, sein blonder Lockenschopf mit einer Faust in den Haaren fixiert, während Terpanders Ellbogen sich in seinen schmalen Rücken grub. In der anderen Hand hielt Terpander noch immer sein Tragenetz. Das stellte er nun seelenruhig ab und nahm die hübsche Scherbe zwischen die Finger. Die weiche Haut an Tiberios´ Hals wurde von etwas Scharfem eingedrückt.


    "Nichts gelernt?", fragte Terpander.

  • Tiberios erschrak zu Tode, als ihn plötzlich jemand überfiel und an die Hauswand presste. Er spürte einen harten Griff in seinem Haar und der raue Putz bohrte sich in seine Wange.


    Wäre er doch nicht so neugierig gewesen und hätte die Brandstelle sehen wollen. Und hätte er sich nicht darauf verlassen, dass bei Tageslicht ihm niemand etwas Böses tun würde, wenn er die Abkürzung durch die Subura nahm.
    Und noch weniger darauf, dass wenn man höflich und freundlich war, auch die Umwelt freundlich und höflich reagierte; mit dieser Einstellung war der junge Alexandriner zwar sehr oft gut gefahren, aber heute schien diese Rechnung nicht aufzugehen.


    Dass ihm jemand aus der Subura zu Hilfe kommen würde, war unwahrscheinlich. Die Bewohner des Viertels sahen bei Verbrechen jeder Art weg und kümmerten sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten.


    Aber das Schlimmste für Tiberios war, dass man ihm wahrscheinlich die Buchenholzplatten für den Codex abnehmen würde, obwohl sie außer für seine eigene Arbeit für niemanden sonst einen Wert besaßen.
    Sie waren außerdem schon bezahlt – was würde die domina sagen?


    Tiberios gab sich gerade dieser Schmach hin, da fühlte er etwas Scharfes an seinem Hals. Nun wagte er kaum mehr zu atmen .
    Vielleicht verliert die domina Furia Stella heute nicht nur den Codex für ihre Bibliothek sondern auch ihren Bibliothekar, fuhr es ihm durch den Kopf.


    Da er sich nicht rühren konnte, hatte Tiberios den Angreifer aus dem Hinterhalt nicht sehen können, doch nun drang eine bekannte Stimme an sein Ohr:
    „Nichts gelernt?“


    Das war Terpander.


    Tiberios fühlte Erleichterung und gleichzeitig stieg Wut in ihm auf:
    Musste Scatos ehemaliger Hauslehrer ihn jedesmal in Todesangst versetzen, wenn sie aufeinander trafen?


    „Du bist nicht Terpander!“, stieß er erbost hervor :
    „Du bist ein nekydaimon, den nicht einmal Charon über den Styx rudern wollte und der zurück gekommen ist, die Lebenden zu quälen ! Ich wäre dir verbunden, wenn du mich auf der Stelle loslässt !“

  • Terpander lachte leise. "Vielleicht hast du damit Recht. Womit hast du es verdient, dass ich dich loslasse? Du bist schwach und ich bin stark."


    Diese Kausalkette sollte der kleine Scriba erstmal widerlegen. Terpander fühlte mit dem Daumen oberhalb von Tiberios´ Haaransatz im Nacken herum, bis er ein sanftes Pulsieren spürte. Dort verlief eine Verästelung der hinteren Halsschlagader ganz dicht unter der Oberfläche. Er nahm die Scherbe und Tiberios spürte einen kurzen, scharfen Schmerz, dann sickerte etwas heißes seinen Nacken hinab. In aller Ruhe nahm Terpander eines der Amphörchen und sammelte das Blut auf. Wenn Tiberios schon so freundlich war, sich als Spender anzubieten, wollte er das doch gleich nutzen für den geplanten Zauber.


    "Was treibst du überhaupt schon wieder allein in zwielichtigen Gegenden? Wolltest du ins Lupanar? Die Lupos sind noch da, ich habe sie gesehen. Nur gibt es keine Räume mehr."

