Beiträge von Titus Fabius Torquatus

    Die Aussicht darauf, dass er als Tresvir nicht nur Handlanger sein musste, sondern womöglich auch bei den Prätoren auf offene Ohren stieß, ließ Titus freudig und erwartungsfroh zurück, wenngleich sich dies wie so oft nicht sichtbar in seiner Mimik abbilden mochte.

    Nachdem das Gespräch mit Flavius Gracchus beendet war, trennte sich Titus von seinem Lehrmeister und zog sich für den heutigen Tag in die Domus Iunia zurück.

    Unmittelbar nach dem Octavier folgte Titus und sprach den Amtseid:


    "Ego, Titus Fabius Torquatus, hac re ipsa decus imperii romani me defensurum, et semper pro populo senatuque imperatoreque imperii romani acturum esse sollemnitter iuro.


    Ego, Titus Fabius Torquatus, officio vigintiviro imperii romani accepto, deos deasque imperatoremque romae in omnibus meae vitae publicae temporibus me culturum, et virtutes romanas publica privataque vita me persecuturum esse iuro.


    Ego, Titus Fabius Torquatus, religioni romanae me fauturum et eam defensurum, et numquam contra eius statum publicum me acturum esse, ne quid detrimenti capiat iuro.


    Ego, Titus Fabius Torquatus, officiis muneris vigintiviri me quam optime functurum esse praeterea iuro. Meo civis imperii romani honore, coram deis deabusque populi romani, et voluntate favoreque eorum, ego munus vigintiviri una cum iuribus, privilegiis, muneribus et officiis comitantibus accipio."

    Einen kurzen Moment schienen Titus die ersten Schritte des Consulars beinahe greifbar, als dieser über seine Anfänge in der Ämterlaufbahn berichtete, was dem Jüngling gleichsam und abermals vor Augen führte, dass auch ein Flavius Gracchus nicht mit seinen mannigfaltigen Kenntnissen und Weisheiten vom Olymp gefallen war, sondern sie in einem mühsamen Lebensweg und -studium erworben hatte. Es war ermutigend zu wissen, dass die Zeit wohl auch seine Sinne und seinen Blick noch schärfen würde.

    Indes war Titus kein Träumer oder megalomaner Irrer, wie es sein Vater zuweilen zu sein pflegte, sodass er sich in Bescheidenheit üben und einen Fuß vor dem anderen setzen mochte. Ambitionen und Visionen zumindest für die bevorstehende Amtsperiode hatte er gleichwohl:

    »So ich erwählt werde, werde ich meine Ambitionen natürlich erst einmal mit der genauen Position in Einklang bringen, die mir der Senat zuweist. Sollte ich, wie ich präferiere, als Tresvir eingesetzt werden, sollen sich meine Bemühungen nicht nur in der Beaufsichtigung der Kerker erschöpfen. Ich möchte in Abstimmung mit den Prätoren auf schnelle Verfahren hinwirken und so der Kriminalitätsbekämpfung einen Beitrag leisten, die du ja selbst jüngst als Makel unserer städtischen Gemeinschaft hervorgehoben hast.«

    Titus erinnerte sich zurück an das Gespräch in Beisein seines Vaters.

    »Dazu gehört wohl auch, die Christianer stärker in den Fokus der Strafrechtsverfolgung zu stellen.«

    »Ich danke dir, Tribun«, entgegnete Titus respektvoll. Der Prätorianer schien sich mit den Erklärungen des Kandidaten zufrieden zu geben und inspirierte auch einige der umstehenden Zuhörer zur Zustimmung, hatte der Tribun seines Ranges wegen doch schon zweifellos eine gewisse Strahlkraft.

    Nachdem sich in den folgenden Minuten keine weitere Nachfragen aus dem Publikum mehr ergaben, zog sich Titus von der Rostra zurück. Und auch die Zuhörerschaft löste sich nach und nach in den geschäftigen Menschenmengen auf dem Forum Romanum auf.

    Flavius Gracchus erweiterte Titus' Verständnis für das Geschehen um einen Aspekt, den er vorig nicht im Blick hatte. Auch die Verweigerung der Stimme für den Candidatus Augusti konnte Ausdruck einer Kritik sein, gezwängt in ein enges und darob möglicherweise unbequemes, aber oberflächlich durchaus ansehnliches und elegantes Korsett.

