tablinum | initium

  • „Ich werde gleich die domina in Kenntnis über deine Ankunft setzen“, informierte Leone den Händler, nachdem er ihn hereingeführt hatte. „Darf es für dich etwas zu trinken sein?“ bot er ihm noch an, und es stand bereits eine Sklavin bereit, einen möglichen Wunsch zu erfüllen, sobald der Mann ihn äußerte – während Leone sich im Anschluss daran mit einer freundlichen Verabschiedung wieder an seinen Platz an der Tür zurückziehen würde.

  • Nigrina war... genervt. Gelangweilt. Gereizt. Der Tod ihres Bruders zehrte an ihren Nerven, mehr, als es der Tod ihrer Schwestern getan hatte – Leontias, weil sie da noch zu klein gewesen war, Veras, weil sie mit Vera nie wirklich verbunden hatte. Aulus hingegen... Aulus' Tod hatte sie getroffen. Mehr, als sie erwartet hätte. Und das wiederum ließ sie unleidlich werden, weil sie damit nicht gut umgehen konnte. Dazu kam, dass ihr in letzter Zeit vermehrt übel war... was in ihr einen gewissen Verdacht auslöste, mit dem sie sich momentan allerdings nicht beschäftigen wollte. Dafür war noch Zeit... wenn auch nicht mehr allzu viel, aber immerhin etwas.


    So oder so brauchte sie Ablenkung, hatte sie beschlossen. Sie brauchte sie. Und sie hatte sie verdient. Die Hochzeit der Iunia war so eine willkommene Ablenkung gewesen, das Kleid, das sie extra für diesen Zweck sich hatte machen lassen, fast noch mehr, dazu kamen noch einige andere Einkäufe... und weil das alles aber noch nicht genug war, hatte sie sich entschieden sich einen neuen Sklaven anzuschaffen. Damit schlug sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe – sie kaufte sich etwas Hübsches, zugleich etwas Nützliches, und es war etwas, wovon sie länger als nur ein paar Tage etwas haben würde, bevor es langweilig werden würde... wenn alles gut lief, jedenfalls. Natürlich konnte auch ein Sklave recht schnell langweilig werden, aber allein die Tatsache, dass ein solcher zwar – wie viele andere Besitztümer – definitiv einfach stumm in der Gegend rumstehen können sollte, sondern mehr konnte als nur das, machte ihn interessant. Und diesmal wollte Nigrina etwas zum Spielen. Weswegen sie sich dagegen entschieden hatte, sich einen Sklaven aus der flavischen Zucht zu holen, wo sie wusste, was sie hatte. Sie wollte etwas wirklich Neues, etwas, wo sie eben nicht genau wusste, worauf sie sich einließ... wenigstens ansatzweise. So weit, dass sie sich auf dem Sklavenmarkt von irgendeinem Händler was ausgesucht hätte, ging sie freilich nicht... es musste schon auch was Exklusives sein.


    Deswegen hatte sie Pharasmanes kommen lassen. Und deswegen kam sie nun – nach einer in ihren Augen angemessenen Wartezeit für einen Händler diesen Formats – leichtfüßigen Schrittes ins Tablinum, nachdem ihr gesagt worden war, dass er mitsamt einer Auswahl seiner Ware gekommen war. „Pharasmanes! Es freut mich, dass du die Zeit gefunden hast, mich zu besuchen“, begrüßte sie ihn mit einem lieblichen Lächeln. War nur ein Händler, das ja... aber eben einer mit exklusiver Ware. So exklusiv, dass ihm da nur wenige das Wasser reichen konnten, wenn überhaupt. Nigrina kaufte schließlich nicht bei irgendwem, wenn sie sich schon außerhalb der flavischen Zucht umsah.

  • Die schweren Schritte des feisten Händlers zwangen auch Amael das große Anwesen zu betreten. Er hält den Blick gesenkt, starr. Versucht die Augen zu verschließen vor einer ungewissen Zukunft. Abermals drängt ihn die bloße Präsenz des schwarzen Ungeheuers in seinem Rücken vorwärts. Er schließt rasch auf. Genießt die Nähe des göttergleichen Griechen. Versucht dicht an dessen Fersen zu bleiben. Wagt einen ersten Blick auf das Mauerwerk des tablinums. Es scheint ihm prächtig, kündend von Wohlstand und Reichtum eines mächtigen Geschlechts.