  • Terpander machte sich in Tiberios‘ Nacken zu schaffen, und der junge Sklave fühlte einen kurzen Schmerz, der ihn zusammenzucken ließ.
    Dann sickerte etwas Heißes seinen Nacken hinab.
    War das Blut ? Was tat Terpander da genau? Hatte er etwa ein Messer oder einen Dolch bei sich? Und war der ältere iunische Sklave noch bei Verstand ? Seine Worte zumindest klangen dunkel und unheilvoll.


    Tiberios, der weder sein noch das Blut von jemandem anderen sehen konnte, wurde blass,
    doch die nächste Frage Terpanders verhinderte zumindest, dass ihm schlecht wurde:


    „Lass mich los, wenn du keinen Ärger mit den Furiern bekommen möchtest! Ich habe Besorgungen für die Bibliothek der Casa Furia gemacht und durch die Subura führt eine Abkürzung nach Hause, deshalb halte ich mich in einer zwielichtigen Gegend auf. Ich habe mich auch nicht aufgehalten, ich habe die Gegend nur durchquert. In meinem Bündel sind übrigens Platten aus Buchenholz, also geh achtsam damit um, so etwas zerbricht sehr leicht. Ob ich ins Lupanar wollte?
    Nein, ich war nur neugierig, die Brandstätte zu sehen. Vermutlich war das Lupanar Ganymed dein eigenes Ziel, Terpander, und nun hälst du dich mit höchstmerkwürdigen Spielen an mir schadlos. Weiß dein dominus von deinen Vorlieben ? Ich werde dafür sorgen, dass meine domina sich bei ihm beschwert! Dann wird er Schadensersatz leisten müssen. Hoffentlich bestraft er dich! Und was soll das werden, wenn es fertig ist?“

    Wie immer, wenn er Angst hatte, redete Tiberios ziemlich viel.


    Und er hätte sich gerne in den Nacken gefasst, wo er den Wundschmerz spürte, aber das ging nicht, weil Terpander den jungen Alexandriner immer noch festhielt,

  • Was für ein kleiner Rohrspatz. Wie er schimpfen konnte! "Um Worte bist du offenbar nicht verlegen. Die Strafe meines Herrn nehme ich in Kauf. Es ist für einen guten Zweck. Als guter Sklave weiß ich mein eigenes Wohl hinten an zu stellen." Dass Terpander das Blut für sich selber benötigte, musste Tiberios nicht wissen. Wenn es Terpander gut ging, ging es auch Scato gut, davon war der alte Sklave überzeugt. Er warf die Scherbe in den Beutel und presste den zeternden Tiberios mit der Brust noch ein wenig platt, um die Wundränder mit Daumen und Zeigefinger zusammen zu drücken, damit die Blutung abnahm. In der anderen Hand hielt er die Amphore mit dem Blut. Schließlich lachte er laut und klopfte Tiberios auf die Schulter, ehe er ihn freigab, als wäre alles Spaß gewesen.


    "Nun kann ich es dir ja sagen. Ich benötige das gewaltsam geraubte Blut eines Jünglings für einen Zauber." Er hob das Amphörchen und wackelte damit. "Natürlich nicht umsonst. Such dir eine Entschädigung aus oder nenn mir einen Preis."

  • Kaum ließ Terpander ihn los und klopfte ihm auf die Schultern, fasste sich Tiberios in den Nacken :
    „Der Schnitt hat weh getan und wird bestimmt eine Narbe geben. Und ich hoffe sehr, es ist nichts auf meine neue Tunika gekommen. Weißt du, wie schwer Blut aus weißer Kleidung rausgeht ?“, bemerkte er und dann äußerst misstrauisch:
    „Was hast du benutzt, um mir die Wunde zuzufügen? War es hoffentlich sauber?“

    Er traute Terpander gar nicht mehr. Der Mann hatte doch eindeutig Aussetzer in seinem Verstand. Am Besten würde er ihm zukünftig aus dem Weg gehen….


    Dann sprach der ältere Sklave:
    "Nun kann ich es dir ja sagen. Ich benötige das gewaltsam geraubte Blut eines Jünglings für einen Zauber." und zeigte die kleine gefüllte Amphore.