    Gleichwohl nahm Titus zur Kenntnis, dass das vermeintliche Einvernehmen durchaus im Sinne Roms war und wollte trotz seiner grundsätzlich skeptischen und misstrauischen Art daran glauben, dass dieses Einvernehmen tatsächlich auch den realpolitischen Status Quo abbildete.

    »Ich verstehe. Kennst du Annaeus Minor? Oder kanntest du seinen Vater?«

    Florus Maior war natürlich jedem Römer, der sich mit Politik beschäftigte oder gar Politiker zu werden gedachte ein Begriff - und so auch Titus.

    Titus, noch immer auf der Rostra stehend, beobachtete nach seiner Rede eine ganze Bandbreite von Reaktionen. Während viele sein salbungsvolles Freiheitsbild zum energischen Jubel veranlasste, schienen einige auch eher skeptisch und tuschelten. Wieder andere hatten sich schon von der Rostra ab- und ihren Geschäften zugewandt. Und einer, den Titus nicht kannte, nahm das Schicksal in die Hand und hakte nach. Lasthenes, das Mädchen für Alles seines Vaters und die einzige (ihm bekannte) Unterstützung, die Titus vom alten Herren angenommen hatte, trat dem Jüngling zur Seite und eröffnete ihm, dass es sich beim Fragesteller um den Prätorianertribun Decimus handelte. Ein Mann also, der wohlbekannt war und dem zweifellos viele Männer Glauben schenkten. Titus wandte sich auf der Rostra in Serapios Richtung und fixierte diesen mit ernster Miene.

    »So ich erwählt werde, Tribun, wird sich meine Amtstätigkeit nicht nur in der bloßen Beaufsichtigung der Kerker erschöpfen, wie viele meiner Vorgänger es praktizierten. Stattdessen gedenke ich in Einvernehmen mit den höheren Magistraten sämtliche repressiven und präventiven Befugnisse der Tresviri zu nutzen, um meinen Teil zur Kriminalitätsbekämpfung in Rom beizutragen. Ich werde darauf hinwirken, dass vermehrt nächtliche Streifen eingesetzt werden und diese auch selbst begleiten, um Verdächtige in Präventivhaft zu nehmen oder schon der erhöhten staatlichen Präsenz wegen eine Abschreckungswirkung zu erzielen. Bei Kapitalverbrechern werde ich bei den Prätoren auf eine schnelle Aburteilung hinwirken und eine zügige Vollstreckung der Urteile veranlassen, um unsere Kerker zu leeren. Als Tresvir bin ich zweifellos nur ein kleines Rädchen in der gigantischen Mühle der Strafrechtspflege, doch ich gedenke dieses kleine Rädchen in ständiger Bewegung zu halten, um der folgenden Legislaturperiode einen sichtbaren Stempel aufzudrücken.«

    Andächtig trat Titus zum Podest, als er vom Consul dazu aufgefordert wurde, ließ seinen Blick zunächst durch die marmorgetäfelte Halle schweifen und nahm einen tiefen Atemzug, als wäre er bemüht den Geist dieses göttlichen Gebildes in sich aufzusaugen. Seine Magenverstimmungen hielten seit der Rede auf der Rostra ununterbrochen an und auch nach dieser vermochte er nicht jene Souveränität verspüren, die zweifellos den erfahrenen Senatoren in der Kurie zum Vorteil bei der freien Rede gereichte. Gleichwohl fühlte er sich inmitten der heiligen Hallen wie elektrisiert, imaginierte gar göttlichen Beistand und konnte sich zumindest der geistigen Unterstützung seines treuen Weggefährten und Freundes Glaucus sicher sein, was dem Jüngling zumindest oberflächlich zur Verdrängung größter Nervosität gereichte.

