[Casa Mamilla] Was später geschah

  • "Der Aedituus Cominius teilt uns Liktoren nur zum Dienst ein, also wer wann welche Vestalin begleitet.", präzisierte Lucceius: "Ausgesucht wurden wir vom Sacerdos virginum Vestalium, Musonius Lateranus, der das nach bestem Wissen und Gewissen tut: Ältere Männer werden bevorzugt und auch römische Bürger, da Liberti oft nicht so...hmm, ihnen oft der Sinn für den mos maiorum fehlt.

    Ich würde mal behaupten, dass diejenigen, die sich freiwillig melden, viel von Althergebrachtem halten. Von Pietas. Vom Dienen an etwas, das größer ist als das eigene kleine Ich.

    Es ist eine ganz eigene Welt, so alt, dass man oft gar nicht mehr richtig versteht, weshalb etwas getan werden muss. Aber seit Jahrhunderten bleibt das gleich. So reisen die Virgines Vestales täglich bis zur Quelle der Egeria, um Wasser zu holen, welches für die Reinigung des Tempels notwendig ist, obgleich das Atrium doch schon lange an die Wasserversorgung angeschlossen ist. Das Feuer darf nur auf althergebrachte Weise entzündet werden und so weiter. Für diese Ordnung muss man Sinn haben. Sie ist älter als unsere Gesetze, die vom Senat oder vom Kaiser gemacht werden. Schon vor der Gründung der Urbs war sie da. Schon die Mutter von Romulus und Remus war eine Vestalin. Ich habe mich auch freiwillig zum Dienst im Atrium Vestae gemeldet, übrigens."


    Lucceius wiegte den Kopf hin- und her:

    "Das ist es, was die Tat so schrecklich macht. Sie attackiert die göttliche Ordnung. Die kleine Virgo Valeria hat nur versucht, das entstandene Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen.

    Ein Leben für ein Leben. Einen Tod für einen Tod.

    Ich weiß nicht, was du deinem Vorgesetzten erzählen möchtest, Cornicularius. Aber lass Schwester Valeria raus bei der Sache. Ich war es, die die Mörderin gerichtet hat. Nichts würde etwas daran ändern, dass die Mörderin der Maxima Decima Messalina tot ist. Ich übernehme die volle Verantwortung für alles, was geschehen ist."


  • Octavius hoffte, dass er alles bedacht und genügend hinterfragt hatte. „So ich glaube das war vorerst alles. Ich denke, du weißt, ich bin nicht der der Recht spricht. Bevor ich es vergesse, bestraft die Sklaven nicht, sie führten nur Anweisungen aus.

    Es bleibt noch eins für mich zu tun, Virgo Valeria einen Besuch abstatten. Ist es möglich mir Schreibutensilien und Papyrus vorher zu besorgen? Ich danke für die bereitwillige Unterstützung. Mögen die Götter über dich Lucceius Aterianus und alle hier wachen.“

  • Der Liktor Lucceius Aterianus räusperte sich, dann sagte er: "Auch wenn du nicht Recht sprichst, Cornicularius Octavius, so ist es doch möglich, dass du auf gewisse Weise über uns richtest. Denn auf Grund deines Berichtes werden die Verantwortlichen entscheiden. Anderseits: Die Unsterblichen können auf sich selbst aufpassen, nicht wahr?

    Es war nicht meine Absicht, die Sklaven bestrafen zu lassen, im Gegenteil: Stummheit und für ewig zu schweigen ist zuweilen der beste Schutz, den man haben kann. Doch die Priesterinnen haben nichts dergleichen befohlen.

    Aber ich sehe, dass dir ihr Schicksal am Herzen liegt.", Lucceius lächelte nun:

    "Du bist ein guter Mann, Octavius. Möge Vesta dich leiten und beschützen.

    Wegen der Schreibutensilien schicke ich dir die Aeditua Herminia, sie kennt sich hier in der Casa Mamilla am besten aus. Vale bene Cornicularius Octavius."

    Er grüßte, dann ging er.


    Kurze Zeit später kam Herminia Tarpa, ging zielstrebig auf eine Truhe zu, die hinter dem Schreibtisch des Officiums stand und holte einen Schwung Tabulae, Papyri und Schreibwerkzeuge heraus, die sie auf dem Tisch ausbreitete.

    Aufmerksam schaute sie den Urbaner an:

    "Liktor Lucceius sagte, du möchtest mit der Virgo Valeria sprechen? Du weißt, dass sie hier gepflegt wird, nicht wahr? Sie kann dich jedoch verstehen und sie wird dir schriftlich antworten."


