Ein Gespräch mit dem Pontifex Maior

  • "Salve."


    Das einzelne Wort des alten Auguren war fast fragend, als er sich dem Pontifex Maior näherte. Er hatte ihn eigentlich zu selten besucht und allgemein zu wenig von dem getan, was er hätte tun sollen. Das wurde ihm gerade in solchen Momenten schmerzlich bewusst.
    Der Pontifex Maior - sein Vorgesetzter - war jünger als er, und doch hatte er es - Sophus wäre der letzte gewesen, der das angezweifelt hätte - verdientermaßen eine höhere Position inne.
    Doch dies war nicht der rechte Moment für Selbstzweifel. Er neigte den Kopf und trat einen Schritt näher.


    "Ich grüße euch, Pontifex. Ich bin Tiberius Annaeus Sophus, Augur aus Rom und Stellvertreter der Pontifex Hispania. Ich wollte euch, ehe ich abreise, sprechen. Dies ist auch eine Gelegenheit der Rechtfertigung meiner Amtszeit hier, die ich wohl auch vor dem Kaiser werde ablegen müssen."


    Er wartete und richtete sich wieder auf. Dies war nicht der Kaiser. Seine Demut durfte Grenzen haben.

  • Es war bereits Abend geworden. Es war recht schwül. Der Sommer in der Provinz konnte recht unangenehm werden, wenn man nicht daran gewöhnt war.
    Der Pontifex Maior hingegen war es. Inzwischen. Er war bereits lange hier. Er hatte einige Amtswechsel erlebt. Der alte Mann vor ihm erschien ihm nicht besonders. Auch sein Alter war nicht ungewöhnlich - nicht für einen Auguren.


    "Salve, Augur. In der Tat hat eher Rom von euren Taten gehört, als es das Volk hier tat. Und möglicherweise hat sogar eher Rom von euren Taten gehört, als dass die Götter es taten. Doch will ich keinen Richtspruch fällen. Sprecht nur, Augur."


    Er legte die Hände vor seiner Toga zusammen und sah den Alten gutmütig an. Des Pontifex Worte waren absolut ehrlich. Es hatte wohl seinen Grund, dass dieser Mann den Cultus Deorum, nicht den Cursus Honorum gewählt hatte. Obgleich er es zweifellos hätte tun können.

  • "Mein Herr, ich habe in meiner Zeit hier versucht, für die Götter zu arbeiten, ihnen zu dienen und den Menschen der Provinz. Mein Anliegen ist die Präsenz der Götter und ihr Platz in den Köpfen der Menschen zum Wohle des Imperiums.
    Ich bin hierher entsandt worden, um den Bau des Capitoliums in Tarraco zu unterstützen und zu begleiten. Diese Aufgabe ist nun zwar nicht abgeschlossen, aber, so will ich meinen, zu einem wesentlichen Teil vollendet worden.
    Die Pontifex Hispania ernannte mich zu ihrem Vertreter, als sie sich auf ihre Reise begab und meines Wissens nicht wieder zurück kehrte - wenn sie es tat, so ohne mich zu informieren und ohne ihr altes Amt und ihre Amtswürde wieder aufnehmen zu wollen. Die Götter mögen ihre Reise und ihre Demut segnen.
    In dieser Eigenschaft habe ich, so gut ich es vermochte, ihre Aufgaben weitergeführt und habe versucht, den Bürgern beim Vollzug ihres Dienstes für die Götter zu unterstützen.
    Das wesentliche meiner Tätigkeit, so begreife ich es, ist jedoch die Reise nach Corduba gewesen, die Reise zu den Truppen. Ich habe dort ein Zeichen der Götter gesehen und als Augur wie als stellvertretender Pontifex und als Abgesandter des Proconsul das Opfer vor der Schlacht vollzogen.
    Die Götter haben die Schlacht gewendet, die Götter vermochten es, ohne ein allzu großes Blutvergießen an Volk und des Kaisers Soldaten, diesen Krieg zu beenden. Und das Trotz der misslichen Lage in der Provinz, seit nicht nur eine Freveltat in dieser Umgebung geschah. Die Götter haben sich hier als barmherzig erwiesen.
    Meine Tätigkeit als Augur will ich in Rom weiter fortführen, auch wenn ich sie hier selbstverständlich nicht habe ruhen lassen.
    Mein Herr, ich hoffe, dass ihr diese Bemühungen anerkennt, trotzdem ich euch nicht so oft darin einbezog, wie ihr es verdientet und verdient. Ich bedaure diesen Umstand und bitte um Verzeihung."


    Sophus sah dem Pontifex Maior starr in die Augen, sah ihn sanft, geradezu schicksalsergeben, an. Seine Stimme war leise und ruhig. Die Stimme eines alten Mannes. Dann wartete er.

  • Der Pontifex Maior hörte ruhig zu. Die - vielleicht auch nur gespielte - Selbstverurteilung des Alten amüsierte ihn ein wenig.


    "Tatsächlich aber hätte euch das bereits vor diesem Versäumnis bewusst sein können, Augur." sagte er freundlich.


    "Wie dem auch sei. Ihr habt eure im Rahmen der Provinz bescheidene Aufgabe erfüllt, so gut ihr es konntet. Das akzeptiere ich. Ihr kanntet und kennt Hispania nicht besonders gut, vielleicht hängt es damit zusammen, dass ihr möglicherweise nicht allzu viel erreicht habt."


    Der Pontifex Maior hob seine rechte Augenbraue und musterte den Auguren einen Moment lang.


    "Gibt es sonst noch etwas?" fragte er dann.

  • "Nun, Pontifex." antwortete Sophus. "Wie ihr wisst, hat es beim Kampf um Corduba trotz allem Zerstörungen gegeben und ich weiß nicht, wie die Zustände in den übrigen Städten sind.
    Es ist zu erwarten, dass Flüchtlinge aus diesem Teil der Provinz nach Tarraco kommen werden. Und ich nehme auch an, dass Priester hierher kommen werden, da sie dort unter den akkuten Umständen, der Herrschaft der Soldaten, nichts mehr zu tun vermögen.
    Von einem jener Priester weiß ich. Sein Name ist Publius Annaeus Domitianus. Er wird bald hier auftauchen. Er war es, der uns und euch vor der Gefahr in Corduba warnte und der auch unter der Herrschaft der Rebellen den Cultus Deorum zu schützen suchte. Ich bitte euch nur darum, dies zu beachten, wenn er hier eintrifft.
    Ich danke euch."


    Sophus deutete eine Verbeugung an und trat dann einen Schritt zurück.


    "Vale, Pontifex Maior." sagte er noch und verschwand wieder.

  • "Ich werde es bedenken, wenn ich ihm gegenüberstehe." sagte der Pontifex schlicht und lächelte freundlich. Die Antwort freilich würde dem Alten nicht weiterhelfen, denn sie konnte alles bedeuten. Es war Diplomatie. In gewisser Form.


    "Vale, Augur. Und die Götter mit euch." sprach der Pontifex Maior, als er den Auguren verabschiedete. Dann widmete er sich wieder seinen Aufgaben.

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