Peristylium | MFG et GSR - Sommer in Rom

  • Durch das Blätterdach des Mandelbaumes schimmerten die letzten Sonnenstrahlen des Tages wie Tautropfen am frühen Morgen, hingen diesen similär im Geäst fest ohne bis zum Boden hin zu reichen, schimmerten zwischen den Früchten des Baumes, welche noch grün waren, Ton in Ton verborgen zwischen den glänzenden Blätterbüscheln, und derer Zahl bereits auf eine reichhaltige Ernte im Herbste ließ hoffen. Jene Zeit indes war noch weit entfernt, denn erst hatte der Sommer unbarmherzig Einzug gehalten in die ewige Stadt, stickig und drückend wie in jedem Jahr, schwer und matt über allem liegend, alles lähmend und das Leben verlangsamend als müsse es durch zähflüssigen Honig hindurch sich mühen. Selbst auf den Hügeln, über welche ab und an ein angenehmer Hauch von Wind zog gegenteilig zu den Tälern, in welchen die Luft schlichtweg regungslos stand, ließ die Sommerhitze alle Aktivitäten bei Tage erlahmen oder zum Stillstande kommen für all jene, welche dieses Dolcefarniente sich konnten leisten, sich jedoch nicht konnten leisten, die Stadt zu verlassen. Letzteres wäre ein leichtes gewesen für Flavius Gracchus - seine Reisekisten wären gepackt noch ehedem er den Auftrag dazu hätte erteilt, das Landgut vor Baiae wohnlich hergerichtet schon im Gedanken daran. Doch wie seit vielen Jahren bereits konnte er auch in diesem die Geliebte Roma nicht verlassen, ihr nicht den Rücken kehren aus eigener Annehmlichkeit, sie nicht in ihrem Safte schmoren lassen während er sich in kühleren Gefilden amüsierte. Gleich wie in seiner Liaison mit Faustus konnte er nicht ohne Roma leben, doch auch sich ihr nie gänzlich hingeben, ganz ähnlich auch wie mit seinen Gemahlinnen - so dass dies allfällig eine Schwäche seines Charakters war, diese Unfähigkeit sich gänzlich für Nähe oder Ferne zu entscheiden - insbesondere jedoch Nähe -, oder allfällig war es auch nur der Fluch seines Lebens. Im Falle der schönen, doch unbarmherzigen Roma verzweifelte er regelmäßig an ihren Erwartungen, ihren Pflichten und Bedürfnissen, doch stets wenn er sie hatte auf längere Zeit verlassen - erzwungen, geflohen oder verbannt -, hatte er doch nicht ohne sie existieren können. Aus diesem Grunde eben suchte der Flavier nicht erst auf Wochen der Sommerhitze der Stadt zu entkommen, sondern durchlitt sie klaglos, erduldete die trägen Tage im Inneren und suchte die Flucht nach Außen nur am Morgen oder Abend. Indes, all dies geschah längst ohne Absicht, so dass all jene Gedanken Gracchus fern waren in diesen Augenblicken, er im Äußeren zwar den lauen Abend genoss, ein zufriedenes Lächeln seine Lippen umspielend, mit seiner Aufmerksamkeit jedoch im Inneren seines Gedankengebäudes weilte, einige Einfälle und Erkenntnisse sortierte und archivierte.

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  • Des Abends, wenn Sol sein böses Angesicht hinter dem Horizont zur Ruhe bettete, erwachten die Lebensgeister des Ravilla. Frei von der Geißel blendenden Lichts, erlöst vom Schmerz, der in seinem Haupt hämmerte, schritt er leichten Fußes in sommerlicher Gewandung durch das abendliche Perstyl der Villa Flavia Felix. Die Last der Toga hatte er abgestreift wie ein Nachtfalter den Kokon, um in einer Tunika einherzuwandeln. Umströmt vom süßen Duft der Blüten, der sich in der Feuchte der Abendluft am Grund des Peristyls sammelte, begleitet vom Gesang der Abendvögel, fühlte Ravilla sich frei und unbeschwert.


    Da wurde er eines weiteren Gastes zu abendlicher Stund im Innengarten der Villa gewahr - das Oberhaupt der ehrwürdigen Gens höchstselbst flanierte zur sommerlichen Abendstund gleich seinem Klienten am gleichen Ort.


