[Tablinum] Ein unerwarteter Tiberier

  • Macer hatte mit keinem Besuch gerechnet, erst Recht nicht von ihm unbekannten Mitgliedern der Gens Tiberia. Umso neugieriger blickte er jetzt den Mann an, den ihm sein Verwalter gerade angekündigt hatte und nun ins Arbeitszimmer führte. "Salve, Tiberius", begrüßte er ihn freundlich und lud ihn zum Sitzen ein.

  • Von der Haustür an wurde Lepidus durch die Casa geleitet und fand den Weg direkt zum Senator persönlich, der ihn im Tablinum empfangen konnte. Mehrmals blickte sich Lepidus um und betrachtete die Räumlichkeiten des Purgitiers. Als er Macer das erste Mal sah, fiel ihm sofort seine große, aber auch etwas magere Gestalt auf, etwas zu mager für Lepidus Geschmack. Erstaunlich, dass ein Mann von seinem Rang nicht dicker war, dachte er sich, noch während er von Macer freundlich begrüßt wurde. Lepidus hatte wohl Glück, dass er ihn so spontan empfangen durfte, war doch die Zeit eines Senators nicht unbegrenzt. Aber womöglich trug sein Name nicht unwesentlich zum Interesse des ehemaligen Consuls bei, immerhin waren sie irgendwie Familie, wenn es auch sehr entfernte Zweige waren, die sie miteinander verbanden.


    "Salve, Purgitius.", gab der Tiberier in gleicher Form zurück und nahm die Einladung zu einer Sitzgelegenheit dankend an. Für einen Moment legte Lepidus die Stirn in Falten, blickte sich erneut um, erst links, dann rechts, bevor er zu sprechen begann. Sein Verhalten konnte als Unsicherheit gedeutet werden, rührte aber wohl eher von einer gewissen Skepsis und dem Bemühen sein Gegenüber gleich vom ersten Augenblick an richtig einschätzen zu können. "Mein Kompliment für dieses nette Anwesen, schon von draußen gefiel mir deine Casa. Ich denke Albina genießt hier an deiner Seite ein vortreffliches Leben, nicht wahr?" Lepidus lächelte mühsam, ein paar nette Worte über die wohlhabende Wohnsituation würden wohl jedem eitlen Charakter schmeicheln. Für den gewählten Einstieg hätte sich der Tiberier wohl am liebsten selbst auf die Schulter geklopft. "Du kannst dir sicherlich denken, dass ich unter anderem ihretwegen hier bin, wie geht es ihr?"

  • Fast genauso neugierig, wie sich der Tiberier umzuschauen schien, betrachtete auch Macer den unbekannten Besucher. Von seinem Verwalter war er schon informiert worden, dass der Mann eigentlich zu Albina wollte, so dass er die Gesprächseinleitung auch nicht allzu ungewöhnlich fand. "Ja, das kann ich mir denken, dass du eher Albina als mich sprechen wolltest", nickte er daher verständnisvoll. "Ich weiß nicht, ob du es weißt, aber sie ist hochschwanger und empfängt daher nur sehr selten Besuch und unangemeldeten daher schonmal gar nicht, so dass du wohl mit mir vorlieb nehmen musst", erklärte er dann.

  • "Hochschwanger... natürlich." Lepidus bemühte sich nicht allzu überrascht zu klingen, doch irgendwie war er es. Diese Tatsache schien für ihn irgendwie in sehr trüber Erinnerung zu liegen. Hatte sie das in einem ihrer Briefe erwähnt? Wo Lepidus so darüber nachdachte, da fiel es ihm wohl wieder ein. Doch die Information schien gegenüber allem anderen für ihn so dermaßen unwichtig gewesen zu sein, dass er sie nicht einmal richtig wahrgenommen hatte. In jedem Fall wollte er sich vor ihrem Gemahl nicht bloßstellen und tat sein Möglichstes, um seine Geistesabwesenheit in diesem Fall und womöglich auch seine Kälte nicht hervortreten zu lassen. Freude für seine Cousine empfand er im Grunde nicht, er wusste nur, was zu sagen in einem solchen Falle angebracht war. "Übrigens auch noch meine herzlichen Glückwunsch für den kommenden Nachwuchs, Senator." Im Grunde kam es Lepidus ganz recht, dass Albina sich schonen musste, im Moment war ihr Mann wohl nicht der schlechteste Ansprechpartner für ihn. "Dann wollen wir die Gute mal nicht stören. Ich freue mich aber, dass du wiederum ein wenig von deiner Zeit für mich opfern kannst. Das kommt mir sehr gelegen."


