Diaspora

Aus Theoria Romana
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Im späten 8. und im 7.Jh. v.Chr. entstanden erstmals ausserhalb Palästinas große isrealitische Gemeinden (soge. Diasporagemeinden), denn nach dem Untergang der Königreiche Israel und Juda wurden viele Gefangene nach Assyrien und Babylonien deportiert. Während der persianischen Zeit und auch danach blieb diese mesopotamische Diaspora ein Zentrum jüdischen Lebens. Einige Juden zogen auch als Söldnertruppen des Persischen Reiches von Judäa nach Ägypten, wie das zufällig erhalten gebliebene Archiv einer jüdischen Garnison aus dem 5.Jh. v.Chr. in Elephantine in Oberägypten zeigt.

Die größte Ausbreitung der Juden ausserhalb Palästinas erfolgte aber erst nach der Eroberung des Persischen Reiches durch Alexander den Großen in den Jahren 332-323 v.Chr. Alexanders Siegeszug fügte die östlichen Mittelmeerländer und den "Fruchtbaren Halbmond" zu einer politischen Einheit zusammen und förderte die Entwicklung einer homogenen hellenistischen Kultur. Die Ursachen der Zerstreuung der Juden waren unterschiedlich: Sie wurden duch Ptolemäus Soter (323-285 v.Chr.), einem der Nachfolger Alexanders, nach Ägypten verschleppt; Pompeius führte 63 v.Chr. ebenso wie Sosius im Jahre 37 nach der Belagerung Jerusalems Juden mit sich nach Rom. Andere wanderten freiwillig aus, da Palästina während der hellenistischen Zeit häufig durch Kriege verwüstet wurde. Das Hügelland um Jerusalem war zudem nicht fruchtbar genug für eine jüdische Bevölkerung, deren Wachstum nicht - wie sonst in der antiken Welt - durch Kindstötung oder Abtreibung eingeschränkt wurde. Die politische Einigung des Nahen Ostens durch die griechischen Eroberer bot den Juden im Ausland ausserdem verlockende Möglichkeiten. Einige ließen sich in den Städten nieder, die durch hellenistische Herrscher gegründet worden waren, andere traten in fremde Dienste ein. Am bekanntesten sind die jüdischen Söldner, die den Ptolemäern im 2.Jh. v.Chr. diente. Der aus Jerusalem geflohene Priester Onias bekam sogar die Erlaubnis, in Leontopolis einen jüdischen Tempel als Gegenstück zum Tempel in Jerusalem zu errichten. Wieder anderen ließen sich als Bauern in den Grenzländern Palästinas nieder, wie uns viele jüdische Papyri aus Ägypten bekunden. Die Juden in den Städten arbeiteten gewöhnlich als Handwerker oder im lokalen Handel, aber schon gegen Ende des 1.Jhs. v.Chr. beteiligten sich einige auch an größeren Handelsunternehmungen. Sie wurden dabei von den jüdischen Gemeiden unterstützt, die es inzwischen in vielen Städten der Mittelmeerküste gab.

Diese riesige Diaspora wurde noch mehr vergrößert, als die Gefangenen der Jüdischen Aufstände von 66-70 und 132-135 n.Chr. als Sklaven verkauft wurden. Im 3. und 4.Jh. n.Chr. gab es in vielen Küstenstädten des westlichen Mittelmeers jüdische Siedler. Es ist unmöglich zu schätzen, wie viele Juden im 1.Jh. n.Chr. ausserhalb von Palästina lebten. Der jüdische Philosoph Philo erwähnt, dass es in seiner Zeit allein in Ägypten eine Million Juden gab. Unbekannt ist auch wie weit der natürliche Zuwachs dieser Diasporagemeinden durch die Aufnahme von Proselyten vergrößert wurde.
Wir besitzen wenig literarische Quellen über das Leben der Diasporajuden im 1.Jh. n.Chr. Eine Hauptquelle ist das Neue Testament und besonders die Apostelgeschichte, die häufig von Juden in Syrien, Kleinasien und Griechenland berichtet. Abgesehen von Paulus, ist Philo von Alexandria der einzige jüdische Autor dieser Zeit, dessen Schriften zu einem guten Teil erhalten sind. Seine Werke so wie Fragmente griechischer Schriften von anderen Diasporajuden sind auf dem Weg über christliche Gemeinschaften für die Nachwelt gerettet worden.

Andere Zeugnisse über die Diaspora sind nch fragmentarischer: Der Historiker Josephus, der in Jerusalem geboren wurde, aber 70 n.Chr. in Rom starb und mit der jüdischen Oberschicht in Ägypten und Zyrene Beziehungen pflegte, erwähnt Diasporajuden häufig, aber beiläufig. Auch griechische und lateinische nichtjüdische Autoren - meistens schlecht informiert - machen gelegentlich Bemerkungen über die Juden. Viele jüdische Inschriften auf Grabsteinen und Ehrentafeln sind zwar noch erhalten, stammen aber meistens aus spätrömischer zeit. Über die Juden in Ägypten gibt es besonders gute Zeugnisse, zum einen wegen der politischen Bedeutung der alexandrinischen Gemeinde, zum anderen, weil im Wüstensand Papyrusdokumente, die von Juden geschrieben wurden und von Juden handeln, erhalten geblieben sind. - Synagogen sind archäologisch gut belegt, obwohl nur wenige der augegrabenen Gebäude schon im 1.Jh. n.Chr. existierten. Die zwei bedeutendsten sind der spätrömische Bau in Sardis und die Synagoge in Dura-Europos am Eufrat aus dem 3.Jh. n.Chr.