    "Ausgezeichnet. Wein und Wasser." Pharasmanes mustert den dunkelhäutigen Sklaven einen kurzen Moment lang mit abschätzendem Blick. Er würde mit ihm wohl einen ganz guten Preis erzielen können. Vermutlich war er von einem dieser Erbenszähler verkauft worden, die ihre Ware weit unter jenem Wert verschwerbelten, welchen ein merkantiles Genie vom Format des Iberers herauszuschlagen fähig war. Prüfend lässt er seinen Blick auch über die eigene Ware wandern, den muskulösen Meroër, den hübschen Griechen, und zuletzt auch verächtlich über den jungen Pikten. Zu lange führte er den seltsamen Jüngling nun schon in seinem Sortiment ohne ihn loszuwerden. Ein klassischer Fehlkauf, wie er einem Händler seiner Größe niemals hätte passieren dürfen. Würde er auch dieses Haus wieder mit ihm verlassen, blieben die Mienen als letzte Möglichkeit ihn loszuwerden.


    "Domina Flavia, die Einladung war mir eine unaussprechliche Ehre." Eine tiefe Verbeugung andeutend, die bei der gewaltigen Leibesfülle des Händlers eines etwas lächerlichen Zuges nicht entbehrte, erwiderte Pharasmanes die Begrüßung der Flavia. Sodann wies er mit fülliger Hand in einer großen Geste auf eine Kline und bedeutete der jungen Herrin, Platz zu nehmen, auf dass er ihr seine Ware würde in Ruhe vorführen können.
    "Ich darf dir nun also mein bescheidenes Angebot vor Augen führen..."
    Er winkte zunächst den Meroër heran, welcher der Aufforderung sogleich nachkam und langsam vor die Kline hintrat, wo er den Kopf gesenkt hielt, und die Arme hinter dem breiten Rücken verschränkt.
    "Ein prächtiges Exemplar aus Africa ... Stumm und gefolgsam, wie er ist, wird er dir in vielerlei Hinsicht unvergleichliche Dienste leisten können."
    Mit einem großen Schritt war er an den schwarzen Sklaven herangetreten und hatte dessen schlichte Tunika mit einiger Mühe entzwei gerissen und von den breiten Schultern gezerrt, sodass jener nun lediglich mit einem hellen Schurz bekleidet vor der Flavia stand.
    "Sieh nur, er ist gut gebaut, muskulös .... und auch in anderer Hinsicht hervorragend bestückt. - Überzeug dich gerne selbst! Betrachte ihn nur, berühre die dunkle Haut ..."
    Nach einem raschen Blick über die Schulter senkte der Händler die Stimme ein wenig.
    "Er kann dir viel Vergnügen bereiten, ohne dass du mit ... unangenehmen Folgen rechnen müsstest...",
    raunte er in vetraulichem Ton, fanden doch gerade Sklaven mit solchen Qualitäten oft nahezu reißenden Absatz in den exklusiven Kreisen gehobener patrizischer Weiblichkeit.

  • Nigrinas Lächeln wurde geschmeichelt. Nur ein Händler, ja. Aber einer, der sich vorzüglich zu benehmen wusste... Sie nickte ihm huldvoll zu und nahm Platz auf einem der bereit gestellten Sessel, ließ sich ihr bevorzugtes Weinwassergemisch reichen – dass der Händler bereits etwas erhalten hatte, fiel ihr gar nicht wirklich auf, weil sie das für selbstverständlich hielt –, und machte dann eine auffordernde Geste, die Pharasmanes bedeuten sollte zu beginnen. „Zeig mir, was du dabei hast...“ Durchaus mit Kennerblick musterte sie den ersten Sklaven, den der Mann vorstellte. Die schwarze Haut schien im Licht zu glänzen, und eine flavische Augenbraue wölbte sich leicht nach oben, als die Tunika fiel und sie einen freien Blick auf den Körperbau hatte. Sie selbst allerdings winkte ab, als Pharasmanes anbot, dass sie ihn eigenhändig würde begutachten können. Wer war sie, dass sie selbst Hand anlegte an Sklaven? Mit einem Wink bedeutete sie ihrem Parther, der nebst ein paar anderen Sklaven ebenfalls anwesend war, das zu übernehmen, und gehorsam trat der vor, betrachtete den Schwarzen von nahem, ging um ihn herum und tastete über verschiedene Muskelpartien. Mit einem Nicken machte er wieder einen Schritt zurück, aber Nigrina... hatte trotzdem ihre Zweifel.