    Lepidus beugte sich etwas vor, stützte seine Ellenbogen auf den Beinen ab und legte die Stirn in Falten. Dabei sah er Macer direkt in die Augen. Er begann einfach drauf los zu sprechen. "Vielleicht wird es dich wundern, wenn ich dir sage, dass ich vor kurzem zurück nach Rom gekommen bin... zurück nach Rom, wo man doch hört, dass diese Stadt von so vielen edlen Geschlechtern verlassen wurde... ich weiß, es ist ein Witz. Ich kam zurück, als ich von den schrecklichen Ereignissen hörte, die sich in meiner Familie ereignet haben - nur mit vorgehaltener Hand kann man wirklich darüber sprechen - und seit ich hier bin, scheint die Welt, die ich einst als Kind noch kennenlernen durfte, in Trümmern zu liegen. Hier hat sich alles auf den Kopf gestellt. Als ich in die Villa Tiberia einkehren wollte, lief ich beispielsweise direkt den Cohortes Urbanae in die Arme. Sie durchwühlten und durchsuchten das ganze Haus. Sie traten sogar die Tür ein, kannst du dir das vorstellen? Kannst du dir vorstellen, Zeuge eines solchen Ereignisses in deinem eigenen Haus zu werden? Klingt es nicht barbarisch?" Lepidus schloss vorerst mit seinen durchaus emotionalen Worten, wobei es sich nicht klar herausstellte, was ihn eigentlich tatsächlich berührte. Die Tragik in der Gens Tiberia oder die Sorge, um die schöne Villa?

  • So ganz wurde Macer aus dem Besucher noch nicht schlau und bleib daher erst einmal etwas distanziert. Einerseits hatte er angegeben, wegen Albina hier zu sein, aber andererseits schien er sich dann doch wieder nicht wirklich für ihr Befinden zu interessieren, sondern verwickelte Macer gleich mehr oder weniger geschickt in ein politisch angehauchtes Gespräch, bei dem seine größte Sorge allerdings der Zustand der Türen in der Villa iberia zu sein schien. Wobei sich hier Macer wiederum wundern musste, wieso dort jetzt noch Türen eingetreten wurden, wo der Tod von Tiberius Durus doch nicht erst gestern gewesen war. Alles in allem mal wieder sehr verwirrend, fand Macer, aber das war er in den letzten Tagen und Wochen ja gewohnt. "Von wo kamst du denn zurück?", erkundigte er sich daher erst einmal, bevor er auf die Durchsuchung einging. "In der Tat verwunderlich, dieses Vorgehen, da es mir keineswegs nötig erscheint", konnte er dazu allerdings nur feststellen. Aus der Entfernung urteilte es sich eben etwas schwerer.

  • Nachdem der Senator etwas entgegnet hatte, räusperte sich Lepidus unüberhörbar. Sein Hals kratzte. Wurde jemandem im Haus eines Senators etwa kein Wein angeboten? Lepidus hustete noch ein wenig, um die Trockenheit seiner Kehle zu bekräftigen. Selbst nach einem Getränk fragen wollte er selbstverständlich nicht. Dann bemühte er sich die Frage des Purgitiers zu beantworten. "Verzeih, wenn meine Worte etwas zu sehr ausschweiften. In Anbetracht der Umstände bin ich doch hin und wieder noch etwas aufgelöst. Doch, zu deiner Frage: Ich komme aus Achaia, aus Korinth um genau zu sein, ich verbrachte dort die letzten fünf Jahre. Ein Hübscher Flecken Erde, das kann ich dir wohl sagen, warst du je dort?" Lepidus unterbrach kurz für ein erneutes Räuspern. "In der Tat, vollkommen unnötig. Scheint wohl, als stünde die Villa Tiberia unter besonderer Beobachtung..."