    "Guten Abend, ehrenwerter Patron", grüßte Ravilla, die Stimme nicht zu sehr erhoben, um die Harmonie des Gartens nicht zu stören, darauf wartend, ob dem Manne seine Gegenwart genehm sei, oder ob er wünschte, den Abend in der Einsamkeit Stille zu genießen.

  • Der Flavier blickte aus seinen Gedanken empor und ein erfreuter Ausdruck Iegte sich über sein Antlitz, ganz so als wäre dies ein freudig unwahrscheinlicher Zufall, dass inmitten von Tausenden Menschen sie sich auf den Märkten des Traianus begegneten und nicht etwa im flavischen Peristyl, dessen übliche Besucher sich auf nicht einmal zwei Handvoll Bewohner der Villa beschränkten, von welchen zudem zumeist kaum eine Handvoll zur selben Zeit sich hier aufhielt.

    "Ah, Seius, einen wunderbaren guten Abend!"

    Tatsächlich hatte Gracchus Ravilla in den zurückliegenden Monaten ebenso selten gesehen wie seinen Sohn, welcher seinen Tiro während des Aedilates gänzlich in Beschlag hatte genommen.

    "Wie geht es dir? Ich hoffe doch sehr, Minor hat trotz aller Mühen des Amtes ausreichend Zeit gefunden, dir die Geheimnissen der Politik ein wenig näher zu bringen und dich gut auf deine nä'hsten Schritte vorzubereiten?"

    Auch ein Tiro war dem Flavier stets eine Verpflichtung und nicht etwa nur ein Mitläufer, und gleichwohl er auch von seinem Sohn erwartete, sich dieser Pflicht gewahr zu sein, gleichwohl Minor in den vergangenen Monaten sich seiner Herkunft mehr als würdig hatte erwiesen, so züngelte tief in Gracchus' Innerstem doch stets ein Funke aus sorgenvollem Zweifel, genährt durch die Reminiszenzen an Minors jugendliche Eskapaden.

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  • "Einen guten Abend auch dir, werter Patron!" Ravilla gesellte sich zu dem Pontifex, so dass sie gemeinsam ein wenig in des Gartens Milde flanieren oder relaxieren konnten.


    "Dein Sohn widmete sich in herzerwärmender Manier all meinen Fragen und half, wo er es vermochte", sprach Ravilla, den die Mühen seines Mentors sehr gerührt hatten. Gleichwohl empfand er eine gewisse Scham, gegen Ende von des Minors Amtszeit diesen seinerseits in für ihn selbst nicht zufriedenstellender Manier unterstützt zu haben. Die Verpflichtungen des Wahlkampfs sowie die zu oft präsente Pein des Lichts hatten Ravillas Tatvermögen etwas gedämpft. "Ich fühle mich nicht zuletzt dank des Flavius Minor sehr gut vorbereitet auf die Notwendigkeiten, Tücken und Fallstricke. Mir selbst geht es gut, ich bedanke mich für die freundliche Nachfrage."


    Zu klagen ob der Mühen verbat er sich, da diese zu den Notwendigkeiten zählten, die es zu bewältigen galt. Im Vergleich zu den Pflichten, die auf des Minors rundlichen Schultern lasteten oder erst auf denen des Vaters, maßen sie sich gering aus. "Ich hoffe, auch du befindest dich wohl?"

  • Zufrieden vernahm Gracchus, dass Minor seinen Pflichten in gebührendem Maße war nachgekommen, was somit seine Zuversicht nährte, selbst für ein hinlängliches Fortbestehen flavischer Pflichterfüllung Sorge getragen zu haben.

    "Es freut mich überaus, dies zu hören, schlussendlich ist das Aedilat allfällig nicht das komplizierteste, zweifelsohne jedoch eines der arbeitsreichsten Ämter des Cursus Honorum."

    Auf die Frage nach seinem eigenen Befinden kräuselte ein schmales Lächeln seine Lippen.

    "Es geht mir gut, gleichwohl ich dem Herbst entgegen sehne. Der Sommer mit seiner lähmenden Hitze enerviert mich dieser Tage weit weniger als in früheren Jahren - allfällig ist dies die Gelassenheit des Älterwerdens -, indes bevorzuge ich Regen und ein wenig Wind. Dir jedo'h muss dieses stadtrömische Lamentieren über die Hitze absurd anmuten, ist der Sommer in Cappadocia doch zweifelsohne weitaus wärmer und das Land durch die Sonne geprägt?"