    „Wenn der Zauber darum ging, einem Jüngling Furcht einzujagen, ist er gelungen“, sagte Tiberios kopfschüttelnd, aber die folgenden Worte über eine Entschädigung oder einen Preis ließen ihn alle Vorsätze bezüglich Terpander wieder vergessen:


    „Wenn dem so ist: Ich möchte wissen, was du mit meinem Blut anstellen willst ! Ich war noch nie bei einem magischen Ritual dabei und würde so etwas zu gerne einmal sehen!“


    Der Schmerz war vergessen, und seine Augen funkelten.

  • "Mit deinem Blut werde ich einen Namen auf einen geweihten Papyrus schreiben. Anschließend muss das Werk zerpflückt werden. So werden die Göttinnen der Rache einer falschen Spur folgen." Er blickte Tiberios ernst an. "Mich jagen die Erinyen mit Fackeln und Schlangen in ihren Händen. Sie suchen Rache. Mannigfaltige Methoden zur Fluchabwendung habe ich gekauft und alle werde ich einsetzen, um sicher zu gehen. Allerdings habe ich sieben unglückselige Tage vor mir, bis alles wirkt."


    Er blinzelte Tiberios zu.


    "Die Narbe befindet sich zwischen den Haaren und fällt nicht auf bei deinem Lockenschopf. Zudem sind Narben die Zier des Mannes. Und ein bisschen Männlichkeit tut dir gut, du bist alt genug und kein Jüngling mehr, siehst aber aus wie einer. Auch eine erwachsene Geisteshaltung gehört dazu. Ich muss des Nachts eine Fluchtafel vor dem Leichnam eines Gekreuzigten vergraben. Bist du dabei?"


    Dabei beäugte er Tiberios´ vollkommen untrainierte Arme, anstatt ihm ins Gesicht zu schauen. Das war keine Absicht, ihm fiel nur gerade auf, wie schrecklich sie aussahen. Dem Jungen fehlte eindeutig ein Mentor. Vermutlich war er von einer dickbusigen Glucke großgezogen worden. Terpander konnte es sich nicht verkneifen, den Oberarm mit Daumen und Zeigefinger zusammenzudrücken und ein gequältes "Herrje" auszustoßen.

  • Tiberios hörte genau hin.
    Obwohl er selbst Terpander vorgeworfen hatte, irgendwelchen sexuellen Spielchen zu frönen, hatte er sofort bemerkt, dass Scatos Sklave mit der kalten Präzision eines Chirurgen vorgegangen war, als er die winzige Amphore mit Tiberos‘ Blut füllte. Da hatte jeder Handgriff gesessen.
    Auf diese Weise würde Terpander wohl auch foltern oder einen Mord begehen, wenn er es aus irgendwelchen Gründen für notwendig halten würde, dachte Tiberios:
    Scatos Mutter musste eine unerschrockene Frau sein, wenn sie es fertig brachte, sich in seine Arme zu schmiegen. Weiß denn der dominus Scato, was er da im Haus hat?


    Und nun sagte eben jener Terpander, dass die Erynien ihn verfolgten, und Tiberios wunderte das überhaupt nicht.
    „Die Rachegöttinnen jagen einen Mann nicht wegen Kleinigkeiten“, sagte er genauso ernst. Aber er fragte nicht nach, obwohl er vor Neugier fast platzte. Zu gegebener Zeit würde er bestimmt mehr herausbekommen.


    Auf Terpanders Bemerkung über Männlichkeit und der entsprechenden Geisteshaltung nickte er zustimmend:
    „Manchmal ist es schlecht, jünger zu wirken als man ist, weil mich keiner für voll nimmt, manchmal gut, weil ich unterschätzt werde.“, sagte er.
    Ob Narben wirklich eine Zier waren? Weder Frauen noch Männer hatten sich bisher bei ihm über ihr Fehlen beschwert.


    Als Terpander seinen Oberarm packte, fühlte sich Tiberios ein wenig wie auf dem Sklavenmarkt, als er von seinem Herren manzipiert worden war– nur diesmal mit einem Käufer, der seine Unzulänglichkeiten bemängelte. Er konnte nicht verhindern, dass er rot wurde, als Terpander „Herrje“ sagte.


