Das Zimmer von Titus Didius Gordianus

  • Mit der flackernden Lampe - das Öl ging dem Ende entgegen - in der Hand begab mich die seitlichen Stufen hinauf in das obere Stock, um vor dem erstbesten Cubiculum stehenzubleiben und es zu betreten. Der heutige Marsch und die vergangenen Tage, in denen ich in notdürftigen Unterkünften oder unter freiem Himmel genächtigt hatte, ließen mich ermüden und so begab ich zu Bett.

  • Eingeschlafen war ich vor meinen Skizzen. Das Licht der Öllampe war heruntergebrannt. Ich hatte mich in die obere Etage zurückgezogen in das kleine Zimmer, das ich bewohnte. Einige Baupläne zu Restaurierungszwecken beschäftigten mich noch. Es war ein erster Auftrag, der mir helfen sollte, in Rom Fuss zu fassen. Doch miit der Zeit wurden die Augen schwerer und das Licht dämmernder.


    Durch die kleine Öffnung an der Vorderseite der Casa - mein cubiculum lag zur Straße hin - konnte ich sehen wie Händler und Kaufleute ihre Stände abbrachen und mit den Fuhrwagen durch die Straße polterten. Noch immer war das Befahren der Stadt für Fuhrwerke tagsüber verboten und jetzt, wo die Dämmerung einsetzte, machte sich die meisten auf den Heimweg.
    Die meisten beeilten sich, denn Rom in der Dunkelheit glich dem Tartaros. Kriminelle Verbrecherbanden und anderes lichtscheues Gesindel machten die Straßen unsicher, und hier und da patroullierte eine Eskorte der städtischen Vigiles.
    Ich erinnerte mich daran, daß mein Vetter Falco einst maßgeblichen Anteil an der Re-Organisation dieser Truppen hatte und sein Verdienst war es sicher auch, daß Rom wieder ein stückweit sicherer wurde.


    Mit der Zeit verschmolzen Realität und Gedanken immer mehr, ich sah Bilder vor meinem geistigen Auge, die sich mit denen auf der Straße vermischten und eh ich mich versah war ich tief gefangen in Nokturnus`Reich.


    Ich sah Legionen, beritten zu Pferde, Legionslager. Die Sonne brannte. Meldereiter kamen und gingen. Ich sah alte, längst vergessene und gefallene Kameraden. Aufruhr...Boykott, dann: Misenum. Die Geschehnisse von damals spielten sich leibhaftig ab, als wären sie erst gestern geschehen. Der Aufstand, die Meuterei. Es war eine schwierige Zeit. Der Bruderkrieg hatte einen hohen Blutzoll gefordert und auf beiden Seiten klagten Römer über die gefallen Söhne.
    Ich blickte in das Gesicht eines Mannes. Er war Decurio und auch mich sah er direkt an. Seine tiefen Augenhöhlen, sein wallendes Haar, die weiche Haut, sie verkörperten eine gewisse Distanz, eine Unnahbarkeit, gleichsam eine Arroganz, wie man sie nur bei Menschen des vornehmen Standes vorfindet. Ein Kämpfer war jener nicht. Ich sehe einen alten Freund und ich spüre, daß ich ihn bald wieder gegenüberstehen werde.


    Dann wechselt die Vorstellung. Rom. Das alte Lager der Legio I. Ich sehe die alten Barracken, die Principia, das Fahnenheiligtum. Einige Probati leisten unter Anwesenheit des Centurio den Fahneneid. IURANT AUTEM MILITES OMNIA SE STRENUE FACTUROS ... hinter den Kasernen findet das Leben statt, man flachst, scherzt, erzählt schmutzige Witze und prahlt mit seinen Heldentaten und Liebschaften. Man putzt seine Rüstung, gibt Acht auf sein Schuhwerk und reinigt die Latrinen. Wenn der Optio kommt, steht man auf.


    Noch weiter reicht schließlich die Erinnerung. Der unendliche Wüstenstaub macht sich breit, die Temperaturen sind unermesslich heiß. Durch die Hitze vibriert die Luft. Wir sind in Africa. Noch ein Legionslager, vieles erinnert an das der Legio I. In der Ferne liegt eine Stadt, Hadrianopolis. Es ist vieles anders als in Rom. Ich fühle mich zurückerinnert an meine Zeit als Kind.
    Ein Trupp Soldaten erreicht das Haupttor des Lagers. Sie wirken abgehetzt. Bei einigen ist die Rüstung verrutscht. In ihrer Mitte tragen sie einen Mann auf einer Bahre. Ich erkenne ihn nicht. Neugierig bahne ich mir einen Blick auf die Soldaten. Der führende Soldat macht einem anderen Soldaten Meldung. Jener trägt Helmbusch und Umhang. Ich höre die Namen Didius und Balbus. In meinen Gedanken blitzt es, mein Blick wirkt verstört. Der Mann mit dem Helmbusch und dem Umhang sieht zu mir rüber, sein Gegenüber tut es ihm gleich.
    Irgendetwas stimmt nicht mit ihren Blicken. Sie wirken besorgt und bemitleidend. Einer der beiden kommt zu herüber. Er führt mich zu den Männern hindurch an die Bahre. Ich sehe meinen Vater. Er liegt dort, ruhig, regungslos. Er bewegt sich nicht. Mein Kopf ist gesenkt, mir fehlen die Worte. Der Mann mit dem Helmbusch kniet zu mir nieder. Er spricht irgendwelche Worte. Sie klingen ruhig und traurig. Seine Hand streichelt mir durch das Haar. Ich fange an zu zittern. Mein Vater, war er wirklich tot ? Zu einer Emotion war ich nicht fähig. Ich wäre am liebsten weggerannt, weit weg, weg von allem Unheil, doch meine Beine bleiben wie angewurzelt stehen. Starr vor Schock wage ich mich nicht zu bewegen.
    Der Centurio nimmt mich auf seinen Arm und bringt mich weg. Meinen Vater wird man in einem anderen Zelt aufbahren. Ich war erst sieben Jahre alt.


    Irgendwann verblasst die Erinnerung. Die Gedanken werden immer schwerer. Es wird ruhig. Nur noch leicht hört man den Atem im Zimmer, bis auch dieser ganz erlischt und der Hauch des Todes einzieht.

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