    Belanglose Gespräche über das Wetter um der belanglosen Gespräche Willen, oder schlimmer noch als Vorwand zur Klage, waren dem Flavier ein Graus. In diesem Falle indes war die Witterung ihm ein Vorwand, um einen mentalen Fuß auf die Erde Cappadocias, Ravillas Heimat, zu setzen, denn so sehr Gracchus auch das Reisen abhorrierte, um so begieriger war er auf Berichte über und Geschichten aus fernen Provinzen und Ländern.

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  • "Der Arbeitsreichtum des Aedilats scheint in der Tat mitunter horrend", ließ Ravilla respektvoll verlauten, ein wenig in Sorge ob des Pensums, das ihn selbst während des Cursus Honorum erwarten würde.


    Er, welcher die Geistestiefe der beiden ihm bekannten Flavii zu schätzen gelernt hatte, mutmaßte durchaus, dass die Witterungsverhältnisse, welcher der ältere Flavius nun thematisierte, nur als Auftakt zu tieferen Gesprächen dienen mochten. Gleichwohl griff Ravilla sie auf, um eine harmonische Überleitung zu einem anderen Themenkreis zu ermöglichen. "Die Sommer in Cappadocia erscheinen mir wärmer als jene in Italia, bemerkenswerter jedoch ist die Trockenheit. Für jene, die zu Wetterleiden neigen, ist konstante Hitze und Trockenheit eine kurative Wohltat, denn die Tage des Wechsels sind es, welche besondere Pein zu bringen neigen."


    Doch hatte Ravilla nicht vor, zu jener Gelegenheit in Selbstmitleid zu schwelgen und fuhr sogleich fort: "Die Menschen haben gelernt, den lokalen Bedingungen zu trotzen, in Roma wie in Cappadocia. Für mich sind die Unterschiede, die sich daraus ergeben, durchaus von Interesse, so dass ein Lamento ob der hiesigen Witterungsverhältnisse für mich die Frage aufwirft, wie vor Ort umgekehrt mit so viel Regen in Herbst und Frühjahr umgegangen werden kann, ohne dass in den Tälern die Ernten faulen. Ich mutmaße, dass aus jenem Grund bevorzugt an den Hängen angebaut werden sollte. In Cappadocia hingegen erfolgt der Ackerbau in der Tat ausschließlich in den fruchtbaren Schwemmtälern der Flüsse, während in der Hochebene allein Viehhaltung möglich ist und kein Ackerbau sich lohnt. Die unterschiedlichen Lebensweisen haben gänzlich diverse, aber doch bisweilen ähnliche, Kulturen bedingt, die einen Reisenden hier wie da vor Herausforderungen stellen kann."

  • Bestätigend nickte der Flavier, obschon in der Erinnerung die Mühsal seines Amtes überdeckt war durch die Erfolge jener Zeit.
    "Das Aedilat ist zweifelsohne eines der arbeitsreichsten Ämter des Cursus Honorum, gleichwohl eines der kostträchtigsten. Doch auf dieser Stufe angelangt stehen üblicherweise einige Mitstreiter an der Seite eines Mannes - Klienten und politische Zöglinge -, auf welche er sich ver..lassen kann. Zudem ist es der Beginn jener Ämter, in welchen du nicht nur effektuierend oder deliberierend tätig bist, sondern einen bestimmenden Einfluss geltend machen wirst - auf die Politik, wie auch auf das Volk, etwa durch die Wahl der auszurichtenden Spiele oder deine politischen Vorhaben."
    Interessiert lauschte er sodann Ravillas Ausführungen zu den Witterungsbedingungen in Cappadocia, den Unterschieden zu Italia und den Schlussfolgerungen, welche er daraus zog.
    "Ich muss gestehen, die Landwirtschaft konnte mich nie sonderlich reizen. Meine Studien umfassten selbstredend Grundkenntnisse, doch die praktische Umsetzung habe ich seit jeher lieber den Verwaltern unserer Güter überlassen. Dass indes die natürliche Umgebung, inklusive der Gegebenheiten der Landwirtschaft und Witterung eine Kultur prägt, ist ein interessanter Aspekt. Sagt man nicht den Germanen nach, sie wären in ihrer Denkweise beschränkt, da sie in ihren Wäldern hausen und so bereits ihre Sicht beschränkt ist? Der Schluss liegt also nahe, dass ein Mann aus Capadocia sehr vernetzt denkt, sofern er aus den Flusstälern stammt, oder sehr weitsichtig, so er aus dem Hochland kommt."
    Das Gedankenspiel gefiel dem Flavier.
    "Was also wird man über die Männer Roms schlussfolgern können?"

