Von Krankheit, Schuld und Sühne

  • Die Tür zum Zimmer öffnete sich regelmäßig. Mal brachten Sklaven frisches Wasser, zuweilen frische Brühe, die dem Jungen selten verabreicht werden konnte, mal nahmen sie gebrauchte Laken mit. Die Amme und die im Zimmer ausharrende Kaiserin wurden ebenfalls mit Essen versorgt, das beide aber nicht anrührten. Die Amme wollte nichts essen, bevor die Kaiserin etwas aß, und Serenas Zugang zum Magen blieb durch die Ereignisse wie zugeschnürt.


    Als sich die Tür erneut öffnete, realisierte die Amme erst spät, dass es sich um den Kaiser handelte. Hastig erhob sie sich und trat respektvoll zur Seite, um dem Vater Platz am Bett seines Sohnes zu machen.

    "Nicht gut, Dominus. Das Fieber haben wir senken können und trotzdem wird er immer schwächer." Sie redete leise und blickte besorgt. "Der Medicus weiß keinen Rat und die Medizin schlägt nicht an." Sie wusste nicht, ob sie wie ein Wasserfall reden durfte, tat es aber, weil sie hoffte, dass der Kaiser noch etwas bewirken konnte. "Könnte man nicht einen zweiten Arzt hinzuziehen?" Ihr Blick erfasste kurz die Kaiserin, danach sprach sie flüsternd weiter. "Sie ist meist wie weggetreten und erteilt kaum Anweisungen."


    Serena saß abseits in einem Korbsessel und starrte zum Zeitpunkt, als der Kaiser eintrat, in die Leere, gänzlich der Welt entrückt. Kleinste Signale, es mochte der Schritt oder die Gestalt ihres Ehemannes sein, drangen in ihr Bewusstsein vor und ließen sie in die Wirklichkeit zurückkehren. Zunächst folgte ihr Blick seinen Bewegungen, anschließend wandte sie den Kopf. Die Erkenntnis, dass der Einsturz ihrer Welt noch nicht seinen Endpunkt erreicht, aber mit dem Eintreffen des Kaisers weiter seinen Lauf nehmen konnte, brach über sie herein. Sie wusste nicht, was die Götter ihr noch alles nehmen würden, aber nach dem Jungen könnte es auch Tiberius sein. Dabei traf ihn keine Schuld, wohl aber sie.

    Serenas altes Ich bäumte sich auf, denn es suchte nach einem Ausweg. In ihrem Innern schrie es, natürlich trägt er einen Teil der Schuld! Stets schaute er weg, wenn ich mir Fehltritte leistete. Weder versuchte er im Guten noch mit Strenge mich zur Vernunft zu bringen. Er duldete alles Tun.

    Er ist voller Güte und Nachsicht, trumpfte das neue Ich in Serena auf. Er leistete sich nie einen Fehler, war ein guter Ehemann und liebender Vater. Das Glück hatte es so gut mit dir gemeint, aber du hast alles verspielt! Du darfst die Schuld jetzt nicht auf ihn abwälzen.

    Es kostete sie Kraft, sich aus dem Korbsessel hochzustemmen, denn die Schuldenlast wog schwer. Schleppend ihr Gang, bis sie neben Tiberius trat. Sie holte Luft, öffnete die Lippen, doch kein Laut drang heraus. Ihr leerer Blick ruhte auf ihrem Sohn. Im Herzen wusste sie, dass er ihnen nicht mehr lange blieb.

    Sie atmete schwer, dann wisperte sie die Botschaft. "Es ist alles meine Schuld."

  • Der Kaiser hatte von seinem Boten erfahren, dass es ernst war. Der Anblick der Amme brachte aber die letzte Bestätigung. Er trat vorsichtig an das Bett, als könnte jeder Laut den Zustand des Jungen verschlechtern. Tatsächlich sah sein Kleiner blass und schon jetzt halbtot aus.

    Severus wusste, wie Sterbende aussahen: Er hatte selbst Kriege geführt! Dass dieses Schicksal so ein kleines, unschuldiges Kind ereilte, war eine grausame Laune der Götter!


