Irgendwo in den Bergen

  • ‚Au, mein Kopf!’, war das erste, was ich denken konnte, als ich die Augen aufschlug. Mein zweiter Gedanke galt dem seltsam schnaubenden Kitzeln an meinem Hals. Stöhnend versuchte ich es zu vertreiben und bekam etwas haariges unter die Finger. Mit einiger Anstrengung schlug ich dir Augen auf und wandte meinen dröhnenden Kopf zur Seite.
    Ein Pferd? Ich setzte mich ruckartig auf, bereute es aber schon im nächsten Augenblick. Mit beiden Händen versuchte ich zu verhindern, dass mir der Kopf von den Schultern rollte und presste die Augen fest zusammen.
    Da stupste mich eine weiche Nase an und vorsichtig zwang ich erst das eine und dann das andere Lid nach oben. Warme braune Pferde Augen schauten mich an und ich murmelte: „Was ist hier eigentlich los?!“
    Ich löste vorsichtig eine Hand von meinem Kopf und tätschelte dem Tier den Hals und drückte es dann ein Stück von mir weg. Langsam verklang der Schmerz, oder wurde zumindest etwas weniger, so dass ich mich interessiert umschauen konnte.
    Ich lag, oder viel mehr saß inzwischen, am Fuße einer vielleicht einen Meter hohen Felswand mitten in einem Wald. Die Vögel zwitscherten, wofür ich sie hätte umbringen können, und ganz in meiner Nähe standen zwei Pferde. Das eine war jenes, was mich geweckt hatte, das andere schien sich mit den Zügeln in einem Busch verfangen zu haben, weshalb es nicht weg konnte.
    Was war passiert? Diese Frage formte sich langsam aber sicher in meinem Kopf und, erschreckender Weise, wusste ich keine Antwort darauf.

  • Ich rappelte mich hoch und wieder durchzuckte ein stechender Schmerz meinen Hinterkopf. Meine Hand fuhr automatisch zu der Stelle und ich fühlte etwas klebriges zwischen den Fingern. Schon ahnend, was das war, zog ich sie wieder hervor und betrachtete ruhig das Blut. „Ich muss auf den Kopf gefallen sein...“, murmelte ich und sah mich noch mal nach der Stelle um, an der ich gelegen hatte.
    Dort lag einiges Geröll, ich schien wirklich diesen kleinen Abhang hinunter gefallen zu sein. ‚Aua!’, schoss es mir noch einmal durch den Kopf, diesmal aber nicht wegen irgendwelches Schmerzen, sondern als Kommentar zu dieser Möglichkeit.
    Ich drehte mich wieder zu den Tieren um und merkte, wie das eine Pferd sich zu befreien versuchte. ‚Wäre wohl besser, wenn ich die beiden einfange und irgendwie festbinde...’, überlegte ich mir. ‚...und dann sollte ich eine Quelle oder so was suchen, ich hab schrecklichen Durst!’
    Gedacht, getan. Und es erwies sich als weniger schwierig, als ich befürchtet hatte. Die Tiere schienen mich zu kennen und ließen sich bereitwillig von mir am Zügel führen. Der Bach war auch recht schnell gefunden und ich merkte während der Suche, dass ich mich wohl irgendwo am Fuß eines Berges aufhalten musste. Überall waren kleine Abhänge und Geröll lag herum, außerdem ging es fast stetig bergab.
    Am Bach band ich erst mal die Tiere an und löschte meinen Durst. Dann fing ich etwas Wasser mit den Händen auf und versuchte das angetrocknete Blut aus meinen Haaren zu waschen.
    Dies getan hatte ich nichts mehr, womit ich mich ablenken konnte und eine erschreckende Erkenntnis drängte sich mir auf. Ich hatte weder eine Ahnung, wer und wem die Pferde waren, noch wo ich mich befand, noch, und das schien mir das schlimmste, wer ich überhaupt war!