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  • "Siehe: Die Kenntnis der Bukolik ist für die Verwaltung der Provinz Cappadocia für den Adel in der Tat von beträchtlicher Relevanz. Die politische Macht gründet sich auf das Erbe des Blutes, das durch die Adern der Tempelfürsten fließt, erwächst in der Praxis jedoch aus der wirtschaftlichen Beherrschung der Bevölkerung. Die Begrenzung fruchtbaren Schwemmlands und dessen Kontrolle verhindert das unbemerkte Aufkommen von Rivalen in den Hinterlanden - sie alle sind durch Hunger gebunden an die Tempelfürsten. Auch wenn jene untereinander rivalisieren, kennt man doch einander und weiß einander einzuschätzen, was eine, wenn auch dynamische, Form von Stabilität erzeugt. Politik und Wirtschaft sind nach meinem Dafürhalten in Cappadocia wohl enger verwoben als in Roma, ich würde sagen, sie bilden eine untrennbare Einheit.


    Das mag aus der Sicht eines Mannes aus edlem Geschlecht Roms möglicherweise befremdlich wirken, schon allein aus der beträchtlicheren Anzahl der zu lenkenden und zu leitenden Menschen heraus, welche das Haupt der Welt bevölkern und daher Abstraktion erfordern. In Roma läuft vieles indirekter aufgrund der Komplexität des hiesigen Verwaltungs- und Regierungsapparats. Das kappadokische System würde hier nicht funktionieren. Roma verlangt von einem Mann der Politik andere Qualitäten als Cappadocia, die ich im Moment zu verstehen und zu erlernen mich mühe."


    Und dem Gedankenspiel seines Patrons bereitwillig folgend, ergänzte Ravilla, den Finger hebend, in poetischer Anwandlung: "Wenn die Gedanken der Cappadocis sich mit dem Wind hinaufschwingen zur Sonne und wieder ins Tal hinabstürzen, wie es ihnen beliebt, wenn sie dem natürlichen Flusslauf folgen bis zum unendlichen Meer der Möglichkeiten, und die Gedanken der Germanen sich an der Undurchdringlichkeit ihres Waldes brechen und in Dunkelheit verlieren, so weiß doch der Römer von allen am Besten, im Gewirr von tausend Wegen jenen zu finden, der ihn sicher aus dem Labyrinth führt."

  • Aufmerksam lauschte der ältere Flavier dem jungen Seius. Er war noch nie der Ansicht gewesen, dass die Älteren das alleinige Anrecht auf Wissen und Erfahrung hatten. Die Welt war viel zu groß, um behaupten zu können, dass ein einzelner Mensch in seinem Leben alles hätte lernen können, was es zu wissen gab. Selbst das Studium einer Universität gab einem nicht jene Fülle an Erkenntnis, denn bereits das Wissen einer einzigen Universität überstieg oftmals die Möglichkeiten des einzelnen, selbst wenn er sein gesamtes Leben mit Studien verbrachte - und dann hatte er nur das Wissen einer einzigen Universität absorbiert. Gracchus war also der Ansicht, dass es für ihn immer etwas neues zu erfahren gab, auch in fortgeschrittenem Alter. Insbesondere natürlich auch jenes Wissen der Fremde, die er nie hatte bereist, nach der er sich zwar oft sehnte, von welcher die Faktizitäten einer Reise und deren Schrecken ihn jedoch stets abhielten. Die Machtverhältnisse in der Provinz Cappadocia erinnerten ihnen ein wenig an die Geschichte Roms, denn letztendlich gründete sich auch die Macht der Patrizier auf den Besitz des fruchtbaren Landes. Erst später hatte der Handel an Bedeutung gewonnen und auch Männern niederen Geschlechtes Reichtum eingebracht. Einen Augenblick lang schwankte Gracchus, ob er sich nach einer solchen Zeit würde zurücksehnen - in welcher die einfachen Bürger an ihn durch Hunger waren gebunden - oder ob er den Fortschritt begrüßte, in welchem die Klienten durch ein weitaus komplexeres Band gebunden waren, das auf mehr Gegenseitigkeit beruhte als Nahrung und Hunger. Nein, letztendlich war er doch froh in der Gegenwart zu leben, denn sich statt mit den Wissenschaften, dem Kult, der Philosophie und Muse mit Ackerbodenbeschaffenheiten, dem Spiel der Witterungen oder den Einflüssen von Schnecken und Maden auf Wurzelgüte von Getreide beschäftigen zu müssen, dies war wahrlich nicht seine Sehnsucht.