    „Tatsächlich...“ kommentierte sie die Bemerkung, dass der Sklave keine... unangenehmen Folgen bei gewissen Vergnügungen hinterließ. War für sie allerdings ohnehin uninteressant, denn von den Vergnügen, von denen der Händler sprach, würde sie nicht viel haben. Sie gedachte nicht, sich von Sklaven auf diese Art anfassen zu lassen, von männlichen Sklaven hieß das. Sklaven waren... zu sehr unter ihrer Würde, um mit ihnen ins Bett zu steigen. SklavINNEN waren was völlig anderes. Eine Frau war einfach nicht so... so... animalisch wie ein Mann. Und eine Frau hatte auch nicht unbedingt ihren Spaß dabei, einer anderen Frau Befriedigung zu verschaffen. Ganz im Gegensatz zu Männern, bei denen es ja nun leider im Regelfall nicht anders ging, und Nigrina würde einen Dreck tun und sich und ihren Körper einem Sklaven derart zur Verfügung zu stellen. Das war... das ging gar nicht. Allein die Vorstellung war schon gruselig. Neinein, ihr Mann – der zum Glück seinen Pflichten in dieser Hinsicht sehr zufriedenstellend nachkam, sie wollte sich gar nicht vorstellen worauf sie hätte ausweichen müssen, wenn es anders gewesen wäre – reichte ihr da völlig, und wenn Sextus mal keine Zeit hatte oder sie selbst keine Lust auf einen Mann, sondern einfach nur darauf, sich verwöhnen zu lassen, dann war da immer eine Sklavin, die dafür herhalten konnte.
    Und davon mal ganz abgesehen: sie hatte muskulöse Sklaven. Sie hatte ja sogar einen Gladiator, auch wenn der als Dimachaerus nun nicht zu den Muskelpaketen gehörte. Gut, sie hatte noch keinen Schwarzen, keinen von dieser tiefdunklen Farbe, der Ianitor war ja nicht ihrer... aber irgendwie... zündete es nicht so recht. Nigrina bezweifelte einfach, dass der Kerl ihr wirklich die Abwechslung würde bringen können, die sie wollte. Nein, der sah zwar so aus als ob er sehr nützlich sein könnte – aber hätte sie einen nützlichen gewollt, hätte sie sich eben einen flavischen geholt. Nützlich also vielleicht, aber mit Sicherheit würde der schon nach ein paar Tagen langweilig werden. „Nun...“ Sie schenkte Pharasmanes ein Lächeln. „Sicher ein interessantes Exemplar... was hast du noch?“

  • Auf der glänzenden Stirn des massigen Händlers bildeten sich erste Schweißtropfen. Der stramme Körper des tiefschwarzen Meroërs verfehlte die gewünschte Wirkung. Offenbar hatte er die Flavia falsch eingeschätzt. Sie zählte sichtlich nicht zu jener Gattung junger unbefriedigter Patriziertöchter, bei denen er mit dieser Art von Sklaven astronomische Gewinne zu erzielen pflegte. Zum Glück hatte er nicht schon zu Beginn auf sein bestes Pferd gesetzt, wenngleich der ebenhölzerne Hüne von erstklassiger Güte war. Mit einer wedelnden Handbewegung hieß er jenen also, sich wieder zu entfernen, während nun der griechische Jüngling vor die Flavia hintrat und mit dem ruhigen Blick seiner tiefblauen Augen den ihren zu treffen suchte. Sein Antlitz war von strahlender Harmonie und klassischer Schönheit. Überhaupt schien sein Körper eher dem ideenreichen Geist eines kongenialen griechischen Bildhauers entsprungen, denn eine Laune der Natur.