    Das die vestalische Jungfrau Maximilla nicht erlaubte, die Fensterläden zu öffnen, dass sie im Halbdunkel lag und den ganzen Tag an die Wand starrte, das würde der Cornicularius ja selbst sehen.*



    Sim-Off:

    * Da sich Valeria Maximilla im Exil befindet, wird Herminia Tarpa die ID mitschreiben. Das ist mit dem Spieler abgesprochen.

  • "Ja, Trotzdem möchte ich mich von ihrem Zustand selber überzeugen. Bitte führe mich zu ihr. Papyri und Schreibwerkzeuge nehmen wir mit."


    ~~~~~~~~~~~~~~~~

    Virgo Valeria


    Frugi folgte Herminia in den abgedunkelten Raum: „Salve Virgo Valeria“ grüßte der Octavier kurz, ehe er ging und die Fensterläden aufstieß.
    „Entschuldige bitte ich möchte dich im Tageslicht sehen. Mir wurde über dein Verstummen
    berichtet. Antworte mir bitte auf meine Fragen. Wenn nicht sprachlich, dann mit deiner Gestik.
    Hast du dir selber befohlen zu schweigen? Also ein selbst auferlegtes Schweigegelöbnis? Überkam es dich einfach so. Ereilte dich dieses Schicksal über Nacht? Denkst du es ist eine Strafe? Hast du Schmerzen? Bist du zufrieden mit deinem Zustand? Betest du um Hilfe
    zu den Göttern?“


    Der Cornicularius beobachte sie aufmerksam bei der Beantwortung seiner Fragen.
    „Bitte beschreibe mir schriftlich wie und wann du in diesen Zustand gerietest. Das kommt dann zu den Akten und wird, wenn gewünscht, dem Imperator vorgelegt.“
    Er nickte Herminia zu, damit diese die Schreibutensilien bereit stelle.



  • Herminia Tarpa war ganz und gar erschrocken über des Cornicularius forschem Auftreten. Er fragte nicht einmal, ob er die Fensterläden öffnen dürfe. Und er sagte der Virgo Vestalis auch nicht noch einmal, wer er war – Valeria Maximilla kannte ihn bereits von der Befragung aus dem Atrium Vestae, aber es war durchaus nicht gewiss, ob eine junge Frau, die sich den größten Teil des Tages wie eine Statue aus Marmor verhielt, ihn wieder erkennen würde. Und wenn – warum war er noch einmal hergekommen?


    Die Aeditua eilte zu der Priesterschülerin, kniete sich zu ihr und brachte sie mit einer sanften Bewegung dazu, sich wenigstens von der Wand weg und zu dem Besucher umzudrehen.

    Das ist der Cornicularius Octavius.“, sprach sie dabei, trat dann zurück und hielt sich bereit.


    Die Virgo Vestalis legte zunächst eine Hand vor Augen, was aber nicht Scham geschuldet war, sondern dem plötzlich über sie hereinbrechenden Tageslicht.

    Dann senkte sie die Hand und sah in Richtung der Eintretenden.

    Ihre Augen waren groß und dunkel und schienen ihre Umgebung nicht wahrzunehmen. Eine braune kurze Haarsträhne hatte sich unter dem Schleier gelöst und fiel ihr über die Stirn.

    Immer noch wirbelten Gedankenfetzen um sie herum wie Mosaiksteine aus einem zersprengten Mosaik, und sie versuchte sie, zu erfassen. Sehr oft erschien etwas, was ihr bekannt vorkam, manchmal war sie sich jedoch nicht sicher, ob das erfasste Mosaiksteinchen überhaupt zu ihren eigenen Gedanken gehörte.


    Jetzt streckte Virgo Valeria die andere Hand aus nach dem Schreibmaterial. Papyrus wies sie zurück, ihn zu beschreiben, war allzu schwierig, wenn man in einem Bett lag. Sie griff nach den Wachstafeln.

    Aber da sie sie vor Zeugen beschrieb, konnte man eine dauerhafte Abschrift davon anfertigen, falls das benötigt wurde.


    Cornicularius Octavius hatte Valeria Maximilla viele Fragen gestellt und bekam auf jede von ihnen eine kurze Antwort aufgeschrieben. Das dauerte lange, denn Maximilla hatte Schreiben erst spät gelernt und ihr fiel es schwer, obwohl sie sich auf das Allernötigste beschränkte. An ihrer Akribie war allerdings zu merken, dass ihr kein Wort des Octaviers entgangen war. Irgendwo in der Starre und Dunkelheit war die Virgo Valeria präsent und äußerst lebendig:



    Non ɘst

    Non ɘst

    Ita ɘst

    Ita

    Ita ɘst

    Non ɘst

    Ita

    Ita



    Auf die zweite Wachstafel kritzelte sie:


    Nach der Audienz bɘim Caesar Augustus am PRIDIE ID SEP DCCCLXXI A.U.C.(12.9.2021/118 n.Chr.) Ich wollte Kersas zu mir rufɘn. Es war mir nicht möglich.