    Blieb die wichtigste Frage des Tages, die ihm Terpander stellte:
    „ Ich muss des Nachts eine Fluchtafel vor dem Leichnam eines Gekreuzigten vergraben. Bist du dabei?"
    Ein Leichnam eines Gekreuzigten – das war ein unheiliger Toter, der keine Bestattungsriten bekommen hatte und keine Münze für Charon, und der dazu verdammt war, auf der Erde umherzuirren. Das jagte Tiberios Angst ein.. Ein wenig vertraute er darauf, dass Terpander in der Lage war, ihm nekydaimones vom Hals zu halten. Oder würde er sie durch die böse Tat in der Vergangenheit gerade recht anlocken?


    Tiberios hatte jedoch gebeten, mitkommen zu dürfen und wollte keineswegs einen Rückzieher machen.
    „Ich bin dabei.“, sagte er daher eifrig und richtete seine grauen Augen auf Terpander:
    „ Du wirst es nicht bereuen, mich mitzunehmen, ich werde in allem deinen Anweisungen gehorchen. Und auch wenn ich nicht so aussehe, ich kann durchaus Lasten tragen. Und mich still verhalten, wenn es sein muss. Wo und wann treffen wir uns?“

  • Dass die Erinyen guten Grund hatten, Terpander zu jagen, erkannte Tiberios, doch da er nicht nachhakte, war der ältere Sklave nicht gezwungen, ihn zu belügen. Wobei es künftig besser war, wenn er generell zu dem Thema schwieg. Tiberios wusste bereits zu viel und Terpander traute dem Burschen zu, sich den Rest zusammenzureimen.


    "Jemanden mit so dünnen Armen nimmt auch so keiner für voll, egal, wie alt er ist", entgegnete er trocken. Er fand die Argumentation merkwürdig. Wenn er Tiberios gedanklich Kyriakos verglich, den er zuletzt gesehen hatte, als dieser im gleichen Alter gewesen war, rollten sich ihm die Zehennägel auf. Sein Schüler hätte ihm nicht mit solchen Ausreden kommen dürfen. "Gorgonus hat dich also in der Zwischenzeit nicht verprügelt. Schade. Du hättest deine Ansichten zur Sinnhaftigkeit von Mückenärmchen in dem Falle sicher geändert. Aber was nicht ist, kann ja noch werden." Er lächelte, was nicht zu dem Gesagten passte. Scato hatte ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert und auch den Ärger mit Gorgonus nicht ausgelassen.


    "Wir treffen uns in sechs Tagen um Mitternacht, dort, wo die Via Appia die Porta Capena verlässt. Seit Spartacus ist es eine traditionsreiche Straße, was Kreuzigungen betrifft. Lass dich nicht von einem Ochsenkarren überfahren, die Rasen auf dieser Strecke immer."


    Das war natürlich ein Scherz, denn ein Ochsenkarren war mithichten mit dem Vierergespann feuriger Pferde im Circus Maximus zu vergleichen. Terpander war gespannt, ob der bleiche Knilch wirklich den Mumm haben würde, zu erscheinen und den Gekreuzigten einen Besuch abzustatten.