    "Das hier ist ein wahrhaft außergewöhnliches Exemplar. Dieser Jüngling stammt aus der Gegend um Delos ... betrachte seine wohlgeformten Züge, die vollkommene Schönheit des Antlitzes. Sein Wesen ist es, Gefallen zu erwecken, sowohl durch sein Aussehen, als auch durch seinen Gesang. Wenn du es gestattest, wird er dir gerne eine kleine Kostprobe seines Könnens darbieten."
    Pharsmanes sprach langsam, ließ jedes einzelne Wort behutsam über seine Lippen rollen, als wäre es süßer Honig. Der Jüngling war gewissermaßen das Glanzstück seines Sortiments, der kostbarste Edelstein in der Truhe.


    Man bringt eine Lyra herbei, der Grieche nimmt Platz. Prüfend lässt er seine Finger über das Instrument wandern, zupft vorsichtig an einzelnen Saiten. Schließt die Augen. Zart erhebt sich sodann eine kleine Melodie im Raum. Lieblich. Verführerisch. Fragil. Schmeichlerisch in den Ohren der Zuhörer. Amael muss noch im Hintergrund stehen, starrt wie gebannt auf den blauäugigen Apoll. Versucht den Anblick aufzusaugen, den gegenwärtigen Moment gierig zu trinken, um ihn für immer im Gedächtnis zu behalten. Der Grieche lässt die Klänge langsam anschwellen, gleich den Wogen des Meeres, welches mit sanfter Gewalt brandet an der Küste des Festlands. Erhebt schließlich seine göttergleiche Stimme in den delischen Worten der Heimat. Kündet von Helden vergangener Tage, von Liebe und Leid, Tod und Verzweiflung. Verliert sich schlussendlich in tröstlichen Seufzern, während hoffnungsvoll die Klänge elysischer Gefilde über die Lethe wehen. Er endet. Schweigt. Pharasmanes mustert mit gespanntem Blick die junge Herrin, in seinen Augen liegt ein Hauch von Nervosität.

  • Nigrina beachtete nicht, was ihre verhaltene Reaktion auf den zuerst vorgestellten Sklaven auslöste. Der Mann hatte ja noch mehr dabei... und nun, wenn darunter tatsächlich gar nichts nach ihrem Geschmack sein sollte, würde sie das nächste Mal halt einen anderen Händler kommen lassen. Es gab zwar nicht viele, die derart exklusiv waren, aber immerhin doch mehr als diesen einen.
    Der nächste Sklave allerdings entsprach in der Tat weit mehr dem, wonach ihr gerade der Sinn stand. Wie der Schwarze auch war er eine Wohltat fürs Auge, wenn auch auf andere Weise... aber das waren sie alle auf die ein oder andere Art, etwas anderes hätte Nigrina auch nicht erwartet. Das war Grundvoraussetzung für einen Händler wie Pharasmanes. Trotzdem musste sie zugeben, dass dieses Exemplar noch einmal etwas draufsetzte und in puncto Schönheit der Gestalt.