    Die Erklärungen der Amme nahm er kaum wahr. Erst die sanfte Stimme seiner Gattin ließ ihn wahrnehmen, dass auch sie anwesend war. Fragend wandte er den Kopf. Alles ihre Schuld? Hatte sie ihn vernachlässigt? Ihm gar irgendetwas angetan?

    "Was?" brachte er nur hervor, ungläubig dreinblickend.

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  • Die Amme trat weiter zurück, als das Kaiserpaar ein vertrauliches Gespräch begann. Sie wies die Sklaven an, sich möglichst unauffällig zurückzuziehen. Für das Kind konnte im Augenblick nichts getan werden und womöglich nie wieder. Vor der Tür sorgte ein Posten dafür, dass niemand ungebeten in das Zimmer platze.


    Ruhe breitete sich aus, keine friedliche. Sie wirkte auf Serena bleiern, denn ihr fiel es nicht leicht, zu ihren Fehltritten zu stehen. Längst hatte sie noch nicht entschieden, ob sie weiterleben, oder ihrem Jungen folgen wollte. Es wäre viel bequemer, mit ihrem sterbenden Sohn zu ziehen, als für immer die Schuld an seinem Tod ertragen zu müssen. Sie bräuchte nur weiterhin nichts essen, würde schwach werden, krank und sterben. Dann wäre der Kleine da drüben nicht allein und sie könnte ihn beschützen. Es gäbe keine Amme, nur Mutter und Sohn.

    Es gab allerdings auch etwas zu gewinnen, wenn sie zu ihren Fehlern stand. Seelenruhe durch schonungslose Ehrlichkeit gegenüber ihrem Ehemann und, falls sie es wollte, die Chance auf einen Neuanfang. Sie spürte seinen Blick, konnte ihn aber aus Scham nicht erwidern. Wenn sie alles gestehen wollte, dann musste sie es beim Anblick ihres sterbenden Jungen tun. Klein, hilflos und verloren lag er da und doch gab er ihr Stärke. Vielleicht war es nicht Kraft, die er gab, aber einen Grund. Trotzdem ließ sie Tiberius' Frage zusammenzucken und das, obwohl nicht einmal ein Vorwurf in der Äußerung lag.

    Sie fühlte sich schwach, selbst leises Reden strengte an.

    "Es gab einen Fingerzeig der Götter." Für Serena galt er als Beweis ihrer Schuld, nur ohne Erklärung würde Tiberius das nicht verstehen, also holte sie aus. "Ich habe das Gespräch mit Iuno gesucht und habe sie um Hilfe für unseren Jungen gebeten, aber sie nahm mein Opfer nicht an." Die Kaiserin schluckte.

    Kurz scheute sie davor zurück, von Iunos Reaktion zu erzählen, aber ihr neues Ich trieb sie weiter an. "Der Rauch wurde zu Boden gedrückt und am Ende schloss er mich ein."

    Ihre Stimme sank zu einem Flüstern. "Sie lässt unseren Kleinen sterben als Strafe für mich. Du trägst keine Schuld, aber erhältst die gleiche Bestrafung wie ich." Wieder schluckte sie. Weder der zarte Junge noch sein Vater hatten je etwas Schlechtes getan. Kein irdischer Richter würde Unschuldige verurteilen. Götter hingegen zögerten nicht, sie vollstreckten.

    "Ich habe im Lararium überlegt, wo ich überall fehl in meiner Entscheidung lag, und es fielen mir etliche Situationen ein. Ich habe so viele Fehler gemacht." Es kostete sie Überwindung, weil sie seine Enttäuschung fürchtete, aber sie suchte trotzdem den Blickkontakt. "Kannst du mir verzeihen?" Viel hing von seiner Antwort ab, denn gleich welchen Weg sie später wählte, seine Vergebung brauchte sie.


    Da standen sie nun. Das mächtigste Paar des Reiches, aber machtlos angesichts ihres sterbenden Kindes. Mit ihm ging das Wichtigste verloren.