    „Die Virgo Valeria besitzt einen zahmen Kater aus Aegyptus, den sie Kersas nennt.“, erklärte Herimina Tarpa:

    „Er ist jetzt hier in der Casa Mamilla.“

    Beinahe hätte sie gefragt, ob sie ihn auch zur Befragung herholen sollte, doch solch spitze Bemerkung verkniff sie sich. Der Caesar Augustus selbst hatte angeordnet, dass alle Angehörigen des Atrium Vestae den Cohortes Urbanae behilflich sein sollten, wo sie nur konnten, daran hielt sie sich. Auch Valeria Maximilla kannte diesen kaiserlichen Befehl.


    Derweilen schrieb die junge Vestalin noch etwas auf eine dritte Wachstafel und gab sie der Aeditua. Herminia Tarpa las, verstand den Text aber nicht und reichte das Geschriebene mit einem Achselzucken Cornicularius Octavius.

    Auf der dritten Tafel der Virgo Vestalis Valeria, die nach eigener Aussage von der Göttin bestraft wurde, war zu lesen:



    Sie werden die Tore der Aedes schließen.

    Sie werden die Quellen zuschütten.

    Sie werden das Feuer löschen.

    Bitte haltet sie auf.

  • Der Cornicularius verfolgte aufmerksam jede Bewegung und Regung der Virgo Valeria. Er las sorgfältig das Geschriebene auf den Wachstafeln.

    Die Letzte hielt er lange in der Hand und grübelte über diese Aussage. Schließlich schaute er Valerie fest an. „Bitte bestätige mir mit einem Kopfzeichen meine Vermutung, über das was du damit Aussagen möchtest. Du denkst also, es war eine Christin? Die Christen möchten an den Grundpfeilern unseres Glaubens rütteln, ihn sogar zerstören in dem sie zum Beispiel die Priesterinnen der Vesta töten. Das hier soll eine Warnung sein?“

    Frugi deutete auf die letzte Tafel. „Kam der Text von dir selber?“

  • Die Virgo Vestalis Valeria sah den Cornicularius mit großen dunklen Augen an. Es war eine Frage, die er ihr gestellt hatte, oder vielmehr zwei. Nichts Abgehobenes. Aber wie konnte man Fragen beantworten.... Du denkst...du möchtest aussagen.... begriff er nicht, dass sie nur nach den Splittern ihres Verstandes haschte, die um sie tanzten und sie mit fliegender Hast in Wachs gekritzelt hatte.

    Die Christen, was wusste sie von ihnen? Damals als man ihre Freundin Iulia Phoebe auf offener Straße getötet hatte, da hatte sie begonnen, sich mit den geheimen und weniger geheimen Lehren zu beschäftigen, die in Roma kursierten und ihren Adepten ewiges Leben versprachen. Die Christianer stachen da nicht sonderlich heraus, fand sie damals.

    Doch jetzt kam es ihr, dass sich die Worte, die sie hingeschrieben hatte, durchaus auf sie beziehen konnten.

    Die Virgo Valeria führte beide Hände zum Kinn als Geste der Ratlosigkeit, dann breitete sie die Hände aus.

    Die Handschrift auf der Wachstafel war ihre, also hatte sie es geschrieben.So deutete sie auf sich und nickte.

    Dann schaute sie hilfesuchend zu Herminia Tarpa hin. Herminia war Sicherheit, war für sie da, war an ihrer Seite in all dem Chaos.


    Herminia Tarpa jedoch spürte bei jedem Wort, welches Cornicularius Octavius sprach, wie eine neue Kraft, ja eine neue Berufung sie durchströmte. Sie hatte die Mörderin für ein wahnsinniges Geschöpf aus den Tiefen des Orcus gehalten. Das der Urbaner nun die Christiani ins Spiel brachte, das führte weg von persönlichem Wahnsinn direkt hin zu einem gezielten Angriff auf das Imperium, auf seine Reinheit und Schönheit, die Decima Messalina als Maxima verkörpert hatte.

    "Wer sonst würde die Aedes schließen und das ewige Feuer ausmachen wollen?!", murmelte sie und es schauderte ihr, denn gemäß der Prophezeiung würde die Urbs Aeterna untergehen, wenn das Heilige Feuer der göttlichen Vesta erlosch:

    "Selbst die wüstesten Barbaren respektieren doch die Existenz unserer Götter. Nur die Christen bestehen darauf, dass ihr Gott der einzig Existierende ist und alle anderen Götter nicht existent! Sie hassen Roma und das ganze Menschengeschlecht."