  • "Ich war noch nie in Korinth", antwortete Macer und konnte daher auch nicht viel dazu sagen, ob es dort ein schöner Flecken Erde ist. "DU warst zur Ausbildung dort, nehme ich an und hast per Brief den Kontakt mit der Familie gepflegt?", erkundigte er sich weiter. Mit wem Albina Briefkontakt hatte, ging ihn ja nicht dirket etwas an, aber er nahm einfach mal an, dass jener Tiberier auch darunter gewesen war, sonst würde er wohl kaum hier einfach so aufschlagen. "Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?", schob er dann noch eher beiläufig nach, als sein Blick auf Becher in Kanne fiel, die ohnehin im Tablinum standen.

  • "Oh, vielen Dank, wie überaus zuvorkommend, Senator. Einen Wein würde ich natürlich nicht abschlagen", kommentierte Lepidus das Angebot des Trankes. "So ist es. Kurz nachdem ich die toga virilis anlegen durfte, setzte ich meine Ausbildung in Achaia fort. Der Briefkontakt zu meiner Familie war mir immer sehr wichtig" Mehr oder weniger. "Zuletzt schrieb ich mit meiner lieben Cousine, Albina. Sie setzte mich von den Geschehnissen in Kenntnis...in erster Linie über...Durus." Lepidus senkte den Kopf theatralisch nach unten, um ihn dann langsam wieder zu erheben. Er sprach nun etwas leiser. "Meine Ausbildung ist beendet, gleichsam trieb mich der Wille hierher, mehr zu erfahren und herauszufinden, wie schlimm es alles tatsächlich ist..." Lepidus schwieg und überlegte, wie genau er denn nun Macer eine bestimmte Frage stellen konnte, die ihm wichtig erschien. Er blickte erst an die Decke, neigte seinen Kopf, wandte sich dann aber wieder sogleich den Augen des Senators zu. Lepidus machte ein trauriges Gesicht. "Senator, ich weiß nur, was in der Acta steht, ich habe die spärlichen Informationen aus Albinas Briefen und ich hörte allerhand Gerüchte, doch das alles lässt mich nach wie vor im Unklaren. So sag mir, du musst Durus gekannt haben, ihr beide wart Senatoren. Weshalb musste er wirklich sterben? Sag...war er wirklich ein...Verräter?" Es war eine brisante Frage, das wusste Lepidus und es schien ihm auch irgendwie gewagt diese Frage zu stellen, doch er brauchte langsam Klarheit; bisher konnte er noch mit niemandem über all das reden und irgendwann musste doch mal jemand ganz offen mit ihm sprechen. Er hoffte, dass ihm der Senator irgendetwas erzählen könnte, was ihn einen kleinen Schritt weiterbrachte. Gleichzeitig musste Lepdius wohl damit rechnen, dass Macer eine solch schwierige Angelegenheit wohl nur im Vertrauen bereden würde und schließlich kannte er Lepidus nicht, auch wenn er ein Verwandter von Durus und seiner Frau war. Lepidus hatte einfach kaum eine Vorstellung, was ihn erwarten würde, umso spannender wurde es für ihn.

  • Das Einschenken eines Bechers stark verdünnten Weines erledigte Macer selber und nahm sich ebenfalls einen Becher, während er den Tiberier weiter sprechen ließ. Die Geschichte klang durchweg plausibel und seine Neugier ebenfalls, aber trotzdem blieb Macer etwas zurückhaltend. Natürlich wäre es das einfachste gewesen, Albina doch zu stören und ihr zu sagen, dass ihr Cousin zu Besuch war. So hätte dann wohl schneller einschätzen können, wie weit man ihm trauen konnte und außerdem wäre Macer dann eine Zeit von der Gesprächsführung entlastet. Aber soweit wollte er nun auch erst einmal nicht gehen, denn ganz so kritisch waren die Fragen ja nun auch wieder nicht. "Ja, selbstverständlich kannte ich Tiberius Durus", bestätigte er daher erst einmal gerne. "Durch meine Ehe mit Albina sowieso, aber auch durch das politische Tagesgeschäft. Wobei ich auch sagen muss, dass ich ihn nicht gut genug kannte um vorauszusehen, was passiert. Er hat sich selbst getötet, soviel steht wohl fest. Und das spricht tatsächlich deutlich dafür, dass er in eine Verschwörung verwickelt war", führte er dann weiter mit ernster Miene aus.