  • Ein Fingerzeig der Götter? Severus verstand nicht. Auch nicht, als Serena weiter ausholte und von göttlichen Zeichen zu sprechen begann. Er ehrte die Götter, ihre Zeichen und Regeln waren ihm aber nie besonders verständlich gewesen. Deshalb war er froh, Experten für diese Fragen zu haben. Er selbst traute sich kein Urteil zu, ob ein Opfer akzeptiert wurde oder nicht. Und einer Mutter, deren Sohn gerade mit dem Tod rang, schon gar nicht!


    Er zwang sich daher zu einem Lächeln. "Noch ist Iulianus nicht tot! Er wird es schaffen!" antwortete er trotzdem und sah auf den Jungen herab. Zärtlich strich er ihm über das Haar. "Er ist ein Aquilius!" Gerade eben erst hatte er den Jungen in diesem Zustand zum ersten Mal gesehen. Er war nicht bereit aufzugeben!


    Wieder wendete er seinen Blick der Kaiserin zu. "Hör auf, dich mit dir zu befassen! Kümmere dich lieber um deinen Sohn!" Tatsächlich hatte der Kaiser bisher wenig Zeit mit dem kleinen Jungen verbracht. Mit Appius war es anders gewesen. Er war sein Erstgeborener gewesen, er war "nur" Senator gewesen und hatte wesentlich mehr Zeit gehabt. Iulianus war eher in Obhut der Ammen oder der Augusta gewesen. Was aber nicht hieß, dass Severus nicht an ihm hing. Das Selbstmitleid und der Aberglaube seiner Gattin (so deutete er es) konnte er in dieser verzweifelten Situation nicht gebrauchen!

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  • Mit vielem hatte sie gerechnet, aber nicht mit einem Lächeln. Seine Zuversicht, ihr Junge würde es schaffen, sprang wie ein Funke Hoffnung auf sie über.

    Seit gestern in der Frühe hörte sie ausschließlich vernichtende Urteile und sah nur in besorgte Gesichter. Keiner sprach ihr Mut zu, als sie mit ansehen musste, wie die Phasen der Bewusstlosigkeit immer länger wurden. Nicht zuletzt zermürbte sie die Erinnerung an die Opferung, die sie in keiner Sekunde losließ. Als wäre dem nicht genug, lagen zweiunddreißig Stunden ohne Schlaf und Essen hinter ihr, dafür angefüllt mit einem Auf und Ab der Gefühle. Nie erlebte sie eine größere emotionale Tortur. Immer dann, wenn der Kleine zu sich kam, sprang sie auf. Sie redete mit ihm und hielt seine Hand, während er gefüttert wurde. Immer wieder hoffte sie, er blieb für immer wach, doch dann entschwand er wieder. Dieses Mal währte die Bewusstlosigkeit so lange wie nie zuvor. Serena war mit ihren Nerven am Ende. Um nicht von Panik und Verzweiflung übermannt zu werden, flüchtete sie sich in einen der Welt entrückten Zustand. Der Kaiser riss sie mit seinem Eintreffen dort heraus. Nun bot er Halt, als einziger.

    Von Herzen wünschte sie, er möge Recht behalten, aber als ihr Blick seiner Hand folgte, sah sie die bleiche Haut und die blutleeren Lippen ihres kleinen Jungen, und obwohl sie sich wehrte, erlosch der Hoffnungsfunke wieder.

    Die nachfolgenden Worte trafen sie. Flüchtig bekamen ihre Augen einen wacheren Ausdruck, der ihre Verwunderung über die Tonart zeigte. Serena schätzte solche Umgangsform nicht, das wusste ihr Mann, doch im nächsten Moment räumte sie ein, dass Absicht dahinterstehen konnte, um sie zu aktivieren, weil ihre Kräfte schwanden. Dass er mit keinem Wort auf ihre Selbstvorwürfe einging, kam nicht in ihrem Bewusstsein an.

    "Stärkung kann er nur erhalten, wenn er zu sich kommt." Sie wollte sich nicht verteidigen und tat es doch. Sie wollte aus diesem Alptraum aufwachen, aber es misslang, weil der Angsttraum der Wirklichkeit entsprach.

    Was auch immer sie antrieb, sie setzte einen Fuß vor den anderen und funktionierte. Bei der Amme angekommen, sprach sie mit leiser Stimme. "Ich will den Medicus hier haben, sofort!"