    Herminia Tarpa sprach nun mehr, als sie je gesprochen hatte; Abscheu und Wut ließen sie zittern:

    "Schau doch, die Virgo Valeria verdreht oft die Buchstaben, aber die letzte Tafel hat sie ganz fehlerfrei geschrieben. Und sie bittet euch, das Böse aufzuhalten."

    Würde man Herminia Tarpa nicht Stillschweigen auferlegen, würde sie es in die Welt hinein rufen. Nicht mehr wie eine bescheidene Aeditua, den sanften Jungfrauen ergeben. Mit offenem Haar, wie eine Furie, die Fackel in der Hand, würde sie Rache an denen sehen wollen, die ihre Welt zerstören wollten:

    Christianos ad leones!



    Die Virgo Valeria jedoch schwieg und drehte sich zur Wand zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.

    Was geschehen würde, war nichts mehr, was sie noch anging. Es blieben Leere und Stille.

  • Octavius fand das Gespräch für sich persönlich sehr aufschlussreich, doch seine Meinung war nicht maßgebend und als Fakt nicht zu werten. „Ich danke dir Virgo Valeria für dein Bemühen. Diese Tafeln werde ich dem Protokoll beifügen. Möge die Göttin und alle anderen Götter, dir Helfen, wieder ins hier und jetzt zurückzufinden.“

    Habe ich das jetzt richtig wahrgenommen und ausgedrückt, fragte er sich. Er wusste doch auch nicht was geschehen war, doch an einer Vortäuschung seitens der Valeria glaubte er nicht mehr.


    Verwundert starrte er Herminia an. Solch einen Ausbrauchhätte er niemals von ihr erwartet. *Christianos ad leones!*
    Fast hätte er ihr ohne zu zögern beigepflichtet, konnte sich aber noch rechtzeitig zurückhalten.


    "Euch allen danke ich für eure Bereitschaft zur Aussage und zur Mithilfe, bitte richte dies allen aus. Mit der Hoffnung euch nicht mehr zu stören zu müssen verabschiede ich mich jetzt. Vale bene die Götter mögen mit euch sein.“


    Sorgfältig packte er die Wachstafeln zusammen, nickte Herminia zu und verließ die Casa Mamilla.

  • ... dafür tauchte wenig später Scato auf, um seiner Pflicht nachzukommen.


    Er trug seine schwere Ledertasche auf dem Rücken mit dem Gurt schräg über der Brust. Ihn begleitete Sextus, sein Kamerad aus dem Valetudinarium, der ebenfalls eine Tasche trug, die voller Schreibzeug war. Während Scato diktierte, würde Sextus alles verschriftlichen und gegebenenfalls fachkundig bei der Obduktion assistieren.


    Nach dem Anklopfen trat Scato einen Schritt von der Porta zurück, um zu warten, ob jemand ihm öffnen würde.

  • Der Ianitor der Casa Mamilla öffnete die mit Immergrün und Zypressenzweigen geschmückte Porta und sah zwei Angehörige der Cohortes Urbanae vor sich. Er dachte sich, dass sie auf seiner Liste der Personen, die ungehinderten Zutritt zur collocatio funebris der Obervestalin hatten, stehen mussten und zückte seinen Griffel:

    „Salvete Domini. Darf ich eure Namen wissen und was euch in dieses Haus führt.“

    Er schickte einen Jungen zu Herminia Tarpa, die die öffentliche Aufbahrung beaufsichtigte, um sie zu holen.


    Herminia Tarpa kam an die Porta. Im Gegensatz zu der vorigen Stunde trug sie nun ihr Haar offen und einen Ölzweig in der Hand. Sie weinte. Die Klageweiber hatten wieder zu singen begonnen. Es war jene Art von ritualisierter Trauer, die jederzeit in etwas anderes umschlagen konnte: In den öffentlichen Ruf nach Vergeltung.

  • "Salve. Miles Medicus Sisenna Iunius Scato in Begleitung von Miles Medicus Sextus Velanius Fenestella", stellte Scato sie beide vor, wobei er laut und deutlich sprach, um die Klageweiber zu übertönen. "Ich wurde beauftragt, eine Obduktion bei der verschiedenen Vestalis Maxima Decima Messalina durchzuführen."


    Er wartete, bis der Ianitor die lange Litanei verschriftlicht hatte. Inzwischen kam eine der Vestalinnen herzu, das Gesicht nass vor Tränen, und er fragte sich, wie viel von ihrer Trauer echt war. Die von den Klageweibern war freilich gekauft und diente nur rituellen Zwecken. Scato nahm an, die Jungfrau würde ihn nun zum Leichnam der Obersten führen.

  • Der Ianitor fand den Namen von Iunius Scato tatsächlich auf seiner Liste und hakte ihn ab. Der Besucher war von Cornicularius Octavius angekündigt und von Tarpa dem Hausherren mitgeteilt worden.