    »Patres Conscripti! Ehrenwerte Senatoren!«, begann Titus einleitend, wie es bei Kandidaturreden Usus war. Im Gegensatz zu seiner Rede auf der Rostra hatte er an diesem Tage eine Vorsprache vorbereitet, die weit mehr seinem persönlichen Werdegang, seiner Ausbildung und seinem geplanten Schaffen und Wirken gewidmet und weniger dem Pakt und der Bekanntmachung mit dem gemeinen Volk anheimgestellt war. Hatte er sich auf der Rostra noch hinsichtlich seiner Verbindungen zum Hause Flavia bedeckt gehalten, beabsichtigte er dies nun vor den Senatoren in den Vordergrund zu stellen, um vielleicht auf diese Weise seinem staubigen Namen wiewohl seiner niederen Herkunft einen Schimmer von Ehrwürdigkeit und Honorigkeit zu verleihen.

    »Ich bin Titus Torquatus aus der Gens Fabia, Sohn des Cnaeus Fabius Torquatus, der dem einen oder anderen von euch als Procurator a memoria auf dem Palatin bekannt sein mag, sowie Enkel des Quintus Fabius Vibulanus, der sich als Präfekt der 22. Legion in Ägypten verdient gemacht hat. Eine Ahnenreihe, die zweifellos eine aussichtsreiche ritterliche Karriere präjudiziert. Gleichwohl stehe ich heute vor euch, um mich für das Amt eines Vigintivirs in der senatorischen Laufbahn zu bewerben.«

    Titus pausierte kurz, sich sehr wohl bewusst über die Skepsis, die seine Herkunft bei manchem Senator hervorrufen würde. Er war ein Homo Novus, ein Emporkömmling, dem traditionell die Beschreitung des Cursus Honorum – obgleich dies in den vergangenen Dekaden keine Novität mehr war – verwehrt wurde. Doch er gedachte auch nicht diesen Fakt zu verschleiern und damit die Senatorenschaft zu brüskieren.

    »Ich würde lügen und die Unterstützung, die ich erfahren habe mit Füßen treten, wenn ich behaupten würde, dass die Gelegenheit, hier und heute vor euch zu sprechen, meinem bloßen Talent oder meinem außergewöhnlichen Wirken zu verdanken ist. Nein, mein Dank gilt vor allem dem ehrenwerten Consular und Pontifex Manius Flavius Gracchus, der mir nicht nur als sein Tiro Fori die Anforderungen der Ämterlaufbahn näher brachte und mir einen Einblick in die Verantwortlichkeiten eines Senators gewährte, sondern mich auch persönlich bei unserem Caesar Augustus für eine Erhebung in den Ordo Senatorius empfahl.«

    Titus‘ suchender Blick streifte durch die Reihen der Senatoren, doch er konnte seinen Lehrmeister nicht ausfindig machen. Die Masse an Zuhörern verwob sich vor seinem inneren Auge zu einem weiß-gräulichen Schleier, obgleich ihn dadurch selbst kritische Blicke der Einzelnen nicht in seinem Redefluss behindern konnten.

    »Keineswegs möchte ich jedoch den Eindruck erwecken, dass meine Vorsprache hier und heute lediglich auf günstigen Bekanntschaften und einflussreichen Unterstützern beruht. Nein – sehr wohl bin ich voller Zuversicht und Vertrauen, dass ich das Talent und die Fähigkeiten besitze, um dem Gemeinwesen zuträglich zu sein und einen Beitrag zum Wohle unseres Staatswesens leisten zu können. Aufgrund der Verpflichtungen meines Vaters in Ägypten, absolvierte ich meine Ausbildung am namhaften Museion von Alexandria. Neben der Unterweisung in Ethik, Rhetorik und Grammatik lag ein besonderer Schwerpunkt meiner Studien im Rechtswesen. So absolvierte ich einen Cursus Iuris, um die erforderliche Judiz für eine praktische anwaltliche Tätigkeit sowie der theoretischen Auseinandersetzung mit unseren Gesetzen jetzt und in Zukunft zu erwerben. Dies ist auch gleichsam der Grund dafür, dass ich mich – so ihr mich erwählt – insbesondere für eine Verwendung als einer der Tresviri Capitales empfehlen möchte.«

    Titus pausierte ein weites Mal und machte einen Schritt auf dem Podest.

