Unterricht im Freien

  • Gemeinsam mit Callidus schlenderte sie aus Tarraco heraus, während sie den Linken Arm brav erhoben hielt, damit die Palla auch weiterhin gut lag. Sie mochte seltsamerweise dieses Kleidungsstück immer mehr, wenngleich sie es früher doch verabscheut hatte. "So kleiner Bruder, dann wollen wir beginnen. Ich denke ich berichte dir als allererstes etwas mehr über Minerva, hat sie in Hispania doch besonderen Status erlangt. Schließlich soll auch sie dich während deiner Ausbildung leiten. Wie du vorhin schon gesagt hast, ist sie Schutzherrin der Handwerker, Künstler und Lehrer. Heilig waren ihr unter anderem der Ölbaum, die Schlange und die Eule, ganz prudentia eben. Es ist noch nicht allzu lange so, dass sie einen besonderen Status auch im Militär fand, doch er festigte sich zunehmend. Sie ist auch als Minerva medica für den medizinischen Bereich zuständig, was sie zudem sehr vielfältig macht." Sie blickte ihn an. "Weisst du wo ihr Tempel steht, in welchem die Ärzter ihr huldigen?"

  • Callidus lauschte seiner Schwester neugierig und nüssekauend.


    "Nein, da habe ich keine Ahnung! Es gibt so viele Abwandlungen von den einzelnen Göttern und so viele Überschneidungen bei ihren Aufgabengebieten. Die einen gehen zu Minerva medica, die anderen zu Apollo medicae und andere wiederum in die Heiligtümer des Aesculap... Da fällt es einem schwer, den Überblick zu behalten. Selbst Iuppiter exisitiert auf viele verschiedene Arten mit anderen Beinamen!"


    Er seufzte. Wie konnte man da die Übersicht behalten? Selbst die Götter würden wohl da ihre Probleme haben. Dies war irgendwie untypisch für die römische Lebensweise, wo alles streng geordnet war. Oder kannte er die Irrwege der Verwaltung einfach nur nicht?

  • "Auf dem Esquilin." nickte Helena. Sie konnte verstehen, dass er nicht zugab, dass er es nur einfach nicht wusste. Da musste halt noch irgendeine Begründung her. "Iupitter galt vor seiner Gleichstellung mit dem griechischen Zeus als alte Gottheit des Lichts und der Himmelserscheinungen. Kannst du mir denn noch ein paar andere Gottheiten nennen, die griechische Parallelen haben?"

  • "Nun, seine Gemahlin Iuno wurde mit der griechischen Hera identifiziert, auch wenn es für diesen Prozess etwas Zeit gebraucht hatte. Seine Tochter Minerva entspricht in etwa der griechischen Athene, dann gibt es da noch Ares - Mars, Poseidon - Neptun, Chronos - Saturn, Aphrodite - Venus, Dionysos - Bacchus... Mehr fallen mir im Moment nicht ein!"


    Er schlenderte neben ihr gemütlich her und blickte sich um.


    "Die Griechen haben nur viel mehr Mythen über die Götter! Sie haben besonders viele Informationen über die Verhältnisse der Götter untereinander, wer was mit wem hatte..."

  • "Richtig. Mercurius kannst du zudem mit Hermes gleichsetzen. Diana und Artemis wären da auch... Doch gut, schluss damit. Der Weihetag für den ersten Tempel des Iuppiter war zu Beginn der Republik vor knapp ungefähr 650 Jahren. Sie fand in den Iden des September statt. Kannst du mir etwas über den lapis manalis sagen?" Helena blickte kurz zu Callidus und ließ dann den Blick wieder über die Ebene streifen.

  • Callidus hatte diesen Begriff schon einmal aufgeschnappt, wusste aber nichts konkretes dazu.


    "Tut mir leid, Helena! Aber ich bin kein Bürger aus Rom! Ich habe lediglich aufgeschnappt, dass dies irgendein komischer Stein sein soll! Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich war nicht oft in Rom und kenne die Gebräuche der Stadt Rom nicht so sehr. Wie ich schon sagte, ich bin in Capua groß geworden!"

  • "Deshalb kannst du ja dennoch etwas darüber lernen... Du bist ja nicht hier um alles zu wissen. Ich frage nur lieber vorsichtig an ehe ich dich langweile. Dieser Stein wird bei langanhaltender Trockenheit durch die Stadt getragen, wobei ihm eine Prozession folgt. Hiermit flehte man eine Himmelsgottheit um Regen an." So recht wusste Helena auch nicht, warum sie danach fragte. Es war ihr einfach in den Sinn gekommen. "Kannst du mir etwas zu dem Iuppiter Feretrius sagen?"

