Artillerie

Aus Theoria Romana
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Zur Artillerie zählen alle Arten von technischen Vorrichtungen, die dazu konstruiert werden, Geschosse über eine Distanz hinweg auf einen Gegner zu schleudern oder zu schießen. In der antiken Kriegsführung wurde Artillerie spätestens von den Griechen eingesetzt, wahrscheinlich jedoch schon zuvor von den Assyrern oder Babyloniern. Einsatzbereiche sind vornehmlich die Belagerung und die Seeschlacht, während der Einsatz von Bogenschützen noch nicht zur Artillerie im engeren Sinne zu zählen ist. Ziel des Artillerieeinsatzes ist entweder das direkte Bekämpfen des Gegners oder das Niederhalten des Gegners, um eigene Truppen für den Nahkampf heranführen zu können.

Lateinische Begriffe

Die lateinische Begriffsbildung für Artilleriegeschütze ist leider nicht ganz eindeutig. Marcus Vitruvius Pollio spricht in seinen zehn Büchern über Architektur von catapultae und ballistae, womit offensichtlich Oberbegriffe für Geschütztypen gemeint sind. Dabei leitet sich catapulta vermutlich vom griechischen catapeltos = "Schildbrecher" ab. Wodurch sich catapultae und ballistae allerdings genau unterscheiden ist nicht eindeutig zu klären.

Ferner sind Namen einzelner spezieller Bautypen bekannt:

  • Ein onager ist ein einarmiges Schleudergeschütz, das Steinkugeln oder vergleichbare Munition verschießt.
  • Ein scorpio oder eine cheiroballista ist ein stationäres zweiarmiges Geschütz, das Pfeile oder Bolzen verschießt.
  • Eine carroballista ist dasselbe, jedoch beweglich auf einem Wagen oder Rädern montiert.
  • Eine manuballista ist ebenfalls dasselbe, jedoch durch einen Mann tragbar.

Bauweise von Artilleriegeschützen

Artillerie2.jpg
Geschützkopf eines scorpio. Links und rechts sind jeweils
die verdrehten Seilbündel mit den Spannarmen zu erkennen.

Die wichtigste in römischer Zeit eingesetzte Bauweise von Geschützen ist das Torsionsprinzp. Es gab Waffen dieser Art in allen Größen und Ausführungen, von leichten Pfeilgeschützen bis hin zu riesigen Steinwerfern. Sie konnten je nach Größe getragen werden, stationär errichtet werden oder auf Wagen oder Schiffen montiert sein.

Das Torsionsprinzip (von lat. tordere = verdrehen) basiert darauf, dass ein Hebel in ein Bündel von Seilschlaufen gesteckt wird und in eine Richtung gedreht wird. Lässt man den Hebel los, drückt ihn das Seilbündel in die Gegenrichtung zurück. Die Seilschlaufen wirken beim Verdrehen also wie eine Feder. Der Vorteil dieses Prinzips ist, dass wenig Material und Raum und keinerlei elastisches Material benötigt wird. Dadurch lassen sich Waffen nach dem Torsionsprinzip in nahezu beliebiger Größe bauen.

Typischste Bauform der Torsionsgeschütze sind zweiarmige Geschütze. Dabei werden zwei Bündel mit je einem starren Spannarm senkrecht in Halterungen montiert, so dass die Arme waagerecht schräg nach hinten außen verlaufen. Die Spannung der Bündel wird so erzeugt, dass sie die Spannarme nach vorne drücken. Die beiden Enden der Arme sind durch eine Sehne verbunden. Zwischen den Seilbündelhalterungen verläuft der Lauf des Geschützes. Auf diesem sitzt ein Schlitten, an dem die Sehne eingehakt werden kann und der über eine Seilwinde nach hinten gezogen wird. Die Seilbündel drücken die Arme also nach vorne außen, das Zurückziehen des Schlittens zieht dagegen an der Sehne und damit beide Arme nach hinten innen - das Geschütz wird also gespannt. Alleine die Vorspannung, die durch das Verdrehen der Seilbündel erreicht wird, kann dabei bereits mehrere 100kg Zugkraft betragen. Zum Schuss wird nach dem Spannen ein Geschoss vor die Sehne gelegt und der Schuss durch Öffnen des Hakens, mit dem die Sehen gehalten wurde, ausgelöst. Die Arme drücken dann nach außen, ziehen die Sehne stramm nach vorne und diese schiebt so das Geschoss in einer sehr direkten Flugbahn hinaus. Mit zweiarmigen Torsionswaffen wird also insbesondere auch ein direkter Schuss erzeugt und kein indirekter Wurf. Zudem wird die Länge der Sehne so bemessen, dass die Spannarme auch im Ruhezustand frei stehend sind, also nicht am Gehäuse des Geschützes anliegen. Dadurch wird beim Schuss keine Energie von den Armen auf das Geschütz selber übertragen und es entsteht kein Rückstoss oder vergleichbarer Effekt.