    »Als Tresvir gedenke ich den Fokus meiner Amtszeit auf die Bekämpfung der Kriminalität in den Straßen Roms zu legen, mit allen Mitteln die dieses Amt gewährt und selbstredend in engem Einvernehmen mit unserer Stadtpolizei und den höheren Magistraten. Die Attentate auf Senator Ovidius und den ambitionierten Iulius Caesoninus haben offenkundig werden lassen, wie tief das Gräuel in unserer Stadt verwurzelt ist und dass niemand, gleich Bauer oder Consul, von einem hinterhältigen Angriff auf sein Leben gefeit ist. Ich möchte mich dafür verwenden, Licht in diese Schattenwelt zu bringen und bin gewappnet mit dem Eifer, selbst durch die Straßen zu streifen und die Ursache für die lodernde Gewalt zu ergründen, das Dickicht der Kriminalität zu entwirren und die Gesetzeslosen mit aller Härte unseres Gesetzes zu verfolgen.«

    Dass Titus, nicht zuletzt im Vertrauen auf Flavius Gracchus‘ Einschätzung zu den neuerlichen Attentaten, hinter all dem die Christianerbrut vermutete und darob auch gerade einen Kampf gegen diese zu führen gedachte, behielt er an dieser Stelle für sich. Zu undurchsichtig war das Geflecht der Sekte und zu dünn auch die Beweislage, weswegen lose Anschuldigungen ihm in dieser Situation kaum zum Vorteil gereichen würden.

    »Verehrte Senatoren, noch stehe ich am Anfang meiner Laufbahn und ich bin nicht derart vermessen zu glauben, dass ich alleinig diese große Herausforderung bewältigen könnte, doch ich verspreche euch, dass ich voller Tatendrang und Ehrgeiz auf das Bevorstehende blicke. Daher bitte ich euch, für mich zu stimmen und mir die Möglichkeit zu geben, mich dem Amte als würdig und dem Gemeinwesen als nützlich zu erweisen.«

    Damit beendete Titus seine Rede und verschränkte seine Arme, mit denen er zuvor gelegentlich ausladend, aber keineswegs theatralisch seinen Vortrag untermalt hatte.

    Einen Tag nach Titus' Wahlrede auf der Rostra war die Dienerschaft des Hauses Fabia aufgebrochen, um in der Stadt einige öffentlichkeitswirksamen Parolen an die Wände zu kritzeln. Im Gegensatz zur etablierten Elite war der Name Fabius Torquatus den Stadtrömern kaum bekannt - und selbst wenn, dann nur im Zusammenhang mit Torquatus Senior. Doch dies gedachten die Diener an jenem Tage zu ändern - und vielleicht hatte sich der ein oder andere auch von den bereits bestehenden Kritzeleien inspirieren lassen:




    VOX POPULI VOX DEI

    UT AD SALUTEM ET IN PLATEIS URBIS

    FABIUS TORQUATUS EX PLEBE PRO PLEBE*




    Sim-Off:

    *Volkes Stimme ist Gottes Stimme
    Für Sicherheit und Ordnung in den Straßen
    Fabius Torquatus aus dem Volk für das Volk

    Wenige Tage nach der Wahlrede Flavius Gracchus Minors erklomm auch Titus die Stufen der Rostra. Die Götter hatten ihm einen sonnigen Morgen geschenkt und Titus war gewillt, dies als Zeichen der Unterstützung zu werten. Dies vor allem auch, um seine Nervosität in den Griff zu bekommen. Seit zwei Tagen litt er an Magenverstimmungen und Übelkeit, war dies doch seine erste freie Rede vor einem größeren Publikum. Zur Vorbereitung hatte er zwar im Perystilium der Domus Iunia über seinen Nutzen für das Gemeinwesen schwadroniert, sich lebhaft und gestenreich über die Sorgen und Nöte der Bürger ausgelassen und an die Unterstützung des Volkes appelliert. Nun, da er das Forum Romanum überblickte, erahnte er aber erst die Bedeutung dieses Moments.


    »Qui...riten!«, begann Titus mit zittriger Stimme und stellte fest, dass kaum einer der Anwesenden ihn bemerkte. Er räusperte sich.