    "Ich sehe Parallelen zu den von dir beschriebenen Verhältnissen in Cappadocia und der Vergangenheit Roms, gehe indes mit deiner Einschätzung konform, dass ein solches System hier nicht mehr erfolgverspre'hend wäre. Die Politik in Rom gründet sich zum einen auf Vergangenheit - die Herkunft eines Mannes, und damit weit zurück liegend ebenfalls auf Grundbesitz -, zum anderen bietet sie auch jenem, der gebildet und tatkräftig ist, eine Chance - allerdings nur in Verbindung mit Unterstützung jener Männer, welche bereits in der Politik etabliert sind, deren Masse aus altem Adel indes längst ver..wässert ist mit einst besitzlosen Aufsteigern. Nachdem der Mann in Rom an Nahrung gesättigt war, blieb allzu oft nur der Hunger nach Macht."

    Ein Anklang von Bedauern durchzog Gracchus' Stimme. Als junger Mann hatte er geglaubt, Rom wäre angetrieben durch die virtutes, angeführt von Männern, welche nach dem Wohle des Reiches strebten. Von diesem Glauben - diesem Traum - war längst nichts mehr übrig, und allfällig auch nicht mehr viel von dem Gracchus, welcher einst ein solcher Mann hatte werden wollen.

    "Insofern will ich dir gerne helfen, deinen Weg durch das Labyrinth zu finden, doch musst du dich in A'ht nehmen, denn hinter jeder Biegung könnte ein Minotaurus lauern."

  • Versonnen nickend ob der klangvollen Allegorie des kretischen Labyrinths ward Ravilla zu jener Zeit nicht gewahr, dass ein solcher Minotaurus in Bälde würde ihm erstmalig im Senat begegnen, silbrigen Hauptes von den Jahren der Erfahrung, die Hörner alt, doch mitnichten stumpf. Gleich dem Ariadnefaden waren indes die Worte des Patrons gewoben, um Ravilla einen sicheren Weg durch die Wirren der Politik zu weisen. Ob diesem es gelingen mochte, jenen licht schimmernden Faden aufzugreifen und den schattigen Winkelzügen unbeschadet zu folgen, würde sich erweisen müssen.


    "Stets ist dein Rat mir ein Leitfaden, mein Patron, und es bleibt zu hoffen, er wird mir nie Rettungsseil sein müssen. Das Streben nach Macht sollte einem tüchtigen Römer im Blute liegen. Als entscheidend erachte ich dabei die Frage, was mit der erstrebten Macht er anzufangen gedenkt? Sie sollte niemals Selbstzweck sein, sondern im Dienst eines höheren Wohles stehen. Wirksamkeit bedarf der Macht. Macht induziert Wirksamkeit.


    Wie aber verhält es sich bei dir, verehrter Patron? Hungerst du wie einst, als den Weg zum Pontifex des Collegium pontificium du beschrittest, oder bist du gesättigt an dem, was in deinen Händen liegt?"

  • Nachdenklich blickte der Flavier zum Himmel empor, an welchem nicht ein Wölkchen sich zeigte, beinahe suchend als könne er dort in der Ferne nicht nur das Wissen über sein eigenes Wesen finden, sondern auch die ferne Vergangenheit. Hatte er je nach Macht gehungert, oder war er in sie hinein getrieben worden, wie er glaubte? Und hatte Seius nicht recht, vereinte er nicht selbst durchaus eine nicht unbeträchtliche Menge an Macht? War sie ihm Selbstzweck oder Wirksamkeit im Dienst eines höheren Wohls? Schweigend verrannen einige Augenblicke, in welchen nur das leise Plätschern des Brunnens zu hören war und das Summen einiger Bienen, welche am stets reich gedeckten Gabentisch des flavischen Gartens sich labten.

    "Ist es Hunger, welcher einen zur Pflichterfüllung treibt? Mein Schicksal war forciert durch meine Herkunft und meine Geburt. Dem Erstgeborenen unserer Familie ist es bestimmt, einen Weg im Militär zu gehen, dem Zweitgeborenen den Weg in den Cultus. Für mich gab es schli'htweg nie eine andere Wahl. Selbst als mein Bruder ... starb ..."