  • Ein leerer Blick und ein Nippen vom wohlverdünnten Wein war alles, was Lepidus nach der Antwort des Senators vorerst als Reaktion vorzubringen hatte. Macer sprach offen aus, worauf die vielen Anzeichen hindeuteten. Es war wohl die wahrscheinlichste Antwort, dass Durus ein Verschwörer war. Doch warum sollte er sich tatsächlich auf so etwas einlassen? Warum dies alles riskieren und den Ruf seiner ganzen Familie beschädigen? Lepidus hielt das alles für eine unmögliche Situation, unfassbar, dass so etwas tatsächlich passieren konnte. "Also doch...", sprach er irgendwann aus. "Wenn es tatsächlich stimmt, dann weine ich ihm keine Träne nach!" Fragt sich, ob Lepidus auch andernfalls jemals für ihn eine Träne vergossen hätte. Es war aber ohnehin nicht mehr die Zeit für Emotionen, nachdem er nun schon einige Monate von dieser Welt geschieden ist. "Wir tragen zwar denselben Namen, doch ich werde niemals einen Verräter ehren... und ich hoffe Albina wird auch keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden!" Vielleicht klang dies zu radikal in den Ohren des Senators. Für einen Moment war sich Lepidus nicht sicher, ob er sich so offen äußern sollte, doch welche Reaktion wäre in Anbetracht dieser Lage wohl eine vernünftige gewesen? Lepidus brauste ein klein wenig auf. "Ich bin nur froh, dass niemand in Sippenhaft genommen wurde! Dennoch fühle ich mich befleckt! Mir scheint, dass all meine Pläne für die Zukunft in weite Ferne gerückt sind!" Lepidus fühlte sich tatsächlich unheimlich eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und seiner Freiheit zu sprechen. Immer, wenn er sich irgendwo vorstellte und der Name Tiberius vernommen wurde, was würden die Leute dann denken? Vielleicht: "Ah, ein Verwandter des Kaisermörders!" Er hatte Angst davor gemieden zu werden, diese sozialen Unannehmlichkeiten, ob nun wirklich präsent oder nur von Lepidus erdacht, waren die pure Qual für ihn und vor allem ein Tiefschlag für sein teils recht aufgeblasenes Ego. Insgeheim hoffte er allerdings, dass sich der Senator für seine früheren Pläne interessieren würde, die er in ach so weite Ferne gerückt sah.

  • "Ich denke nicht, dass Albina das so leicht fallen wird", kommentierte Macer recht zurückhaltend die doch recht deutliche Reaktion seines Gastes. "Aber zweifellos hast du Recht, dass man als Tiberier zur Zeit wohl einen schweren Stand in der Stadt hat. Vor allem, wenn man politisch oder gesellschaftlich aktiv sein will. Mit wem aus deiner Familie außer Albina hattest du denn sonst noch Briefkontakt hier in Rom?" erkundigte sich Macer dann weiter, da er sich vor allem nicht in der passenden Rolle sah, dem Tiberier jetzt ungefragt irgendwelche Vorschläge zu machen, wie er sich verhalten sollte. Auch wenn Macer durchaus recht klare Vorstellungen hatte, was er als junger Tiberier in einer solchen Situation machen würde. Erstaunlicherweise sogar klarere Vorstellungen als für seine eigene Person.