    »QUIRITEN!«, rief er sodann fester und spürte, wie ihm nach und nach mehr Blicke zuteilwurden. Seine glänzend weiße Toga candida sowie seine güldenen Haare schimmerten sanft in der Sonne und verliehen ihm eine gewisse Erhabenheit, die wohl in Maßen über seine innere Anspannung hinwegzutäuschen vermochte.


    »Ich bin Titus Fabius Torquatus, Sohn des Ritters Cnaeus Fabius Torquatus und Enkel des Ritters Quintus Fabius Vibulanus. Wie meinem Vater und auch dessen Vater war mir vorbestimmt, meinen Dienst am Gemeinwesen als Tribun in einer der zahlreichen Legionen oder als hoher Beamter im Verwaltungsapparat zu tun. Ein privilegiertes Leben, werdet ihr sagen! Ein Leben mit wenig Entbehrungen! Ein Leben mit weitaus weniger Sorgen und Nöten! Warum also steht dieser Jüngling auf der Rostra und blickt zu uns hinab? Nur, um seine Privilegien zur Schau zu stellen?«


    Titus ließ seinen Blick langsam durch die Menge gleiten.


    »Nein, sage ich euch! Einem jeden von uns sind durch Geburt Leben und Wirken vorgezeichnet. So wie mir bestimmt war, als Ritter meinen Ahnen nachzufolgen, ist euch bestimmt, ein Handwerk zu verrichten, auf den Märkten Handel zu treiben, die Straßen der Stadt zu sichern oder für sauberes Trinkwasser zu sorgen. Selten wird uns die Möglichkeit zuteil, unser Leben unseren Talenten entsprechend zu gestalten. Mir jedoch wurde diese Möglichkeit zuteil und ich verspreche euch, diesem Geschenk der Götter nicht mit Arroganz und Hochmut zu begegnen, sondern meinen Weg gänzlich der Bestrebung zu widmen, auch euch diese Möglichkeit zuteilwerden zu lassen - euer Leben und Wirken freier zu gestalten!«


    Titus spürte, dass seine Aufregung merklich nachgelassen hatte.


    »Noch mag mein Streben illusorisch wirken und manch einer von euch wird sagen, dass dies nur leere Versprechen sind. Jedoch werde ich schon meine Bewerbung für das Amt des Vigintivirs dieser Vision anheimstellen! So die Kurie mich als würdig erachtet, möchte ich diese Amtszeit als einer der Tresviri Capitales der Rechtspflege widmen, um für mehr Sicherheit und Ordnung in den Straßen Roms zu sorgen und euch, ehrbare Bürger, mehr Freiheit zu schenken!«


    Ein letztes Mal pausierte Titus, um noch einmal kraftvoll seine Stimme zu erheben:


    »Daher gebt weiter: Wählt Titus Fabius Torquatus zum Vigintivir! Überzeugt eure Patrone und die die Ihrigen, mir eine Stimme zu geben und ich werde die Stufen des Cursus Honorum mit euch gemeinsam erklimmen!«


    Titus hielt inne und spürte den strafenden Blick seines Vaters, der gewiss hier war, den er in der Menge aber nicht erspäht hatte. Er spürte seinen Groll, war doch seine Rede weitaus mehr dem einfachen Bürger als der senatorischen Elite gewidmet. Indes sprach er an diesem Morgen auf der Rostra und nicht in der Kurie und sich mit dem Volke gemein zu machen war kein politisches Kalkül, sondern in seinen Augen eine Notwendigkeit. Er gedachte tatsächlich, seinen Weg einem höheren Ziel zu widmen und ziemte sich dabei nicht, seinem Vater auf die Füße zu treten.