    „Gerne, ja...“ ließ sie vernehmen, als der Händler eine Kostprobe anbot, und was sie dann zu hören bekam, war... hervorragend. Sie behielt eine regungslose Miene bei, hatte sie doch genug von ihrem Vater gelernt, um sich nicht anmerken zu lassen, wann ihr etwas wie sehr gefiel, weil die Verhandlungsbasis dann eine weit bessere war... Sie erlaubte sich nur, die Augen zu schließen, während sie der Musik lauschte, dem Spiel des Sklaven, seinem Gesang. Sie war nicht sonderlich künstlerisch oder ästhetisch veranlagt, was es da zu verteilen gegeben hatte in ihrer Familie, hatte komplett ihr Bruder abbekommen, aber dennoch wusste sie eine Darbietung wie diese freilich zu schätzen. Doch... doch, der hier kam definitiv in Frage. Und wenn er ihr langweilig werden würde, konnte sie ihn immer noch Aulus schenken, der würde begeistert sein von einem Geschenk wie diesem da, und... In diesem Moment fiel ihr ein, dass das nicht ging. Jetzt nicht. Später nicht. Nie mehr. Ihr Bruder würde nie diesen Sklaven spielen und singen hören. Aulus war tot. Und die Erinnerung daran, die sie zu verdrängen suchte und die einer der Gründe war, warum sie Ablenkung wollte, machte ihr diesen Sklaven gerade ziemlich madig. Sie hatte keine Lust darauf, jedes Mal an ihren Bruder denken zu müssen, sobald der zur Lyra griff und zu spielen anfing. Obwohl er unendlich viel besser als Aulus war... auch wenn der das anders gesehen hätte...
    Schluss. Nigrina zwang sich, die Gedanken an ihren Bruder fort zu schieben. Noch bevor der Sklave geendet hatte, hatte sie ihre Augen bereits wieder geöffnet, und obwohl sich ihre Miene kaum änderte, mochte ihr ihr Stimmungswechsel doch anzumerken sein, in dem harten Glitzern ihrer Augen, in dem ein wenig angespannteren Zug um ihren Mund, der ihre Lippen minimal schmaler erscheinen ließ. Nigrina ließ den Sklaven allerdings in aller Ruhe zu Ende spielen, bevor sie dem Händler einen Wink gab. War ohnehin besser, sich erst mal sein Sortiment vorstellen zu lassen, bevor sie sich entschied, auch wenn für sie jetzt schon klar war, dass auch dieser Sklave nicht in Frage kam. Höchstens um sein schönes Äußeres ein wenig zu verunstalten, als Strafe dafür, dass er es gewagt hatte sie an Aulus zu erinnern. „Weiter. Was hast du noch dabei?“

  • Pharasmanes der Iberer, ein unglaublich feinsinniger Beobachter seiner Kunden, bemerkte das seltsame Funkeln in den Augen der Flavia selbstredend sofort, auch die beinahe schon mikroskopische Verhärtung ihrer Züge vermochte seinem geübten Auge nicht zu entgehen. Zweifellos fußte sein merkantiler Erfolg in nicht unerheblichem Ausmaße auf der exzellenten Beobachtungsgabe, welche er sich in Jahren eifrigen Studiums antrainiert hatte, ebenso wie auch sein zuvorkommendes Wesen und die honigweiche Stimme nichts weiter als die notwendigen Folgen unerbittlicher Übung dastellten. Die Schweißperlen hingegen, die sich auf seiner glänzenden Stirn in immer größerer Zahl ansammelten und welche er mit fahrigen Bewegungen seines breiten Handrückens in regelmäßigen Abständen hinfortzuwischen trachtete, waren keineswegs Zeichen einer eifrig einstudierten Gemütsregung, sondern vielmehr Folgen seines wahrhaftigen unsicheren, bisweilen gar nervösen Naturells, welches gerade in derlei Situationen hoher Anspannung in ungüstiger Weise ans Tageslicht zu treten pflegte. So fegte er nun also auch den Griechen, welchen er als Trumpf seines Sortiments betrachtet hatte, mit einer eckigen Bewegung zur Seite und zwang seinen letzten Sklaven mit unnachgiebigem Zug an der feinen Kette vor den Stuhl der Flavia. Amael.