  • „In Ordnung, ganz ruhig! Du hast doch sicher irgendwas dabei, was einen Hinweis auf... auf was auch immer sein könnte! Also ganz ruhig!"
    Ich tastete meine Kleidung ab und merkte dabei, dass es eindeutig die Kleidung eines Reiters war. Ich trug Hosen, das war schon mal interessant. Ich fand einen Dolch am Gürtel und einen am Knöchel, jedoch kein Schwert oder Schild. In dem einzigen Beutel, den ich an mir entdecken konnte, waren einige Sesterzen. Ich war also schon mal nicht all zu arm, übermäßig reich aber auch nicht. Dann war da noch ein Bild. Eine verwischte, und abgenutzt wirkende Kohlezeichnung von einer jungen Frau. Wer sie wohl war? Sie war schön, eindeutig, jedoch machte mich das Bild irgendwie traurig... Heftig schüttelte ich den Kopf um dieses seltsame Gefühl zu vertreiben und steckte das Bild zurück.
    Da ich an mir keine weiteren Hinweise zu finden vermochte, machte ich mich daran die Tiere zu untersuchen. Irgendwie scheute ich mich davor, obwohl ich mir inzwischen sicher war, dass sie mir gehörten, oder zumindest unter meiner Obhut standen.
    An dem Tier, das mich geweckt hatte fand ich auch Bogen und Pfeile, so wie ein Schwert. Eine schöne Waffe befand ich, aber sie sah nicht sehr gebraucht aus. Die Dolche schon eher. Auf der anderen Seite hing ein Schlauch, und als ich an dem Inhalt roch, merkte ich, dass es wohl Met oder etwas in der Art war. Beherzt nahm ich einen Schluck. Schmecken tat es schon mal nicht übel!
    In der einen Satteltasche entdeckte ich Nahrung und in der anderen endlich etwas, was mir mal weiter half. Ich zog die in ein Tuch geschlagene Wachstafel heraus und wickelte den Stoff ab. Ich konnte das geschriebene ohne Probleme lesen.

    Lieferung des Hengstes Lasfalor an Publius Matinius Agrippa, Tarraco, Hispania, von Manius Matinius Fuscus, CCAA, Germanien durch die Hros Duccia Mogontiacum, Germanien


    „Lasfalor?“, sagte ich laut und meine Hoffnung bestätigte sich. Das Pferd, welches sich in den Büschen verfangen hatte hob den Kopf. „Gut, dann werde ich dich zu diesem Agrippa nach Tarraco bringen, vielleicht hilft mir das ja weiter.“
    Ich wickelte die Wachstafel wieder ein und steckte sie zurück. Dann durchsuchte ich der Vollständigkeit halber noch Lasfarlors Satteltaschen, fand dort jedoch nur weitere Nahrung, eine Decke und etwas Kohle, wohl zum Zeichnen.

  • Nachdem ich eine relativ ruhige Nacht unter sternenklarem Himmel verbracht hatte, fühlte ich mich am nächsten Morgen schon um einiges besser. Ich schien es gewohnt zu sein unter freiem Himmel zu schlafen, da es mir keinerlei Probleme bereitet hatte das Lager aufzubauen oder auf dem doch recht harten Boden zu liegen.
    Ich frühstückte eine Kleinigkeit, trank Wasser vom Bach und anschließend, für den guten Geschmack, etwas Met.
    Der Aufbruch gestaltete sich schon als etwas schwieriger. Zwar waren die verschiedenen Utensilien rasch verstaut und wieder auf die Pferde geladen, welche ich über Nacht von ihrer Last befreit hatte, doch Lasfalor wollte scheinbar nicht wirklich.
    „Hör mal!“, ich zog seine Nase ganz nahe an mich heran. „Du bist der einzige hier, mich inbegriffen, von dem ich den Namen weiß. Ich dachte das wäre ein guter Start für uns, also versau es dir nicht! Ich kann sehr ungemütlich werden!“
    Ich wusste zwar nicht, woher ich diese Behauptung nahm, doch es schien zu wirken. Lasfalor gab nach und ich konnte mich auf den Rücken des anderen Tieres schwingen und ihn am Zügel nebenher führen.
    Jetzt war da einzig und allein noch das Problem, dass ich nicht wusste, wo genau ich mich befand. Jedoch schien ich von Germanien nach Hispania unterwegs zu sein und da war es schon mal gut die aufgehende Sonne im Rücken zu haben. Ich nahm mir fest vor das nächste menschliche Wesen, welches ich treffen würde, nach dem Weg zu fragen.