    An diesem Morgen hatte es Titus aus zweierlei Gründen auf das Forum Romanum verschlagen. Zum einen war es seine ungeschriebene Pflicht, sich am Tage der Kandidaturrede des Sohnes jenes Senators, bei dem er sein Tiro Fori ableistete, in der Schar der Anhänger und Unterstützer zu befinden. Zum anderen hoffte er auf Inspiration auch für seine Rede, die alsbald bevorstand. Freilich waren die Anforderungen an die Erklimmung des Aedilats weitaus vielfältiger als die an den Wahlkampf für das Amt des Vigintivirs. Nichtsdestotrotz gedachte auch Titus sich dem Volke bekannt zu machen, zumal er im Gegensatz zum flavischen Sprössling keinerlei Vorschusslorbeeren aufgrund seines Namens oder seinem vergangenem Wirken wegen beanspruchen konnte. So hatte Titus die Rede Gracchus Minors mit gewohnt unterkühltem Blick, aber innerlich durchaus bewegt, aufmerksam verfolgt und beobachtete nun eher teilnahmslos, wie das Volke sich an den großzügigen Spenden erfreute.

    Ad

    Consularis

    Iullus Curtilius Victor

    Haus des Consuls

    Roma


    Ehrenwerter Consul Curtilius,


    mit diesem Schreiben möchte ich meine Kandidatur zu den kommenden Wahlen des Cursus Honorum bekannt geben. Ich bitte dich, mich auf die Liste der Bewerber für das Amt des Vigintivirs zu setzen.


    Vale bene.


    Titus Fabius Torquatus

    ROMA - ID IAN DCCCLXXI A.U.C. (13.1.2021/118 n.Chr.)


    Die Tuscheleien der übrigen Zuhörer und das von ihm selbst Vernommene verwob Titus gedanklich zu einem stimmigen Bild, bevor Senator Flavius seine Nachgespräche beendete und zu ihm stieß.

    »Der Senat hat einen Kandidaten erwählt, dessen Einsetzung zumindest auch dem Willen des Princeps entspricht«, fasste ich zunächst zusammen, um sicherzugehen, dass das Gehörte den Tatsachen entsprach.

    »Das Einvernehmen zwischen Kaiser und Senat lässt hoffen, dass die Amtszeit des neuen Quaestors der allseitigen Anerkennung wegen fruchtvoll verläuft. Der Name Annaeus Florus erweckt zudem sicherlich auch die Erwartung einer gewissenhaften und tadellosen Amtsführung.«

    Letztlich musste der Quaestor Principis auch und vor allem mit dem Kaiser zusammenarbeiten, sodass die Berücksichtigung seines Willens sinnig erschien. Allerdings konnte sich Titus eines kritischen Blicks und einer Nachfrage dahingehend nicht erwehren:

    »War die Nichtaufstellung eines Gegenkandidaten der Aufrechterhaltung dieser Eintracht oder nur der mangelnden Verfügbarkeit eines solchen geschuldet?«

    »Der Kaiser erfragte, welche Maßnahmen ich ergreifen würde, um die steigende Kriminalität in Rom zu bekämpfen, insbesondere auch, welche Amtsträger ich konsultieren und involvieren würde.«

    Titus glaubte, dass dies keine ungewöhnliche Frage war und die Kriminalität sicher auch schon in der Senatorenschaft Grundlage der ein oder anderen Diskussion gewesen sein musste.

    »Er zeigte sich mit meinen Antworten...zufrieden. Er machte meine Erhebung aber auch von einer Empfehlung deinerseits abhängig.«

    Da Titus der festen Überzeugung war, dass er im Cursus Honorum nur bestehen konnte, wenn er sich gegenüber dem Consular im Tirocinium als würdig erwies, war diese zusätzliche Hürde ihm kein Dorn im Auge. Er wollte nichts geschenkt bekommen, sondern sich seine Lorbeeren verdienen.