  • Wohl wahr, seine Cousine war sicherlich zu schwach, um dies alles zu verarbeiten und darüber hinwegzugehen. Dennoch hätte Lepidus dies unnachgiebig von ihr verlangt. Ihr erstes Aufeinandertreffen nach so langer Zeit stellte er sich recht interessant vor, doch gerade in ihrer Schwangerschaft war selbst Lepidus bereit sie so weit es geht zu schonen. "Ehrlich gesagt, ich stand nur mit Albina in Korrespondenz. Die Tiberier haben sich ohnehin in alle Winde verstreut." Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Lepidus noch nie das beliebteste Familienmitglied war. Ich dachte eventuell noch auf Durus Adoptivsohn, Aulus Tiberius Ahala, zu treffen, vielleicht weißt du ja etwas über ihn? Mir selbst fehlt bedauerlicherweise jede Spur von ihm." Lepidus dachte kurz nach. "Möglich, dass er aus Angst geflohen ist." Er nahm einen großen Schluck Wein aus seinem Becher, der ihm wohlig den Rachen hinunterlief. "Es scheint als hätten mir die Götter eine schwere Aufgabe zugewiesen. Den einmal zerstörten Ruf wieder aufzubauen wird zweifellos nicht einfach. Ich werde wohl nach jeder Hand greifen, die mir ausgestreckt wird."

  • Macer kratzte sich nachdenklich am Kinn. "Tiberius Ahala? In der Tat, von ihm habe ich auch schon länger nichts mehr gehört." Der Name sagte ihm etwas, auch ein Gesicht verband er vage mit diesem Namen, aber seit der mutmaßlichen Verschwörung war der Name zumindest in seiner Erinnerung nicht mehr in Erscheinung getreten. Die Gründe einer denkbaren Angst kommentierte Macer nicht weiter. "Er wäre nicht der einzige, der Rom verlassen hat", merkte er lediglich bedeutungsvoll an. Dann nickte er zustimmend. "Wohl wahr. Den Ruf einer Familie wiederherzustellen, die im Verdacht steht, an der Verschwörung gegen den Kaiser beteiligt zu sein, ist sicher alles andere als leicht."

  • Lepidus kratzte sich ebenfalls am Kinn. Es war für ihn nicht unüblich die Gesten und Mimiken seines Gegenübers zu spiegeln. "In der Tat, so mancher scheint die Flucht ergriffen zu haben. Umso schöner, dass ihr noch hier seid. Dies bedeutet wohl, dass du dem neuen Imperator in höchstem Maße wohlgesonnen bist?" Wahrscheinlich musste der Senator solche Fragen in letzter Zeit häufiger beantworten. Lepidus wollte bewusst nicht offen fragen, auf welcher Seite er nun steht oder was er denn nun im Detail von Vescularius hält. Überhaupt war es wohl klar, dass man in diesen Zeiten nicht allzu offen reden konnte. Wer wusste denn schon auf welchem Wege Informationen an den Kaiser dringen konnten und einem dann den Boden unter den Füßen wegzogen? Dennoch würde ein entsprechender Hinweis bestimmen, in welche Richtung Lepidus versuchen würde das Gespräch zu lenken. Dies hatte er sich inzwischen gut überlegt. Seine Finger tippelten immer wieder an seinen Becher, offenbar wartete Lepidus ungeduldig auf seinen Einsatz, für den die Voraussetzungen noch geschaffen werden mussten.

  • Die Frage war zwar prinzipiell einfach zu beantworten, aber trotzdem empfand sie Macer als ziemlich unangenehm. Hätte Macer dem Tiberier bereits sehr vertraut, hätte er kaum gezögert, wahrheitsgemäß zu antworten. Hätte er dem Tiberier deutlich misstraut, hätte er ebensowenig gezögert ihn anzulügen, um das Gespräch günstig zu gestalten. Da aber weder das eine noch das andere zutraf, wollte sich Macer eigentlich noch gar nicht entscheiden. Doch da keine Antwort und sogar ein langes Zögern bereits eine Antwort gewesen wäre, konnte er sich auch kein Schweigen leisten. "Ungeachtet aller Qualitäten oder Schwächen des neuen Imperators wäre es wohl etwas früh, nach einer so kurzen Amtszeit bereits ein völlig eindeutiges Urteil zu fällen", antwortete er daher diplomatisch und mit leicht reserviertem Blick. Sympathiepunkte hatte sein Gegenüber mit der Frage jedenfalls nicht gesammelt, aber darauf kam es ihm ja vielleicht auch gar nicht an.