    Den Blick zu Boden gerichtet, ziehen die Worte des Händlers gleich dem Säuseln des Windes an Amaels Ohr vorbei. Gewiss spricht er von Avidius Quietus, seinem ersten Herrn. Tiberius Avidius Quietus. Proconsul von Britannien. Ruhmreicher Feldherr. Barbarenschlächter. Mörder seiner Familie. Amael hält den Blick gesenkt, lässt ihn nur langsam der Musterung der Steine am Boden des Tablinums folgen. In seinem Kopf dröhnt wieder und wieder das Flüstern der anderen Sklaven. "Pharasmanes will ihn an die Mienen verkaufen. Keiner überlebt die Mienen länger als ein paar Jahre. Ich geb' ihm nicht mal zwei Monate..." Ein schlanker Fuß gerät ins Blickfeld des jungen Mannes. Von zierlichen Lederbändchen umfasst, welche sich zu einer zartgliedrigen Sandale vereinigen, zieht er seinen Blicken mit zarter Gewalt an sich, hält in fest. Der Händler spricht weiter, in Amaels Kopf überschlagen sich die drohenden Worte wieder und wieder. "Keiner überlebt die Mienen .. die Mienen sind das Schlimmste, was dir passieren kann ... es ist besser, in der Arena zu sterben, als in den Mienen zu landen..." Er überlegt nicht lange, wirft sich zu Boden, umfasst den schlanken Fuß der jungen Herrin und presst seine Stirn gegen den hellen Fußrücken.


    " ... erhielt auch eine umfassende Ausbildung in ..." Die Augen vor Schreck geweitet, blieb Pharasmanes das nächste Wort geradezu im Halse stecken. Einen kurzen Moment hielt ihn die Fassungslosigkeit in ihrem Bann, ehe er mit einem ungelenken Sprung hinter den elenden Sklaven hechtete, welcher in diesem Moment wohl gänzlich die Vernunft verloren und damit auch sein Leben verwirkt hatte, ihn mit aller Kraft an den Schultern packte, von der jungen Herrin fort und auf die Beine empor riß, um sogleich eine schallende Ohrfeige in das hübsche Antlitz donnern zu lassen. Noch in der selben Bewegung kehrte er sich auch zur Flavia um und vollführte eine demütige Verbeugung, um mit seiner weichsten Stimme Schadensbegrenzung zu betreiben. "Herrin, es gibt keine Entschuldigung für das dreiste Verhalten dieses Sklaven. Sei gewiss, er wird die schwerste Strafe für seine respektlose Frechheit erhalten."

  • Nigrina besah sich nun den dritten Sklaven, den der Händler vorstellte. Ein wenig enttäuscht war sie schon, dass der Kerl nur mit dreien gekommen war, aber es konnte durchaus sein, dass er augenblicklich nichts besseres anzubieten hatte... immerhin gab es exzellente Sklaven ja nicht wie Sand am Meer. So betrachtete sie also den dritten. Rein äußerlich konnte er nicht mit den beiden anderen mithalten, auch wenn er freilich immer noch dem Bild eines Sklaven entsprach, den Nigrina in ihrer näheren Umgebung dulden würde... sprich: er war definitiv schön anzusehen. Sie lauschte der Vorstellung durch den Händler, und die machte tatsächlich was her, mehr, als sie erwartet hätte. Sklave des ehemaligen britannischen Proconsuls? Das klang in der Tat interessant. Ganz vom Hocker riss der sie aber auch nicht. Nur: sie wollte sich heute einen Sklaven kaufen! Sie wollte einfach... und was sollte sie tun? Exklusive Händler wie der hier kamen nicht einfach spontan vorbei. Nigrina ließ ihren Blick grübelnd nochmals über die beiden anderen Sklaven schweifen. Der Schwarze... der käme vielleicht doch in Frage. Weil der Künstler ganz und gar nicht ging, nicht seit er sie an ihren Bruder erinnert hatte.


    Ein wenig missmutig verzog sie die Lippen, während sie versuchte sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass es heute wohl doch nichts werden würde mit dem geplanten Sklavenkauf... Dennoch überlegte sie sich noch während der Händler sprach ein paar Nachfragen – war ja immerhin möglich, dass sich noch etwas interessantes ergab –, als etwas dazwischen kam. Genauer gesagt: das Verhalten des sich noch in der Vorstellung befindlichen Sklaven. Urplötzlich ließ der sich auf den Boden sacken, griff nach ihrem Fuß und berührte ihn mit der Stirn. Eine ihrer Augenbrauen wölbte sich in flavischer Manier nach oben, während sie in aller Ruhe die folgende Szene betrachtete, wie der Händler den jungen Kerl zurück riss, wie er ihn schlug, wie er sich daraufhin zu ihr wandte und sich verneigte, sich entschuldigte. Ihr Blick blieb indes auf dem Sklaven ruhen. Sie wedelte nur mit der Hand, um den Händler zum Schweigen zu bewegen, und machte gleich darauf eine Geste, die ihren Leibwächter – der sie richtig interpretierte – dazu veranlasste, ein weiteres Mal hervorzutreten, eine Hand auf die Schulter des Sklaven zu legen und ihn erneut zu ihr nach vorne zu schieben. Mit dem Interesse, mit dem vielleicht Löwe eine Gazelle beobachten würde, der sich noch nicht recht entscheiden konnte ob er nun Hunger hatte oder nicht, besah sie ihn sich einen Augenblick lang, bevor sie lauernd fragte: „Was war das?“

