VIII - Militärrechtswesen

  • Militärrechtswesen


    1 Grundlegendes


    1.1 Permanentes Militärrecht


    Regel

    Für alle Soldaten des römischen Heeres gilt ausschließlich das römische Militärrecht, immer und überall. Ausnahmen existieren nicht.


    Nach dem Militärrecht leben sie, nach diesem werden sie verurteilt. Auch bei zivilen Delikten hat der Soldat sich nur vor dem Militärgericht zu verantworten. In der Praxis bedeutet dies, dass der Soldat allein seinen militärischen Vorgesetzten gegenüber Rechenschaft schuldig ist, denn nur diese können über ihn urteilen und richten. Der für einen Soldaten zuständige Gerichtsstand entspricht seinem Dienststandort. Im Militärlager werden alle Deliktarten, auch die Kapitalverbrechen, verhandelt.



    1.2 Ermessensfreiheit der Vorgesetzten


    Regel

    Es existiert keine verbindliche Normierung der Rechtsfolgen für die Handlungen eines Soldaten. Allein seinen Vorgesetzten obliegt die Bewertung des Falles und das Strafmaß.


    Mögliche Tathandlungen sind schriftlich definiert. Das Strafmaß und die Ausführungsart werden jedoch als freie Ermessenssache des Rechtsprechenden gehandhabt. Im Allgemeinen wird versucht, die Tatumstände sowie die Schuldfähigkeit des Angeklagten zu untersuchen. Es existiert dabei jedoch keine verbindliche Normierung der Rechtsfolgen und für den Soldaten entsprechend nur eine bedingte Rechtssicherheit. Das kann zum Vorteil des Soldaten sein, wenn der Vorgesetzte beide Augen zudrückt oder sich bestechen lässt, aber auch zu seinem Nachteil, wenn dieser ein hartes Urteil spricht. Es gibt Situationen, in denen einem Soldaten überhaupt kein rechtlicher Schutz mehr zusteht.



    1.3 Involvierung von Zivilisten


    Regel

    Selbst bei der Beteiligung einer Zivilperson ist die ordentliche Gerichtsbarkeit für den Soldaten ausgeschlossen. Er unterliegt immer und ausnahmslos dem Militärrecht.


    Bei Beschwerden über das Verhalten eines Soldaten hat der Zivilist sich an den Vorgesetzten des Soldaten zu wenden - sofern er diesen in Erfahrung bringen kann. Klagt ein Zivilist einen Soldaten an, ist das Militärlager des Soldaten der Gerichtsstand. Als Kläger gegenüber einem Zivilisten hingegen muss der Soldat sich der ordentlichen Gerichtsbarkeit bedienen. Aufgrund der damit einhergehenden Abwesenheit von der Truppe benötigt er dafür das Einverständnis seines Befehlshabers.



    1.4 Todesstrafe


    Regel

    Todesstrafen werden in der Kaiserzeit grundsätzlich nur noch über Einzelpersonen verhängt, nicht mehr über ganze Einheiten. Das Urteil wird in der Regel vom Statthalter oder vom Kaiser persönlich gesprochen.


    Bei Militärangehörigen, die mindestens den Dienstgrad eines Centurios bekleiden, ist eine Überstellung des Falls an den Kaiser üblich. Während Krisenzeiten kann durchaus davon abgewichen werden, um Zeit zu sparen, und das Urteil wird ohne Rücksicht auf das Recht zum Einspruch vollstreckt. Bei einigen Straftaten ist dieser Rechtsschutz per se ausgenommen, wie Überlaufen zum Feind. Für solche schweren Fälle wird dem Soldaten zuvor das Bürgerrecht entzogen und er wird behandelt wie ein rechtloser Feind. In einem solchen Fall von Hochverrat wird der Verräter ungeachtet seines Dienstgrades an Ort und Stelle gerichtet.


    Auch beim Dienstgrad vom Centurio an auffwärts befasst sich der Kaiser nur im Falle einer Todesstrafe eventuell mit dem verhängten Urteil. Für ein anderes Strafmaß und niedere Dienstgrade gibt es keine Möglichkeit, sich an den Kaiser zu wenden.