Die Diasporajuden passten sich teilweise der sie umgebenden Kultur recht stark an. Ohnehin sprachen und schrieben die meisten Juden, die sich in den Mittelmeerländern niedergelassen hatten, besser Griechisch als ihre semitische Muttersprache. Die mesopotamischen Juden sprachen den lokalen Dialekt des Aramäischen. In griechischen Gegenden besuchten einige Juden wahrscheinlich regelmässig die Theater und Gymnasien und distanzierten sich nur von der Teilnahme an heidnischen Kulten. Zumindest in der spärrömischen Zeit konnten die Juden in einigen Städten sogar Ratsmitglieder oder Richter werden. Es ist klar, dass dadurch die jüdische Lebensweise einfach von griechisch-römischem Gedankengut beeinflusst wurde.

Wahrscheinlich unterschied sich das religiöse Leben der Juden in der Diaspora nur wenig von jenen in Palästina. Einige Gelehrte nehmen an, dass die griechisch sprechenden Juden eine eigene mystische Interpretaion der zentralen Schriftwerke entwickelten, doch ist dies heute fraglich. Tatsächlich wurden heidnische Vorstellungen nur selten in den jüdischen Monotheismus aufgenommen. Auch in der Fremde standen der Tempel in Jerusalem und die Tora im Zentrum des religiösen Lebens. Die meisten Diasporajuden anerkannten die Ausschließlichkeit des Tempels in Jerusalem und erwiesen dem Heiligtum regelmässig ihre Ehrerbietung durch Kollekten für eine Instandhaltung. Was die Gebote anging, so wurden diese ausserhalb Palästinas genauso befolgt wie im Lande selbst. Besonders hielt man sich an die traditionellen Speisevorschriften und ehrte den Sabbat als Ruhetag.

Die Tora, die die jüdische Lebensweise bestimmte, stand im Mittelpunkt der synagogalen Feiern. Hier wurde sie vorgetragen und auslegt. Früher noch als in Palästina, wo alle religiöse Geschehen auf den Jerusalemer Tempel als einzigem legitimem Heiligtum hingeordnet war, gestaltete man in der Diaspora die Synagogen als kostbare Bet- und Gemeinschaftshäuser. Die Bedeutung der Diasporasynagogen wurde noch verstärkt durch die doppelte Aufgabe der Synagogenvorsteher: Diese kümmerten sich nicht nur um die religiösen Belange, sondern übten innerhalb der Gemeinde auch das Amt des Friedensrichters aus. In vielen Städten regelten die Juden ihre Angelegenheiten unter sich, schlichteten ihre Streitigkeiten selbst und suchten so die Einmischung der heidnischen Behörden zu vermeiden. An einigen Orten wurde diese Autonomie von den Machthabern offiziell anerkannt, an anderen bestand sie de facto, weil die jüdische Gemeinde Gesetzesbrecher durch die Androhung von Strafen unter Kontrolle halten konnte. Die isolierte Lebensweise, bedingt durch die Verbundenheit mit dem fernen Kultzentrum in Palästina, die für Nichtjuden befremdlichen Speisevorschriften und das Verbot von Mischehen, führten in einigen Städten zur Unbeliebtheit der Juden. Bei den griechischen und lateinischen Autoren dieser Zeit finden sich oft antisemitische Äusserungen. Die feindseligsten Griechen waren jene in Ägypten und die Angriffe der Alexandriner waren besonders heftig: Sie erhoben Einspruch gegen die Juden in ihrer Mitte, die das uneingeschränkte Bürgerrecht der Stadt erlangen wollten, ohne den heidnischen Kulten teilzunehmen oder die ihre Gemeinde von jeder Einmischung durch die städtischen Behörden zu befreien versuchten. Diese lange und oft blutige Auseinandersetzung gipfelte schließlich 117-119 n.Chr. in einem großen Aufstand der Juden Ägyptens, Zyrenes und Zyperns, der mit der völligen Vernichtung der jüdischen Gemeinden in diesen Ländern endete. Während dieser Jahre und während der Aufstände in Judäa ging es auch den Diasporajuden schlecht, obwohl nur die Siedler an den Grenzen Palästinas während der erbitterten Kämpfe im Jahre 66 n.Chr. unter Massakern von seiten heidnischen Nachbarn zu leiden hatten (Josephus, Krieg 7,367f).


Quelle: Herders Grosser Bibelatlas