  • Ich sollte jedoch noch einige Tage nur mit meinen Tieren alleine sein. Diese Zeit nutze ich jedoch insofern, dass ich mir Gedanken über meinen Namen machen konnte. Was würde ich tun, wenn man mich nach meinem Namen fragte? ‚Tut mir leid, aber den hab ich vergessen’, klang als Antwort erstens nicht besonders vertrauenserweckend und zweitens beschwor das mehr oder weniger angenehme Diskussionen herauf. Aber wie würde ich mich nennen?
    Man glaub es kaum, da hat mal jemand die Möglichkeit frei über seinen Namen zu entscheiden, er wurde einem nicht, wie normalerweise üblich von den Eltern bei der Geburt aufgezwungen, und dann fiel einem keiner ein.
    Nach einigem Grübeln beschloss ich mich für den Notfall Marcus zu nennen. Jeder hieß Marcus, warum also nicht auch ich?
    Das Problem war nur, ich wollte nicht wie jeder heißen! Doch keiner der Namen, die mir in den Sinn kamen stellten mich zufrieden und nach einiger Zeit merkte ich auch warum. Es war einfach nicht mein Name. Ich war mir sicher, dass ich einen Namen hatte, und diesen wollte ich wissen! Aber vorerst musste ich mich mit Marcus zufrieden geben.
    Dann machte ich mich daran, das Tier, auf dem ich ritt zu benennen.
    Wir schienen schon einiges zusammen durchgemacht zu haben. Ich stellte schnell fest, dass er, es war ein Hengst, sich nicht gerne von mir anbinden lies. So lies ich ihm am zweiten Abend seinen Willen und lies ihn frei laufen, beobachtete ihn jedoch wachsam. Er rannte jedoch nicht weg, nein im Gegenteil, er legte sich sogar wärmend neben mich! Von da an band ich ihn keinen Abend mehr an.
    Ich spürte eine wachsende Zuneigung zu dem Tier, weshalb ich ihn auch gerne mit seinem Namen angesprochen hätte. So schaute ich ihn mir genau an, eine Blässe auf der Stirn, braun schimmerndes Fell, starke Beine. Doch nichts Außergewöhnliches, was einen Namen herbeigeführt haben könnte. Ich seufzte tief und beschloss ihn, ebenfalls behelfsmäßig, erst einmal ‚meinen Braunen’ zu nennen.

  • Nach einer guten Woche traf ich auf die ersten Zeichen menschlichen Lebens: Äcker. Da dauerte es zum Glück auch nicht mehr lange, bis ich dem ersten Menschen gegenüberstand.
    Ich hatte Herzklopfen. Ich fragte mich, ob er wohl nach meinem Namen fragen würde, ob er bemerken würde, dass ich log. Es dauerte einen Moment, bis ich mich überwunden hatte den Mann anzusprechen.
    Doch diese Aufregung erwies sich als komplett unbegründet. Der alte Mann verstand nicht einmal meine eine Frage. „Entschuldigung“, sagte ich. „Kannst du mir sagen, wo es nach Tarraco geht?“ Der Mann schaute mich groß an, dann nickte er wie wild und haspelte: „Ave, ave! Ja, Herr, ja! Ave!“ Der Mann schien kaum ein Wort Latein zu können, oder er war verrückt.
    Ich probierte es jedoch noch einmal: „Tarraco? Wo?“, stellte ich die Frage so einfach wie möglich und wies zur Verdeutlichung mit dem Arm einfach grade aus. „Da?“
    Wieder beeilte sich der Mann zu nicken. Doch ‚irgendwie’ war ich nicht überzeugt, so deutete ich nach rechts und fragte noch einmal „Tarraco?“ Und wieder nickte der Mann.
    Es war zum verrückt werden! Ich fasste mir an die Nasenwurzel und zwang mich dann dem Mann zu zulächeln. „Danke, du hast mir sehr geholfen! Vale!“, meinte ich mit stark ironischem Unterton und der Mann nickte wieder. „Vale, Herr. Ja. Vale, vale!“Ich drückte meinem Braunen die Fersen leicht in die Seite und zog Lasfalor mit uns, einfach weiter grade aus. Irgendwann würde mir schon jemandem begegnen! Jemandem, der auch meine Sprache verstehen würde!