    Miles Medicus Iunius war noch recht jung, einer jener blonden Typen, der unter anderen Umständen auf Herminia Tarpa liebenswert hätte wirken können. So einer, der noch rote Ohren bekam, sobald er zufällig mit einem fremden weiblichen Wesen sprechen musste. Er strahlte jedoch professionelle Sachlichkeit aus, als er sich vorstellte. Der andere, Miles Medicus Velanius, sagte vorläufig nichts.


    Aber Herminia Tarpa missbilligte das Alter des Urbaners - hätten sie keinen schicken können, der bereits über vierzig war? - des Weiteren seine pure Gegenwart; überhaupt die Vorstellung, dass er mit seinen profanen Händen den Leichnam der Maxima berühren würde, die zu Lebzeiten lieber den Tod gewählt hätte als sich von einem männlichen Medicus untersuchen zu lassen.


    Nicht dass in jenen Tagen Jungfräulichkeit von übermäßigem Wert gewesen wäre. Importanz hatte sie nur bei der Schwesternschaft. War das Staatswesen beeinträchtigt, so suchte man die Schuld bei der Unkeuschheit einer oder mehrerer Vestalinnen. Ihre Reinheit garantierte das Wohlergehen des Imperiums.


    Es war ein ewiger Stachel in ihrem Fleisch, dass die Göttin das Los nicht auf sie, Herminia Tarpa, hatte fallen lassen. Sie war keine Vestalin. Aber sie lebte wie eine und widmete all ihre Kraft dem Tempeldienst.


    Die Aeditua verschränkte die Arme über die Brust, mehr Missbilligung wagte sie nicht: Die pontificarische Anordnung war eindeutig, sie alle hatten zu kooperieren. Wenn die Urbaner diese Militärärzte entsandt hatten, waren sie vermutlich auf ihrem Gebiet ausgezeichnet, das nahm sie zumindest an.


    „Folgt mir, Milites Medici“, sprach sie und führte sie nicht in das für diesen Zweck üblichere Atrium, sondern zu jenem großen Cubiculum, in dem die Obervestalin aufgebahrt lag.

    Wie jeden Tag während der siebentägigen Totenwache war ihr Leichnam gewaschen, neu eingekleidet und mit duftenden Ölen gesalbt worden.

    Herminia Tarpa klatschte in die Hände, um die Klageweiber nach draußen zu schicken. Die Frauen verstummten, rafften ihre Gewänder und zogen in einer Reihe an ihnen vorbei, in Richtung der Culina, wo sie sich zweifelsohne stärken würden. Nur zwei Sklavinnen blieben.


    Die Aeditua jedoch kniete sich an die Totenbahre und wandte ihr hellen Gesicht den beiden Medici zu.

    „Ich werde euch helfen, wenn es not tut. Braucht ihr etwas? Wasser? Saubere Tücher? Ich werde die Mädchen danach schicken.“, sprach sie.

    Unausgesprochen blieb, dass sie selbst da war, die Keuschheit der Obervestalin zu hüten, im Leben genauso wie im Tod.

  • Er stellte seine Capsa auf einen Tisch. Während Sextus begann, alles auszubreiten und vorzubereiten, widmete Scato sich nun der Dame, die sich nicht vorgestellt hatte, jedoch nun Hilfe anbot. Sie kniete am Kopfende des Leichnams, so dass Scato gezwungen war, zu ihr hinabzublicken. Sie machte sich klein, wirkte harmlos und irgendwie tat sie ihm auch leid. Sie hatte die Tote gut gekannt, viel Zeit ihres Lebens mit ihr verbracht. Vermutlich war es für sie, wie für Scato, wenn ein Kamerad gestorben war.


    "Weißt du, Namenlose, du kannst uns in der Tat helfen - indem du die Tote hinterher wieder herrichtest. Hier im Raum aber können wir vorerst niemanden gebrauchen. Dieser Mordfall ist nicht nur ein Verbrechen an einer angesehenen Bürgerin Roms, sondern auch ein Frevel an den Göttern. Es ist von großer Wichtigkeit, dass die Ermittlungen an jeder noch so kleinen Stelle korrekt erfolgen. Würdest du hierbleiben und uns helfen, mag es sein, dass du versehentlich Schaden anrichtest, weil du die Abläufe unserer Arbeit nicht kennst und so das Ergebnis verfälscht wird."


    Er nickte in Richtung der Toten, die in Würde aufgebahrt worden war und da lag wie ein Kunstwerk - sehr zu Scatos Missfallen.