    2 Zuständigkeiten


    Im Militärlager werden alle Deliktarten, auch die Kapitalverbrechen, verhandelt. Das betrifft nicht nur echte Soldatendelikte, wie Befehlsverweigerung oder Desertieren, sondern auch Delikte, die theoretisch auch von Zivilpersonen hätten begangen werden können, wie beispielsweise Diebstahl. Der Soldat wird in jedem Fall nur vor dem Militärgericht zur Verantwortung gezogen.


    2.1 Legio


    Imperator Caesar Augustus
    Dem Imperator steht die uneingeschränkte Ermessensfreiheit in der Deliktdefinition zu, ebenso die willkürliche Festsetzung der Strafbemessung. Darüber hinaus stattet der Imperator die ihm untergebenen Amtsträger mit entsprechenden Vollmachten aus, damit diese die Militärgerichtsbarkeit im Heer ausüben können.
    Legatus Augusti pro Praetore
    Dem Statthalter obliegt die Vollmacht, Todesurteile nicht nur über die Mannschaftsdienstgrade, sondern auch über ritterliche Offiziere zu fällen, ebenso über den Legaten einer Legion oder Präfekten einer Ala, Auxiliarkohorte oder Provinzflotte.
    Legatus legionis
    Ein Legionslegat (Legatus legionis) hat die Gerichtsbarkeit über die ritterlichen Offiziere seiner Legion inne, ebenso über die römischen Führungsoffiziere der Hilfstruppen (Praefectus cohortis, Praefectus alae) und über die seiner Legion zugeteilte Provinzflotte.
    Praefectus castrorum
    Vom Militärlager aus übt der Lagerpräfekt (Praefectus castrorum) die Gerichtsbarkeit auch über die ansässige Zivilbevölkerung aus.
    Tribuni Sie führen als Gerichtsoffiziere bei Kapitalverbrechen die Untersuchungen als Ratsgremium. Den Tribuni kommt eingeschränkte Strafgewalt zu, wie Körper- oder Geldstrafen für leichtere Vergehen, die über die Mannschaftsdienstgrade verhängt werden können, sowie über Zenturionen.
    Centurio Der Centurio teilt sich den disziplinarischen Gewaltenbereich mit dem Lagerpräfekten.
    Optio Als Stellvertreter und rechte Hand des Centurio obliegt auch dem Optio eine gewisse Disziplinargewalt.



    2.2 Hilfstruppen (Auxilia, Alae), Provinzflotten ...


    Die römischen Führungsoffiziere übernehmen die Gerichtsbarkeit in ihrer jeweiligen Einheit. Durch ihre Rechtsprechung ersetzen sie die Rolle der einheimischen Fürsten. Sie unterstehen dem Statthalter oder Legionslegaten, dem ihre Einheit zugewiesen ist. Abgesehen vom Schwertrecht steht ihnen die volle Disziplinargewalt innerhalb ihrer Einheiten zu.


    Praefectus alae
    Dieser ist ein römische Offizier aus dem Ritterstand. Er nimmt die Rechtssprechung in seiner Einheit wahr.
    Praefectus classis
    Dieser ist ein römische Offizier aus dem Ritterstand. Der Flottenpräfekt übt innerhalb des Flottenverbands die Gerichtsbarkeit aus.
    Praefectus cohortis Dieser ist ein römische Offizier aus dem Ritterstand. Er nimmt die Rechtssprechung in seiner Einheit wahr.



    2.3 Cohortes Vigilum


    Praefectus vigilum
    Der Praefectus Vigilum ist ein römische Offizier aus dem Ritterstand. Er ist Kommandeur der Vigiles und nimmt die Rechtssprechung in seiner Einheit wahr.


    Die übrigen Zuständigkeiten vom Tribun abwärts entsprechen denen der Legio.