  • Was auch Terpander über Tiberios dachte, dessen Ausbildung zum Scriba war durchaus hart gewesen, wenn auch auf andere Weise als die Erziehung eines spartiatischen freien Jungen. Es ging ja bei allem, was Tiberios lernte, darum, seine Fähigkeiten zum Gebrauch für andere und nicht seine Persönlichkeit zu schulen..
    Wie brachte man aber einen lebhaften und neugierigen Zwölfjährigen, der gerne Ball spielte und dank seiner Flinkheit auch oft der „König“ war und über alles und jeden Witze riss, dazu, sich plötzlich vollkommen zurückzunehmen und stundenlang hinter einer Kline auszuharren, bis eine Handbewegung seines kyrios ihm bedeutete, dass seine Dienste gebraucht wurden?
    Sein ehemaliger Kyrios Athenodoros hatte verboten, dass Tiberios geschlagen wurde, und so bestraften ihn seine Lehrer mit Kürzung seiner Rationen. Das bedeutete, dass der junge Sklave von seinem zwölften bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr oft nicht satt geworden war, und sich noch heute über eine Gratismahlzeit sehr freuen konnte. ( Und dann auch leichtsinnig wurde wie damals, als er Terpander in das verlassene Haus gefolgt war).
    Was sich Tiberios in dieser Zeit angeeignet hatte, war, Menschen genau zu beobachten und aus dem, was er wahrnahm, sofort und schnell Schlüsse zu ziehen, wie er dem jungen rhodischen Sklaven Hephitios erklärt hatte.
    Erst Philippos hatte Tiberios beigebracht, den Platz, auf den ihn die Götter gestellt hatten, wirklich aus vollem Herzen zu akzeptieren, und sich anstatt äußeren Zwang zum Dienst die innere Haltung, sein Bestes geben zu wollen, anzueignen, und seitdem war es seltener nötig gewesen, den jungen Sklaven zu maßregeln.


    „Ich bedaure es überaus , dir diese Freude nicht machen zu können, aber nein, Gorgonus hat mich nicht verprügelt.“, sagte Tiberios :
    „Aber du hast natürlich recht, was nicht ist, kann ja noch werden.
    Im übrigen möchte ich wissen, ob du nun genug davon hast , mich zu verspotten oder ob dein Spott das Angebot verbirgt, mich irgendwie zu trainieren?“


    Wer Tiberios gut kannte, wußte, dass er diesen sehr höflichen Ton anschlug, wenn er zornig wurde:
    „Bisher habe ich mich auch nie prügeln müssen. Wenn ich wirklich jemanden erledigen möchte, sehe ich näher hin, da kommen oft die erstaunlichsten Dinge zum Vorschein. Aber wenn ich jemanden mag, mache ich das selbstverständlich nicht – das Genauerhinschauen, meine ich.“


    Nun machte Tiberios eine Pause und lächelte freundlich:
    „Du bist der alte Lehrer des dominus Scato ,und ich mag dich“, versicherte er, ohne das kleine Wörtchen „noch“ anzufügen:
    „Weißt du übrigens, dass dein dominus mir geraten hat, wie ich Gorgonus behandeln soll? Der dominus Sisenna Iunius Scato ist stark und klug, aber das ist es nicht alleine. Er hatte die Güte, sich der Probleme eines in römischen Augen zweifellos bedeutungslosen Sklaven anzunehmen, der nicht einmal ihm gehört.“


    Nun verschwand der schneidende Ton aus Tiberios‘Stimme, und er sah den Älteren bittend an:
    „ Hast du ihm übrigens das Geschenk von mir gegeben? Es würde mich glücklich machen, wenn dein dominus wenigstens ab und zu noch freundlich an mich denken könnte.“

  • "Ich trainiere dich doch schon im viel zu engen Rahmen meiner Möglichkeiten. Dies ist die zweite Lehrstunde und sie kostet dich nur Nerven. Ein kleiner Preis, wenn man den Nutzen gegenüberstellt."


    Tiberios beließ es jedoch nicht dabei, seinem Ärger Ausdruck zu verleihen, sondern schickte zwischen den Zeilen die Drohung hinterher, genauer hinzusehen. Also doch, er hatte zu viel gesagt. Terpander legte ihm scheinbar freundlich die Hand auf die Schulter, doch sein schmerzhafter Griff erinnerte Tiberios daran, dass man das Spielchen auch andersherum spielen konnte.


    "Du scheinst zu glauben, die Waffen des Geistes seien denen des Körpers überlegen. Lass dir gesagt sein, dass noch kein Krieg mit Worten gewonnen wurde. Ich mag dich auch. Darum mein Rat, keinen Kampf zu beginnen, den du nicht gewinnen kannst."


    Sein Blick wurde milder. Terpander löste den Griff und gab Tiberios einen fast zärtlichen Klaps auf die Wange.