    Unter jenen Schaulustigen und Interessierten, die während der Senatssitzung an den Stufen der Curia Iulia standen, befand sich auch Titus und bemühte sich etwas aus dem Inneren der heiligen Hallen zu vernehmen. Es hatte eines großen Kraftaktes des schmächtigen Jünglings bedurft, sich einen Platz auf den oberen Stufen zu sichern, war das Gedränge doch ungleich höher, verglichen mit den sonstigen Sitzungen die Titus bisherig besucht hatte. Der Tod des Quaestors hatte die Leute aufgewühlt, hier und da glaubte der junge Fabier gar Besorgnis in den Gesichtern der Zuhörer zu erkennen. Er selbst konnte sich über die Hintergründe dieses plötzlichen Exitus noch kein rechtes Bild machen. Zweifellos konnten auch quicklebendige und vitale Männer in der Blüte ihres Lebens auf unerklärliche Weise der Schlag treffen, wenn die Götter dies bestimmten, gleichwohl vermochte er seiner grundsätzlichen Skepsis wegen noch nicht gänzlich an ein natürliches Dahinscheiden glauben. Immerhin hörte man in der Stadt zuletzt vermehrt von kriminellen Aktivitäten. Überdies konnte ein angehender Senator auch stets das Ziel einer Intrige eines politischen Widersachers oder Feindes sein. Dies alles wollte der junge Tiro aber im Anschluss an die Sitzung mit Senator Flavius Gracchus konferieren, der ihn auch hierher bestellt hatte. Während Titus also im Andrang mit ausgefahrenen Ellbogen seinen Platz behauptete, verfolgte er die Debatte im Inneren und sah, wie der Kaiser die Kurie verließ - womöglich ein Zeichen, dass er einen Candidatus Principis erwählt hatte? Titus hatte vernommen, dass der Augustus vor dem Senat gesprochen hatte, das Ergebnis dieser Rede war Titus allerdings entgangen. Eines war allerdings sicher: Dass die Sitzung noch fortdauerte.

    Neben vielen fremden Gesichtern, deren prüfende Blicke dem jungen Torquatus auf dem Fußweg zum Palatin nicht entgangen waren, marschierte Titus in der Entourage des Consulars und Pontifex Flavius Gracchus zur Palastwache. Titus' Gedanken indes kreisten um die folgende Captio, der neuerlichen Begegnung mit dem Kaiser, verwoben mit der stillen aber gleichsam starken Hoffnung, seinem Vater nicht zufällig über den Weg laufen zu müssen.

    Bisherig still im Hintergrund verborgen, trat er auf einen Wink hin noch einmal an den Senator heran.

    »Natürlich«, bestätigte der Tiro seinem Lehrmeister seine unbedingte Diskretion und zog sich sodann wieder in die Reihen der Klienten zurück, bevor er von den Gardesoldaten der Leibesdurchsuchung unterzogen wurde. Ähnlich unkompliziert wie es auch erst am gestrigen Tage in Begleitung seines Vaters von statten gegangen war, sollte sich dies auch als Anhängsel des Senators gestalten. Freilich war ihm aber bewusst, dass ihm diese Sonderbehandlung nicht zuteilkommen würde, würde er alleinig vor die Prätorianerwachen treten.

    Die Erklärungen des Senators offenbarten Titus, dass das Glaubenskonstrukt der Christianer selbst für den Flavier nicht in Gänze greifbar war und das mangelnde Verständnis des Jünglings für dieses nicht auf fehlende Vorstellungskraft zurückzuführen war. Die schauderhaften Berichte über Menschenopfer und blutige Rituale bestätigten Titus indes, dass das, was er gehört hatte, nicht nur dem kranken Geiste eines Geschichtenerzählers entsprang. Titus war kein angsthafter Knabe mehr, gleichwohl fühlte er sich unbehaglich bei dem Gedanken, dass diese offenkundig vom Wahn befallenen Kultisten sich nicht irgendwo am Rande des römischen Einflussbereiches umhertrieben, sondern inmitten der zivilisierten Gesellschaft zirkulierten. Umso verständlicher war ihm darob die große Sorge des Senators und umso schleierhafter der gleichgültige Blick seines torhaften Vaters.

    Dies alles und auch ein möglicher Eintritt in den Cultus Deorum sollte aber für den Moment nicht weiter Thema sein. Stattdessen eröffnete der Senator Titus die weitaus erfreulichere Möglichkeit einer Captio beizuwohnen, was Titus die honorable Ehre zuteil werden ließ, innerhalb von zwei Tagen zwei Mal die heilige Pforte des Palastes durchschreiten zu dürfen.

    »Erst gestern«, entgegnete Titus amüsiert ob dieses unerwarteten Streichs der Schicksalsgöttin.

    »Der Kaiser wollte mich anlässlich meiner Erhebung in den Ordo Senatorius kennenlernen und unterzog mich einer Art...Prüfung.«