    2.4 Cohortes Urbanae


    Praefectus Urbi
    Der Praefectus Urbi ist ein römische Offizier aus dem Senatorenstand. Als Kommandant der Stadtkohorten übt er sowohl die oberste Zivil- als auch Militärgewalt in Rom aus und handelt als rechte Hand des Imperators. Formal ist er auch dessen Stellvertreter in Rom.


    Die übrigen Zuständigkeiten vom Tribun abwärts entsprechen denen der Legio.



    2.5 Cohortes Praetoriae


    Imperator Caesar Augustus
    Der Kaiser ist der Oberbefehlshaber der Prätorianer. Neue Prätorianer werden von ihm ernannt.
    Praefectus Praetorio
    Zwei gleichrangige Prätorianerpräfekten, die durch den Kaiser eingesetzt werden, führen die Garde in seinem Namen und üben die Gerichtsbarkeit ebenso in seinem Namen aus.


    Die übrigen Zuständigkeiten vom Tribun abwärts entsprechen denen der Legio.



    3 Unechte Soldatendelikte


    Hierunter versteht man ein Delikt, wie es auch jeder Zivilist begehen könnte, beispielsweise Münzfälschung.


    Verstoß gegen das allgemeine Recht, wie er auch von Zivilisten begangen werden könnte Wird in der Regel vergleichbar geahndet, wie wenn der Zivilist das Delikt begangen hätte, jedoch mit den üblichen Einschränkungen des Militärrechts, welches dem Rechtssprechenden Ermessensfreiheit einräumt.




    4 Echte Soldatendelikte


    Hierunter versteht man Delikte, die nur von Soldaten begangen werden können, wie Fahnenflucht oder den Verlust von Waffen. Sie unterscheiden sich in der Schwere beträchtlich, ebenso variiert eine Bewertung. Die folgenden Aufführungen dürfen daher nur als Richtlinien verstanden werden. Verbindliche Normierungen existieren nicht.


    4.1 Disziplinarvergehen


    Beispiele Übliche Bestrafung

    Widerspenstigkeit
    Trägheit
    Lässigkeit
    körperliche Unzulänglichkeit im Dienst

    Disziplinarische Verwarnung: Es erfolgte in der Regel eine dreimalige disziplinarische Verwarnung. Bei erneutem Fehlverhalten in der gleichen Angelegenheit leitet der Militärtribun ein Gerichtsverfahren gegen den Soldaten ein.




    4.2 Leichte Dienstvergehen


    All das erfolgt oft im Zusammenhang mit dem gleichzeitigen Wegnehmen des Soldatengürtels, der bis zur Rehabilitation einbehalten wird. Der Soldatengürtel ist das Zeichen des Soldatenstandes. Nun muss der Soldat ungegürtet wie eine Frau seinen Dienst verrichten.


    Vergehen Übliche Bestrafung
    Wiederholte Disziplinarvergehen
    Verlust von Teilen der Ausrüstung
    Streit mit Einheimischen
    Pecunaria multa: Soldkürzung

    Urlaubssperre

    Munerum indictio: zusätzliche Wach- und Arbeitseinsätze, oft im Zusammenhang mit Latrine oder Stall (gegen Zahlung an Zenturio oft umwandelbar in eine Pecunaria multa)

    Castigatio: Einfache Körperstrafen (Stockschläge) durch Zenturio

    Pranger: Für Zenturionen ein Tag Pranger vor dem Prätorium anstelle erniedrigender Arbeiten.



    4.3 Schwere Dienstvergehen


    Die Bewertung und Beurteilung kann sehr verschieden ausfallen. Bei Ersttätern wird oft Milde walten gelassen, sie kommen mitunter mit einer Rüge davon. Im Kriegsfall und im Feld wird härter geurteilt als während Friedenszeiten und im Lager.