    "Jetzt hör auf zu schmollen und erzähl mir, was mein Herr dir zu Gorgonus geraten hat. Ich hoffe nicht, dass er dir riet, ein Gedicht darüber zu schreiben. Und natürlich habe ich ihm dein Geschenk überreicht, ich gab dir mein Wort darauf. Erst freute er sich, dann hielt er die Schriftrollen für verflucht und aß zur Probe eine Ecke. Sobald ich ihm berichte, dass er einem Irrtum erlegen war und damit alles in Ordnung ist, wird er sich wieder freuen und sie hoffentlich durchlesen. Ich habe ihn allerdings seither nicht wieder gesehen."

  • Tiberios schmerzte der Griff an der Schulter, doch gab er keinen Laut von sich. Erst als Terpander ihn losließ, zuckte er zusammen:
    „Ich würde nicht mit dir kämpfen wollen, Terpander.“, sagte er, und nun spottete er über sich selbst:
    „Du weißt, dass ich kaum die Kraft habe, einen Griffel zu halten. Und wenn mein calamos aus Bronze ist, dann komme ich schon schwer an meine Grenzen.
    Im übrigen werden Kriege wirklich nicht mit Worten gewonnen, doch sind es Worte, die entscheiden, ob man sich an den Krieg überhaupt noch erinnert. Selbst ein Achilles wäre ohne einen Homer schon längst in Vergessenheit geraten und was wüßten wir noch von Troja?“


    Dann schüttelte Tiberios den Kopf:
    „ Der Rat zu Gorgonus, das war kein Gedicht, nein. Erst hat mich dein dominus genau befragt, um abzuschätzen, ob Gorgonus seine Drohungen wahrmachen würde. Aus meinen Schilderungen hat er dann geschlossen, dass Gorgonus zwar erbost darüber ist, dass ich in meinem Alter nun sein Vorgesetzter bin, dass er aber seinen Mitsklaven gegenüber nicht zur Gewalt neigt. Dein dominus hat mir geraten, eben nicht den Vorgesetzten herauszukehren, sondern eher Gemeinsamkeiten mit den anderen Sklaven zu suchen. Das habe ich getan, wir trinken nun öfter zusammen einen Schluck, waren ab und zu zusammen im Lupanar und unterhalten uns über dieses und jenes. Gorgonus und ich sind immer noch keine Freunde, aber er macht jetzt einigermaßen, was ich ihm sage, er empfindet mich nicht mehr als Bedrohung für seine Stellung. Dein dominus hat meine Position als vilicus gerettet, er ist wirklich sehr klug.“*


    Tiberios sah etwas traurig drein, denn er erinnerte sich sehr gut an das Gespräch und sein abruptes Ende.


    Aber als Terpander sagte, Scato habe die Schriftrollen für verflucht gehalten, erschrak er. Der Fluch eines Sklaven gegenüber eines römischen Bürgers wurde unter Umständen wie ein Mordversuch behandelt, zumindest wenn dem römischen Bürger etwas zustieß.
    Fortuna sei Dank hatte Terpander irgendwie nachprüfen können, dass es keine Verfluchung gegeben hatte.


    Das Thema Fluch brachte Tiberios zurück zum Thema des magischen Rituals, das Terpander ausführen wollte:
    „In sechs Tagen um Mitternacht , Via Appia, durch die Porta Capena. Ich werde pünktlich dort sein, wenn ich bis dahin nicht tot oder verkauft bin .“, sagte er.


  • Dass Tiberios den gewöhnungsbedürftigen Humor von Terpander beantwortete, indem er über sich selber witzelte, gefiel dem alten Haudegen. Der Geist des jungen Mannes war flexibel wie ein Schilfhalm, er wich hier aus und kam dort entgegen. Wäre er anders aufgewachsen, hätte aus ihm etwas werden können. Aber so ... Terpanders Blick fiel auf die dürren Spinnenfinger. Vielleicht konnte er ihn zumindest hier und da mit einem wohldosiertren Arschtritt in eine bessere Richtung schubsen. Er mochte den kleinen Kerl und es tat ihm leid, ihn so zu sehen.