    , ein kurzes Zögern verriet die aufgestaute Emotionalität, welche diesem Ereignis noch immer anhaftete, denn mitnichten war Animus zu diesem Zeitpunkt verstorben, hatte die Familie nur derart in Schande gestürzt, dass Gracchus' Vater dafür hatte Sorge getragen, dass sein Tod in den Archiven vermerkt worden war.

    "Als mein Bruder starb fiel seine Pfli'ht an mich, doch zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät, mein Weg bereits gezeichnet."

    Allfällig war es weniger ein Hungern, als mehr eine Sucht gewesen, weshalb auch dem Streben niemals eine Sättigung entgegen zu setzen war, sondern nur eine Überdosis oder Entzug - in beidem Falle endgültig.

    "Bin ich gesättigt? Wer weiß. Das Leben und der Augustus haben mir eine Diät aufoktroyiert, welcher ich pflichtbewusst nachkomme - zumindest daran hat sich nichts geändert. Früher einmal strebte ich danach, Flammen Dialis zu werden, denn welches Amt sonst könnte mehr Pflichterfüllung gegenüber Rom, den Göttern und der Familie, wiewohl höchste Tugendhaftigkeit be..zeugen."

    Ein schmales Lächeln kräuselte seine Lippen als er an diese Zeit zurück dachte. Damals schien alles möglich, zumindest aus ideologischer Sicht.

    "Nach dem ... Bürgerkrieg ..."

    Wieder zögerte Gracchus kurz. Auch diese Jahre lagen lange zurück, und doch gereichte allein die Erwähnung jener Epoche dazu, in ihm einen Schatten des Grauens zu evozieren.

    "Als die Option ge..geben war, die Kür eines neuen Flamen Dialis, hatte ich meine Ideale verloren, hatte die Geschichte doch bewiesen, dass es weder eine eindeutige Pfli'hterfüllung für Rom, noch Wahrheit, noch Tugendhaftigkeit in dieser Zeit gegeben hat."

    Bis auf Minor und Decimus Serapio kannte niemand die vollumfängliche Wahrheit in Bezug auf Gracchus' Pflichterfüllung, Wahrheit und Tugendverlust in dieser Zeit, doch selbst im Dunkel der offiziellen Geschichte, in welcher die Flavier von Salinator verfolgt, Gracchus' Vetter Furianus durch den Usurpator ermordet worden und er selbst pro­skri­biert worden und darob mit seiner Familie aus Rom geflohen war, ließ durchaus genügend Raum für verlorene Ideale und Träume.

    "Später glaubte ich, zumindest das Amt des Rex Sacrorum könnte mir noch immer offen stehen, könnte eine Möglichkeit sein, meinen Idealen ein wenig näher zukommen"

    , respektive seine Schuld zu mindern,

    ", doch der Augustus beorderte mich zum Pontifex pro magistro."

    Ein leises Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, denn allfällig war dies der göttliche Ausgleich der Gerechtigkeit, ihm ein Amt aufzubürden, auf das er vom Throne seiner altehrwürdigen Familie stets ein wenig blasiert hatte herabgeschaut.

    "Ein Amt, das durchaus begehrt ist, vereint es doch gleichsam den Einfluss des Collegium Pontificum auf der einen, wie den Einfluss des Pontifex Maximus"

    , insbesondere eines nicht allzu tief an kultischen Belangen interessierten,

    "auf der anderen Seite, und darob einen nicht unbeträ'htlichen Einfluss gerade auch auf die Politik. Ein Amt somit für jene, welche nach diesem Einfluss hungern, welche die Welt unmittelbar dirigieren wollen. Ein Amt indes geschaffen nicht aus kultischen Traditionen oder Erfordernissen, sondern aus der Notwendigkeit des modernen Staatskonstruktes, und damit wenig geeignet indes für jene, die der Welt in ihrem Ideal entgegen streben, dem Ideal als Prinzip und der Wahrheit als erste Tugend."

    Allfällig war es gut so, dass das Schicksal, dass der Augustus über Gracchus hatte verfügt, blieb ihm doch auf diese Weise erspart, selbst über sich richten zu müssen und sich der einen oder anderen Seite zuweisen zu müssen - was zweifelsohne nur zu schmerzhafter Wahrheit hätte führen können. Eine Hummel brummte zwischen Ravilla und Gracchus hindurch, dass jener den Kopf wandte und sich des jungen Zuhörers wieder gänzlich bewusst wurde, wiewohl der Tatsache, dass seine Ausführung sich zweifelsohne anhörten wie das Lamentieren der Alten.