    "Siehst du. Es wurde schon verfälscht, weil ihre Körperhaltung verändert, ihre alte Kleidung abgenommen, sie gewaschen und wissen die Götter sonst noch was mit ihr angestellt worden ist. Das erschwert meine Arbeit natürlich ungemein. Jedes Puzzlestück, so bedeutungslos es im Moment erscheinen mag, könnte sich am Ende als jenes erweisen, was das Gesamtbild offenbart. Sinnvoll wäre es gewesen, mich so schnell wie möglich hinzuzuziehen und sie erst im Anschluss an meine Arbeit für den Abschied aufzubahren, damit der Fall vernünftig geklärt und die Hinterleute der Mörderin zur Rechenschaft gezogen werden können. Ich muss nun versuchen, das Beste aus der Situation herauszuholen und kann, so lange ich hier bin, keine weiteren Fehler zulassen.


    Zudem unterliegt unsere Arbeit in diesem Fall der Geheimhaltung, was die Anwesenheit von Außenstehenden ausschließt. Bliebest du hier, würdest du hören, was ich meinem Kameraden diktiere, was wir besprechen. Wenn du dich nützlich machen möchtest, bereite uns die Kleider vor, welche die Tote am Tag ihres Todes trug, auch eventuellen Schmuck, damit ich sie mir ansehen kann. Bitte kurz klopfen, dann holt Sextus sie von der Tür ab.


    Im Anschluss würde ich dich zudem gern noch zu einigen Details befragen, welche die Obduktion betreffen."

  • „Ich bin die Aeditua Vestalis Herminia Tarpa. Ich nahm an, man hätte euch über meine Person und meine Aufgabe unterrichtet.“, erwiderte die junge Frau, denn ihr war zumindest einer der Milites Medici namentlich angekündigt gewesen.

    Dann sprach dieser auch schon nicht unfreundlich, aber bestimmt, und erklärte ihr, warum sie während der Obduktion nicht bei ihrer verstorbenen Maxima bleiben konnte. Tarpa nickte, nur als er die Geheimhaltung erwähnte, warf sie ihm einen kurzen und prüfenden Blick zu:


    Wusste der Urbaner denn nicht, dass sie in der Aedes Vestae viele Staatsgeheimnisse hüteten, das Paladium, die Abbildung der Göttin Pallas Athene, welche direkt vom Himmel gekommen war; die Penaten des Staates, und weitere noch viel geheimere Gegenstände, die der Held Aeneas bei seiner Flucht aus Troja gerettet hatte? Dass sie die Testamente und Verträge aufbewahrten, sogar die der Caesaren? Die Schwesternschaft galt als unbedingt vertrauenswürdig.


    Und meinte er denn, sie Tarpa, wüsste nicht, welch ein Frevel an den Göttern dieser schreckliche Mord gewesen war? Seit Tagen schon wandelte sie in Dunkelheit und Trauer und spürte den Zorn der Himmlischen, die ira deorum, mit jeder Faser ihres Leibes.


    Oh, ihr geliebtes Roma würde Sühne leisten müssen, größere Sühne als je zuvor. Aber diesmal würden sich die Unsterblichen vielleicht nicht mit makellosen Opfertieren zufrieden geben; nach Menschen verlangte es sie, nach jenen christiani,die zu zehnt, zu Hunderten oder gar Tausenden solange hingerichtet werden sollten, bis der Friede mit den Göttern wieder vollständig hergestellt sein würde.


    Die beiden Urbaner waren nach dem Willen der Unsterblichen hierher gekommen, gesandt, um die Christianer (mit) zu verderben. Daran hielt sich Herminia Tarpa fest.


    Sie erhob sich; die Tränen wichen fanatischem Glanz in ihren Augen:

    „Es soll alles nach deinen Anweisungen geschehen, Miles Medicus Iunius.“, sprach sie:

    „Aber die Kleidung und den Schmuck, den unsere geliebte Vestalis Maxima an jenem Tag trug, kann ich euch leider nicht bringen. Alles wurde verbrannt beziehungsweise weggeworfen. Es war ja unrein und verdorben.“


    Sie meinte damit auf kultische Weise. Die Bewohner des Atrium Vestae und der Casa Mamilla hatten nur getan, was man seit jeher in diesen Fällen getan hatte: Die Tote würdevoll aufgebahrt, das frevelhaft Befleckte beseitigt und sich selbst den Reinigungsriten unterzogen. Die Kritik des jungen Medicus verstand Herminia Tarpa nicht so recht, sie lebte ganz und gar in einer sakralen Welt:


    „Ich warte vor der Porta, bis ihr mich wieder benötigt. Möge die gütige Vesta euer Werk leiten.“

    Sie klatschte noch einmal in die Hände und die beiden Sklavinnen verließen das Cubiculum. Und auch Herminia Tarpa ging

  • Scato war dankbar dafür, dass die Jungfrau keine Probleme machte. Weder konnte noch wollte er eine Vestalin gewaltsam von irgendwo entfernen. Im Notfall hätte er schlichtweg auf seinen Auftrag verzichten müssen und dann wäre es die Aufgabe seines Vorgesetzten gewesen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man eine ungestörte Obduktion erwirkte. Draußen mochte die Jungfrau nun stehenbleiben, die Türen waren ja nicht gerade dünn in einem Haus wie diesem. Er würde einfach leise sprechen.