    Anschließend schlich, teils taumelte sie zurück zum Bett ihres Kindes, wählte die gegenüberliegende Seite und setzte sich an den Rand. Ihr Herz verriet, dass ihr Junge heute wohl nicht mehr zu sich kam. Ihre Hand umfasste seine, die gänzlich ohne Körperspannung war. Mit der zweiten Hand strich sie die kleinen Finger in jene Haltung, die sie einnehmen würden, wenn er zufassen würde. So verharrte sie, bis der Medicus kam.

  • Der Medicus liess nicht lange auf sich warten, denn er war gerade erst zuvor mit den Sklaven aus dem Zimmer getreten, als der Kaiser mit seiner Gattin das Gespräch startete.


    Augusta, ihr wolltet mich sprechen.
    Das war eine Feststellung, keine Frage. Der Medicus wusste sehr wohl, was nun kommen konnte.

  • Als sie Platz nahm, fehlte ihr die Vorstellung, wie lange sie auf den Medicus würde warten müssen, denn sie hatte ihn vor der Ankunft des Kaisers nicht im Zimmer bemerkt. Entsprechend überrascht, wandte sie den Kopf, als er umgehend zur Tür hereintrat. Zum Glück für sie, zum Unglück für den Arzt, wirkte der Kraftschub noch in ihr, den ihr Gatte durch seine Anwesenheit bewirkte. Ironie benutzte sie nur in grenzwertigen Situationen als Ausdrucksform. Sie befand sich in einer und legte los.


    "Wie vorteilhaft für dich, hier zu sein, wenn der Kaiser eintrifft! Gestern hattest du ja reichlich wo anders zu tun, statt dich durchgängig um unseren Jungen zu kümmern." Serena spürte, wie der Unmut weitere Stärke in ihr mobilisierte.

    "Wann wacht mein Sohn wieder auf? Über das Fieber müssen wir nicht sprechen. Es wurde behandelt und ist nicht mehr da! Danach wolltest du herausfinden, was der Grund für das Fieber ist und ihn behandeln!" Ihr Blick vereinte Vorwurf, Angst und Forderung. "Was fehlt ihm also und wie sieht deine Behandlung aus?!"


    Die Kaiserin erwartete eine präzise Auskunft darüber, was sie tun konnte, damit ihr Junge überlebt. Sie wollte kämpfen und sie würde kämpfen, wusste nur nicht, wo und wie. Ihr Blick fixierte den Medicus, aber sie stand weder auf noch ließ sie die Hand ihres Jungen los. Vielleicht spürte er die Wärme seiner Mutter und brauchte sie. Sollte der Arzt untersuchen wollen, würde sie bereitwillig Platz machen, aber viel an Kompetenz traute sie ihm nicht mehr zu.

  • Der Medicus erwartete einiges von der Augusta und war vieles von ihr gewohnt. Daher erstaunte es ihn auch nicht, dass er nun Schuld haben sollte am Zustand des Kindes. Wenn auch die Augusta dies nicht wörtlich aussprach, so war es in ihrem Blick zu sehen, der Vorwurf er hätte nichts getan.


    Die Tatsache war, dass er nicht wusste, was gerade im Kind geschah. Es war zu schwach für einige Behandlungen, welche er sonst noch ausprobiert hätte und alles was er sonst in einem derartigen Zustand anordnete, hatte bisher nicht gewirkt. Der Zustand des Jungen verschlechterte sich und er wusste nicht weshalb.


    Den Vorwurf, er hätte sich nicht um das Kind gekümmert überhörte er. Als er abwesend war hätte er eh nicht mehr tun können als die Amme und die Sklaven getan hatten.

    Herrin, ich habe alles getan, was mein Wissen und der Zustand des Jungen erlauben. Es gäbe noch die eine oder andere Behandlung wie zum Beispiel ein Aderlass, doch dies ist im derzeitigen Zustand des Jungen unmöglich. Er würde daran sterben. Bevor der Junge nicht wieder zur Besinnung kommt, können wir nicht mehr tun. Es liegt alles in den Händen der Götter.
    Er wusste natürlich nicht, dass Iuno den Tod des Jungen beschlossen hatte, die wusste nur die Kaiserin.