  • Es war der verzweifelten Miene des feisten Händlers unschwer anzumerken, dass jener in diesem wohl katastrophalsten Moment seiner bisherigen Laufbahn am liebsten geradewegs im Boden des aurelischen Tablinums versunken wäre. Gerade der Umstand, dass die Flavia ob des sonderbaren Verhaltens des vermaledeiten Sklaven so gefährlich ruhig blieb, trieb seine Nervosität ins Grenzenlose. Eine wedelnde Handbewegung der jungen Herrin brachte ihn sofort zum Schweigen und ließ ihn die Szenerie mit großen Augen angespannt beobachten.


    Amael indes hält den Blick gesenkt, eine zarte Röte beschleicht seine blühenden Wangen. Er fühlt, wie das Blut heiß in seinen Kopf schießt. Nimmt die Frage der jungen Herrin wahr, deren Blick er auch in diesem Moment meidet. Lauernd. Gefährlich. Mit der Unerschrockenheit eines Mannes, der nichts zu verlieren hat, war einer unvermuteten Regung nachgegangen. Spontan. Ohne zu überlegen. Was genau er sich davon versprochen hat, weiß er selbst nicht so recht. Es schien ihm in diesem Moment schlichtweg das Richtige zu sein. Immer noch spürt er den bedrohlichen Blick der jungen Frau auf sich ruhen, während er schweigt. Schweigt und zu Boden blickt.

  • Da sie saß und der Sklave stand, konnte Nigrina sehen, dass seine Wangen sich rot färbten. Aber mehr als das geschah nicht. Weder rührte sich der Kerl, noch sagte er irgendetwas – und der Händler tat auch nichts mehr. Und Nigrina war unschlüssig. Sollte sie das jetzt erst recht unmöglich finden, dass der Sklave sein Maul nicht aufbekam, um auf ihre Frage zu antworten? Oder war das eher gut? Aufsässig war es wohl in keinem Fall, sonst hätte er sie angesehen, mit diesem trotzigen Funkeln in den Augen, das manche Sklaven so gerne hatten, wenn sie frisch gefangen waren oder nachlässige Herren hatten. Der vor ihr allerdings machte ganz den Eindruck, als würde er sich schlicht nicht trauen etwas zu sagen. Was ja grundsätzlich... positiv bei einem Sklaven war. Lieber das als zu aufsässig.
    Nigrina lehnte sich wieder zurück und betrachtete den mit gesenktem Kopf dastehenden Sklaven ein paar Momente lang. Schweigend. Immer noch unschlüssig. Zuerst warf er sich ihr unaufgefordert zu Füßen – und dann, wo er dazu aufgefordert wurde etwas zu sagen, stand er da und tat nichts, obwohl das die perfekte Gelegenheit gewesen wäre, sich einzuschleimen. Was sie von dieser Diskrepanz halten sollte, wusste sie nicht so recht... aber es machte sie neugierig. Gut möglich, dass der Kerl sie schon nach einem Tag anfing zu nerven, aber falls das so sein würde, war es ja kein Problem ihn sonst wo schuften zu lassen. Oder gleich ganz wieder loszuwerden. Allerdings galt es da eine Sache noch zu klären: „Ist er etwa taub?“ fragte sie den Händler spitz. Oder vielleicht auch stumm. Mit letzterem konnte man arbeiten, das waren manchmal die besten Sklaven, aber ersteres kam nicht in Frage.

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