    Vergehen Übliche Bestrafung
    Diebstahl
    Befehlsverweigerung
    Wachvergehen (Einschlafen auf Wache im Lager)
    falsche Zeugenaussage
    grobe Pflichtvernachlässigung
    Ermöglichen einer Gefangenenbefreiung
    Nichtverhinderung des Suizids eines Gefangenen
    Gradus deiectio: Degradierung und/oder Entzug der Privilegien für Altgediente

    Animadversio fustium: Auspeitschung vor der gesamten Einheit

    Strafversetzung in eine weniger angesehene Einheit

    Unehrenhafte Entlassung samt endgültigem Einbehalten des Gürtels

    Verstümmelung, wie Abschlagen der Hände oder Aderlass

    Hinrichtung mit dem Schwert oder Beil

    Fustuarium: Der Soldat wird von den eigenen Kameraden zu Tode geprügelt. In seltenen Fällen lässt man ihn dabei in Schande aus dem Lager fliehen, so dass er als Krüppel den Rest seiner Tage verbringt.
    Einschlafen während der Wache im Feld oder bei Belagerung
    Offizier vergeht sich an den Soldaten
    Todesstrafe, meist Fustuarium.




    4.4 Schwerste militärische Verbrechen

    Die schwersten militärischen Verbrechen werden ausnahmslos mit dem Tod geahndet. Nur die Art der Hinrichtung unterscheidet sich.


    Vergehen Übliche Bestrafung
    Meuterei Das Strafmaß für das Aufbegehren gegen Vorgesetzte richtet sich nach deren Rang. Bei tätlichem Angriff oder Aufbegehren gegen einen Statthalter oder den Feldherr erfolgt ausnahmslos die Todesstrafe - auch bei passivem Aufbegehren!
    Fahnenflucht
    Die Feigheit vor dem Feind während der Schlacht ist eines der schändlichsten Vergehen, dessen ein Soldat sich schuldig machen kann.

    Die Selbstverstümmelung, um der Zwangsrekrutierung zu entgehen, oder ein Selbstmordversuch gelten gleichsam als schändliche Flucht vor der militärischen Pflichterfüllung. Sie werden entsprechend wie Fahnenflucht behandelt. Es erfolgt die Hinrichtung mit dem Schwert oder Beil oder das Fustuarium.
    Überlaufen zum Feind Der Verurteilte wird brachial hingerichtet, beispielsweise durch Tierhetze, Kreuzigung, lebendig verbrennen, zu Tode trampeln lassen. Diesen Strafen geht die Aberkennung seiner Bürgerrechte voraus und die formelle Entpflichtung vom militärischen Eid. Damit wird dem ehemaligen Soldaten die Stellung eines rechtlosen Feindes zuteil.



    4.5 Kollektivstrafen


    Während der Prizipatszeit sind Kollektivstrafen, in denen ganze Verbände für das Fehlverhalten eines Einzelnen bestraft werden, selten. Stattdessen werden die Tatbestände, die Umstände der Tat und die Schuldfähigkeit der Täter untersucht und differenziert geahndet. Die gefürchtete Dezimation, bei der jeder zehnte Soldat der Einheit per Losentscheid durch die eigenen Kameraden getötet wird, ist für die Kaiserzeit nicht mehr überliefert.


    Vergehen Übliche Strafen
    Schlechte Disziplin Frumentum mutatum: Ersetzen der täglichen Weizenration durch minderwertige Gerste (Viehfutter), Streichung allen Fleisches von den Rationen. Manchmal verbunden mit Soldkürzung der gesamten Einheit.
    Feigheit der Einheit
    Extra muros: Einheit muss außerhalb des Walls campieren (und außerhalb von dessen Schutz), bis sie mit selbstmörderischer Todesverachtung bewiesen hat, dass sie es wert ist, wieder Teil der Gemeinschaft zu sein.
    Meuterei der Einheit

    Feigheit, die zur Niederlage in einem Gefecht führt
    Missio ignominiosa: Durch Kaiser beschlossene Auflösung der Einheit, Auslöschen der Erinnerung an diese (damnatio memoriae) samt Verlust aller finanzieller Ansprüche und zivilen Privilegien ihrer Soldaten. Zusätzlich erfolgt die individuelle Verurteilung der Rädelsführer. Diese Strafe kann auch über Einzelpersonen verhängt werden.