    In diesem Moment röchelte der Junge einmal leise und dann wurde es ganz still.

  • Sie hörte vom Medicus das, was sie ohnehin wusste; er war unfähig. Beim letzten Satz zuckte sie allerdings zusammen, weil er die Verantwortung an die Götter abtrat. Jene hatten doch schon längst die Hände nach ihrem Jungen ausgestreckt und der Medicus sollte helfen, dass sie ihn nicht bekamen. Da ihr Kopf schmerzte und die Gedanken zäh wie Harz flossen, fehlte ihr eine passende Antwort darauf. Zum Überlegen blieb ohnehin keine Zeit, denn sie hörte ein Geräusch aus zarter Kehle. Ihr Kopf ruckte herum, während ihr Herz vor Freude sprang. Jede Bewegung, jeder stärkere Atemzug seitens ihres Jungen leitete bisher die Wachphasen ein. Sie beugte sich zu ihm, löste eine Hand und legte sie an seine Wange.

    Zärtlich flüsterte sie: "Da bist du ja, mein Kleiner." Eine weitere Reaktion nach dem Atemgeräusch blieb jedoch aus. Spannung stellte sich weder im Körper noch der umschlossenen Hand ein.


    Serena hatte noch nie einen Menschen sterben sehen. Sie wusste nicht, dass letzte Atemzüge in einem kräftigen Ausatmen endeten, oft begleitet von einem letzten Strecken. Seele und Geist verließen in jenem Moment den Körper. Der Mensch und auch ein Tier hauchte sein Leben aus.


    Verständnislos musterte Serena ihr Kind. Es fühlte sich warm an, außerdem hatte es sich eben noch bemerkbar gemacht. Sie ahnte zwar, dass irgendetwas nicht stimmte, kämpfte aber gegen die erschlagenden Gedanken an, weil sie diese nicht verkraften könnte. So sehr sie sich wehrte, wieder drückte ihr aufsteigende Panik die Luft ab. Ihre Augen weiteten sich, während das Herz raste.

    Ihre Stimme klang dünn, ängstlich, nahezu panisch. "Was hat er?"

  • Der Medicus drängte sich zwischen die Augusta und das Kind, schob dabei die Mutter zur Seite, da sie ohnehin nichts mehr tun konnte, falls er mit seiner Vermutung was geschehen war richtig lag. Schnell, jedoch äusserst professionell suchte er nach einem Puls und dies nicht bloss an einer Stelle, sondern gleich an verschiedenen Orten. Ebenfalls versuchte er, jede noch so kleine Atembewegung zu erhaschen, doch es war nichts mehr zu spüren und zu sehen.


    Tiberius Aquilius Iulianus weilt nicht mehr unter uns. Er ist auf dem Weg zu den Göttern, mögen diese seiner Seele gnädig sein.

  • "Stärkung kann er nur erhalten, wenn er zu sich kommt." Sie wollte sich nicht verteidigen und tat es doch. Sie wollte aus diesem Alptraum aufwachen, aber es misslang, weil der Angsttraum der Wirklichkeit entsprach.

    Was auch immer sie antrieb, sie setzte einen Fuß vor den anderen und funktionierte. Bei der Amme angekommen, sprach sie mit leiser Stimme. "Ich will den Medicus hier haben, sofort!"

    Anschließend schlich, teils taumelte sie zurück zum Bett ihres Kindes, wählte die gegenüberliegende Seite und setzte sich an den Rand. Ihr Herz verriet, dass ihr Junge heute wohl nicht mehr zu sich kam. Ihre Hand umfasste seine, die gänzlich ohne Körperspannung war. Mit der zweiten Hand strich sie die kleinen Finger in jene Haltung, die sie einnehmen würden, wenn er zufassen würde. So verharrte sie, bis der Medicus kam.

    Zufrieden stellte er fest, dass Serena ihren Fokus wieder auf den Jungen richtete. Das war in jedem Fall besser als das Grübeln über eigene Verfehlungen!