    "Verzeih, ich wollte dich nicht mit der Rückschau meines Weges ennuyieren. Um deine Frage zu be..antworten - ich habe stets nach der Erfüllung meiner Pflichten gehungert, und ich bezweifle, dass dieser Hunger je vergehen wird, gleich wohin dies führt."

    Nicht einmal dann, wenn es von fadem oder gar ungustiösem Beigeschmack geleitet war.

    "Nach was hungerst du, Seius? Was treibt dich an, hunderte von Meilen von deiner Heimat entfernt dich in dieses unbekannte Labyrinth einer Stadt zu stürzen, dich gar den Minotauren entgegen zu stellen? Welche Wirksamkeit erhoffst du dir auf dem Zenit deines Lebens?"

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  • O welch Bedauern schwang in den Worten des Patrons! Die Jahre zogen vorüber, das Alter zeichnete seine Spuren am Körper, doch der Geist war von den Widrigkeiten eher geschärft worden wie ein Dolch durch den Wetzstein. Die Erwähnung vom Tode des Bruders quittierte Ravilla mit einem bedauerndem Nicken, doch unterbrach er nicht den Fluss der Worte durch einen Einwurf. Das Antlitz der geliebten Schwester erschien vor seinem inneren Auge, einem gedanklichen Götzenbild gleich, an dem er nicht rühren durfte noch konnte, denn sie weilte in Achaia und würde nicht wiederkehren. Von dieser Hoffnung hatte Ravilla Abschied genommen, denn Seius Victor war ein äußerst strenger Vater, der seinen Kindern keinen Fehltritt verzieh.


    "Du hast mitnichten mich ennuyiert, verehrter Patron." Ravillas schwarz umrahmte Augen waren ernst auf die braunen Iriden des älteren Mannes gerichtet, die in der Sonne mal rötlich, mal golden schimmerten. Keine andere Augenfarbe vermochte die Sonne so deutlich sichtbar einzufangen. "Ich schätze die Konversation mit dir und die gemeinsam verbrachte Zeit. Oft ist sie allzu schnell vorbei, und so sollten wir sie ausgiebig genießen. Die Götter sind launisch, der weltliche Hunger der Menschen groß. Beides mag viel zu verändern, mal zum Guten, mal zum Schlechten.


    Du wirkst nicht glücklich mit deinem Amt", zog Ravilla das Resümee am Ende der Ausführungen, "da es zu sehr verhaftet an irdischen Bedürfnissen ist und dem Ideal, nach dem du strebst, nicht gerecht wird. Oder wird das Ideal durch dieses aus strukturellen Belangen geschaffene Amt vielleicht sogar beleidigt in deinen Augen? Gäbe es denn einen Weg, der dieses Bedürfnis zu erfüllen geeignet wäre?


    Ich, mein lieber Flavius Gracchus, hungere nach Unsterblichkeit. Nicht jene der verderblichen Hülle, in welcher wir zu Lebzeiten wandeln, sondern nach jener Unsterblichkeit, welche durch große Taten geboren wird und in Tinte und Stein der Ewigkeit trotzt. Die Götter gaben mir zwei gesunde Hände, um tätig zu werden, und einen klaren Verstand, um sie weise zu nutzen. Siehe: Der Name Lucius Aelius Seianus ist auch heute noch jedem ein Begriff. Er ist untrennbar mit meiner Gens verbunden, Schatten und Ikone. Ich möchte, dass wenn der Name Seius fällt, eines Tages zuerst an Seius Ravilla gedacht wird und erst danach an den Gefallenen."


    Unausgesprochen blieb die tiefe Überzeugung der Seii, dass jener Vorfahre unschuldig im Schlund des Tullianums gerichtet worden war. Ravillas Streben war kein Reinwaschen, da es keine Besudelung gab, sie war eine anvisierte Überlagerung von altem, verblasstem Glanz mit einer neuen, strahlenden Sonne am Himmel ihrer Gens.


    "Indem ich dem Volk und dem Senat von Rom diene, mag ich dieses Ziel erreichen. Manch Heerführer schrieb das Lied seines Rumes in Blut. Ich aber möchte Gutes tun", schloss Ravilla. Ein Ideal, noch fern jener wohlformulierten Worte. Vielleicht war er bestimmt, die gleiche Desillusionierung zu erfahren, die auch der Patron hatte erleiden müssen, wenn er feststellte, dass sein anvisierter Weg sich als unmöglich gangbar erweisen würde.


