Ein Tag im Leben des Vipsanius Agrippa

  • Die Sonne hatte ihren Zenit längst überschritten und auch der Nachmittag neigte sich schon dem Ende zu, als er, lässig an irgendeine Wand gelehnt, so auf der berühmten Agora Alexandrias stand und das Treiben beobachtete. Es war zwar schon deutlich milder, als noch in den Mittagsstunden, aber dennoch warm, wenn nicht sogar heiß. Zumindest hier, mitten in der Stadt. Die Würdenträger der Stadt, die Gelehrten des und Schüler Museions, die Athleten des Gymnasions strömten in ihre Heimstätten und auch so manche Händler, deren Stände sich auf den berühmten alexandrinischen Fremdenmärkte befanden sich auf dem Heimweg. Kurz und gut, für die rechtschaffenen Bürger endete der Tag schön langsam, während er für die weniger rechtschaffenen erst begann (oder zumindest noch nicht aufhörte). Männer wie Tiberius Vipsanius Agrippa.


    Naja. Im Grunde jedoch war das reichlich übertrieben. Denn tatsächlich war er ein kleiner Fisch in der alexandrinischen Unterwelt. Ein sehr kleiner. Er schlug sich eben gerade so durch. Wie viele andere Tagelöhner auch. Nur dass die meisten von ihnen Ägypter waren oder wenigstens Griechen waren. Römische Bürger fand man überhaupt in Alexandria eher selten und erst recht in seinem „Gewerbe“. Er hatte nicht viel und er konnte auch nicht viel. Aber kämpfen konnte er. Genauso wie sein Vater, der ihm dieses Handwerk einst gezeigt hatte. Sonst nichts. Genauso wie sein Vater sonst nichts gekonnt hatte. Sein Vater hatte jedoch auf ganz andere Weise gekämpft, in den Hilfstruppen der römischen Legionen, hatte das Reich beschützt. Er hingegen beschützte heruntergekommene Spelunken oder gar noch heruntergekommenere Bordelle vor anderen Taugenichtsen. Hin und wieder begleitete er auch lokale Unterweltgrößen oder trieb Schutzgelder ein. Ein echter Legionär wäre darüber in schallendes Gelächter ausgebrochen, dass er das, was er tat als „kämpfen“ bezeichnete. Zu recht.


    Seine Kumpanen waren meist Ägypter aus Rhakotis. Er verstand sich ganz gut mit ihnen, aber mehr auch nicht. Die verschiedenen Sprachen trennten sie. Das Ägyptische, das die Griechen wiederum „demotisch“ nannten, beherrschte er mehr schlecht als recht und das Griechische, dass er ganz gut beherrschte, konnten die Ägypter wiederum nur bruchstückhaft. Wie auch immer, für das Nötigste reichten seine Kenntnisse des Ägyptischen jedenfalls. Mit den Griechen verstand er sich schon besser und seine Auftraggeber waren etwa zur einen Hälfte Griechen und zur anderen Ägypter. Auch wenn er sich, schon berufsbedingt öfters mit besagten Ägyptern und Griechen herumtrieb, so verbanden ihn doch eher oberflächliche Freundschaften mit ihnen. Mehr nicht. Dennoch mochte er die meisten von ihnen. Irgendwie.


    Er selbst kam aus dem Broucheion. Gerade noch jedenfalls. Genauer gesagt in einer bauchfälligen Insula in der Via Aspendia. Wenige Straßen weiter begann schon Rhakotis. Aber immerhin brachten seine Tätigkeiten genug Geld mit nach Hause, um sich eine eigene Wohnung in dieser Bruchbude leisten zu können, in die er auch hin und wieder Frauen mitnehmen konnte. Ebenfalls flüchtige Bekanntschaften und auch eher selten. Aber doch. Man musste nämlich auch aufpassen, dass diese zwielichtigen Bekanntschaften einen nicht auch noch ausraubten. Einmal war ihm das schon passiert.


    Missgünstig starrte er die Sonne an, die sich schon deutlich sichtbar im Sinken befand und damit den baldigen Beginn eines wenig ruhmreichen Arbeitstages ankündigte. Eigentlich wollte er raus aus dieser Umgebung. Aber er bereute auch nicht, was er getan hatte. Damals war es neben der Legion die einzige Möglichkeit, die einzige Möglichkeit, die er als Habe- und Taugenichts gehabt hatte. Und zur Legion hatte er nicht gewollt. Er hätte dafür schließlich aus Alexandria, dieser schillernden Metropole, weggemusst. In Rom war er zwar noch nie gewesen, aber er konnte sich beileibe nicht vorstellen, dass Rom auch nur mit Alexandria mithalten könnte. Außerdem hätte er bei den Adlern weit weniger verdient. Und schließlich hatte er keinesfalls so werden wollen wie sein Vater, der ja auch Legionär gewesen war.


    Sein Vater, als Peregrinus im fernen Gallien geboren, hatte mittels der Hilfstruppen das halbe Imperium bereist. Zuerst noch in Alpes Cottiae nahe der Heimat stationiert, wurde er bald nach Britannien, bald nach Kappadokien am Schwarzen Meer und bald nach Macedonia in der Nähe von Thessaloniki versetzt. Dort wurde auch Agrippa geboren, als Sohn eines einfachen Soldaten und einer ortsansäßigen Makedonin. Sein Vater wurde noch ein weiteres Mal versetzt, diesmal zur Classis nach Alexandria. Und mit ihm Frau und Kind. Agrippas Vater hatte Gefallen an Alexandria gefunden und so entschied er sich, nach Ablauf seiner Dienszeit, der mit der Verleihung des Bürgerrechts einherging, in Ägyptens Metropole zu bleiben. Mit seinem Entlassungsgeld und dem über die Jahre hinweg angesparten kaufte er ein kleines Häuschen in einer akzeptablen Gegend des Brucheions. Bald aber ging es mit ihm bergab. Er kümmerte sich kaum mehr um Frau oder Kind und versoff sein ganzes Geld und eines Tages fand man ihn tot im Hafenbecken Alexandrias treiben.


    Nein, damals, gerade sechzehn Jahre alt, war er sich sicher gewesen, niemals zur Legion gehen zu wollen. Aber jetzt? Wildeste Gerüchte gingen um in Alexandria. Der alte Kaiser war tot und nun gab es zwei. Einen in Rom und einen in Syrien und die ägyptische Elite schien den syrischen Gegenkaiser zu unterstützen. So oder so, es würde Krieg geben. Bürgerkrieg. Und die ägyptischen Legionen würden sicher, in welcher Weise auch immer, an den Kampfhandlungen teilnehmen. Das versprach schnelle Aufstiegsmöglichkeiten. Wenn man überlebte und zur richtigen Zeit der richtigen Seite angehörte. Außerdem kam man mit der Legion herum. Vielleicht nach Rom.


    Er verließ Alexandria nicht gern, aber andererseits war die Aussicht als mächtiger und reicher Mann wieder hierher zurückzukehren doch verlockend. Sehr verlockend. Nicht zu letzt könnte ihm die Legion eine Perspektive geben, die ihm die Alexandriner Unterwelt nicht geben konnte. Hier würde er immer ein zwielichtiger Geselle bleiben, bei den Legionen könnte er Ruhm, Ehre, Macht und Geld erlangen. Irgendwann zumindest.


    Die Abenteuerlust erwachte in Agrippa und so war es an jenem Tag, wohlgemerkt irgendein Tag ohne näherer Bedeutung, dass er beschloss nach Nikopolis zu gehen und den abendlichen Auftrag sausen zu lassen.

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