    So machte Scato sich an die Arbeit, so diskret, wie es möglich war, aber auch nicht zimperlich, denn der Mord hatte nur eine Aussicht auf Klärung mit einer vernünftigen Basis für die Ermittler. Er war sicher, dass die Göttin Vesta dafür Verständnis hatte, da es nun einmal nur männliche Urbaner gab und daher keine Frau diese wichtige Aufgabe übernehmen konnte. Für Scato selbst machte es keinen Unterschied, ob er einen Mann oder eine Frau untersuchte. Er sah vor sich nur einen Menschen und würde jeden gleichermaßen behandeln. Er hoffte, niemals in eine Situation zu kommen, in der er die Patienten nach ihrem gesellschaftlichen Stand priorisieren musste und nicht nach medizinischer Notwendigkeit vorgehen konnte.


    Am Ende half ihm Sextus, die Tote wieder anzukleiden und in der gleichen Haltung niederzubetten, in der sie vor der Obduktion gelegen hatte. Da lag sie nun ... die Tugend Roms. Mit ihr war nicht nur ein Mensch getötet worden, sondern so viel mehr. Alles, wofür sie stand, war erschüttert worden. Selten hatte Scato etwas derart Trauriges gesehen.


    Er ging zur Tür und öffnete sie. "Du kannst wieder hineinkommen, Aeditua Vestalis Herminia Tarpa."

  • Die Aeditua, die vor der Tür ausgeharrt hatte, trat wieder ein. Ihr folgten zwei Sklavinnen, eine von ihnen trug eine Schüssel mit Wasser, eine Kanne mit einer Abkochung von saponaria officinalisund saubere Tücher mit sich, die andere jedoch eine Schale mit mit Salz vermengtem Getreideschrot in beiden Händen. Dieser war zur Läuterung und Reinigung gedacht.


    Herminia Tarpa bemerkte sofort, dass der Leichnam der Maxima fast wieder so hingebettet worden war, wie sie ihn verlassen hatte, und dieses Zartgefühl der Urbaner rührte sie: Sie besaßen pietas, sie ehrten die Götter, sie ehrten ihre Priesterinnen.


    Was eine Obduktion genau beinhaltete, wusste sie indes nicht. Sie schrieb den Milites Medici eher besondere Kräfte zu.

    Und so hielt sie nicht an sich, sondern fragte: "Habt ihr schon sehen können, dass es eine Christianerin war, die unsere geliebte Maxima ermordet hat?“

  • Die Frage, die Scato sowieso nicht hätte beantworten dürfen, löste sich auf in Gewimmel. Bestürzt registrierte Scato, dass gefühlt eine ganze Kolonne durch die Tür quoll, wo er nur eine einzige Jungfrau erwartet hatte, alle voll bepackt mit rituellen Utensilien, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Er blickte mit offenem Mund zu Sextus, der gerade die letzten Dinge zurück in seine eigene Capsa räumte und nur mit den Schultern zuckte. Scato klappte den Mund wieder zu, fällte eine Entscheidung, räumte sein Schreibzeug ein und griff seine eigene Capsa.


    "Bring uns bitte an einen Ort, wo wir ungestört sprechen können, Aeditua."

  • Ihre Frage wurde nicht beantwortet. So fuhr Herminia Tarpa unbeirrt mit ihren apotropäischen Maßnahmen fort und besprengte die beiden Urbaner, die schließlich eine Tote berührt hatten, mit dem Inhalt der Schüsseln.

    Erst nach erfolgter Reinigung erwiderte sie: „Ein ungestörter Ort ist das Officium, in dem Cornicularius Octavius die Zeugen befragte, Miles Medicus Iunius. Wenn ihr bitte dorthin mitkommen würdet.“


    Sie verließ das Cubiculum der Totenwache und nahm an, dass ihr beide Urbaner folgen würden.


    Das besagte Officium war ein schlichter Raum mit einem großen Schreibtisch, hinter dem ein Stuhl mit einer Lehne, vor dem zwei metallene Klappstühle standen. Hier hatte der Cornicularius kürzlich die Aussagen des Liktors und der Sklaven aufgenommen.

    Das Officium besaß eine massive und abschließbare Tür und nur ein einziges vergittertes Fenster führte auf das Peristyl hinaus.