  • Gegen Abend kam ich zu einer Besiedlung. Nur ein kleines Dorf, nein nicht einmal das lediglich ein paar zusammenstehende Häuser waren es. Ich zögerte zuerst, aber dann gab ich mir einen Ruck und hielt darauf zu.
    Laut schnatternd stoben die Gänse auseinander, kaum, dass ich auf zehn Schritt an sie herangekommen war. Ich überlegte nicht lange, sondern stieg gleich von meinem Braunen ab und führte ihn und Lasfalor am Zügel. Kurz darauf fragte ich mich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war.
    Drei Männer kamen auf mich zu, die Waffen zwar nicht gezückt, aber deutlich sichtbar an der Seite tragend. „Wer bist du? Was willst du hier?“, rief mir einer, wohl der älteste der drei, unfreundlich entgegen. Die Hand an seinem Schwertgriff warnte mich davor näher zu kommen und so blieb ich in gebührendem Abstand stehen. „Ich bin Marcus“, sagte ich meinen für diese Frage einstudierten Text auf. „Ich möchte nach Tarraco, weiß jedoch nicht, ob ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Außerdem würde ich mich über ein Lager für die Nacht freuen. Ein Platz im Stroh genügt mir.“
    Die Hand entfernte sich etwas von dem Griff des Schwertes und ich spürte wie drei Augenpaare mich scharf musterten. Ich gab mir Mühe so vertrauenserweckend, wie nur möglich zu wirken.

  • Genüsslich streckte ich mich im Stroh aus. Das hatte sich eindeutig gelohnt hierher zu kommen! Die Männer hatten mir erklärt, nach Tarraco müsse ich mich nach Süden wenden, dann würde ich schon mit der Nase drauf stoßen. Es sei aber noch ein recht weiter Weg. Dann führten sie mich zu ihrem Stall und den zugehörigen Heuboden.
    Die Männer schienen zwar misstrauisch zu sein, und ich würde meine beiden Pferde selber auch nicht aus den Augen lassen, aber das hier war alle mal besser als der Waldboden. Ich räkelte mich noch mal, ehe ich nach unten zu Lasfalor und meinem Braunen blickte und mich vergewisserte, dass sie es dort unten gut hatten.
    Die Stalltür öffnete sich und ein Gesicht erschien im Spalt, verschwand nach einigen Momenten jedoch wieder. Das vergewisserte sich wohl noch jemand. Mir war klar, dass meine Gastgeber wollten, dass ich am nächsten Tag so schnell es ging wieder verschwand. Diesen Gefallen würde ich ihnen tun, aber vorher genoss ich das bequeme Stroh und ruhte mich aus.
    Am nächsten Morgen weckte mich das laute Geschnatter der Gänse. Beinahe auf der Stelle war ich hell wach und schaute sofort nach Lasfalor und meinem Braunen. Beide waren wohl auf und sahen fit aus. Der Aufenthalt im Stall hatte ihnen genau so gut getan wie mir. Ich machte sie wieder reisefertig und als ich den Stall verlies, die beiden Pferde im Schlepptau, sah ich wie einige erleichtert wirkende Gesichter mir nachschauten und dann schnell wieder verschwanden.
    Ich schwang mich ausnahmsweise mal auf Lasfalor. Ihn zu reiten war seltsam und mir zwang sich die Überlegung auf, ob ich nicht von seinem Rücken gefallen bin, ehe ich mein Gedächtnis verlor. Könnte sein, könnte nicht sein und so ritt ich hin und wieder auch ihn. Nun wandte ich mich aber gen Süden, Richtung Tarraco und hoffte, dass ich bald ankommen würde.

  • Wieder dauerte es ein paar Tage, und ich übernachtete hin und wieder im Stroh, von irgendwelchen mehr oder weniger netten Bauern, oder aber meist im Freien. Ich war inzwischen dazu übergegangen zu sagen ‚Man nennt mich Marcus’ So behauptete ich nicht so zu heißen, aber die allermeisten waren damit zufriedengestellt. Ja, es war kniefisselig aber auch hilfreich. Von dem Geld, das ich bei mir trug hatte ich noch keine Sesterze ausgegeben, doch langsam wurde mein Essen knapp. Ich aß möglichst viele Beeren und stellte Abends Hasenfallen auf, in der Hoffnung bis zum nächsten Morgen etwas gefangen zu haben, aber von all zu großem Erfolg war die Sache nicht gekrönt.
    So vergingen die Tage und dann endlich kam Tarraco in Sichtweite.

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