  • Callidus überlegte kurz. Iuppiter Feretrius... Nein, darüber hatte man íhm bisher nichts erzählt.


    "Nein, über diese Abwandlung von Iuppiter kann ich dir nichts erzählen. Ist dies vielleicht der Schwurgott?"


    Immerhin diente Iuppiter auch als Schwurgott und da hatte er am Rande etwas mitbekommen, als er in Roma war.

  • "Genau, dies ist der Schwurgott. In einem seiner Tempel wird der silex aufbewahrt, auf welchen man für gewöhnlich schwörte. Das dargebrachte Opfer wird mit diesem Steinmesser getötet und bricht jemand den Eid, ist er Iuppiters Zorn ausgeliefert." bestätigte sie seine Vermutung und blieb stehen. Ihr Haar flatterte im doch recht starken Wind, welches ein angenehmes Schaudern verursachte. "Was meinst du? Wollen wir diesen Abschnitt erst einmal sein lassen und uns der von Plinius Secundus erlassenen Religionsfibel beschäftigen? Für gewöhnlich lasse ich diese ja abschreiben, aber deine Vorkenntnisse sind schon so weitreichend, dass ich diese nun zum Mittelpunkt des Unterrichts werden lassen möchte."

  • Er lauschte ihren Worten, dies allerdings nur mit halbem Ohr, da er grad enttäuscht feststellen musste, dass ihm ein schöner großer Kern heruntergefallen war. Er seufzte leise und wandte sich dann, kauend, wieder Helena zu. Trauern würde er später.


    "Also ich wäre dafür!"


    sagte er bestätigend ohne genau zu wissen worum es ging. Vermutlich um etwas was mit dieser Fibel zusammenhing... Nur was?

  • "Sehr gut!" freute sich die ahnungslose Helena, die nichts von diesem Moment mitbekam, an dem annähernd schon Staatstrauer herrschen sollte. "Beginnen wir mit den Gebeten, da dies wohl für jeden Bürger das Wichtigste Ressort ist. Bei eigentlich jeder Opferung wird auch ein Gebet gesprochen, gehören diese beiden Ehrdarbietungen doch quasi zusammen." begann Helena ihre kleine Rede. "Damit die Aufmerksamkeit der Götter erlangt wird, sollte immer eine kleine Gabe dem Gebet vorausgehen, damit die Aufmerksamkeit auf einen gelenkt wird. Jede Störung während des Gebetes, kann dieses unwirksam machen. So empfiehlt sich also leises Flötenspiel, wenn die Gefahr bei einer größeren Menschenmenge droht, dass der Betende gestört wird. Es gibt noch eine Methode, um maximale Ruhe zu erlangen - kennst du sie?"

  • "Man kann den Anwesenden Trauben anbieten, so dass sie mit kauen beschäftigt sind. Man muss nur darauf achten, dass man den Leuten wirklich etwas weiches zu essen gibt, damit das Kauen nicht so laut ist! Hat man es mit Römern zu tun, dürfte es auch kein Schmatzen geben!"


    Sagte Callidus trocken zu Helena. Er schaute sie aus den Augenwinkeln prüfend an und verkniff sich sein Grinsen. Dann rückte er doch lieber mit der richtigen Antwort raus.


    "Eine andere Möglichkeit für den Betenden ist es, sich die Toga über den Kopf zu ziehen. So wird er persönlich nicht so stark abgelenkt und auch die Reize einer anwesenden Flötenspielerin dürften ihn nicht von seinen Worten ablenken. So ist er ganz bei der Sache!"


    Nun musste Callidus doch grinsen.


    "Aber eine Toga wird kaum störende Geräusche von dem Betendene fernhalten, es sei denn, man trägt 10 Meter Stoff. Ich habe gehört, dass bei einigen Kulthandlungen capite velato gefordert wird und bei anderen wiederum verboten ist!"

  • Helena schnappte nach Luft, als sie seine dreisten Ausführungen hörte. Gerade wollte sie zu einem erlösenden Donnerwetter ausholen, als er endlich mit der anderen Antwort herausrückte. Auch wenn sie reichlich lieblos klang. Scheinheilig fragte sie: "Nun da du so eine seltsame Auffassung von Sexualität hast, mein lieber Callidus, was hältst du davon wenn ich mir einfach die Freiheit nehme und dir einen männlichen Lehrer zuweise? Oder besser noch eine Dame wie es Claudia ist?" ließ sie freundlich, aber innerlich durchaus gereizt vernehmen.