    Herminia Tarpa öffnete mit einem Schlüssel, trat ein, ließ die Tür offen und stellte sich an das Fenster. Sie sah zum Himmel. Die Wolken hingen tief, schienen das Dach des gegenüberliegenden Gebäudes fast zu berühren. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als wäre ihr kalt.

  • Natürlich waren die beiden Milites ihr gefolgt. Während Sextus draußen Wache schob, da Scato sich am vergitterten Fenster störte, machte Scato es sich am Tisch bequem und beförderte seine Unterlagen zu Tage. Die Tür wurde nicht abgeschlossen, dafür sah er keinen Anlass. Er stellte alle Fragen nacheinander, so dass Herminia Tarpa zwischendurch Zeit zum Antworten fand.


    "Es kann sein, dass einige Fragen schon von meinem Kameraden Cornicularius Octavius Frugi gestellt worden sind. Überschneidungen sind möglich, meine Fragen konzentrieren sich jedoch im Gegensatz zu den Ermittlungen meines Kameraden nicht auf den möglichen Täter, sondern auf das Opfer und die Umstände seines Todes und die Zeit danach. Wenn es dir nicht gut gehen sollte, können wir zwischendurch eine Pause machen, ich hoffe aber, dass es nicht lange dauern wird.


    Ich benötige bitte noch folgende Informationen von dir:

    1. Wer hat die Verstorbene entdeckt und wo?
    2. Wurde versucht, ihr Leben zu retten?
    3. Wer hat sie vom Ort ihres Todes abtransportiert und wie?
    4. Wer hat die Verstorbene anschließend gereinigt, hergerichtet und hier aufgebahrt?
    5. Sind Krankheiten oder ungesunde Angewohnheiten bekannt, an denen die Verstorbene litt?"
  • Die Nüchternheit des jungen Miles Medicus riss die Aeditua aus ihren Gedanken.

    Er hatte sich am Schreibtisch niedergelassen und breitete seine Tabulae aus.

    Auch die Fragen waren nüchtern, und Herminia Tarpa bemühte sich, zu antworten, obwohl sie das Gefühl hatte, dass die Antworten mit ihrer völligen Beziehungslosigkeit zu den göttlichen Mächten nur einen Teil der Wahrheit enthüllten und nicht einmal den maßgeblichen. Was war mit dem, was sie am Tatort gespürt hatte? Welch ungünstig gestimmte Gottheit war präsent gewesen?

    „Entdeckt, das ist nicht das richtige Wort. Unsere Obervestalin wurde am Eingang des Mercatus Urbis in aller Öffentlichkeit ermordet. An ihrer Seite befand sich die Virgo Valeria, denn sie war die Schülerin der Maxima und begleitete sie an jenem Unglückstag. Und vor ihr schritt nach alter Sitte der Liktor Lucceius Aterianus.

    Ich weiß nicht, Miles Medicus Scato, ob du einem Gott je ein Blutopfer dargebracht hast? Es gibt die Möglichkeit, dem Opfertier die Kehle durchzuschneiden. Es gibt aber auch die Möglichkeit eines gezielten Stichs in den Nacken..“

    Herminia Tarpa deutete sich in das Genick:

    „Dabei tritt der Tod sehr schnell ein. Auch unsere geliebte Vestalis Maxima verschied sehr rasch. Niemand hat versucht, ihr Leben zu retten, weil eben alles so schnell ging. Vielleicht hättest du es vermocht, Miles Medicus Iunius, aber du warst nicht dabei.

    Wir, also ich und vier Sklaven kamen und hoben sie in eine Sänfte.

    Wir brachten sie in der Sänfte in die Casa Mamilla. Die Hausherrin Sentia Tigellina hat früher schon todkranke Vestalinnen gepflegt; Schwester Valeria und ich wussten, dass sie uns beistehen würde.

    Da wir keine Pollinctores* dazuholen wollten, haben die Sklavinnen unter der Anleitung von Tigellina die Tote gewaschen, gesalbt, neu eingekleidet und aufgebahrt.

    Krankheiten, o nein, Miles Medicus. Eine kranke Vestalin ist für den Dienst nicht geignet, sie würde suspendiert werden. Sie muss körperlich und geistig völlig gesund sein.

    Ungesunde Gewohnheiten? Du meinst, zu viel unvermischten Wein oder Opium?

    Nein, ich glaube, ich hätte davon gewusst, wenn es so gewesen wäre. Aber davon weiß ich nichts“,

    die einzig ungesunde Angewohnheit von Decima Messalina war, sich in Rom, ihrem Rom sicher zu fühlen und davon auszugehen, dass ihr niemand Böses wollte, dachte Herminia Tarpa. Wie sehr hatte sie sich in ihren Mitbürgern getäuscht.


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