Neben den zweiarmigen Geschützen können auch einarmige Schleudergeschütze zum Einsatz kommen. Bei diesen existiert nur ein querliegendes Seilbündel, das einen einzelnen Schleuderarm nach vorne bewegt. Dadurch, dass der Arm weiter vorne in ein Querholz prallt gibt er das Geschoss frei und erzeugt auf diese Weise einen schleudernden Wurf. Durch das Auffangen des Arms nimmt das Geschütz sehr viel Energie auf und onager neigen daher dazu, beim Abschuss einen Satz nach vorn oder zur Seite zu machen und bedürfen daher spezieller Befestigungen und einer besonderen Vorsicht der Geschützmannschaft.

Konstruktion und Transport

Die Konstruktion von Geschützen oblag vermutlich spezialisierten Handwerkern innerhalb der Armee und wurde in den Werkstätten der Lager durchgeführt. Vermutlich war Marcus Vitruvius Pollio als tribunus angusticlavius für die Überwachung des Geschützbaus verantwortlich, bevor er die Armee verließ und seine Bücher über Architektur verfasste. Die eigentlich Bauausführung und die Bedienung der Geschütze lag vermutlich in den Händen von immunes.

Kleinere Geschütze werden entweder komplett oder in wenige Teile zerlegbar mitgeführt worden sein, so dass sie in wenigen Minuten einsatzbereit waren. Schwere Belagerungsgeschütze konnte dagegen leicht mehrere Tonnen wiegen, so dass es unwahrscheinlich ist, dass diese komplett mitgeführt wurden. Es ist daher anzunehmen, dass nur Metallteile und Seile transportiert wurden, während für alle Holzteile am Ort der Belagerung Bäume gefällt und die benötigten Holzteile hergestellt wurden. Die Montage der Geschütze konnte damit leicht mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Munition und Reichweite

Leichte Geschütze zum Verschießen von Pfeilen oder Bolzen kamen direkt gegen Personen zum Einsatz auf einer Entfernung von 50 bis maximal 300 m. Dabei ist zu beachten, dass bei Ausnutzung der ballistischen Maximalreichweite keine große Durchschlagskraft und Präzision erzielt wird. Die Kampfreichweite für einen scorpio dürfte bei maximal 150 m gelegen haben, für eine tragbare manuballista bei etwa 70 m. Auf diese Reichweite konnten mit Holzpfeilen mit geschmiedeten Eisenspitzen Metallplatten von bis zu 2 mm Stärke durchbrochen werden.

Schwere Belagerungsgeschütze waren auf Rundmunition ausgelegt, hatten höhere Reichweiten und kamen je nach Bauart auf Weiten von 150 bis 700 m bei Geschossdurchmessern von bis zu 50 cm. Auch hier nehmen Wirkung und Treffgenauigkeit mit großer Distanz ab, so dass die Kampfreichweite bei maximal 350 m gelegen haben dürfte. Allerdings lag man damit bereits außerhalb der Reichweite feindlicher Pfeilgeschütze (und Bogenschützen und Schleuderer sowieso) und benötigt daher keine größere Reichweite.

Einsatzbereiche

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Ein schweres Belagerungsgeschütz zum Verschießen
von Steinkugeln.

Mobile Geschütze konnten sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung eingesetzt werden, während schwere stationäre Geschütze reine Angriffswaffen waren.

Ein Angreifer konnte leichte Pfeilgeschütze zum Beispiel einsetzen, um damit eine bestimmte Stelle einer feindlichen Verteidigungsanlage unter Beschuß zu nehmen. Damit wird beispielsweise verhindert, dass der Gegner ein dort stehendes eigenen Geschütz nutzt oder er wird damit von einem Zugang zu einem Brunnen vor seiner Festung abgeschnitten. Ein Verteidiger stellte solche leichten Geschütze vorzugsweise drehbar auf Türmen auf und konnte damit in möglichst viele Richtungen gezielt auf herannahende Angreifer schießen oder bei einer Belagerung den Aufbau von Rampen oder Schutzanlagen im Vorfeld zu erschweren bzw. ganz zu verhindern. In einer Feldschlacht konnten leichte Geschütze genutzt wurden, um von hinter den eigenen Linien in den anstürmenden Gegner zu schießen oder durch gezielte Schüsse gegnerische Befehlshaber auszuschalten.

Schwere Geschütze sind dagegen so groß und schwer, dass sie praktisch nicht drehbar sind, also exakt für eine Schussrichtung gebaut werden und daher nicht für den Einsatz gegen Personen geeignet sind. Vielmehr nutzt man sie, um entweder in flachem Winkel und kurzer Distanz Mauern direkt anzugreifen oder in steilerem Winkel auf längere Distanz in Festungen hinein zu schießen und sie somit von innen zu zerstören. Dabei ist zu beachten, dass ein direkter Beschuss einer massiven Steinmauer wenig wirkungsvoll ist. Dagegen ist der psychologische Effekt eines konstinuierlichen Geschosshagels beim Einsatz von Artillerie in der Belagerung nicht zu vernachlässigen.

Quelle: M. Vitruvius Pollio: De architectura libri decem / Zehn Bücher über Architektur, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Curt Fensterbusch, Darmstadt 1996.