    Die Hummel, ein besonders großes Exemplar, gelb und schwarz geringelt mit weißem Ende, suchte zwischen den Steinen brummend wohl nach einem Eingang, der für ein Nest sich eignen würde.

  • Ein feines Lächeln umspielte Gracchus' Lippen - allfällig wissend, allfällig freudlos -, denn die Launen der Götter hatte er wahrhaftig schon zur Genüge erlebt. Bisweilen schien es ihm, sein Leben hätte bereits einen Epos füllen können - nicht gar so spannungsreich wie die Odyssee oder Aeneis, doch ebenso umfangreich. Indes, wer würde dies schon lesen wollen - Die beschaulichen Abenteuer des M'.F.G.?

    "Nun, die Zeit an sich ist recht konstant, es ist der Mensch, welcher aus ihr hinaus fällt, sich zäh hindurch quält oder sie im Galopp überholt."

    Vor allem in den ennuyantesten Sitzungen des Senates hatte der Flavier oftmals schon über das Wesen der Zeit sich seine Gedanken gemacht. Denn während sie mit Faustus nur so dahin schoss, aus dem Abend zu schnell eine Nacht, zu schnell ein Morgen wurde, zog sie sich in der Curia Iulia bisweilen in schiere Unendlichkeit - wenn etwa Senator Gavius wieder einmal über die Details der Zolldekrete in den östlichen Provinzen referierte, oder Senator Caesetius über die Signifikanz einer korrekten Paragraphensetzung.

    "Es ist indes deplorabel, dass niemand recht er..gründen kann, inwiefern dies zu beeinflussen ist, der Mensch immer dann durch die Zeit sich zu beschleunigen scheint, so er sie gerne festhalten möchte, jedoch wie durch nassen Sand watet und nicht vorankommt, wenn das Geschehen eher öde ist."

    Er zuckte leicht mit den Schultern, denn - gleichwohl er ein langes Leben hatte benötigt, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, und die Erkenntnis nicht immer ihn davon abhielt, in Gram zu verfallen - was nicht zu beeinflussen war, darüber war es sinnlos, sich zu grämen. Similär wie über sein Amt, dessen Natur und Widerspruch zu Gracchus' Idealvorstellung Ravilla überaus präzise hatte erkannt.

    "In der Tat, das Amt des pro magistro ist eine Notwendigkeit, kein Ideal - und ich war zweifelsohne stets eher ein Idealist denn ein Pragmatiker."

    Ein Träumer, hatte sein erster Sciurus bisweilen geunkt, und schließlich - was hatte dies Streben ihm in letzter Konsequenz beschert: einen Bürgerkrieg!

    "Doch es ist ein Amt, welches ausgefüllt werden muss, und es ist der Pontifex Maximus, welcher be..stimmt, wer es auszufüllen hat."

    Dies wiederum war eher eine realistische Ansicht, denn eine idealistische. Als der Seier sodann von seinen eigenen Träumen sprach, glaubte Gracchus ein rechtes Funkeln in den von schwarzfarbenem Lidschatten umrandeten Augen zu sehen. Unsterblichkeit - nicht mehr und nicht weniger.

    "Ein hehres Unterfangen, die Unsterblichkeit, zumindest in jener Weise, wie du sie zu errei'hen gedenkst, und zweifelsohne eines, welches dir offen steht, ob deiner Talente."

    Einen Augenblick zögerte er.

    "Gleichwohl letztendlich Papier und Stein von jenen beschrieben werden, die am Ende auf der richtigen Seite stehen, mit eben deren Wahrheit, welche bisweilen näher, bisweilen ferner der Realität sich zeigt."

    Auch ein Teil der flavischen Größe war einer Siegerseite unterworfen und ausgemerzt worden, wiewohl Gracchus selbst eher von der Subjektivität der Historie hatte profitiert - hätte er sonstig doch zweifelsohne längst sein Ende am tarpeischen Felsen finden müssen.

    "Relevant ist also, dafür Sorgen zu tragen, auf der ri'htigen Seite zu enden, oder aber den richtigen Schreiber zu finden."

    Brummend erhob sich die Hummel wieder in die Luft, um kurz darauf zwischen einem Hortensienbusch zu verschwinden.

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