  • "Interessant", dachte sich der Tiberier. Eine solch ausweichende Antwort hätte er bei aller Unklarheit in der heutigen politischen Lage dann doch nicht vorherzusehen gewagt. Nicht nur, dass er die Antwort sehr allgemein und unpräzise fand, nein, er musste sogar konstatieren, dass sie nur ansatzweise etwas mit seiner Frage zu tun hatte. Aber womöglich war dies das cleverste, was der Senator tun konnte. Ein Mann in seiner Stellung musste vorsichtig sein, da war es doch immer noch die sicherste Variante nur scheinbar auf eine unangenehme Frage zu antworten. Lepidus brachte dies tatsächlich ein wenig zum Lächeln. "Du magst wohl recht haben, ein Urteil sollte man besser nie zu früh fällen." Es war vielleicht an der Zeit ein wenig offener zu sprechen. "Senator, du bist der Ehemann meiner Cousine, einer Frau, die einer Familie angehört, die in letzter Zeit viel zu leiden hatte und dieses Leid ist wohl unverkennbar und unmittelbar mit der derzeitigen politischen Situation verknüpft, nur deshalb stelle ich dir solche Fragen." Lepidus neigte seinen Kopf bedeutungsvoll ein klein wenig zur Seite. "Wo sind die edlen Männer meiner Familie, wenn nicht Tod oder verschwunden? Es stellt sich doch die einfache Frage: Was tun? Ich sprach davon den Ruf meines edlen Geschlechts wiederherzustellen und ich will dies unter den gegebenen Umständen vollbringen. Nun frage ich mich, was ist das kostbarste, was ein Mann wie ich in einer solchen Situation begehren kann? Zumindest auf diese Frage gibt es wohl eine einfach Antwort. Nein, natürlich keine Sesterzen, sondern Rat! So wende ich mich jetzt an dich, einen weisen Mann mit einem reichen Schatz an Erfahrung, der den meinigen weit übertrifft, einem Mann, der schon viele verantwortungsvolle Positionen einnahm, ein ehemaliger Consul, und nicht zuletzt der Mann meiner lieben Cousine... mein guter Verwandter. So versetze dich in meine Lage und ich frage dich: Was würdest du tun, wenn du an meiner Stelle wärst? Was würdest du tun, wenn heute der Grundstein gelegt werden müsste, dass eine Familie, wie die meinige, die eben noch tief gefallen, schon bald wieder die Stufen der Anerkennung hoch hinaus erklimmen kann, um erneut durch Besitz von Ruhm und Macht geehrt werden kann? Wer sonst, wenn nicht du, könnte darüber etwas sagen." Bei den Göttern, er hörte sich so gern reden. Ein bisschen Schmeichelei, ein bisschen Appellation an die entfernte Verwandtschaft, eine wunderbare empathische Mixtur aus Worthülsen. Man konnte in Zweifel ziehen, ob der Senator mit dieser Art Reden etwas anfangen konnte, dennoch konnte der naive Lepidus wohl nur hoffen, dass der Purgitier ihm etwas Gehaltvolles sagen konnte. Lepidus hielt seine eigene (und von ihm auch am meisten geliebte) patrizische Person einfach viel zu wertvoll, als dass er sie ewig untätig in einer Villa hätte verrotten lassen wollen.

  • Hatte Macer den Tiberier bisher lediglich skeptisch betrachtet, hielt er ihn inzwischen für einen reichlich naiven Dampfplauderer. So viele salbungsvolle Worte hatte er selten auf einem Haufen gehört und er hoffte inständig, dass die Ausbildung in Griechenland bei dem jungen Mann noch ein paar brauchbarere Eigenschaften gefördert hatte als die der blumigen Sprache. "Nicht sterben wäre ein guter erster Schritt", antwortete er daher auch völlig trocken und ließ danach einen Moment der Stille eintreten. "Als zweites würde ich die Augen aufmachen, um der Realität in die Augen sehen zu können und wenn du mutig sein willst, solltest du auch noch deinen Kopf benutzen, um zu denken!", schlug er dann genauso trocken vor. "Überleg doch mal: Die namhaftesten männlichen Vertreter deiner Gens sind tot oder verschwunden, überdies sind sie der Beteiligung an einer Verschwörung bezichtigt, du kennst fast niemanden in Rom und hast nichts in der Hand außer ein bisschen Bildung aus Griechenland. Ich an deiner Stelle wäre daher ganz vorsichtig mit meinen Träumen von Ruhm, Macht und Anerkennung. Umso leichter kannst du sie übertreffen."