    Er sah noch einmal besorgt auf den kleinen Jungen, dann wieder im Raum herum. Erst jetzt bemerkte er, dass die Augusta und die Amme beide furchtbar übernächtigt aussahen. "Die Amme und du sollten sich abwechseln. Ihr braucht auch Schlaf."
    Er selbst konnte nichts tun, wie ihm bewusst wurde. Weder hatte er medizinisches Wissen, noch konnte er mit der mütterlichen Liebe der beiden Frauen konkurrieren, um den kleinen Caesar zu stärken. "Ruft mich, wenn es etwas Neues gibt!" stellte er daher fest und verließ den Raum, wobei er sich mit dem Medicus die Klinke in die Hand gab.


    Der Medicus drängte sich zwischen die Augusta und das Kind, schob dabei die Mutter zur Seite, da sie ohnehin nichts mehr tun konnte, falls er mit seiner Vermutung was geschehen war richtig lag. Schnell, jedoch äusserst professionell suchte er nach einem Puls und dies nicht bloss an einer Stelle, sondern gleich an verschiedenen Orten. Ebenfalls versuchte er, jede noch so kleine Atembewegung zu erhaschen, doch es war nichts mehr zu spüren und zu sehen.


    Tiberius Aquilius Iulianus weilt nicht mehr unter uns. Er ist auf dem Weg zu den Göttern, mögen diese seiner Seele gnädig sein.

    Der Kaiser war noch nicht in seinem Officium angekommen, als ihm ein Sklave hinterherkam und die schreckliche Diagnose des Medicus verkündete. Als er in den Raum zurückkehrte, war Veturia Serena bereits zusammengeklappt. Ohnehin eilte Severus zunächst an das Totenbett, wo in diesem moment niemand Wache hielt.


    Noch sah der Kleine recht lebendig aus, doch als sich der Kaiser hinabbeugte, bemerkte er sofort, dass der Brustkorb abgesackt und kein Atem zu spüren war. Seine Beziehung zu Iulianus war nicht sehr innig gewesen. Doch der Tod dieses kleinen Menschleins rührte den Herrn der Welt trotzdem an. Es war immerhin sein Sohn! Mit beiden Armen umfasste er das Köpfchen und drückte seine bärtige Wange an das zarte, leblose Gesicht. Tränen füllten seine Augen. Mit einem Kuss saugte er den letzten Atemzug aus dem leblosen Mund, wie es die Tradition verlangte.


    Kurz war er versucht, aufzuschreien und sich der Agonie hinzugeben. Wie befreiend würde es sein, den Schmerz herauszubrüllen!

    Dann aber gewann er die Fassung zurück. So wie damals in Dacia auf dem Schlachtfeld. Sicher, sein kleiner Sohn war tot. Aber herumzuschreien, zu weinen und zu klagen würde ihn nicht lebendig machen. Am Ende nützte es nichts. Und er war der Pater familias. Er musste für seine Frau, für seine Familie sorgen. Und nebenbei noch für ein ganzes Imperium!


    Mit fahrigen Bewegungen rappelte der Kaiser sich auf. Mit Daumen und Zeigefinger wischte er sich die aufkommenden Tränen aus den Augen. Dann atmete er zweimal durch. Dann ein drittes Mal. Und dann hatte er sich wieder unter Kontrolle: "Ich brauche Geld für den Fährmann! Einen Aureus!" Etwas geringeres hatte sein Sohn nicht verdient.


    Erst danach registrierte er, dass die Amme und mehrere Sklaven um die kollabierte Augusta knieten und standen und nervös auf sie einredeten. "Was ist mit ihr?" fragte er den Medicus, der ihre Vitalfunktionen untersuchte.

    "Die Nerven. Sie braucht nur ein wenig Ruhe." stellte der Arzt fest. Severus nickte. Er brauchte auch Ruhe. Oder vielleicht viel Arbeit. Das würde vom Schmerz ablenken.

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  • Während sich die Amme und der Medicus um die Augusta kümmerten, wurde dem Kleinen der gewünschte Aureus unter die Zunge gelegt, damit er den Fährmann damit bezahlen konnte, der seine Seele in das Reich der Verstorbenen brachte.


    Da die Augusta in ihr eigenes Zimmer gebracht wurde und die Sklaven sich ohne Worte um die ersten Schritte für die ordentliche Bestattung des Jungen kümmerten, kehrte allmählich wieder Ruhe ein.

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