    "Freut mich, dass mein Dominus dir helfen konnte. Mir hat er ebenfalls den Arbeitsplatz gerettet, indem er mich übernommen hat. Darum werde ich ihn nicht enttäuschen und tun, was gut für ihn ist. Da du offenbar in seiner Gunst stehst, passe ich auf, dass du von unserem nächtlichen Treffen gesund wieder nach Hause kommst."


    Dass er selbst Freude daran hatte, sich um Tiberios zu kümmern, jetzt, wo Scato in der Castra wohnte und Terpander überhaupt keinen Schüler mehr hatte, ließ er unter den Tisch fallen. Ebenso ignorierte er, dass Tiberios anscheinden keinen Bedarf verspürte, unterrichtet zu werden.


    "Was Überlieferungen betrifft, habe ich eine Information für dich. Wusstest du, dass in Sparta nur jene eine Inschrift auf ihrem Grab erhalten, die sie auch verdienen, das heißt, in einer Schlacht fielen? Und auch dann werden nur die wenigsten namentlich erwähnt, denn wir sind homoioi, Gleiche unter Gleichen. Hervorhebungen Einzelner sind oft unnötig und schädlich. An dem Ort, wo sie starben, werden die Gefallenen bestattet, eingewickelt in ihre roten Mäntel, und nicht etwa dort, wo sie geboren worden sind. Alle anderen wird man zu Recht vergessen. Ein Mann sollte nur hinter der Wachstafel enden, wenn ihm beide Füße abgehackt worden sind. Also. Wir sehen uns ... scriba."


    Der Tonfall klang, als ob Tiberios sich für seinen Beruf schämen sollte. Terpander fuhr ihm von hinten nach vorn durch die Locken, so dass seine Frisur hinüber war, hob seinen Beutel auf und spazierte mit der kleinen Amphore zwischen den Fingern von dannen.

  • Es hört sich beruhigend an, dass Terpander bei dem, was wir vorhaben, auf mich aufpassen wird, dachte Tiberios. Außer ruhelosen Toten und Wesen aus der Unterwelt gab es außerhalb der Stadttore natürlich auch Gesindel aus Fleisch und Blut, Räuber und Wegelagerer.


    Die Ausführungen über die homoioi fand er sehr interessant. Es zeigte ihm wieder einmal, wie umfassend der hellenische Geist war.. Das Leben in Sparta und das Leben in Alexandria konnten unterschiedlicher nicht sein, doch verstanden sich ihre Einwohner alle als Griechen, sprachen die gleiche Sprache und beteten zu den selben Göttern.


    Der nächste Satz war dann wieder eine Beleidigung, und außerdem ruinierte Terpander Tiberios seine Frisur,
    Zwischen den Happen Weisheit, die ihm der Ältere ab und zu zukommen ließ, musste er sich wohl oder übel kränken lassen. Ein Glück, dass Tiberios ohnehin nach der apatheia , der unerschütterlichen Gemütsruhe der philosophischen Schulen, strebte.


    „Zumindest wäre ich auch mit abgehackten Füßen ein nützlicher Sklave, nur bei abgehackten Händen würde es eng.“, sagte der junge Alexandriner:" Ach - wie sähe das denn in deinem Fall aus, Terpander servus?“
    „Servus“ betonte Tiberios und lächelte jetzt.


    Dann hob er die Hand zum Abschied, als Scatos früherer Lehrer davonschritt.


    Tiberios strich sich die Locken mit den Fingern zurecht und bändigte sie mit seinem Stirnband.
    Aber er ging noch nicht gleich Richtung Casa Furia. Tatsächlich sah er sich noch ein wenig die Brandstelle an.
    Er versuchte zu erkennen, wo das Feuer ausgebrochen und welchen Verlauf es genommen hatte, aber es gelang ihm nicht.
    Der Brand war so heftig gewesen, dass zumindest für sein ungeübtes Auge alle Spuren verwischt waren.
    Mit der Fußspitze scharrte er im Schutt. Dann war seine Neugier befriedigt, außerdem war es wirklich schon spät .
    Tiberios nahm seinen Bündel mit den Buchenholztafeln unter den Arm und machte sich auf den Heimweg.

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