  • "Ach, wie nutzlos", dachte sich der Tiberier. Dass er bereits jetzt genervt war, konnte er kaum verbergen. Dieser Purgitier hatte leicht reden, er besaß ja bereits alles und brauchte sich wohl selbst in diesen schwierigen Zeiten keine Sorgen um sein Wohl zu machen, während Lepidus seinen derzeitigen Status als höchst unwürdig empfand. Der Tiberier, der bis zum Himmel naiv zu sein schien, erhoffte sich allzu leicht einen Weg aus der Krise, stattdessen wollte ihn Macer wohl auch noch zur Passivität verdammen. Der einzige Grund warum sich Lepidus nicht leichtfertig und unangebracht echauffierte, war wohl, dass er sich in Erinnerung rief, dass er es hier nun einmal mit einem Senator zu tun hatte. Er musste sich zusammenreißen, um nicht allzu fordernd zu erscheinen, was dem Tiberier aber durchaus schwer fiel. Den arroganten Unterton bekam er allerdings nur sehr selten aus seinen Sätzen heraus. "Ich werde noch ein langes Leben haben, da sei dir gewiss." Lepidus ließ sich noch etwas verdünnten Wein einschenken, er ließ den Becher kreisen, während er sprach. "Mag es für dich auch befremdlich scheinen, ich kenne den Platz, der mir zusteht. Heute sind es Träume und als solche will ich sie auch verstanden wissen. Ha, ich bin nicht größenwahnsinnig, guter Senator. Ich werde derart nicht auf offener Straße verkünden, das wäre ja noch schöner. Nein, dass ich nicht von heute auf Morgen bekommen werde, was ich begehre oder gar verdiene, das ist mir bewusst, manchmal auch schmerzlich bewusst. Ich will mich mit den neuen Verhältnissen arrangieren soweit es geht, doch ich brauche Hilfe, denn ich Überblicke Rom noch nicht. Dafür bin ich noch nicht lange genug in dieser Stadt. Ich fühle mich eingeschnürt und gefangen. Dennoch will ich zeigen, dass ich mehr zu bieten habe, als ein bisschen Bildung aus Griechenland." Was das genau war, wussten aber wahrscheinlich nur die Götter.

  • Macer hatte sich zwar die trockenen Kommentare nicht verkneifen können, hatte aber andererseits auch nicht vor, den Mann unnötig zu belehren, da er ihn ja bisher kaum kannte und nur einen ersten Eindruck von ihm hatte. Und auch der war noch nicht völlig gefestigt, denn jetzt wiederum wirkte der Tiberier schon wieder ganz anders in seiner Mischung aus Trotz und Hilflosigkeit. Immerhin war er klug genug, offen zu sagen, dass er Hilfe brauchte. "Nun gut, Rom zu überblicken ist nicht einfach, wenn man frisch in die Stadt kommt", gestand er ihm daher ehrlich zu. "Warst du vor deiner Studienreise nach Griechenland hier in Rom?", erkundigte er sich dann, denn davon würde wohl abhängen, wie viele neue Verhältnisse man dem jungen Mann erklären musste und was er womöglich doch schon wusste.

  • Lepidus nickte zustimmend als Macer sprach, es wäre nicht einfach, wenn man gerade frisch in der Stadt wäre. Immerhin schien er seine Situation nachvollziehen zu können, wie er auch schon in seinen vorherigen Worten bewiesen hatte. "Ich war in der Tat hier in Rom, bevor ich nach Griechenland aufbrach, allerdings ist dies fünf Jahre her und in diesem Abschnitt scheint sich hier nicht wenig gewandelt zu haben. Abgesehen davon, dass man sich wohl nur schwer an diese große Stadt gewöhnt, wenn man sie seit langer Zeit nicht mehr betreten hat.", gab Lepidus zur Antwort. Der Senator müsste ihm wohl immerhin nicht mehr erklären, wo er was zu finden hätte, soweit war ihm Rom bekannt.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!