  • "Was hat das mit einer seltsamen Auffassung von Sexualität zu tun, Schwesterherz? Das sind Tatsachen, von denen ich dir hier berichte! Selbst die ehrbarsten Senatoren können ihre Finger von solchen Mädchen nicht lassen, sofern es in diesem Stand überhaupt ehrbare Menschen gibt!"


    Callidus war schockiert aber einerseits auch froh, dass Helena die Morallosigkeit der Gesellschaft noch nicht aufgefallen ist.


    "Und was diese Claudia angeht! Nun, ein Schüler wie mich, würde ihr garantiert nicht schaden! Sie kann eine Menge übers Leben lernen!


    Aber vielleicht sollten wir lieber beim Thema bleiben, Pontifex!"

  • Ein weiteres Mal wurde sie dazu verleitet, die Luft tief einzuziehen. "Callidus! Ein letztes Mal. Zügle deine Zunge wenn du in meinem Unterricht bist. Wenn ich überhaupt noch Gnade mit dir Zeige hängt es damit zusammen, dass du mein Bruder bist und ich hier nicht hart durchgreifen kann. Aber irgendwann hast du auch diese Freiheit ausgeschöpft. Sonst darfst du deine Opferbereitschaft wirklich bald zeigen." mahnte sie ihn an und schüttelte den Kopf. "Keine sexistischen Bemerkungen mehr. Und ganz besonders keine abwertenden Worte über verdiente Leute."

  • Callidus war enttäuscht, dass seine Schwester so realitätsfremd war. Immerhin sagte er nichts, als die Wahrheit, doch wie zu oft, wollten Menschen diese nicht hören. Callidus seufzte.


    "Darf man jemanden für die Wahrheit bestrafen? Für eine Wahrheit, für die man selber nichts kann? So wähle ich den Schierlingsbecher, meine liebe Schwester!"

  • Helena blieb stehen und blickte beinahe bittend gen Himmel. Warum wollte er nicht verstehen, dass sie seine anzüglichen Bemerkungen einfach nicht hören wollte? Wenn es zumindest dringende und wichtige Dinge wären, die er ansprach. Aber es war nichts weiter als die Unreife eines jungen Erwachsenen. "Die Wahrheit darfst du gerne immer und überall verlauten lassen. Aber hier, in meinem Unterricht, möchte ich nur Dinge hören, die sich auf den Unterricht beziehen. Hast du es jetzt verstanden?"

  • "Nun gut! Dann werde ich meine Augen vor den weltlichen Dingen verschließen auch wenn dies schwierig ist, als Teil dieser Welt!"


    Callidus seufzte. Ihm passte es gar nicht, die Welt mit Scheuklappen zu betrachten. Seine Schwester war ganz schön egozentrisch.


    "Also Pontifex, fahren wir mit meiner Ausbildung fort!"

  • Sie verdrehte die Augen merklich. "Du scheinst zwar alles zu sehen, was es gibt. Aber hören tust du wohl nur das, was du auch wirklich hören willst, nicht wahr? Das Gefühl beschleicht mich zunehmend. Ich habe schlicht und ergreifend keine Lust, unpassende Antworten auf sachliche Fragen zu erhalten. Gerne wenn wir wieder daheim beim Abendessen sitzen, aber nicht hier. Ich möchte gerade bei dir klar zwischen Privat und Öffentlich trennen. Ist es jetzt bei dir angekommen?" Sie sah ihn ernst an. Ehe er sich nicht benahm, würde sie sich ohnehin nicht imstande sehen, den Unterricht fortzusetzen.

  • "Nun, dies ist eine Trennung, die für einen Römer nicht einfach ist, sind Privatleben und das öffentliche Leben doch stark miteinander verflechtet, so habe ein wenig Geduld liebe Schwester.. Oh verzeih... Pontifex, bis ich diese Trennung durchsetzen kann!"


    Callidus fragte sich, in was für einer Welt Helena leben würde. Eine solche Trennung war für Callidus einfach nur utopisch und gerade das seine Schwester darauf bestand, schmerzte ihn sehr. Trocken fuhr er fort.


    "Nun, Pontifex! Da wir das nun geklärt haben, was willst du mir nun beibringen?"


    Sein Blick war nun ebenfalls ernst und jede Freude war aus seinem Geischt gewichen. Er kam sich vor, wie eine Marmorstatue auf dem Forum.

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